[9] 𝑅𝑢𝑘𝑖
Das war tatsächlich eine Überraschung, die Ruki lächeln ließ, bevor er sich nahezu an Reitas Lippen haftete und eine Theorie seines Auftauchens aufstellte. Natürlich wusste der Jungdesigner, dass ein Termin mit jemanden von dem Label Deal Design ausstand. Er ahnte nur nicht, dass sie Reita schicken würden. Zudem war er noch immer frustriert darüber, dass dieser ihn am Abend zuvor eiskalt abserviert hatte. Obgleich die Fakten irgendwie nachvollziehbar sein mochten. Kratzte es an seinem Ego? Definitiv. Denn wenn Ruki an etwas oder jemandem Interesse hatte, gab er das nicht so einfach auf. Zwar konnte er sich selbst nicht genau erklären, warum ausgerechnet dieser Kerl seine Aufmerksamkeit weckte, da es unmöglich bloß an dem nervigen Stoff in seinem Gesicht liegen konnte. Aber das würde Ruki noch herausfinden. Vielleicht war es einfach auch der innere Drang danach, sich in der Nähe eines anderen gut zu fühlen. So, wie er es Aoi bereits erklärt hatte. Er wollte nicht immer nur von Selbsthass und Schuldgefühlen zerfressen sein. Der Blonde wollte einen Weg finden, ein Stück weit loslassen zu können. Vergessen würde er Akira niemals. Dafür war sein bester Freund und vielleicht auch seine erste große Liebe zu tief in seinem Herzen verankert. Doch so dumm und naiv es vielleicht sein mochte, so empfand er die Nähe von Reita irgendwie angenehm. Selbst wenn sie sich erst am Abend zuvor das erste Mal begegnet waren. Oder aber Rukis Jagdinstinkt wurde geweckt.
»Dafür gehst du ganz schön ran«, raunte Ruki nun, um sich selbst davon abzuhalten, mit seinen Gedanken abzudriften. Er hörte aber nur dieses spöttische Lachen dicht an seinem rechten Ohr und spürte einen leichten Schmerz auf seiner Haut. Reita hatte tatsächlich seine Fingernägel in eine seiner überaus gepflegten Hände gebohrt, während dessen andere Hand ihren Weg in seinen Nacken fand. Reitas Finger wanderten in sein Haar und zogen ihn leicht daran zurück. Die grabentiefen, dunklen Augen dieses Kerls sahen ihm mit einem gefährlichen Ausdruck ins Gesicht.
»Versteh mich nicht falsch, aber ich bin einzig und allein wegen des Jobs hier. Nicht deinetwegen oder weil ich Interesse an einer schnellen Nummer auf diesem Schreibtisch habe. Also pack deinen Sexualtrieb wieder ein«, knurrte Reita ihm so dunkel und drohend entgegen, dass es ihm durch Bein und Mark ging. Das hätte Ruki wirklich nicht erwartet. Gleichzeitig riss es ihn so hart in die Realität zurück, dass sogar er schwer schlucken musste. Fast schon sofort drückte er Reita von sich und schob seinen Hintern vom Schreibtisch. Zunächst beschäftigte sich Ruki damit, die Stifte und den dazugehörigen Becher vom Boden einzusammeln. Danach räumte er die Papierhaufen weg. Erst dann ließ er sich auf den mit Leder bezogenen Schreibtischstuhl nieder. Der Zeigefinger seiner rechten Hand drückte einen Knopf und die Stimme eines Mannes ertönte.
»Uruha, kannst du bitte zwei Kaffee in mein Büro bringen?« Eigentlich war es keine Frage in diesem Sinne. Doch der Jungdesigner war gerade einfach zu schockiert, als dass er seine Worte eben als solche Frage verpacken konnte. Sogar das Wort Bitte benutzte er. Die männliche Stimme bestätigte seine Forderung und Ruki sah erst jetzt wieder zu Reita, der, so wie er vor dem Schreibtisch stand, eher an eine Statue erinnerte als an eine lebendige Person. Mit einem Räuspern deutete Ruki ihm nun an, sich zu setzen. Dem Model war deutlich anzusehen, dass es in ihm arbeitete. Vielleicht resümierte er gerade sein eigenes Verhalten und war selbst erschrocken darüber. Dennoch bestätigte er nickend und ließ sich Ruki gegenüber nieder. War das zwischen ihnen gerade wirklich passiert?
Denn so, wie Reita nun dreinblickte, schien dem fast so. Aber er tat es vorerst mit einem weiteren Räuspern ab und begann in einer Schublade zu kramen, bis er das fand, wonach er gesucht hatte. Im selben Moment öffnete sich die Tür und ein großer schlaksiger Kerl kam hereinspaziert
»Schon mal was von anklopfen gehört?«, brummte Ruki, der sich damit beschäftigte, lösliche Schmerztabletten in ein Glas zu werfen. Das Sekunden später aufgelöste Schmerzmittel kippte er sich in wenigen Zügen hinter, bevor er seinen Blick hob. Ruki musterte den anderen kurz, ehe seine perfekt gezupften Brauen in die Höhe schossen.
Er blickte direkt in das Gesicht seines Assistenten. Für ihn wirkte dieser gerade eher wie ein Praktikant, der nie den Mund auf bekam. Nicht mal sein Kleidungsstil entsprach dem, was er von Anbeginn von ihm verlangt hatte.
»Dir ist klar, dass Colorblocking nicht im Trend ist? Deine Kleidung wild zusammengewürfelt wurde und nicht mal der aktuellen Kollektion entspricht?«, fing der Designer direkt an zu meckern, da senkte sein Assistent auch schon den Kopf und versuchte Löcher in den Boden zu starren.
»Aber...«
»Ich will kein Aber hören, Uruha. Die Regeln sind dir doch bekannt, oder nicht?«, brummte Ruki weiter. Der Tag fing ja schon mal gut an...nicht. Er spürte bereits jetzt, dass er gleich explodieren würde und er sich zwingen musste, sich zu beruhigen, indem er begann, seine Schläfen zu massieren.
»Das sind sie. Aber es gefällt mir so«, kam es dann nur von Uruha.
War das sein scheiß Ernst?
So wie der Kerl an einen Schuljungen erinnernd im Raum stand, schien dem wohl so. Da fragte sich der Blondschopf, was sich Susumu dabei gedacht hatte, sowas einzustellen. Oder besser gesagt, ihm vor die Nase zu setzen. Dennoch war das Maß voll. Aber bevor Ruki irgendetwas sagen konnte, öffnete sein Assistent bereits den Mund.
»Kasumi hat für das Shooting morgen abgesagt. Er will es nicht machen. Außerdem hat Susumu gesagt, dass du seine weiteren Termine wahrnehmen sollst, da ihm außergeschäftlich etwas dazwischen gekommen ist. Und jetzt bringe ich euch Kaffee«, plapperte Uruha direkt darauf los. Sein Glück, dass er schneller verschwunden war, als sein Verstand reagierte.
Seine Reaktion mochte übertrieben gewesen sein. Aber so lauteten nunmal die Regeln bei diesem Label. Es durfte nichts getragen werden, was vor mehr als zwei Jahren präsentiert worden war. Und jetzt kam ein neues Problem auf ihn zu, um das er sich heute auch noch kümmern musste. Auch wenn ihm das so gar nicht gefiel, aber nicht zu ändern war. Der Jungsdesigner hatte allerdings auch genug um die Ohren, als sich jedes Gesicht zu merken, das in der Modewelt auftauchte. Die meisten verschwanden doch eh nach ein paar Jobs, weil sie nicht wirklich überzeugten. Und die, die es wirklich zu etwas brachten, waren stets präsent. Nur Kasumi schien wohl nichts davon zu sein zu wollen.
Doch darum ging es nicht und Ruki schob das Thema beiseite, um sich den Zetteln vor seiner Nase zu widmen und ohne, dass er dabei zu Reita sah.
»Die Sache ist, dass unsere Mode mit dem Schmuck deines Labels zusammen präsentiert werden soll. Damit ist eine Fusion für die Herbstkollektion geplant. Es wird ein Photoshooting, einen Werbespot und eine Livepräsentation auf dem Laufsteg dazu geben. Auch in den Online-Shops soll beides angeboten werden«, begann der Blondschopf auch einfach zu erklären. Dabei schob er Reita die Skizzen der besagten Mode-Kollektion zu. Dieser nahm sie auch gleich an sich und starrte solange auf das Papier, als wollte er irgendetwas auswendig lernen. Ruki ließ ihn machen und holte weitere Papiere hervor. Eigentlich waren sie das gar nicht, sondern Ausstellungsstücke des Schmucks auf Hochglanzpapier gedruckt. Diese wiederum besah er sich, da er aufgrund seines Wutanfalls zuvor noch gar keine Zeit dafür hatte. Und dann stand auch schon Reita vor der Bildfläche.
»Wann genau soll das alles stattfinden?«, fragte Reita in die Stille hinein. Ruki brauchte allerdings einen Moment, bis die Worte des anderen zu ihm hindurchdrangen. Gerade war er einfach zu vertieft in die Bilder, auf denen Reita den Schmuck präsentierte. Er hatte gar nicht erwartet, dass dieser Mann überhaupt in der Lage war, sich so cool und locker zu zeigen. Die bekannteste Ausnahme schien da wohl auch der Auftritt von gestern gewesen zu sein. Nein, selbst das wirkte noch anders. Gestern kam eine Leidenschaft rüber, die man so selten zu sehen bekam. Im Endeffekt war Ruki von beidem angetan. Obwohl ihm der Reita, der einfach spontan reagierte, noch am besten gefiel.
»Nächste Woche beginnen wir mit der Planung, welche Kleidung mit welchem Schmuck und Accessoires kombiniert werden soll. Die Location für die Photoshootings und den Werbespot sind noch nicht geklärt. Aber wir arbeiten daran«, gab Ruki schließlich doch eine Antwort, sah dabei aber nicht zu Reita, sondern haftete mit seinen Augen immer noch an den Bildern. Je länger er sie betrachtete, desto stärker wurde dieses vertraute Gefühl in seiner Magengegend. Die Art, wie Reita auf den Bildern posierte, der Ausdruck in seinem Gesicht und den Augen weckten Erinnerungen an vergangene Zeiten. Die, in denen er Akira zu kleineren Model-Aufträgen begleiten durfte. Reita zeigte eine ähnliche Attitüde wie sein bester Freund.
Als Ruki dann aber doch endlich seinen Blick hob, begegenete er den Augen des anderen. Dabei fragte er sich, warum dieser ihn so seltsam ansah.
»Hab ich was im Gesicht?«, fragte Ruki daher auch und legte den Papierkram auf einen Haufen.
»Zwei Augen, eine Nase und ein Mund«, erwiderte Reita mit einem sarkastischen, schiefen Lächeln. »Du hast gerade geschaut, als wölltest du dem Typen auf den Bildern schon wieder an die Wäsche gehen wollen«, bekam der Designer hinterhergeworfen. Im ersten Moment dachte er über Reitas Worte nach. Hatte er gelächelt?
Dem schien wohl der Fall gewesen zu sein. Anschließend zog er jedoch die Brauen zusammen.
»Mir hat nur gefallen, was ich gesehen habe. Deswegen bekomme ich nicht gleich einen Ständer und will abspritzen«, stellte Ruki klar. Reita hatte allerdings nicht ganz Unrecht, nur war der Grund ein anderer. Aber das würde er dem Kerl ganz sicher nicht unter die Nase reiben. Es gab nunmal Dinge in seinem Leben, die niemandem etwas angingen. Da sollte Reita besser vor der eigenen Tür kehren, bevor er ihm ans Bein pisste. Zum Glück sagte er auch nichts weiter dazu, da sonst der Blondschopf derjenige gewesen wäre, der ihm einen verbalen Einlauf verpasste. Gleiches Recht für alle, jetzt, wo er einen flüchtigen Blick auf die Hand warf, in die Reita seine Nägel gebohrt hatte.
»Nach gestern habe ich meine Zweifel...War es das dann?«, wollte dieser wissen. Ruki fixierte ihn einen Moment lang. Eigentlich war alles gesagt. Andererseits wollte er ihm die Sache auch nicht so leicht machen. Nicht, nachdem Reita übergriffig geworden war, um es mit dessen Worten zu erklären.
»Kommt ihr heute Abend? Ein paar Straßen weiter hat ein neuer Club eröffnet«, schwenkte Ruki daher mit einer Gegenfrage zu einem anderen Thema und faltete seine Hände vor dem Kinn. Reita dagegen hob nur die Schultern, bevor er sich breitbeinig regelrecht in den Stuhl lümmelte. Das machte er definitiv mit Absicht. Denn die Hose, die Reita trug, saß gut und ließ das eine oder andere erahnen. Das waren aber Dinge, die Ruki jetzt besser nicht aussprechen sollte.
»Eher nicht. Ich will mein Gesicht für das Label präsentieren und nicht in der Klatschpresse landen.«
Ruki verstand es. In der Modewelt wurde alles auf einen schönen Körper und ein hübsches Aussehen reduziert. Je begehrter man war, desto einfacher hatte man es. Hinzu kam auch die Schattenseite, die Ruki bereits bestens kannte. Wenn Reita mit nichts davon in Berührung kommen wollte, tat er genau das Richtige.
»Und wer ist der Mann hinter all dem?«, hakte Ruki dann schmunzelnd nach. Es musste immerhin einen Grund geben, sich lieber im Hintergrund zu bewegen. Dass er seine Weste weiß halten wollte, war der einzig logische Grund. Und wenn man den gestrigen Abend mit einbezog. Reita entlockte der Designer mit seiner Frage trotzdem ein knappes Lächeln, bevor dieser den Kopf schüttelte.
»Da wir alles besprochen haben, gehe ich jetzt. Es muss noch einiges vorbereitet werden und wir können ohnehin mit einem Anruf von dir rechnen.« Das mochte zwar nicht die Antwort sein, die Ruki haben wollte, dennoch nickte er. Mit Zwang konnte er Reita nicht hier behalten oder ihm zum Smalltalk bringen. Das Wichtigste war ohnehin gesagt und Ruki musste sich noch um das andere Problem kümmern. Als sein Blick jedoch wanderte, fiel bereits die Tür ins Schloss.
Und weg war er...
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