𝑰-15 | Minzzweige
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KAPITEL FÜNFZEHN
MINZZWEIGE
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Mit raschen Bewegungen, die bei ihm unglaublich leicht aussahen, fing Malfoy an einen Bezoar mit Hilfe eines Mörsers zu feinem Pulver zu verarbeiten. Das war die erste Zutat des ersten Teils der Zubereitung.
„Ich kümmere mich um den ersten Teil, während-"
„Während ich die Zutaten des zweiten Teils vorbereite. Schon verstanden.", beendete ich seinen Satz und für einen kurzen Moment trafen sich unsere Augen. Ein warmes Lächeln schwang in dem Grau mit, obwohl sein Gesicht das nicht zeigte. Zugegeben, die Arbeit mit ihm war einfach und unkompliziert. Wir wussten beide was wir taten, kamen schnell voran und konnten einigermaßen vorhersehen, was der andere im Schilde führte. Vielleicht war es gar nicht so schlecht, dass Daphne sich neben Zabini gesetzt hatte.
Den zweiten Teil vorzubereiten war einfach. Von dem Mistelbeerstrauch pflückte ich zwei Beeren und ließ sie vorübergehend in eine kleine Schüssel gleiten. Das mit dem Einhornhorn war schon schwieriger. Zunächst ging ich nach vorne zu Professor Snape, der die wertvolle Zutat erst dann ausgab, wenn man bereit dazu war. Natürlich bekam man kein ganzes Horn in die Hand gedrückt, sondern nur eine kleine Ampulle mit groben Stücken. Wieder am Platz angelangt fing ich an die Stückchen mit einem zweiten Mörser zu zerkleinern.
„Hey Avery", sagte Malfoy, während wir beide so nebeneinander arbeiteten. „Du hasst Potter nicht, oder?"
Dass er das ausgerechnet jetzt fragen musste, dabei lief es gerade doch so gut zwischen uns. Ich musste schlucken und warf dem Slytherin einen kurzen Seitenblick zu. Eines musste ich ihm lassen, er klang weniger abwertend, als ich es von ihm erwartet hatte, besonders da Potter und er noch nie gut mit dem Gryffindor ausgekommen waren – zumindest nett ausgedrückt.
„Nein, das würde ich nicht sagen.", antwortete ich, bemüht darum, nicht doch eine zynische Bemerkung oder eine unterschwellige Provokation hinzuzufügen. „Er ist ganz okay für einen Gryffindor."
Ich sah wie sich Malfoys Kiefer versteifte und konnte sein spöttisches „Pff", welches folgen würde schon beinahe hören. Was stattdessen folgte, überraschte mich. „Okay."
Es wurde still zwischen uns und wir beide arbeiteten an unseren Zutaten weiter. Hingen unseren eigenen Gedanken nach.
„Ich fange mit der Zubereitung an.", sagte Malfoy da plötzlich und fügte vier Einheiten des zermahlenen Bezoars in den Kessel. Dann griff er nach etwas, dass aussah wie Minze. Minze? Das gehörte doch nicht in das Gegenmittel zu gängigen Giften.
„Malfoy, was machst du da?", fragte ich irritiert. Ich dachte, er wüsste, was er tut.
„Minzzweige." Er sah auf und merkte wohl, dass das, wenn es nach mir ging, nicht in diesen Kessel kommen würde. „Vertrau mir. Das macht die Wirkung des Tranks stärker und verlässlicher."
Vertrau mir. Aus einem unerfindlichen Grund tauchten Bilder, wie er mit Pansy tanzte und mich mit höhnischem Blick von oben herab ansah vor meinem inneren Auge auf. Ich taumelte ein Stück nach hinten, was Malfoy als ein Zeichen sah weiterzumachen. Ich hatte gedacht, dass ich einfach über sein Verhalten bei der Party hinwegsehen konnte, wo er mich doch danach in den Krankenflügel getragen hatte. Ich schüttelte den Kopf, um diese Gedanken zu verdrängen. Jetzt war allein unser Trank wichtig. Vorsichtig gab er ein paar der Minzzweige in den Kessel. Es blubberte kurz ein wenig.
„Wenn das unseren Trank versaut, dann ist das deine Schuld, Malfoy.", merkte ich an und sah aus dem Augenwinkel in kurzes Grinsen über sein Gesicht huschen.
„Wenn du das sagst, Avery."
Er hob seinen Zauberstab und ließ die Flamme unter dem Kessel aufleuchten. Eins. Zwei. Drei. Vier. Fünf. Dann wurde die Flamme wieder klein. Ein Schwung seines Zauberstabs und fertig. Der Trank köchelte in einem dunklen Grün vor sich hin. Der erste Teil des Tranks war abgeschlossen. In exakt dreizig Minuten musste die nächste Zutat in den Trank.
„Gut, dann haben wir ja jetzt etwas Zeit.", sagte ich und atmete auf. Mir war schon öfter aufgefallen, dass ich bei dem brauen eines Trank immer viel zu angespannt war. Besonders heute, wo Malfoy für uns entschieden hatte, ohne Buch zu arbeiten. Es durfte nichts schief gehen. Die kleinste Abweichung führte normalerweise zu einem mangelnden Ergebnis – oder eben zu einer Explosion. Dass Malfoy unbedingt Minzzweige hinzufügen musste, gefiel mir nicht, aber jetzt konnte ich auch nichts mehr daran ändern. Doch aus irgendeinem Grund, der mir selbst nicht ganz klar war, vertraute ich ihm, dass er den Trank nicht verhauen hatte.
Ich sah mich im Klassenzimmer um. Die meisten anderen Partner waren noch dabei Dinge in den Kessel zu werfen, andere warteten angespannt auf eine Reaktion ihres Gebräus und wieder andere hatten diesen Wir-sind-geliefert-Blick drauf, weil ihr Trank die Farbe Gelb angenommen hatte.
Ich drehte mich zurück zu unserem Trank. Ich war ziemlich zufrieden mit ihm. Bisher war alles glatt gelaufen und der Trank sah trotz der Minzzweige genauso aus, wie er aussehen sollte. Oder war er ein wenig grüner, als normalerweise? Gerade wollte ich näher an den Trank herangehen, um zu prüfen, ob ich mir das nur einbildete, da legte Malfoy einen Deckel auf den Kessel.
„Lass uns Zaubererschach spielen." Verdutzt sah ich ihn an.
„Zaubererschach? Jetzt?"
„Wir haben immerhin noch über zwanzig Minuten Zeit.", sagte Malfoy und ließ mit einem Wink seines Zauberstabs eine Sanduhr erscheinen. „Außerdem haben wir schon alle Vorbereitungen für den zweiten Teil getroffen, also lass uns spielen."
Drei Blitz-Partien später, von denen Malfoy zu meinem Bedauern zwei gewonnen hatte, bereiteten wir uns dazu vor den zweiten Teil des Tranks zu beginnen. Die letzten Minuten der Sanduhr liefen ab und sobald das letzte Sandkorn gefallen war, machte ich mit der Zubereitung weiter.
„Eine Prise Einhornhorn", murmelte ich, während ich das Pulver in den Trank streute. Dann zwei Mal im Uhrzeigersinn. „Gegen den Uhrzeigersinn. Die zwei Mistelbeeren." Ich griff in die kleine Schale, wo die Beeren lagen und gab sie ebenfalls dazu. „Zweimal gegen den Uhrzeigersinn. Schwinge deinen Zauber-"
Ein lauter Knall ging durchs ganze Klassenzimmer und ich kam aus dem Gleichgewicht. Gelber Rauch stieg von irgendwo hinter uns auf, während einige Schüler anfingen durch die Gegend zu brüllen. Verdammt, wo war ich? Ich war doch mitten in der Zaubertrankzubereitung! Ich hatte meinen Zauberstab noch gehoben und schwang ihn jetzt einmal durch.
„Schwinge deinen Zauberstab, um den Trank fertigzustellen.", zitierte ich das Buch, in dem ich zum ersten Mal über das Gegenmittel zu gängigen Giften gelesen hatte. Mit einem nervösen Lächeln beobachtete ich, was der Trank tat. Bitte, Salazar, Merlin, wenn ihr mich hört, lasst den Trank gut werden. Einige Bläschen stiegen auf und in wenigen Augenblicken wandelte sich die Farbe des Tranks von Dunkelgrün zu einem durchsichtigen Hellgrün. Geschafft! Das war die Reaktion die am Ende herauskommen sollte. Am liebsten hätte ich den ganzen Entstehungsprozess noch einmal im Buch nachgeschlagen, um zu sehen, ob wir auch wirklich alles richtig gemacht hatten, doch Malfoy unterbrach mich.
„Avery, schau mal wer seinen verdienten Ärger bekommen hat."
Er grinste selbstgefällig in die Richtung, aus der der Knall gekommen war und ich drehte mich ebenfalls um. Ich hatte das schon wieder ganz verdrängt. Im Klassenzimmer waberte immer noch ein gelber Schleier umher und alle starrten zu dem Tisch, auf dem der Kessel stand, der diesen Schleier verursacht hatte. Die Gesichter von Daphne und Zabini waren gelb eingefärbt, genau wie ihre Schuluniformen und Professor Snape hielt ihnen gerade eine Predigt darüber, wie unfassbar unfähig sie waren, wahrscheinlich nur, damit er seinem eigenen Haus keine Punkte abziehen musste.
Ich konnte nicht anders als in mich hinein zu grinsen, als ich die gequälten Blicke der beiden sah. Sie beide hatten bisher bei Partnerarbeit in Zaubertränke immer gut abgeschnitten, weil sie eben mit den zwei besten des Kurses gearbeitet hatten, aber nun, da sie das für ihre Liebe aufgegeben hatten, sahen sie, wie weit sie ohne unsere Hilfe kamen. Und das war nicht sonderlich weit.
„Die Liebe kann nun mal schmerzvoll sein.", kommentierte ich belustigt, so dass nur Malfoy es hören konnte. Er stand nicht mehr direkt neben mir, sondern hatte sich gerade nach hinten gedreht. In seiner Hand sah ich noch eine kleine Ampulle verschwinden. Sie war leer.
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