Kapitel 12 - Auch der Grinch hat ein Herz

„Grand? ... Grand?", flüsterte Ruby, welche ganz aufgeregt aus der Küche gerannt kam und ihren Mann mit riesigen Augen ansah. Dieser saß an einem der Tische und schmökerte gerade durch die Tageszeitung. Die Aufregung, welche in der Stimme seiner Frau mitschwang, ließ ihn aufschauen und über den Rand der Zeitung sehen.„Was ist denn los?" „Maren, sie kommt", sagte Ruby mit leuchtenden Augen und wedelnden Händen. Grand runzelte die Stirn, denn er wusste nicht, was seine Frau ihm damit sagen wollte. Es war halb zehn und Maren kam jeden Tag eine halbe Stunde vor Dienstbeginn hier an. „Und?", fragte er verunsichert und sah seine Frau nun mit geweiteten Augen an. „Sie kommt, aber nicht allein. Der hübsche junge Mann ist bei ihr", säuselte seine Frau und suchte den besten Platz, um die beiden zu beobachten. Grand knitterte die Zeitung zusammen, drehte sich und spähte ebenfalls durch das Schaufenster, um einen Blick auf Maren und Caleb zu erhaschen. Doch im Gegensatz zu Ruby tat er es mit einem Schulterzucken ab und seufzte. „Hör auf, dich wie ein neugieriges Weib zu benehmen, und geh von dem Fenster weg", raunte er und handelte sich dafür ein Schnauben von Ruby ein. Die hangelte sich von Weihnachtsdekoration zu Weihnachtsdekoration auf der Suche nach dem besten Blick auf die beiden, ohne aufzufallen. Doch plötzlich gab sie ein enttäuschtes Seufzen von sich, was Grand sich räuspern ließ. „Haben sie dich entdeckt?" „Nein, du Griesgram. Der junge Mann ... wie war gleich sein Name?" Grand wackelte mit seinem Schnauzer. „Caleb", brummte er. „Ja genau, Caleb ist stehengeblieben und läuft jetzt wieder zurück." Grand nickte nur, denn er wusste auch mit dieser Information nicht wirklich etwas anzufangen. Ruby betrachtete noch kurz ihren Mann und verschwand dann, noch bevor Maren das Café betrat, wieder in die Küche. Ja, der Sonntagabend endetet für Maren mit einer Diskussion, die sie eindeutig verloren hatte. Caleb hatte darauf bestanden, dass er sie ab dem heutigen Tag auf Arbeit begleitete und auch wieder abholte. Maren versuchte sich, mit sämtlichen Argumenten dagegen zu wehren, doch die prallten an Caleb ab, wie Meerwasser an einer massiven Steinwand. Schließlich hatte sie es aufgegeben und zugestimmt. Nun und als sie am Morgen den ersten Schritt in den Park setzte, war sie mehr als dankbar für seine Hartnäckigkeit. Den, wenn sie ehrlich zu sich selbst war, steckte ihr der Schock über den Angriff von Matt noch tiefer in den Knochen, als sie zugeben wollte. Doch unter die Dankbarkeit mischte sich bereits am ersten Tag ein schlechtes Gewissen, denn für Caleb bedeutete diese Geste, dass er zwischen seinem Feierabend und der Möglichkeit endlich schlafen zu gehen, noch 4 Stunden zusätzlich wachbleiben musste. Eigentlich war er ziemlich nett, was es für Maren nicht einfacher machte, nicht seinem völlig übertriebenen heißen Körper zu verfallen. Man sagt doch, halte dir deine Freunde nah und deine Feinde noch näher. Vielleicht sollte sie ihrem Verlangen einfach nachgeben. Was sollte schon passieren? Er war ja ohnehin bald nur noch eine Erinnerung an eine weitere beschissene Weihnachtszeit. Maren schnaubte und schüttelte den Kopf, als ihre Gedanken ihr bewusst wurden. Nein, Maren. Keinen Caleb für dich, sagte sie sich selbst, als das Klingeln der Türglöckchen sie aus den Gedanken holte. Ihre Augen weiteten sich. Das gibt es ja wohl nicht, dachte sie sich, als Caleb lächelnd vor ihr stand. „Was willst du denn hier?", raunte sie. Er sah sie fragend an. „Es ist vier. Du hast Feierabend, oder habe ich da was verwechselt?", fragte er und sah erneut auf die Uhr. Maren tat es ihm gleich und schluckte. Er hatte recht, sie hatte völlig die Zeit vergessen, so gefangen in ihren eigenen Gedanken. „Ich ...", doch weiter kam sie gar nicht, denn die melodische Stimme von Ruby unterbrach sie. „Caleb, mein Junge, schön dich wieder zusehen", tönte es durch das Café und mit weit ausgebreiteten Armen, lief sie auf ihn zu und zog ihn in eine feste Umarmung. Er sah überfordert über Ruby, die ihm tatsächlich nur gerade so bis zur Brust reichte und suchte mit seinem Blick Hilfe bei Maren. Die lachte aber nur und zuckte mit den Schultern und so erwiderte Caleb die Umarmung etwas hilflos. „Schön, Sie wiederzusehen, Mrs. Stone." Ruby lachte auf, löste sich von ihm und verpasst ihm einen Klaps auf die Brust. „Für dich, Ruby, mein Lieber. Komm, setzt dich." Sie griff nach seiner Hand und zog ihn Richtung Kamin und wie schon beim letzten Mal, folgte Caleb ihr einfach und ließ sich in den weichen Sesseln geleiten. „Kaffee?", fragte sie und sah ihn mit leuchtenden Augen an. Caleb seufzte und nickte schließlich. „Gern, Ruby." Ein leises Kichern verließ ihre Lippen und schon sah sie zu Maren. Die nickte nur. Calebs Blick wanderte durch den Raum und zauberte ihm ein Leuchten in die Augen. „Sie haben es hier wirklich schön", sagte er, was Ruby direkt ein breites Lächeln ins Gesicht trieb. „Danke mein Lieber. Wir lieben Weihnachten und wollen, dass unsere Gäste einen Platz zum Wohlfühlen haben." „Oder zum Gruseln", raunte Maren, die gerade die Tasse auf den Tisch vor Caleb stellte. Ruby sah sie tadelnd an und seufzte.„Nicht jeder benimmt sich wie der Grinch persönlich." Caleb lachte auf. „Das ist wohl auch kaum vonnöten. Maren ist wohl Grinch genug für diese Stadt." Ruby sah ihn an und schmunzelte.„Scheint, als würdest du die Zeit lieben", sagte Ruby und sah ihn an. Caleb nahm einen Schluck von seinem Kaffee und nickte dabei. „Schon. Es war immer die Zeit im Jahr, in der meine Mum öfter zu Hause war. Sie hatte drei Jobs, um uns über Wasser zu halten, und trotzdem reichte das Geld nie. Aber egal, wie schlecht es um uns stand, Weihnachten hat sie immer dafür gesorgt, dass es uns an nichts fehlte", erzählte er und Maren konnte den Schmerz in seinen Augen sehen. Ruby hingegen sah ihn voller Liebe an. „Sie verbringen Weihnachten also bei ihrer Mutter?" Caleb seufzte leise und senkte den Blick. „Nein, sie ist vor drei Jahren gestorben", flüsterte er und Maren zog es den Magen zusammen, denn sein Schmerz darüber, fuhr selbst ihr in die Knochen. „Oh, mein armer Junge. Das tut mir so leid für dich", flüsterte Ruby leise und streichelte ihm vorsichtig übers Knie. Caleb hob den Blick und lächelte sie zaghaft an. „Danke, aber es ist schon okay." Ruby sah ihn noch für einen Moment traurig an und stand dann auf. Egal, wie sie war oder sein konnte, sie wusste, wann es an der Zeit war, ein Gespräch zu beenden, und so ließ sie Caleb in Ruhe. Maren hatte sich in der Zeit ihre Jacke geholt und ihre Sachen zusammengepackt, bevor sie zu Caleb trat.„Wollen wir?", fragte sie, was Caleb den Blick von dem Kaminfeuer nehmen ließ. „Ja", sagte er gedankenverloren und gemeinsam verließen sie das Café. Sie liefen die ersten Meter schweigend durch den verschneiten Park. Beide hatten sich tief in ihre Jacken gekuschelt und waren in ihren eigenen Gedanken vertieft, bis Maren die Stille plötzlich unterbrach. „Sorry, dass Ruby dich so belagert hat." Caleb lachte. „Alles gut. Sie ist schon süß und sie hat so etwas an sich", sagt er und Maren wusste, was er meinte. „Ja, man fühlt sich automatisch wie ein kleines Kind in ihrer Nähe." Caleb nickte. „Ja, schon", erwiderte er und wieder breitete sich Schweigen aus. „Es tut mir leid. Das mit deiner Mum", flüsterte sie plötzlich und sah Caleb mit traurigem Blick an. Er schenkte ihr ein verhaltenes Lächeln. „Danke, aber ich denke, für sie ist es besser so." Maren biss sich auf die Lippe, denn sie war sich nicht sicher, ob er wollte, dass sie nachfragte. Doch das brauchte sie gar nicht, denn er sprach einfach weiter. „Mein Bruder ist vor vier Jahren gestorben. Danach wurde sie krank. Sie hat sich ein Jahr lang gequält, bis ihr Körper den Kampf endlich aufgab und sie wohl friedlich einschlafen konnte." Ein tiefer, reißender Schmerz kroch durch Marens Körper und Erinnerungsfetzen blitzten auf. Sie sah zu Caleb, der vor sich in die Leere starrte. „Aber man sollte sich wahrscheinlich an die guten Dinge der Vergangenheit erinnern. Also denke ich lieber daran, wie sie das ganze Jahr gespart hat, nur um uns einen Weihnachtsbaum zu kaufen, der so groß war, dass er kaum in unsere Wohnung passte. Und dass sie mit uns auf den Weihnachtsmarkt gegangen ist und wir jedes Karussell einmal fahren durften." Maren seufzte. „Klingt, als wäre sie eine gute Mum gewesen." „War sie. War sie wirklich. Sie hatte nur nie die Kinder, die sie verdient hatte", raunte Caleb und zog die Schultern in den Nacken. Maren beobachtete ihn im Augenwinkel. Sie musste aufhören, mehr über ihn zu erfahren. Sie spürte die Wärme, die er in ihr auslöste und das war keine Option. Nicht er. Nicht so. Und dennoch verlangte etwas in ihr immer mehr danach, auch ihm etwas Gutes zu tun. Sie waren am Ende des Parks angekommen und zu ihrer Rechten war ein kleiner Weihnachtsmarkt aufgebaut worden. Dessen bunte Beleuchtung funkelte in der aufsteigenden Dunkelheit und der Duft von frischen Mandeln, gemischt mit Zimt- und Apfelduft drang ihr in die Nase. Das Gewirr der Stimmen, welche sie eigentlich sonst immer weitertrieb, vernahm sie heute kaum und so sah sie zu Caleb, der sich gerade mit fragendem Blick zu ihr drehte. „Was ist los?", fragte er, denn sie war einfach stehen geblieben. Maren lächelte ihn an.„Glühwein?", fragte sie und sah zu dem Weihnachtsmarkt. Er folgte ihrem Blick und sah dann noch fragender zurück zu ihr. „Der Grinch will freiwillig auf einen Weihnachtsmarkt?" Maren zuckte mit den Schultern. „Auch der Grinch hat ein Herz", erwiderte sie. Caleb sah zurück zu dem Weihnachtsmarkt und nickte. „Gern. Sehr gern sogar", sagte er. „Du musst aber dafür sorgen, dass der Grinch nicht angerempelt wird, sonst hat hier heute keiner einen besinnlichen Abend", sagte sie grinsend. „Bekomme ich hin", erwiderte Caleb, zwinkerte ihr zu und schon liefen sie in Richtung der geschmückten Holzbuden.

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