Kapitel 11 - Die erste Dunkelheit

6 Jahre zuvor

»Skàdi, jetzt komm endlich! Silas wartet sicher schon auf uns«, raunte Travis.

Er stand vor dem Badezimmer und klopfte gegen die Tür. Er wartete bereits seit einer halben Stunde auf sie und langsam verlor er die Geduld. Und gerade, als er sich abwenden und aufgeben wollte, sprang die Tür auf und leuchtend grüne Augen strahlten ihm entgegen.

»Du, mein Lieber, bist immer viel zu unentspannt«, sagte sie, griff nach seinem Shirt und zog ihn zu sich herunter, um ihm einen Kuss aufzudrücken.

Er ließ seine Hände an ihre Hüfte wandern und zog sie näher an sich. Er presste sich knurrend an ihre Lippen und zog ihren Körper an seinen. Verlangen breitete sich in ihm aus.

»Aber nur, weil ich die letzte Nacht ohne dich verbringen musste.«

Skàdi drückte ihre Hände gegen seine Brust und schob ihn zurück. Ihre Augen strahlten vor Freude und dennoch tippte sie ihm lachend mit dem Zeigefinger auf die Nase und brachte wieder Abstand zwischen ihre Körper.

»Aber es hat sich gelohnt. Ich habe einen neuen Job und so können wir uns bald eine größere Wohnung leisten.«

Travis zog sie wieder an sich. Sorgsam strich er ihr eine Strähne ihrer langen, braunen Haare aus dem Gesicht und küsste sie erneut.

»Ich liebe dich, Schatz.«

Skàdis strahlende Augen hätten in diesem Moment jeden glänzenden Stern des Nachthimmels gnadenlos in den Schatten gestellt.

»Ich dich auch«, wisperte sie gegen seine Lippen, während Travis' Hände langsam unter ihr Shirt wanderten.

Das Verlangen, welches in ihm tobte, kroch auch auf Skàdi über, doch sie widerstand der Versuchung, griff nach seinen Händen und schob ihn erneut zurück.

»Nein mein Lieber. Schon vergessen? Silas wartet auf uns.«

Sie riss sich aus seiner Umarmung und rannte vor ihm davon. Travis lachte auf, schüttelte den Kopf und lief ihr nach.

»Na warte du kleine Hexe.«

Eine halbe Stunde später kamen die beiden an ihrer Lieblingsbar an und als sie gerade den Wagen abstellten, trat ein großer, dunkelhaariger Mann an das Auto und klopfte gegen die Scheibe. Skàdi zuckte zusammen, doch als sie den Übeltäter erkannte, grinste sie breit und riss die Wagentür auf.

»Silas«, rief sie grinsend, rannte um das Auto und sprang ihm um den Hals.

Er fing sie auf und taumelte leicht zurück.

»WOW, langsam Baby. Es waren nur vier Wochen«, sagte er und lächelte sie an.

Skàdi legte ihre Beine um seine Hüfte und presste sich fest an ihn.

»Hallo? Vier Wochen ohne meinen besten Freund, du Spinner.«

Sie lehnte sich zurück und sah in die grauen Augen, welche ihr sofort eine Welle der Vertrautheit durch den Körper schickte. Sie konnte nicht in Worte fassen, wie sehr sie ihn die letzten Tage vermisst hatte. Silas drückte ihr einen sanften Kuss auf die Wange, bevor er sie langsam absetzte.

Mittlerweile war Travis aus dem Auto gestiegen und ging mit einem breiten Lächeln auf Silas zu.

»Hab dich vermisst, Brüderchen«, raunte er, bevor auch er sich von Silas in eine etwas kürzere Umarmung ziehen ließ.

»Frag mal. Los lasst uns reingehen. Ich brauche unbedingt ein Bier«, erwiderte Silas und lächelte die beiden an.

Sie nickten und gemeinsam traten sie in die Bar. Sie war nicht die Schönste, um nicht zu sagen, dass sie eigentlich ziemlich abgefuckt war. Abgewetzte Lederhocker und Sitznischen, deren Stoff nur noch an seidenen Fäden hing, begrüßten sie. Die alte Holztheke war mehr als abgenutzt und dennoch liebten sie es. Es war zu einem Teil ihres Lebens geworden hier ihre Zeit miteinander zu verbringen. Günstige Preise, gute Musik und einen Barbesitzer, den sie noch aus Kindheitstagen kannten und der gern mal das ein oder andere Bier nicht auf die Rechnung schrieb. Mehr brauchten sie nicht.

Sie ließen sich in einer der Sitznischen fallen und während Travis sich um die Getränke kümmerte, sah Skàdi mit neugierigem Blick zu Silas.

»Also, wie war der Urlaub?«

Silas lachte und lehnte sich zu ihr.

»Ihr wart doch quasi mit dabei. Ich schwöre, ich habe noch nie so viele Bilder in meinem Leben verschickt. Du hast bereits alles gesehen. Es war grandios und beim nächsten Mal fahren wir alle zusammen«, sagte er und sah sie hoffnungsvoll an.

Travis kam zurück, setzte sich neben Skàdi und schob jedem ein Bier zu.

»Wo fahren wir hin?«, fragte er und nahm einen Schluck.

»Gemeinsam in den Urlaub«, wiederholte sich Silas.

»Und dank meines neuen Jobs, welchen ich gestern bekommen habe, werden wir genau das tun«, erwiderte Skàdi lachend.

Silas' Augen wurden riesig und sofort legte sich stolz in seinen Blick.

»Es hat geklappt? Ich glaube es nicht. Glückwunsch.«

Skàdi nickte und hielt ihm das Bier entgegen.

»Hat es!«

Sie stießen an und jeder nahm einen großen Schluck. Doch das Hochgefühl in Silas verschwand, als sein Blick zu seinem Bruder schwankte. Traurigkeit zog sich durch sein Herz, was ihm schwer seufzen ließ. Er nahm einen weiteren Schluck und räusperte sich.

»Wie geht es dir? Du... du siehst gut aus«, sagte er fast schon verlegen.

Travis' Blick schoss zu Skàdi und beide fingen an zu lachen. Silas sah sie verwundert an. Denn eigentlich gab es, wenn es um die Gesundheit von Travis ging, nicht wirklich etwas zu lachen.

Bei ihm war vor einem Jahr Krebs festgestellt worden. Seine Chancen auf Heilung standen zwar gut, aber bis jetzt, war diese nicht eingetreten. Als er die Diagnose bekam, brach für ihn eine Welt zusammen. Er ließ kaum noch jemanden an seinem Leben teilhaben.

Na ja, keinen außer Skàdi.

Sie waren seit drei Jahren ein Paar und sie hatte von Anfang an einen tiefen Einfluss auf ihn. Bevor Travis sie kennenlernte, war er ein wahres Arschloch. Er verursachte nur Ärger, steckte ständig in Schwierigkeiten und er war ein Egoist. Es gab niemanden für ihn, außer sich selbst. Doch Skàdi sorgte in wenigen Tagen dafür, dass er zu einem normalen Menschen mutierte. Und auch Silas hatte sie bereits beim ersten Treffen in den Bann gezogen und es dauerte nur Wochen, bis auch die beiden zu einer unzertrennlichen Einheit verschmolzen. Und mit dem Bekanntwerden von Travis Krankheit wuchs seine Zuneigung für sie ins Unermessliche.

Sie stand ihm immer zur Seite. Egal, ob er gute oder schlechte Tage hatte. Sie gab ihn nicht auf und schaffte es letztlich, dass Travis sich selbst ebenfalls nicht aufgab.

Silas liebte sie. Er liebte sie zu sehr.

Travis schubste Silas am Arm und holte ihn somit aus seinen Gedanken.

»Erst Fragen stellen und dann abschweifen, oder was?«, sagte er lachend.

Er sah ihn entschuldigend an.

»Sorry, also wie geht es dir?«, fragte Silas erneut.

Wieder grinsten beide breit.

»Na ja, also wir haben heute noch einen Grund zu feiern. Ich bin krebsfrei«, sagte Travis und musterte Silas.

Dieser sah in die grinsenden Gesichter der beiden und er wirkte eher, wie vom Pferd getreten. Es dauerte einige Sekunden, bis er verstand, was er gerade zu hören bekommen hatte. Doch langsam fingen seine Augen an mit leuchten und er stotterte los.

»Echt jetzt?«

Travis nickte und sofort sprang Silas auf und umarmte ihn.

»Ich ... ich weiß nicht, was ich sagen soll, du kannst dir nicht vorstellen, wie froh ich bin und wie glücklich mich diese Nachricht macht.«

Tja und nachdem sie nun gleich zwei Gründe hatten zum Feiern, blieb es nicht bei dem Bier, sondern sie stiegen direkt auf Schnaps um. Der Abend verging und lange waren sie alle nicht so entspannt und glücklich gewesen. Irgendwann stand Skàdi auf und schlängelte sich durch die anderen Gäste, um zu der Toilette zu kommen. Die Bar war verhältnismäßig voll und so verschwand sie vor den Augen von Silas und Travis in der Masse an Menschen. Kurz bevor Skàdi endlich an ihrem Ziel ankam, stellte sich plötzlich ein ziemlich betrunkenes männliches Exemplar vor sie und grinste sie an. Ohne etwas zu sagen, drückte er sie unmittelbar hinter sich an die Wand. Ihr Blick schoss direkt zurück zu Silas und Travis, aber sie konnte sie aufgrund der vielen Menschen nicht sehen. Angst durchfuhr ihren Körper, als sie die Wärme des näherkommenden Typens vernahm. Ein Schrei sammelte sich in ihrer Kehle, doch er verließ ihre Lippen nicht. Aber noch bevor die Panik sie vollkommen in Beschlag nehmen konnte, sah sie eine Faust auf das Gesicht des Typen zuwandern.

»Arschloch«

Der Besoffene verdrehte sofort die Augen und ging unmittelbar zu Boden. Hinter ihm traf ihr Blick auf einen besorgt dreinblickenden jungen Mann.

»Alles okay, Kleines?«, fragte er und sah sie liebevoll an.

Skàdi nickte.

»Ja ... danke ... ich ...«, stotterte sie, unfähig zu begreifen, was da gerade passiert war.

Ihr Blick glitt zu Boden und als sie das zerbrochene Glas vor ihren Füßen sah, kniete sie sich nieder. Der Unbekannte folgte ihr.

»Du musst das nicht aufheben, das ist meins. Ich habe es gerade fallen lassen als der Typ ...«, erklärte er, doch Skàdi lächelte ihn nur an.

»Alles gut«, sagte sie und gemeinsam sammelten sie die Scherben ein.

Der Unbekannte löste ein seltsames Gefühl in Skàdi aus, welches sie nicht zuordnen vermochte. Wieder ließ sie den Blick zu ihm schweifen, als sie aufschreckte.

»Du blutest«, sagte sie, stand auf und griff schnell nach ein paar Servietten, die sie ihm reichte.

»Ich danke«, erwiderte er und nahm sie ihr mit einem Lächeln ab.

»Ist das Mindeste, was ich tun kann«, flüsterte sie leise.

Er wischte sich vorsichtig das Blut von dem Finger und sah sich den kleinen Schnitt an.

»Ich denke, ich überlebe es«, sagte er und schenkte ihr ein weiteres Lächeln.

»Bist du allein hier?«, fragte er unvermittelt.

Skàdi musterte ihn immer noch und schüttelte den Kopf.

»Nein«, erwiderte sie knapp.

Zu knapp.

Das Lächeln des Unbekannten dämpfte sich ein klein wenig, bevor er sich nach unten beugte und den Besoffenen am Kragen packte.

»Okay, pass trotzdem auf dich auf, Kleines«, murmelte er und ließ sie stehen, um den bewusstlosen Typen aus der Bar zu zerren.

Skàdi sah ihm noch kurz nach, bevor sie den Weg zur Toilette fortsetzte. Dieses seltsame Gefühl, welches er in ihr ausgelöst hatte, blieb. Als sie fertig war, bahnte sie sich den Weg zurück zu Silas und Travis und überlegte, ob sie ihnen von der Begegnung erzählen sollte. Entschied sich schließlich aber dagegen.

Die beiden würden nur unnötig für ein Problem, welches schon gelöst war, ausflippen.

Und so lächelte sie und versuchte die letzten Minuten einfach beiseitezuschieben.

»Du blutest«, sagte Silas plötzlich und zeigte auf ihren Finger.

Skàdi drehte ihre Hand und sah auf den kleinen Blutstropfen. Sie zuckte mit den Schultern und wischte es ab. Darunter sah sie einen winzigen Riss in ihrer Haut. Automatisch schweifte ihr Blick durch den Raum, doch der Unbekannte schien verschwunden.

Der restliche Abend verlief völlig entspannt und gemütlich. Weit nach Mitternacht, verließen Skàdi, Silas und Travis dezent angetrunken die Bar.

»Tja ... selbst fahren wird dann wohl ausfallen ... Bus?«, fragte Travis und sah die anderen beiden fragend an.

Die nickten und gemeinsam liefen sie auf die Bushaltestelle zu, welche sich unmittelbar neben der Bar befand. Die Dunkelheit hatte die Straße in eine düstere Gasse verwandelt und eine drückende Stille umgab sie. Doch dank des Alkohols im Blut bemerkten die drei nichts davon und liefen kichernd und leicht wankend durch die menschenleere Straße. Keiner beachtete den sich langsam nähernden Transporter und als Silas die Lichter endlich auffielen, war es bereits zu spät. Er kam neben ihnen zum Stehen, die Seitentür schoss auf und mehrere Maskierte sprangen auf sie zu.

Instinktiv stellte sich Silas schützend vor Skàdi und Travis. Doch er hatte keine Chance und wurde sofort niedergeschlagen. Ohne etwas ausrichten zu können, ging er bewusstlos zu Boden. Travis nahm dessen Platz ein und drängte Skadi zurück, aber ehe einer der beiden die Situation begreifen konnte, wurde auch Travis niedergestreckt. Diesen aber packten sie und zogen ihn in Richtung des Transporters.

Skàdi stand regungslos an die Mauer hinter sich gepresst. Ihr Puls raste und versetzte ihrem Gehör ein tiefes Rauschen. Hilflos sah sie dabei zu, wie Travis auf die Ladefläche geworfen wurde.

»Was? Was soll das?«, murmelte sie von Angst erstickt.

Keine Reaktion.

In Skàdi regte sich etwas. Wut. Sie stieg langsam, fast schon zu langsam auf. Doch als sie endlich ausbrach, verschwand die Angst und sie schoss auf einen der Maskierten los. Doch dieser schubste sie einfach nur zur Seite, was sie stolpern und hart auf den Boden einschlagen ließ. Tränen schossen ihr in die Augen. Vor Schmerz. Nein, aus Angst. Travis.

»Bitte«, wimmerte sie, doch die Maskierten schoben bereits die Tür hinter sich zu und wandten sich ab.

Verzweiflung stieg in ihr auf. Sie konnte ihn nicht verlieren.

Glucksend richtete sie sich auf und sah ihnen nach. Die nächsten Worte, welche ihre Lippen verließen, waren die wohl dümmsten ihres Lebens. Wo sie herkamen, wusste sie nicht. Auch nicht, was sie damit erreichen wollte, und dennoch kam es einen Zwang gleich, sie auszusprechen.

»Nehmt mich, bitte. Lasst ihn in Ruhe.«

Über ihre eigenen Worte erschrocken, starrte Skàdi auf den letzten Maskierten, der sich langsam zu ihr drehte. Für einen Bruchteil weniger Sekunden schien die Zeit stillzustehen, als plötzlich der Transporter erneut aufging und Travis bewusstloser Körper unachtsam auf den Gehweg geworfen wurde.

Der kurze Funke der Erleichterung in Skàdi erlosch mit einer eisigen Kälte, als ihr bewusst wurde, was sie getan hatte. Zwei der Maskierten traten auf sie zu und auch wenn sie hätte versuchen sollen sich zu wehren, war sie sich ihrer Unterlegenheit mehr als im Klaren.

Wie dunkle Schatten beugten sie sich über ihren Körper. Ein stechender Schmerz an ihrem Hals. Ein Brennen und da war sie.

Eine, alles in ihren besitzreisende, Dunkelheit ...

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