18. Zuflucht

Meine Freude sah man mir kein Stück an, doch ich freute mich bis zum Gehtnichtmehr. Alles in mir sprang vor Freude.

Ich hatte mir auch schon Gedanken gemacht, was aus der Leiche im Wald werden sollte. Immerhin konnte die dort doch nicht liegen bleiben, oder?

Das Lenkrad hielt ich fest in meiner Hand und schaute fokussiert nach vorne. Der Wald zog an uns vorbei, während ich mich durch den zunehmend komplizierten Stadtverkehr kämpfte. Mariam war friedlich eingeschlafen. Sie sah wie ein Engel aus, so friedlich und wunderschön.

Ich versuchte, meine Gedanken auf das kommende Ziel zu lenken. Zu meiner Familie wollte ich erstmal nicht fahren. Und Mariam meinte, ihre Schwester sei ihre einzige Familie gewesen, also fiel das auch aus. Askim wohnt in Berlin...

Nach etwa einer halben Stunde erreichte ich die Stadt, und der Verkehr verdichtete sich noch mehr.

Als Mariam langsam wach wurde, starrte sie mich schließlich mit großen braunen Augen an.

"Hey, na, gut geschlafen, Schlafmütze?"
Noch sehr müde und schwach nickte sie, und ich fing an zu lächeln.

"Wir werden jemanden besuchen gehen, okay, Süße?"
Wieder nickte sie bloß.

Ihr Magen fing an zu knurren, und sie fragte dann: "Hab voll Hunger. Kann ich Essen haben?"

"Zauberwort?"

"Bitte...", antwortete sie zuckersüß.

Ich schmunzelte. "Ja, klar. Hier gibt es bestimmt einen kleinen Bäcker."

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Mein Ziel lag vor mir - eine Bäckerei, klein und einladend und danach geht es zu Askim. Mit dem Geld, das Lucca mir überwiesen hatte, betrat ich den gemütlichen Laden.

Die Türklingel läutete, als ich mit Mariam eintrat. Ein verlockender Duft von frisch gebackenem Brot und Süßwaren begrüßte uns. Mariam zeigte auf einen Muffin mit bunten Smarties, und ich bestellte, während der Bäcker mit auffällig smaragdgrünen Augen neugierig fragte: "So früh schon Mutter?"

Ein leichtes Lächeln spielte auf meinen Lippen. "Nein, es ist kompliziert."

"Ach, is'es dat?", sprach er, wie ein typischer Berliner.

Wir unterhielten uns, und ich erzählte ihm, dass ich auf der Suche nach jemandem bin. Es stellte sich heraus, dass er den Nachnamen schon kannte. Er zeigte auf ein Viertel, wo der Nachname Tılım eines jungen Mannes bekannt ist.

"Da drüben mussa irgendwo wohnen. Viele hier kennen ihn, weißte? Vor'n paar Monaten hat er jedem unter die Arme jegriffen. Bei mir hat er ooch oft Sachen für die Obdachlosen mitjenommen", erklärte er mit Stolz.

"Keene Ahnung, wat mit ihm passiert is' oder ob er noch da wohnt. Hab' den echt lange nich mehr jesehen."

Diese Berliner sind echt anstrengend zu verstehen.

Ich bedankte mich und tätschelte Mariam auf dem Kopf. "Komm, Süße."

Sie nickte, und wir begaben uns auf die Suche nach Askim Tılım, meinem besten Freund. Meine Idee war es nämlich, zu ihm zu gehen, da ich sonst niemanden kannte, der mich aufnehmen könnte. Auch wenn es vielleicht egoistisch war, einfach ohne Vorwarnung, nach so langer Zeit, zu ihm zu gehen. Wir liefen aus dem Laden und ließen das Auto an Ort und Stelle stehen.

Ich lief in das Viertel, jedes Haus war hochgebaut und langweilig braun-grau gefärbt. Müll lag überall auf dem Boden, und an jeder Ecke sah man einen Raucher. Ich fühlte mich absolut nicht wohl, und noch mehr tat es mir für Mariam leid. Sie sollte so etwas nicht sehen oder einatmen.

Der Plan stand zwar fest, doch die Umsetzung war um so schwieriger. Sollte ich zu jedem Haus gehen und nach dem Nachnamen schauen? Das dauert doch Ewigkeiten.

Schlussendlich hatte ich aber keine andere Wahl und lief an jedem Haus vorbei und schaute nach dem Nachnamen. Nie vorhanden.

Was ist, wenn ich umsonst suche? Wenn ihm etwas passiert ist? Oh Gott, was ist, wenn er tot ist? Nein, niemals.

Voller Fragen im Kopf lief ich an den Häusern vorbei. Großkopf, Krazinski, Möletche...

So viele Nachnamen, aber kein Tılım dort. Ob es seiner Familie gut ginge? Ob er die Liebe seines Lebens gefunden hatte?

Mariam sah mittlerweile völlig müde aus und murmelte wirres Zeug. Sie beschwerte sich und lachte im nächsten Augenblick. Das Mädchen hatte solche Stimmungsschwankungen...

Auch mir ging langsam die Energie aus, und trotzdem gab ich nicht auf. Aufgeben war noch nie meins. Ganz davon abgesehen hatte ich sowieso keine andere Wahl.

Weiter lief ich durch die Gegend - zum nächsten Haus.

A. Mosun, Tılım, Barke...

Ratterte ich die Namen, so wie davor, runter. Ich merkte zuerst nicht, welchen Nachnamen dort aufgeploppt war.

"Oh mein Gott, Tılım! Da is' er."

Ich zögerte nicht lange und klingelte. Meine Nervosität sprang in alle Richtungen. Meine Hände zitterten, und mein Atmen war flach. Ich blickte zu Mariam, die mittlerweile damit drängelte, dass sie auf die Toilette musste. Kinder.

Zuerst regte sich nichts. Ein Teil von mir gab die Hoffnung auch schon auf, doch aus irgendeinem Grund blieb ich weiter stehen. Da musste einfach jemand, am besten er, aufmachen!

Nach gefühlten Stunden erklang das Summgeräuch und ich war nervöser denn je. So vieles war zu klären und vorallem zu erklären. Was ist, wenn er garnicht mit mir reden möchte?

Ich stieg in den Fahrstuhl ein, Mariam im Schlepptau.

Was ist, wenn es garnicht der Tılım ist, für den ich ihn halte?

Viele Fragen und doch keine Antworten. Nur Fragen, die mich selbst Kirre machten. Und trotzdem konnte ich sie nicht abstellen. Diese Stimmen nervten mich!

Die Fahrstuhltür öffnete sich und ich lief die Treppe nach oben zum zehnten Stock. Bog links ab und erblickte eine geschlossene Tür.

Bin ich falsch hier?

Ich ging näher und laß mir das Schild durch.

Tılım.

Er musste da sein, die Tür öffnen, doch es tat sich nichts...

"May, ich muss Pippi!", schrie sie ungeduldig. Ihre Stimme schallte durch das Flurhaus und strapazierte meine Nerven. Ich atmete tief durch und wollte gehen, bis ich ein Schlüsselgeräusch hörte und die Tür mit einem quietschenden Geräusch aufging. Ich drehte mich sachte um und erblickte einen völlig müden und schlecht aussehenden Alex Askim Tılım.

"Was störst du?", fragte er unhöflich. Meine Beine zitterten. Er sah nicht so aus, wie ich ihn in Erinnerung hatte.

"Askim? Erkennst du mich nicht?"

"Nein." Seine Stimme hörte sich so gebrochen und rau an. Seine Augen waren glanzlos und sein Körper war völlig abgemagert. Er trug eine Jogginghose und sah nicht mehr so... übergewichtig aus. Nein, absolut nicht. Was war mit ihm geschehen?

"May... May Cudet. Deine beste Freundin - Mini. Weißt du es jetzt?"

Er schloss seine Augen zu einem Schlitz, musterte mich und dann Mariam.

"Alta, was suchst'n du hier? Komm rein. Mehr als mich erschießen kannste eh nicht."

Was war aus dem positiven, gut gelaunten Alexi geworden?

Nur zögernd betrat ich die kleine Wohnung. Überall lagen leere Bierdosen, Kleidung und Müllsäcke rum. Es sah aus wie eine Messi-Höhle.

"Also, wat willste? Unterschlupf suchen oder was?"

"Also eigentlich ja, ja ich brauche einen... Einen sicheren Platz."

Er fing leise an zu lachen und sagte dann: "Ob's hier sicher ist, ist die andere Frage. Yallah, fühl dich wie Zuhause. Mach was du willst, juckt mich nicht." [Los, auf geht's]

"Alex, was ist mit dir passiert?", fragte ich sanft und starrte in seine Augen. Er schüttelte nur den Kopf und fragte dann:

"Mehr sollte ich dich fragen, warum du hier bist, oder nicht? Jeder hat so seine Neugier. Trotzdem muss man nicht immer alles wissen."

Stille.

Er nahm vorsichtig meine Hand, die seinen Arm fest hielt, und befreite sich von meinem Griff.

"Askim. Guck mich an", befahl ich ihm, was erstaunlicherweise funktionierte. Seine ozeanblauen Augen starrten mich voller Emotionen an. Emotionen, die er niemals erklären wollte. Doch, ich musste wissen, was los war. Was ihn geändert hatte.

"Was ist passiert?", fragte ich sanfter. "Ich will für dich da sein. Vorallem jetzt, wo du so gebrochen aussiehst."

"Lustig. Willst mir helfen, obwohl wir uns so lange nicht mehr gesehen haben. Sag's mir; Warum?"

"Weil du mir am Herzen liegst, Askim." Ehrliche Antwort. Askim kann man nur ins Herz schließen. Ein Mann mit Herz aus Gold.

Er starrte mich eine Weile an und bat mir dann etwas zu Trinken an. Mariam hatte sich schon mit der schwarzen Katze beschäftigt, die hier herumstreifte.

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