[6] 𝑅𝑒𝑖𝑡𝑎
»Ich denke im Übrigen nicht schlechter von dir, nur weil du dem gutaussehenden Typen auf einer Party nicht widerstehen konntest und mit nach Hause genommen hast«, grinste Reita, als Ruki mit zwei randvollen Gläsern in den Händen ins Wohnzimmer kam. Bei dem entsetzten Gesichtsausdruck des Kleinen befürchtete er, dass diesem gleich die Getränke entgleiten würden. Reitas Worte kamen zudem einfach spontan. Gedanken wie diese hatte er eher selten, obwohl er nicht leugnen würde, Rukis Körper rattenscharf zu finden. Jetzt, da er diesen richtig betrachten konnte. Allerdings fragte sich Reita, ob er gerade ins Schwarze getroffen hatte.
»Ob der besagte Typ wirklich gut aussieht, kann ich noch nicht beurteilen. Er trägt nämlich ein komisches Ding im Gesicht«, sah er Ruki schmunzeln, der ihm anschließend eines der beiden Gläser reichte. Auf diesen Kommentar hin musste sich Reita direkt einen Schluck gönnen und verzog bei den deutlichen Umdrehungen leicht das Gesicht. Der Kleine hatte es gut gemeint. Kai würde ihn dafür am nächsten Tag für seinen übermäßigen Konsum ankeifen. Doch das waren die Probleme des Zukunfts-Reita, mit denen er sich derzeit nicht herumplagen wollte. Reita war nicht allzu betrunken, aber wenn er zwei weitere Cocktails trinken würde, würde er über Ruki herfallen. Das war so sicher wie das Amen in der Kirche. Dabei war das ursprünglich gar nicht der Grund gewesen, warum er mit dem Blonden mitgegangen war. Er hatte ihn bloß als Gelegenheit betrachtet, von der langweiligen Party zu verschwinden. Und auch, weil er ihn interessant fand. Aber sicher nicht, weil er auf eine schnelle Nummer aus war. Also würde er sich mit seinem Konsum zurückhalten müssen.
»Das Ding in meinem Gesicht ist zugleich Accessoire und Markenzeichen für mich. Du schminkst dich, ich trage ein Stoffband«, gab er zu verstehen. Auch, um seinen Geist auf etwas anderes zu lenken. Reita musste sich nicht vorwerfen lassen, sich zu verstecken, wenn Ruki nichts anderes mit dem Kleister in seinem Gesicht tat.
»Das war kein Angriff, keine Sorge. Es hat auf jeden Fall Wiedererkennungswert«, schmunzelte Ruki zunächst, bevor dieser einen Schluck von der eigenen Mixtur nahm. Barkeeperqualitäten besaß das Goldlöckchen jedenfalls keine. Oder aber er legte es tatsächlich darauf an, heute noch flachgelegt zu werden.
»Solange du das Tuch nicht in allen Lebenslagen trägst...«, hörte Reita ihn schnurren. Jetzt begann es langsam gefährlich zu werden. Reita dachte angestrengt darüber nach, welchen Moment er verpasst haben musste, in dem es mit diesen Anzüglichkeiten anfing. Nur leider war da eine große Lücke in seinem Gedächtnis. Aber eines musste Reita dennoch zugeben:
Ruki war schlagfertig und das gefiel ihm. Und irgendwie konnte er es sich nicht verkneifen, bei diesem Kommentar zu grinsen.
»Ich trage es in allen Lebenslagen«, kam Reita nicht umhin, zum Gegenschlag auszuholen. Zum einen, weil ihm Rukis Gesichtsentgleisungen gefielen und zum anderen, weil er dadurch hoffte, dass das Thema damit erledigt sein würde.
»...außer beim Duschen«, warf er hinterher, bevor er einen weiteren Schluck von seinem Getränk nahm.
»Auch beim Sex?« Dass diese Frage vom Goldlöckchen kommen musste, hatte Reita bereits geahnt. Er musste allerdings zugeben, dass der Kleine nicht der Erste war, der seine Neugier offenkundig zeigte. Andernfalls wäre Reita wohl kein Model mit Wiedererkennung geworden. Zumindest in den Staaten.
»Auch dann.« Spätestens jetzt klang er vermutlich wie ein Typ, der einen seltsamen Fetisch hatte. Aber Reita war das ziemlich egal, solange es dafür sorgte, dass der andere endlich aufhörte, solche Fragen zu stellen. Derart hartnäckig konnte niemand sein. Das Model war jedenfalls noch keinem begegnet, der dermaßen viel Interesse wegen eines verdammten Stück Stoffs zeigte. Und scheinbar hatte seine Antwort dem Kleinen die Sprache verschlagen. Oder er war so schockiert darüber, dass er seinen nächsten Kommentar mit seinem Getränk hinunterzuspülen versuchte.
Die Gelegenheit nutzte Reita, um ihr Gespräch wieder auf sichere Bahnen zu lenken.
»Hübsch hast du es hier«, ließ er verlauten, während er sich nochmals im Wohnzimmer umsah. Sein Blick wanderte darauf zum Fenster und er schaute auf die glitzernden Lichter der Stadt. Selbst die Aussicht war nicht von schlechten Eltern. Der Kleine hatte nicht bloß bei seinen Klamotten Geschmack bewiesen. Die Einrichtung war modern und aufeinander abgestimmt. Das Interieur war eindeutig nicht billig gewesen, wie Reita feststellte. Ruki musste gut verdienen, um sich das leisten zu können. Was ihm weiterhin auffiel, waren fehlende Fotos. Nirgendwo war zu erkennen, wer hier tatsächlich lebte. Die Einrichtung hätte in jeder anderen Wohnung auch stehen können und ließ keine Rückschlüsse auf ihren Besitzer zu.
»Wohnst du schon lange hier?«, stellte er als nächstes eine neugierige Frage. Was Ruki schaffte, konnte er schließlich auch. Tatsächlich brachte er das Goldlöckchen dazu, zu überlegen. Das erkannte er daran, dass der andere plötzlich begann, auf seiner Unterlippe zu kauen. Dieser seriöse Ausdruck stand dem anderen irgendwie und ließ Reita schmunzeln. Dass der Designer gut aussah, stellte er nicht zum ersten Mal an diesem Abend fest.
»Ungefähr vier Jahre«, riss ihn die tiefe Stimme im nächsten Moment aus dieser Erkenntnis.
»Deine Begleitung vorhin schien allerdings nicht sonderlich begeistert davon gewesen zu sein, dass ich dich mitnehme«, wechselte der Blonde direkt zum nächsten Thema, ehe Reita die Gelegenheit bekommen hatte, zu antworten. Er bekam das Gefühl, dass sein Gastgeber nicht weiter über die Wohnung sprechen wollte, als wäre es ihm unangenehm. Doch das war in Ordnung. Er selbst war nicht gerade das Paradebeispiel dafür, über persönliche Dinge zu sprechen.
»Kai spielt sich gern als meine Mutter auf«, gab das Model scherzend zur Antwort. »Vielleicht hättest du wirklich vorher um Erlaubnis fragen sollen. Wahrscheinlich bekomme ich nun einen Monat Hausarrest.« Ganz so weit weg war seine Aussage gar nicht von der Wahrheit. Morgen würde er sich in jedem Fall eine Standpauke anhören dürfen. Auch wenn sich das gerade ziemlich drastisch in den Ohren des anderen anhören musste. Erst das Tuch in seinem Gesicht, dann die Pseudo-Mutter...das klang nach allem, nur nicht nach Normal.
»Ich werde mir das nächste Mal eine schriftliche Erlaubnis holen. Sofern du dann wieder vor die Tür darfst«, stieg der Blonde unerwartet scherzend ein. Wenigstens nahm er das nicht allzu ernst. Das erleichterte Reita immens.
»Du kannst ja mit Steinchen gegen mein Fenster werfen, dann lasse ich eine Strickleiter hinunter«, lachte Reita nun über seinen eigenen Quatsch, den er von sich gab. Der Alkohol tat ihm eindeutig nicht gut. Zumindest war er wesentlich besser gelaunt als noch vor dem Partybeginn und der Verlauf war ebenfalls ein besserer geworden als erhofft. Ruki war ein angenehmer Gesprächspartner. Tatsächlich war er im Augenblick und durch die Brille der Trunkenheit betrachtet jemand, von dem er sich vorstellen konnte, eine Freundschaft aufzubauen. Was allerdings von der nächsten Frage jäh zunichte gemacht wurde.
»Damit ich heimlich in dein Bett gekrabbelt komme?« Klang die Stimme des Kleinen bereits die ganze Zeit so anrüchig? Zudem sah Ruki ihn plötzlich so an, als wäre er geradewegs zu einem Raubtier mutiert, welches sich jeden Moment auf seine Beute stürzen wollte. Von seinem unmoralischen Angebot mal ganz zu schweigen.
»Meinst du das ernst?« Das war die einzig logische Frage, die Reita in diesem Moment stellen konnte. Auch wenn seine eigenen Gedanken gerade fröhlich Karussell fuhren, fragte er sich, ob er mit seinem blöden Kommentar etwas von dem signalisierte, was sich eigentlich nur in seinem Kopf abspielte. Dort sollte es auch bleiben. Allerdings schien das Goldlöckchen entweder Gedanken lesen zu können, oder aber es deutete seine Worte anders als Reita sie gemeint hatte. Egal, was es am Ende war, es sorgte dafür, dass sich Ruki von einer Sekunde zur nächsten auf seinem Schoß wiederfand. Nicht aus Versehen wie auf der Party. Ruki schob seinen kleinen Arsch ganz bewusst auf seinen Schoß und drückte damit gegen seinen Schritt. Verflucht nochmal! Wie sollte er sich denn da noch im Griff behalten? Schließlich war er auch bloß ein Kerl.
»Warum sollte ich es nicht ernst meinen?«, richtete dieser eine Gegenfrage an das Model. Doch wie sollte Reita diese beantworten? Es zeigte nur, dass seine Absichten wirklich andere zu sein schienen, als die, die Ruki beteuert hatte.
»Offensichtlich geht es dir zu gut«, murmelte Reita, dessen Hände auf den Oberschenkeln des anderen lagen. Wie waren die denn jetzt dort gelandet? Reita hatte darauf keine Antwort. Genauso wenig wie er sagen konnte, wer wen zuerst küsste. Aber plötzlich klebten ihre Lippen aneinander und Reitas Bedenken waren mit einem Schlag verpufft. Warum nochmal hatte er etwas dagegen einzuwenden gehabt? Er hatte absolut keinen blassen Dunst mehr.
Nicht bei der leidenschaftlichen Art, mit der Ruki ihn förmlich in die Sofalehne knutschte, als hinge sein Leben davon ab. Die Hände des Models wanderten weiter zu diesem niedlichen Hintern, um ihn näher an sich zu drücken und damit besser spüren zu können. Selbst durch die Lagen von Stoff hindurch konnte er die Hitze des anderen fühlen, die direkt auf ihn übersprang.
Der Kleine konnte verdammt gut küssen. Reita schwirrte bereits der Kopf davon, auch, weil ihm der angenehme Geruch des Blonden in die Nase stieg. Dessen Hände blieben ebenfalls nicht untätig, sondern legten sich an seine Schultern, während er seinen Kopf leicht neigte, um ihren Kuss zu intensivieren. Diese flinke Zunge würde sich bestimmt auch an anderen Stellen seines Körpers gut anfühlen. Vor allem die, die auffälliges Interesse bekundete.
Rukis anzügliches Schnurren war Zeichen genug, dass ihm diese Entwicklung nicht verborgen geblieben war. Reita war bereits drauf und dran, dem Kleinen das störende Oberteil auszuziehen und ihn auf der Couch zu nageln.
Was dann allerdings als nächstes passierte, änderte den Verlauf des weiteren Abends gravierend. Ruki zupfte doch allen Ernstes an den losen Enden seines Stoffbandes herum! Es war eindeutig für Reita, dass der Zwerg gedachte, dieses zu lösen. Schließlich hatte er schon die ganze Zeit wissen wollen, was darunter versteckt war.
Reflexartig ergriff er Rukis Handgelenke und bugsierte ihn von seinem Schoß wieder runter auf die Couch. Reitas Libido war damit im Keim erstickt. Er hatte nicht viele Bedingungen, die er an andere Menschen stellte, aber seine Nase war absolute Sperrzone für andere. Niemand hatte ohne seine Erlaubnis an seinem Band herumzufummeln! Und schon gar nicht jemand, den er kaum kannte.
Diese Aktion wirkte soeben wie eine kalte Dusche und rief ihm in Erinnerung, warum er sich nicht ohne weiteres auf One-Night-Stands einließ: zu viele Variablen.
»Ich sollte jetzt gehen«, beschloss Reita, der bereits aufstand und seinen Krempel zusammensuchte. Ruki schaute er dabei nicht mehr an und er ließ ihm auch gar keine Gelegenheit, sich in irgendeiner Form zu äußern.
»Danke für den Drink.« Mit diesen Worten trat Reita den strategischen Rückzug an. Es als Flucht zu bezeichnen, erlaubte ihm sein Stolz nicht.
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