[8] 𝑅𝑒𝑖𝑡𝑎
Der nächste Morgen kam definitiv zu früh und Reita stöhnte wehleidig in sein Kissen, mit dem er sich am liebsten erstickt hätte. Was hatte er sich nur dabei gedacht? Richtig, nicht viel. Hinter seiner Stirn musste ein kleines Männchen sitzen, dass mit Hammer und Meißel fleißig dabei war, ein Loch hineinzuschlagen.
»Aufstehen!«, krakelte sein bester Kumpel fröhlich. Kai konnte sich mit seiner unangebrachten guten Laune gleich verpissen. Es sei denn, er hatte Kaffee und Kopfschmerztabletten dabei. Doch natürlich hatte Reita nicht so viel Glück. Stattdessen wurden die Vorhänge beiseite gezogen, sodass er schmerzerfüllt zischte und im Anschluss die Bettdecke weggezogen.
»Ich hoffe, du hast einen guten Grund«, brummte Reita angefressen.
»Du hast einen Termin und musst bald los!«
»Klasse.« Reita ließ sich von Kai in eine sitzende Position ziehen und begegnete diesem nervigen Lächeln, dass ihm Reita am liebsten vom Gesicht gewischt hätte.
»Ich habe Kaffee gekocht«, flötete sein jetzt neuer bester Freund und verschwand aus dem Zimmer. Immerhin wusste Kai, wie er ihn besänftigen konnte.
Am Esstisch wartete bereits eine Familienpackung Kopfschmerztabletten auf ihn sowie ein gefülltes Wasserglas.
»Du musst nachher fit sein«, erklärte Kai seine mütterlichen Anwandlungen.
Reita grollte nur etwas Unverständliches als Antwort, dass Kai wohl als Dankeschön deutete, da er eine abwinkende Handbewegung machte.
Sein Mitbewohner plapperte noch mehr Blödsinn, doch Reita hörte nicht zu, während er seine bohrenden Kopfschmerzen mit Tabletten und Kaffee kompensierte.
Er ließ sich noch die Adresse für seinen Termin geben und schlurfte anschließend ins Bad, um sich in ein sozialfähiges Wesen zu verwandeln und im Anschluss loszudüsen.
Der Straßenverkehr war um die Uhrzeit die Hölle. Scheinbar hatten alle Vollidioten der Stadt heute spontan beschlossen, ihren Sonntagsfahrt auf einen Wochentag zu verlegen. Es wurde einfach nicht besser.
Wenn der Termin nachher ähnlich scheiße lief, wie der Tag anfing, konnte er sich einen Strick nehmen und nachher seine miese Stimmung an Kai auslassen. Der hatte ihm diesen Blödsinn immerhin eingebrockt. Dass es zum Teil seine eigene Schuld war, dass er nun litt, war ihm gerade schnuppe.
Soeben musste er einen Vollhonk anhupen, der sich erdreistet hatte, ihm die Vorfahrt zu klauen. In diesem Moment verteufelte er die gesamten Einwohner Tokios, die seiner Meinung nach eifrig dabei waren, sein Elend zu verschlimmern. Gott, wie er Menschen manchmal hasste.
Auf dem Parkplatz des Bürokomplexes angelangt, schnaufte er erleichtert durch. Er hatte es unversehrt und in einem Stück hierher geschafft und alleine dieser Umstand grenzte an göttliche Fügung. Reita besah sich noch kurz die Glasfassade des Hochhauses, bevor er aus dem Wagen stieg und auf den Eingang zulief.
Der Empfangstresen war ähnlich glatt poliert wie die Schnepfe, die dahinter hockte. Sie klimperte mit ihren übertrieben geschminkten Wimpern und verzog ihren Mund zu einem, wie sie wohl fand, hinreißenden Kussmund. Reita bekam das Kotzen bei ihrem offensichtlich zur Schau gestellten Interesse und hätte ihr fast seinen Kaffee über ihre selten hässliche Bluse gekotzt.
Da dies aber eindeutig eine Verschwendung für die Alte gewesen wäre, riss er sich zusammen und schaffte es sogar, sich ein freundliches Lächeln auf die Lippen zu zwingen. Gelegentlich war er über seine schauspielerischen Fähigkeiten selbst erstaunt.
Der Schickse erklärte er die Sachlage. Zum Beweis zeigte er ihr ein paar der mitgebrachten Schmuckstücke. Doch irgendwie himmelte die Frau eher ihn an als den Schmuck an. Viel mehr starrte sie und das konnte Reita absolut nicht ab. Weil er dabei immer von dem Bedürfnis übermannt wurde, sich ins Gesicht fassen und kontrollieren zu wollen, ob der Stoff noch richtig saß. Reita musste sich zurückhalten.
»Fünfzehnter Stock, letzte Tür auf der linken Seite«, drang es dann plötzlich zu dem Model durch, der innerlich bereits Stoßgebete von sich gab. Er nickte erleichtert und marschierte direkt zum Fahrstuhl hin.
»Und klopfen Sie bitte vorher!« Nicht, dass Reita der Frau noch zugehört hätte. Als sich der Fahrstuhl nach Eingabe der Etagennummer in Bewegung setzte, seufzte Reita erleichtert auf. Hätte die Empfangsdame ihn noch weiter angestarrt, wäre er definitiv flüchten gegangen. Es fühlte sich einfach unangenehm an, wenn es offensichtlich war.
Das erlösende Ping ertönte. Die schweren Stiefel hinterließen einen dumpfen Klang, als er den langen Gang hinabschritt. Ihm kamen dabei Männer und Frauen in teurer Designerkleidung entgegen, die von einem Raum zum nächsten eilten und ihn keines Blickes würdigten.
Bin ich hier wirklich richtig?, dachte Reita stumm. Plötzlich wurde er von einer Person angerempelt, die fluchtartig den Raum vor ihm verließ. Zusätzlich musste er vor dem Glas ausweichen, welches nicht unweit neben seinem Kopf an der Wand zerschellte und einen nassen Fleck an dieser Stelle hinterließ.
»Ernsthaft?!«, blaffte das Model nun in den Raum hinein, da flog auch schon das nächste Glas, dem er ausweichen musste. Er trat hinein, bereute es aber nahezu, da schon der nächste Gegenstand geflogen kam. Dieses Mal kein weiteres Glas, sondern ein Locher. Dieser hinterließ deutliche Spuren in der Tür aus Kirschholz.
»Du!«, wurde Reita angefaucht, der die kleine Gestalt mit blonden Haaren, eisblauen Augen und rotem Samtanzug auf sich zukommen sah. Er sollte flüchten. Am besten jetzt sofort, bevor der laufende Meter ihm wirklich noch etwas an den Kopf donnerte. Nur war es dafür leider zu spät, da er bereits in das Büro gezerrt und die Tür hinter ihm zugeknallt wurde. Reita blickte in das zwar hübsch anzusehende, doch gleichzeitig wütende Gesicht des jungen Mannes vor sich.
»R-Ruki?« Mit dem hatte das Model definitiv nicht gerechnet. Zwar besaß er das Wissen darüber, welchem Job der Kleine nachging. Aber er kannte weder dessen Position noch hatte er vorhin darauf geachtet, bei welchem Label Kai den Termin gemacht hatte. Nach dem einprägsamen Erlebnis von gestern hätte Reita wahrscheinlich dreimal darüber nachgedacht, ob er diesen Termin wahrnehmen sollte.
»Du hast mich eiskalt sitzen lassen. Und jetzt tauchst du einfach hier auf?«, keifte der Kleine, der überraschend viel Kraft aufbrachte, sodass er es sogar schaffte, Reita gegen das Türblatt zu pinnen. Überfordert wie überrascht starrte er in das Gesicht des anderen. Trotzdem begann sein Hirn zu rattern. War Ruki nur deshalb so pissig und nicht weil seine Mitarbeiter etwas verkehrt gemacht hatten? Jagte er sie deshalb davon, egal, ob sie dabei ein Glas an den Schädel bekommen und Schaden genommen hätten? Nur, weil er einen Korb bekam? Und jetzt sollte er sich die doch zugegebenermaßen toxische Laune geben müssen? Nein! Nicht mit ihm. Da Reita noch immer der Größere und vor allem Stärkere von beiden war, packte er den Blondschopf an den Hüften und platzierte ihn kurzerhand mit dem Hintern auf dessen Schreibtisch. Scheißegal, das sich dabei der Stiftehalter geräuschvoll zu dem Meer aus zerknüllten Papier gesellte. Scheißegal, dass er sich dabei gerade zwischen die Beine des Kleineren drängte, dessen Handflächen er mit seinen auf das Holz der Tischplatte presste und somit jegliche Möglichkeit aus dem Weg räumte, die Flucht oder den nächsten Gegenstand zu ergreifen. Und es war Reita gerade auch verdammt nochmal scheißegal, dass sich ihre Gesichter und Lippen so nah waren, dass er Rukis Atem auf seiner Haut kribbeln spüren konnte. Normalerweise hatte er sich emotional besser im Griff. Doch irgendwann war auch bei Reita eine Grenze erreicht. So wie jetzt. Vielleicht hätte er bereits gestern Abend so reagieren sollen, anstatt sich in misslichen Lagen wiederzufinden.
»Tut mir leid, wenn ich dein Ego verletzt habe. Aber vielleicht solltest du akzeptieren, wenn nicht alles nach deinem Willen geht, Prinzessin«, brummte Reita dem Kleinen entgegen, der geradewegs mit seinem Blick versuchte, ihn zu pulverisieren. Das kratzte wohl nur noch mehr an Rukis Ego, welches offensichtlich größer zu sein schien als er selbst. Doch dann änderte sich etwas in dessen Blick. Auf Rukis Lippen formte sich ein triumphierendes Lächeln. Reita spürte daraufhin nur einen Ruck. Der Kleine hatte die Situation ausgenutzt, um die Beine um seine Taille zu schlingen. Danach hing Ruki fast schon an Reitas Lippen. »Mag sein. Trotzdem bist du hier«, raunte dieser und eine unsägliche Gänsehaut jagte Schauder über Reitas Rücken. Seine Finger wollten sich verkrampfen, die Nägel sich in die zarte Haut bohren. War Rukis Realität wirklich derart verzerrt?
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