Kapitel 1- 1. Dezember
Es war der Tag des Jahres angebrochen, welchen Maren am meisten verachtete. Jedes Jahr war sie sich sicher, dass das Universum ihr an diesem Tag ein letztes Mal verdeutlichen wollte, wie wenig es sie mochte. Gut, vielleicht lag es auch einfach nur daran, dass sie diesen Tag immer mit einem Kater des Todes startete. So oder so, der Tag war jetzt schon eine Nullnummer. Fünfunddreißig, schoss es ihr durch den Kopf, während sie zusammengerollt an ihrer Küchentheke saß und ihr langsam der warme Dampf des Kaffees ins Gesicht stieg. „35 und du hast immer noch nicht verstanden, dass du dir nach deinem Geburtstag freinehmen solltest", raunte sie kopfschüttelnd, enttäuscht über sich selbst. Ein leises Quietschen war zu hören und ließ ihren Kopf hochschnellen. Wenige Zentimeter vor ihr stand eine braune Couch und auf dieser rollten sich zwei weiße Fellknäule durch eine der weichen Decken. Maren lächelte, als sie ihre beiden Frettchen beobachtete. „Ja, das findet ihr witzig, ihr kleinen Arschgesichter, was?" Wieder quietschten die beiden auf, als hätten sie jedes Wort genau verstanden und sahen sie mit ihren dunklen Knopfaugen an. Maren seufzte und nahm einen Schluck aus der Tasse. Ein unangenehmes Brennen ihrer Nackenmuskulatur veranlasste sie, den Kopf langsam von links nach rechts zu dehnen, was aber sofort das Dröhnen in ihrem Schädel verstärkte. Sie wurde eindeutig zu alt für diese Scheiße. Jedes Jahr nahm sie sich vor, es ruhiger angehen zu lassen, und jedes Jahr wurde es schlimmer oder sie einfach sensibler. Maren hatte gestern Geburtstag und diesen wollte sie eigentlich gemütlich auf der Couch ausklingen lassen, doch ihre Freunde hatten andere Pläne. Gerade als sie sich in ihre Decke gekuschelt hatte und mit der endlosen Suche nach einem passenden Film beginnen wollte, klingelte es an der Tür. Sofort verschwand sie vollständig unter der Decke und hoffte, dass konsequente Ignoranz das Problem lösen würde. Nur leider war das Problem 38 Jahre alt, hieß Darius und hatte einen verdammten Wohnungsschlüssel. Nach nicht mal fünf Minuten stürmte er, mit der gesamten Clique, ihre Wohnung und sie bekam genau fünfzehn Minuten, um sich aus ihren Kuschelsocken in etwas Konzerttaugliches zu werfen. Nun und der hämmernde Schädel und der schmerzende Körper sagten ihr heute mehr als deutlich, dass die Couch sinnvoller gewesen wäre. Nichtsdestotrotz war es ein gelungener Abend, den Maren bitternötig gehabt hatte und ihr vielleicht durch die nächsten vier Wochen helfen würde. Blöd nur, dass sie die einzig Dumme war, die heute nicht frei hatte und in knapp einer Stunde losmusste, um pünktlich zur Arbeit zu erscheinen. Sie trank ihren Kaffee leer und rutschte langsam von dem Stuhl. Wieder scherbelte es in ihrem Schädel und sie stöhnte auf. „Verfluchte Scheiße!" Sie schlich durch das Wohnzimmer, durch den Flur in Richtung Bad und zog dabei die dicke Decke, welche sie fest um ihren Körper gewickelt hatte, wie eine Schleppe hinter sich her. Ein Blick in den Spiegel reichte, um ihre Laune noch etwas mieser werden zu lassen. Dunkle Augenringe begrüßten sie oder war es nur verschmierte Mascara? Maren seufzte, griff nach einem Wattepatt und wischte sich damit um die Augen. Die Mascara verschwand, die dunklen Ringe blieben. Sie ließ die Schultern hängen.Was soll's, dann siehst du halt aus, wie das Schlossgespenst von Hui Buh, dachte sie sich und ließ widerwillig die Decke fallen. Sie musste duschen, auch wenn sie dazu eigentlich keine Zeit mehr hatte, aber sie stank nach kaltem Rauch und dank der mehrfachen Bierduschen am Vorabend, war Deo und ein Dutt einfach keine Option. Nun, Rockkonzerte waren nun mal keine Kinderveranstaltungen. Sie drehte den Wasserhahn auf und stellte sich unter das warme Wasser. Sie genoss das Rauschen des Wassers, was für einen kurzen Moment das unerträgliche Piepen in ihren Ohren zum Schweigen brachte. Tinnitus, auch etwas, was sie erst seit wenigen Jahren kannte. Es würde wohl nicht mehr lange dauern und sie würde zu einem der Sitzplatzbesucher werden. Mit einem Wasser in der Hand auf den hohen Rängen sitzend und sanft mit dem Fuß wippend, anstatt durch die Menge zu springen, sich von Bier besudeln zu lassen und am nächsten Tag mit den Nachwehen des Abends zu kämpfen. Sie musste unwillkürlich über ihre eigenen Gedanken schmunzeln. „Niemals", sagte sie sich selbst und schnappte sich das Haarshampoo. Nachdem sich der herbe, holzige Duft ihres Männershampoos im ganzen Badezimmer verteilt und sich bereits eine feine Wasserschicht auf der Fensterscheibe, sowie dem Spiegel gebildet hatte, stellte Maren das Wasser ab und stieg in den dichten Dunst, ihrer selbsterschaffenen Dampfsauna. Das heiße Wasser hatte ihre völlig verspannte Nackenmuskulatur gelockert und das wohlige Gefühl eines sauberen Körpers hob ihre Laune tatsächlich etwas an. Na ja, zumindest so lange, bis ihr Blick auf die Uhr fiel, welche auf dem Waschbecken lag. „Fuck. Fuck. Fuck", maulte sie vor sich hin, während sie sich ein Handtuch halbscharig um die Haare band und aus dem Bad rannte. Schlagartig schoss ein hohes, ohrenbetäubendes Piepen durch ihre Wohnung. „Ach, fick dich doch", stöhnte sie und rannte zurück in die Küche, um sich einen der Hocker zu holen. Ihre nassen Füße platschten über den Boden und hinterließen Spuren des morgendlichen Chaos. Schnell schleifte sie den Hocker in den Flur, aus dem der höllische Lärm drang, welcher immer lauter und intensiver wurde. Als sie endlich an der richtigen Stelle ankam und gerade auf den Hocker treten wollte, verklemmte sich ihr Handtuch zwischen ihrem Fuß und der Sitzfläche. Mit einem Ruck zog es ihr nicht nur das Handtuch vom Körper, sondern sie verlor auch das Gleichgewicht und stürzte samt Hocker um. Ein lauter Aufschlag und ein verzweifeltes Aufjauchzen machte die morgendliche Aufwärmung perfekt. Rücklings, mit dem Hocker auf sich liegend, starrte Maren an die Decke und schickte dem Feuermelder, welcher immer noch piepte, als hinge sein Leben davon ab, Todesflüche entgegen. Das Ganze passierte natürlich unter den aufmerksamen Augen von Erna und Bernd, die Frettchen, welche im Türrahmen des Wohnzimmers standen und verwundert, mit leicht geneigten Köpfen, dabei zusahen, was ihr Frauchen da schon wieder veranstaltete. „Verfluchte ...", begann Maren schon wieder zu maulen, als das nächste Klingeln durch die Wohnung schellte. Maren kniff die Augen zusammen und ballte gleichzeitig ihre Hände zu Fäusten. Nicht mehr viel und die Nerven, welche sowieso schon am seidenen Faden hingen, würden auseinanderplatzen, so wie der Feuermelder es jeden Moment tun würde.„Frau Mertens? Frau Mertens? Was ist hier schon wieder los? Was treiben Sie da?", drang es ungeduldig durch ihre Wohnungstür. Maren packte die Wut und mit strampelnden Beinen und umeinander fuchtelnden Armen, stieß sie den Hocker von sich, rappelte sich auf und schnappte sich ihr Handtuch. Schnell wickelte sie es sich um ihren nackten Körper und griff nach der Klinke der Wohnungstür. Die Wut brodelte in jeder Faser ihres Körpers und so bedachte sie nicht die Dosierung ihrer Kraft und riss die Tür mit so viel Schwung auf, dass sie erst stoppte, als ihre Stirn sie bremste. Ein unsagbarer Schmerz schoss Maren durch den Schädel und aus Reflex warf sie die Tür direkt wieder zu. „Na also. Das lasse ich mir nicht bieten. Ich werde mich beschweren", hörte Maren noch durch die geschlossene Türe kreischen. Mrs. Miller wohnte unter ihr und hatte zu allem eine Meinung und meistens keine freundliche. Hecke zu hoch. Gras nicht grün genug und die Nachbarn, die 360 Tage im Jahr nicht da waren, bekamen ständig Beschwerden wegen Ruhestörung. Mit anderen Worten, eine Meckerziege vom anderen Stern, die mit ihren 65 Jahren und ihrem, wohl hart erarbeiteten, Ruhestand nicht zurechtkam. Seit fünf Jahren massakrierte sie Maren und den Rest des Hauses tagtäglich mit ihrem unersättlichen Gemotze. Tja und eigentlich ließ sich Maren keine Gelegenheit entgehen, um ihr wirklich einen Grund zum Meckern zu geben. Doch jetzt gerade stand sie nach vorn gebeugt, mit ihrem Arsch an eine kleine Kommode gelehnt und presste sich ihre Hand auf die Stirn, als würde sie so das Wachstum der Beule, welche bereits zu spüren war, verhindern können. Und während der Feuermelder immer noch lautstark durch die Wohnung piepte, fragte Maren sich, ob sie nicht hätte besser liegen bleiben sollen. Langsam richtete sie sich auf und wartete noch einige Sekunden, bis die wild tanzenden Lichtpunkte vor ihren Augen verschwunden waren. Sie atmete tief ein, stellte den Hocker wieder auf, riss sich das Handtuch vom Körper und warf es achtlos in eine Ecke. Und schon verstummte das Höllengeräusch und das für immer, denn Maren stieg gerade wieder von dem Hocker, mit einem weißen Kasten in der Hand, den sie ebenso achtlos, wie zuvor das Handtuch, in die Ecke schleuderte. Das mit dem pünktlichen Arbeitsbeginn hatte sich somit auch erledigt, also schickte sie schnell ein -Ich komme ein paar Minuten zu später- Nachricht und schlich in die Küche. Sie wusste, dass ihr die Verspätung keiner übel nehmen würde, auch wenn es eine Stunde wäre, dennoch hatte sie nicht vor, diese Großzügigkeit auszunutzen. Deswegen füllte sie schnell die Futternäpfe von Erna und Bernd, welche sich sofort schmatzend über das frische Fleisch hermachten, während Maren in ihr Schlafzimmer verschwand. Sie kramte sich frische Unterwäsche aus dem Wäschekorb, ging dann zu einem Häufchen frisch gewaschener Wäsche, welche es noch nicht in ihren Kleiderschrank geschafft hatte, und zog sich eine schwarze enge Jeans heraus. Nachdem sie sich in diese gepresst hatte, angelte sie aus demselben Haufen noch ein schwarzes Spitzentop und ging dann zu ihrem Kleiderschrank. Sie wühlte sich zu ihrem weißen Lieblingsstrickpulli und warf sich diesen über. Sein großzügiger Ausschnitt sorgte dafür, dass er über ihre Schulter rutschte und so den Träger ihres Tops freilegte. Zeit für Make-up oder die Kultivierung ihrer Haare blieb nicht mehr. Also machte sie einen letzten Zwischenstopp im Badezimmer, schwang sich schnell die Zahnbürste durch ihr Gesicht und kämmte ihre schwarzen, langen Haare, welche sich schon langsam wieder zu großen Locken zusammenzogen, zügig durch. Im Flur schnappte sie sich eine Mütze und kurze Lederjacke, quälte sich in ihre schwarzen Boots und sah sich ein letztes Mal um. „Tschüss ihr Scheißer", rief sie in Richtung des Wohnzimmers, während sie sich ihren Beutel schnappte, Handy und Wohnungsschlüssel hineinwarf und die Wohnung verließ. So leise, wie ihr nur möglich, schlich sie die drei Etagen nach unten, in der Hoffnung Mrs. Millers wachsamen Ohren zu entgehen und trat erfolgreich und mit einem breiten Grinsen vor die Haustür. Doch ihr Grinsen verging ihr mit einem Schlag. Sie erstarrte und sah ungläubig vor sich. Das durfte doch alles nicht wahr sein ...
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