15 - If you

Ich habe mal einen Jungen gekannt.

Das einprägendste, an das ich mich erinnern kann, war sein Lächeln. Sinnliche Lippen, meistens mit einem zarten rosanen Hauch des Lippglosses, den er so gerne trug, umrahmten sein strahlend weißes Lächeln. Zu winzig schmalen Schlitzen formten sich seine tiefbraunen Augen, wenn er aus tiefsten Herzen lachte. Die markelose, weiche Haut, eine wohlgeformte Nase und die dunklen, vollen Augenbrauen rundeten das Gesamtbild nahezu perfekt ab. Insbesondere dann, wenn ihm seine, zu seinen sanften Haselnussbraun aufblondierten, Haare verwegen ins Gesicht fielen.

Wie oft hatte ich mich von seinem herzerwärmenden Lachen anstecken lassen? Wie oft hatten wir stundenlang beisammen gesessen und uns den vom Lachen schmerzenden Bauch gehalten?

Und dann hatten wir manchmal aus heiterem Himmel über die tiefsinnigsten Themen philosophiert. Nicht selten gingen diese bis weit in die Nacht, doch mit ihm schien die Zeit immer ein nebensächliches Kontrukt zu sein. Unbedeutend.

Ich kann es noch immer nicht begreifen, dass all dies nur noch Erinnerungen sein sollen, die mit den Jahren immer mehr verlassen würden, ehe ich mich seinem Lachen gar nicht mehr entsinnen könnte.

~♡~

Jungkook saß wie jedes Jahr am Küchentisch seiner viel zu kleinen Wohnung. Und wie jedes Jahr hatte er das schönste Briefpapier besorgt, dass er im naheliegenden Einkaufszentrum finden konnte, um seinen Weihnachtswunsch fein säuberlich darauf zu schreiben.

☆○☆○☆○☆○☆

Lieber Weihnachtsmann,

Ich muss wohl nicht mehr viel sagen...
Du kennst mich ja bereits von den letzten Jahren.

Ich wünsche mir nichts, was ich nicht wirklich brauche. Ich will kein Auto, kein Geldsegen, keine neue Wohnung oder irgendein Küchengerät.

Es gibt nur eins, das ich mir wünsche. Wie jedes Jahr.

Ich möchte ihn wieder sehen. Kim Taehyung.

Mit lieben Gruß
und in alljährlicher Hoffnung

Jungkook.

☆○☆○☆○☆○☆

Schmunzelnd sah er sich den fertig geschriebenen Brief an. Wie erbärmlich es doch war mit seinen 22 Jahren noch immer einen Wunschzettel zu schreiben. Natürlich hatte er schon lange nicht mehr daran geglaubt, dass es irgendwo am fernen Nordpol wirklich einen alten, dicken Mann gab, eingehüllt in rotem Satin, der die ganze Welt in einer Nacht mit Geschenken beglückte.

Leider war es der einzige Strohhalm, an den er sich noch verzweifelt klammern konnte. 
Alles andere hatte er bereits versucht. Er fand ihn weder online, dabei war er alle denkbaren Onlineforen durchgegangen, noch in einem Telefonverzeichnis oder über alte, gemeinsame Freunde. Nicht mal das zuständige Gemeindehaus hatte ihm Auskunft erteilen können. Es war als wäre er damals, vor sechs Jahren, einfach spurlos verschwunden.

"Als ob das irgendwas bringen würde...", schnaufte der Zweiundzwanzigjährige, ehe er den Brief nahm, den er vorher so mühevoll verfasst hatte, und zusammengeknüllt in den Papiermüll warf.

Er hatte nun wirklich wichtigeres zu tun, als sich seiner dämlichen Wünsche hinzugeben. Das Weihnachtsfest vorbereiten zum Beispiel. Wenn seine Eltern her kamen und es würde noch immer aussehen, als habe man die Wohnung bereits zum Abriss freigegeben, dann würde er sich den gesamten Abend eine Predigt anhören dürfen, wie enttäuscht sie von ihrem einzigen Sohn doch waren. Außerdem fehlte ihm noch immer ein Weihnachtsgeschenk...!

Ohne einen weiteren Gedanken an seine verflossene Liebe, wenn man es denn so nennen mochte, zu verschwenden, begab er sich auf den Weg in die überfüllten Kaufhäuser der Stadt. Wenn er wenigstens eine Idee gehabt hätte, würde er sich wenigstens das ziellose Umherwandern von einem Laden in den Nächsten sparen.

Vielleicht sollte er einfach einen Gutschein besorgen.

Jungkook stand gerade in der Schlange eines Multimediageschäftes, als er einem Lied besondere Aufmerksamkeit schenkte. Es war ein Weihnachtslied, das er schon hunderte Male gehört hatte, doch jetzt gerade in diesem Moment weckte es in ihm Erinnerungen an ein Gespräch mit seiner Mutter. Sie waren damals auf einer weihnachtlichen Familienfeier gewesen und schon damals lief dieses Lied mindestens fünf Mal binnen einer Stunde. Sie waren damals draußen gemeinsam spazieren gewesen, als sie den Wunsch geäußert hatte, noch einmal mit ihrem Mann in diesem kleinen Hotel einen Kurzurlaub zu machen. Es war das selbe Hotel, in denen sie damals nach ihrer Hochzeit gewesen waren. 

Wie von einem Geistesblitz getroffen, genau genommen war er das auch, flüchtete er aus der Schlange, quetschte er sich durch die vielen Menschen des Geschäftes und beachtete dabei gar nicht die vielen fragenden Blicke, die nun auf ihm lagen.
Er hatte endlich die Idee gehabt.

Jetzt musste er nur noch dieses kleine Hotel wieder finden und dann hätte er das perfekte Weihnachtsgeschenk!

Viele Internetrecherchen später, konnte er schließlich die Adresse ausmachen. Er hatte kein Auto, das mache die Sache nicht unbedingt leichter, doch wenigstens war diesmal das Glück auf seiner Seite. Die Bahnverbindung war gut und in nur einer guten Stunde würde er das Hotel erreichen, um für den nächsten freien Termin ein Zimmer zu buchen.

Breit grinsend saß er einige Zeit später in der Bahn. Dass erneut skeptische Blicke auf ihm lagen, ignorierte er dabei wieder gekonnt. Oder besser gesagt, es war ihm schlichtweg egal. Es würde das erste Jahr sein, wo seine Eltern wirklich stolz auf ihn sein konnten.

Die Bahn leerte sich zunehmend, je näher er seinem Ziel kam. Es war ein kleines, niedliches Hotel am Rande der Stadt, dementsprechend wenig Menschen suchten diesen Ort auf.
Als er nur noch knappe zehn Minuten Fahrzeit hatte, stieg auch der letzte Fahrgast aus und ließ Jungkook da mit mutterseelen allein zurück.

Zumindest dachte er das.

Kurz bevor der Zug wieder anfahren wollte, hielt er nochmal an und ließ einen Fahrgast rein, der sich anscheinend abgemüht hatte, den Zug noch rechtzeitig zu erreichen.
Der Junge atmete schwer und musste erst mal wieder zu Luft kommen, bevor er sich wieder aufraffte, um sich einen Sitzplatz auszusuchen.
Jungkook hatte eh nichts besseres zu tun, daher betrachtete er sich einen Moment den Fremden.

Als auch er den Blick schließlich erwiderte, gefror Jungkook das Blut in den Adern.

Da stand er. Nach all den Jahren verzweifelten Wünschens, stand er einfach da. Natürlich hatte er sich in den sechs Jahren ziemlich verändert, doch dieses Gesicht würde er immer wieder erkennen.
"Taehyung...!?", brache Jungkook lediglich stotternd hervor.

Sogleich verzog sich das Gesicht des Fremden in einen prüfenden Blick. Ja, auch Jungkook hatte sich verändert. Von dem niedlichen Jungen war kaum noch etwas übrig geblieben, außer vielleicht sein charakteristisches Lächeln. Sein Körper hatte sich zu dem eines Mannes gewandelt, was vielleicht auch deshalb so auffiel, weil Jungkook seine Leidenschaft zum Krafttraining entdeckt hatte.

Während der Zug sich wieder in Bewegung setzte, blieben die zwei jungen Männer einfach regungslos stehen, abgesehen von dem leichten hin und her schaukeln das durch den Zug verursacht wurde.
"Jungkook....w-was machst du hier...?", kam es endlich über die Lippen des lang Gesuchten.

Der Angesprochene ging im Kopf verschiedenste Antwortmöglichkeiten durch, doch keine stellte ihn zufrieden. Was sollte er sagen?
Nach sechs Jahren, in dem er noch immer einen viel zu großen Platz in seinen Gedanken hatte, war er schlichtweg überfordert mit der unerwarteten Begegnung. Selbst wenn er zu hundertfach überlegt hatte, was er bei einem möglichen Wiedersehen sagen wollte. Er brachte nicht einen Ton heraus.

"Jungkook?", versuchte er es erneut.
"Ich... Ich glaubs nicht. Dass du... du...", begann Jungkook, doch brach die Stimme unter der Last seiner Gefühle zusammen.

Taehyung konnte nachvollziehen, dass es für seinen ehemaligen besten Freund verdammt schwer sein musste, so unerwartet wieder auf ihn zu treffen. Er hatte damals alle Kontakte abgebrochen, als er von der Schule ging. Er hatte es einfach nicht verkraftet, von Jungkook abgewiesen zu werden, weil dieser sich seiner Gefühle nicht bewusst gewesen war.

Damals, vor sechs Jahren, hatte er die Abschlussfeier genutzt, Jungkook endlich seine Liebe zu gestehen. Doch dieser hatte nur gesagt, dass er nicht wüsste, ob er wirklich mit einem Jungen zusammen sein könnte, so gern er Taehyung auch mochte. Taehyung dagegen war sich seiner Sache immer bewusst gewesen, noch nie hatte er das leiseste Interesse gegenüber den Mädchen in seinem Jahrgang gehabt. Bei Jungkook war es damals anders gewesen. Er hatte sich Hals über Kopf in den zwei Jahre jüngeren verliebt und noch nie hatte er dieses Gefühl so intensiv wahrgenommen. Selbst ihre zufälligen Berührungen, wenn sie mal wieder zu dicht nebeneinander standen oder liefen, hinterließ dieses warme Kribbeln auf der seiner Haut.

Jungkook selbst schien nie etwas dagegen zu haben, dass sie sich oft näher waren, als man es von Freunden erwartet hätte. Es kam nicht selten vor, dass sie sich aneinander kuschelten, wenn sie einen Film sahen. Oder sich beabsichtigt verschiedene Gerichte bestellten, um den jeweils anderen mit dem eigenen Speisen zu füttern. Nicht zu vergessen, wie oft sie bei dem anderen übernachtet hatten und völlig selbstverständlich im selben Bett schliefen. Manchmal kam es sogar vor, wenn sie ein Liebeslied in der Karaokebar zum besten gaben, dass Jungkook ihn mit großen, leuchtenden Augen aussah, als wäre dieses Lied nur für ihn bestimmt gewesen.

Er hatte sich so sehr erhofft, dass es Jungkook genauso ging und vielleicht ging es ihm wirklich ganz ähnlich, doch die Unsicherheit hatte damals einfach überwogen.

Nachdem der Jüngere ihn abgewiesen hatte, hatte Taehyung sich zurück gezogen und weder bei ihm, noch bei den gemeinsamen Freunden gemeldet. Seine Eltern hatten ihn zu Liebe abgewartet, bis er dir Schule abgeschlossen hatte, bis sie ihn aus der gewohnten Umgebung herauszerrten. Sie hatten schon lange davon gesprochen, dass sie weiter aufs Land ziehen wollten und normalerweise hätte Taehyung wohl einen riesen Aufstand gemacht, doch in dem Augenblick passte es ihm ganz gut. So konnte er wirklich alles hinter sich lassen, ohne Gefahr, den Jüngeren nochmal begegnen zu müssen.
Es war das einzige, wozu er damals in der Lage gewesen war, auch wenn es ihm selbst das Herz brach.

"Es... tut mir Leid, Jungkook.", murmelte Taehyung kleinlaut, während er sich allmählich bewusst wurde, dass Jungkook unter dem Kontaktabbruch anscheinend genauso gelitten hatte wie er. "Ich konnte damals einfach nicht damit umgehen. Es tut mir Leid, dass ich..."

Die Durchsage über die Lautsprecher verkündeten, dass sie in den nächsten Sekunden die nächste Station erreichen würden. Die, in der Jungkook raus müsste.

"Ich muss hier raus.", überwandt sich Jungkook schließlich zu sagen. Schnell packte er seine Sachen zusammen, warf sich seine Jacke über, die er die Fahrt über ausgezogen hatte, und ging ohne ihm eines weiteren Blickes zu würdigen an ihm vorbei.
"Jungkook, warte bitte. Darf ich... mitkommen? Ich würde mich gerne mit dir unterhalten."
"Ich weiß nicht, ob das eine gute Idee ist."

Verdammt, dachte sich Jungkook. All die Jahre hatte er sich nichts sehnlicher gewünscht, als Taehyung endlich wieder zu sehen und jetzt!? Jetzt verfiel er in alte Verhaltensmuster und wies ihn eiskalt ab.
"O...okay.", stimmte er schließlich ein. Es war nicht zu verkennen, dass Taehyung darüber erleichtert schien.
"Aber ich muss vorher noch was erledigen.", verkündete er ohne sichtliche Gefühlsregung, wärend er darauf wartete, dass er Zug die Türen endlich öffnete. Er wusste nicht genau sie So, doch er hatte das Gefühl schnell an die frische Luft zu müssen, schnell raus aus dem Abteil und dem beengten Gefühl.

Jungkook holte den Zettel hervor, auf dem er die Adresse aufgeschrieben hatte und lief, ohne wirklich auf Taehyung zu warten, zielstrebig in Richtung Hotel. Die fünfzehn Minuten Fußweg gestalteten sich jedoch äußerst wortkarg, sodass beide sichtlich erleichtert waren, als sie endlich ihr Ziel erreicht hatten.
Es dauert nicht lange, da hatte Jungkook ein Hotelzimmer für seine Eltern gebucht und einen Umschlag erhalten, den er seinen Eltern überreichen konnte. 

Taehyung machte den Vorschlag, in das angrenzende Cafe zu gehen, um sich dort in Ruhe etwas unterhalten zu können. Vielleicht würde eine Tasse Kaffee dieses unangenehme Schweigen ja endlich beenden.

"Du hast dich ganz schön verändert, Jungkook. Aber du siehst gut aus...", murmelte Taehyung verlegen, nachdem sie sich etwas zu trinken bei dem höflichen Kellner bestellt hatten. Wirklich ansehen konnte er ihn dabei nicht, aber da er ihn zuvor schon ausgiebig gemustert hatte, bräuchte er das auch gar nicht mehr, um diese Aussage treffen zu können.

"Danke. Ähm.... Du siehst auch gut aus."
Kaum hatte Jungkook diesen Satz ausgesprochen, legte sich erneut unangenehme Stille über die beiden. Sie fixierten beide einen Punkt im Raum, um nur den anderen nicht aus versehen doch anzusehen, während sie darauf wartetenn, dass der Kellner kam und die Getränke brachte.

Erleichtert stellten sie fest, dass der Kellner nicht mehr lange brauchte, um die Bestellungen auszuliefern. Taehyung nahm sofort zügig einen Schluck des schwarzen Heisgetränkes zu sich, während Jungkook einfach gedankenverloren in die Tasse starrte und hoffte, dass Taehyung endlich dieses schweigen durchbrechen würde.

"Hör zu.", setze der Ältere an, holte nochmal tief Luft, ehe er schließlich zureden begann: "Ich... Es tut mir wirklich leid. Ich war echt dumm, einfach abzuhauen, ohne dir was zusagen. Ich wusste einfach nicht, wie ich damit umgehen sollte und was das ganze nun für uns bedeuten würde. Ich hab die letzten Jahre ein paar mal überlegt, ob ich dich vielleicht nochmal anschreiben soll. Aber wenn ich ehrlich bin wusste ich nie, wie ich das anfangen sollte. Ich kann verstehen, wenn du deswegen immer noch sauer bist."

Jungkook schien seinen Gedanken nachzuhängen und doch achtete er peinlichst genau auf jedes Wort, das Taehyung sagte.

"Weist du, wie schlecht es mir damals ging? Weist du, wie sehr ich gelitten habe, dass ich nicht mal wusste, wo du jetzt eigentlich bist oder ob wir uns nochmal sehen!?", platzte es mit wütendem Unterton aus Jungkook heraus.
"Nein, das weiß ich nicht.", gab Taehyung zu, während seine Schuldgefühle immer weiter angeheizt wurden.

"Nein. Woher auch? Du hast ja nicht mal Jimin oder Hoseok etwas gesagt. Die einzige Info, die ich bekam, war von deiner Mum. Hätte ich sie damals nicht noch getroffen, wüsste ich bist heute nicht, dass du weg gezogen bist."

"Jungkook, es tut mir ja leid. Ich weiß doch, dass das nicht richtig war. Aber was hätte ich denn machen sollen? Ich wusste mir nicht anders zu helfen. Ich hab doch selbst darunter gelitten, dich nicht mehr zu sehen..."

"Ach ja!? Das ist ja schön zu wissen, aber ganz ehrlich? Das macht die letzten Jahre auch nicht wieder gut! Weißt du was ich alles versucht habe, um dich wieder zu finden!?"
Jungkook wurde immer lauter und so sehr auch selbst merkte, dass er sich immer weiter in Rage redete, konnte er einfach nicht aufhören. Zu schmerzlich waren die letzten Jahre vergebenen Suchens gewesen, zu oft fühlte er sich von der Frustration wie paralysiert. "Ich hab sogar einen fucking Wunschzettel geschrieben, weil ich nicht weiter wusste! Einen Wunschzettel Taehyung!"

Taehyung sah ihn an. Tränen hatten sich bereits in seine Augen Geschichten und drohten jeden Moment vollends aus ihn heraus zu brechen. Jungkook sah ihn mit einem Blick an, den er so vorher noch nie bei dem Jüngeren gesehen hatte.

"Ich..."

"Nein, lass es Taehyung. Ich will's gar nicht hören. Ich will einfach gar nichts mehr von dir hören. Ich weiß gar nicht, warum ich mich darauf eingelassen habe!"
Von der Wut abgetrieben, wobei Jungkook selbst nicht wusste, woher diese Wut auf einmal kam, stand er ruckartig auf, um sich fast schon fluchtartig die Jacke über zu werfen, etwas Geld aus dem Portemonaie zu fischen und vor sich auf den Tisch zu knallen.

"Geht auf mich.", fügte er noch hinzu, bevor er schnellen, kräftigeren Schrittes das Cafe wieder verließ. Jungkook war so schnell heraus gestürmt, dass er gar nicht mehr mitbekam, wie Taehyungs in sich zusammen sackte und sein Gesicht hinter seinen Händen zu verstecken versuchte, während die Tränen immer zahlreicher aus seinen Augen quollen.

Taehyung blieb weinend allein zurück.

~♡~

"Ich fasse es einfach nicht!", gab Jungkook frustriert von sich, als er die Haustür hinter sich geschlossen hatte und endlich allein war. Als würde seine Wohnung sein Leid verstehen können, erzählte er weiter, was ihn an dem Treffen grade so störte.
Da hoffte man jedes Jahr inständig, diese Person wieder zu sehen und dann musste man fest stellen, dass die sechs Jahre einen Menschen eben doch veränderten. Kein Mensch bleibt dort stehen, wo er ist.

Eigentlich wusste er auch gar nicht, was genau er sich erhofft hatte von dem Gespräch. Irgendwas. Nur halt nicht das. "Scheiß Dreck!", fluchte er weiter, während die Schuhe, die er sonst ordentlich auf Seite stellte, in der Ecke landeten.
"Aufgeräumt hab ich auch nich nicht. Wie soll ich das denn bis morgen schaffen!? Aaaah wieso hab ich mich nur auf das Gespräch eingelassen?" Jungkook seufzte ein weiteres Mal laut, während er sich gestresst die Haare nach Hinten strich. Er war völlig überfordert und wusste einfach nicht, wo er anfangen sollte.

Und Taehyung spukte auch immer noch in seinen Gedanken rum.

"Einfach anfangen.", versuchte er sich selbst zu motivieren und tatsächlich funktionierte es. Eilig räumte er die gröbsten Sachen weg, die im Weg lagen, arbeitete sich vom Bad über das Wohnzimmer bis in die Küche vor, die zugegeben wirklich schlimm aussah, bis er zuletzt nur noch Müll raus bringen musste.

Zufrieden stellte er fest, dass es gar nicht so viel war, wenn man einmal anfing. Jetzt würde er hier und da noch etwas Weihnachtsdeko verteilen und dann könnte er sich beruhigt nach Hinten lehnen.

Und an die Begegnung mit Taehyung denken. Wieso schaffte er es einfach nicht, ihn zu vergessen? Wieso hatte er so überreagiert? Mittlerweile hatte er fast ein schlechtes Gewissen, so laut geworden zu sein.

Den restlichen Abend verbrachte er zusammen mit einem warmen Kakao und seiner Fotobox auf der Couch und schwelgte in Erinnerungen.
Und während er die Fotos aus seiner Schulzeit betrachtete, wurde ihm klar, dass sie eine wirklich gute Zeit gehabt hatten. Nachdem Taehyung zwei Jahre früher von der Schule ging als er, immerhin war er ja auch zwei Jahre älter, waren nur noch wenig Fotos mit einigen seiner Freunde aufgenommen worden. Natürlich hatte er auch die Zeit mit ihnen genossen, vor allem mit Hoseok und Jimin, da die beiden einfach immer für jeden Spaß zu haben waren, doch es war einfach nicht das selbe.

Mit Taehyung war er irgendwie.... inniger gewesen, anders wusste er einfach nicht es zu beschreiben. Die Fotos zeigten es mehr als deutlich. Auf kaum einen Bild waren sie sich nicht nah, immer klebten sie aneinander, als seien die zwei Magnete die sich anzogen.

Und je weiter er dort saß, desto lauter wurde sein schlechtes Gewissen. Er war einfach abgehauen, hatte Taehyung da stehen lassen, ähnlich wie er es damals bei ihm gemacht hatte, ohne irgendeine hilfreiche Information auszutauschen. Mit anderen Worten, Jungkook war genauso weit wie vorher.

Er hatte seine einzige Chance in den Sand gesetzt und das nur, weil er wegen irgendwelcher gekränkten Gefühlen zu stolz gewesen war, wirklich auf ihn zuzugehen und ihm einfach zu verzeihen.

Jungkook versank immer tiefer in seinen Gedanken, sodass er gar nicht mitbekam, wie er zusammen gerollt auf der Couch einfach einschlief.

Der nächste Morgen war unbarmherzig. Seine Knochen taten ihm weh von der unbequemen Schlafposition, die er eingenommen hatte und erholt fühlte er sich erst Recht nicht. Trotzdem brachte all sein jammern nichts, in wenigen Stunden würden seine Eltern auftauchen und bis dahin hatte er noch einiges zu erledigen.

Während er die Hotelbuchung versuchte so hübsch wie möglich zu verpacken und die letzten Vorbereitungen für das gemeinsame Essen zu treffen, verging die Zeit wie im Fluge.
Er war nur froh, dass er sich nicht hatte auch noch ums Essen kümmern müssen, da seine Eltern darauf bestanden hatten, welches mitzubringen.

Auf der letzten Sekunde wurde er fertig, als es auch schon an der Tür klingelte und er seine Eltern herein ließ.

Sie staunten nicht schlecht, als sie sahen, welche Mühe Jungkook sich gegeben hatte und waren überglücklich, als sie das Geschenk von ihrem Sohn bekamen. Noch nie hatten sie sich so sehr gefreut, wie dieses Jahr. Endlich hatte ihr Sohn anscheinend begriffen, was das Weihnachtsfest bedeutete, was Familie und was Liebe bedeutete. Er genoss es regelrecht, wie sehr sie ihn lobten, wenn er auch das beklemmende Gefühl des letzten Abends einfach nicht los werden konnte. In sich breitete sich der Gedanke aus, dass er es einfach nicht verdient hatte, solches Lob einzuheimsen, nachdem wie er mit Taehyung umgegangen war.

Das hatte nun wirklich nichts mit weihnachtlicher Nächstenliebe zu tun. So überhaupt gar nicht.

Sie saßen gerade bei einem Glas Wein zusammen auf der kleinen Couch und diskutierten darüber, wie Jungkook auf die Idee mit dem Hotel gekommen war, als sie von einem Klingeln unterbrochen wurden.

"Erwartest du noch jemanden?", fragte seine Mutter, die wie immer viel zu neugierig war, was ihren Sohn anging.
"Nein, eigentlich nicht."

Genervt schleppte er sich zur Tür, um nach zu sehen, wer der ungebetene Gast war.

Niemand.
Es hatte doch grade geklingelt, wieso stand dann niemand vor der Tür? Hatte sich jemand etwa einen Klingelstreich erlaubt? Aber an Weihnachten? Das wäre schon wirklich ziemlich dreist.
Jungkook war gerade im Begriff, die Tür meckernderweise wieder zuzuschlagen, als er im Augenwinkel etwas auf der Fußmatte liegen sah.

"Was zum...?"

Verwundert öffnete er die Tür wieder etwas, um sich nochmal im Hausflur umzublicken, doch wieder fand er keine Menschen Seele.
Sein Blick schweifte erneut zum Boden und tatsächlich lagen dort einige Briefe und ein kleines Geschenk. Alles war liebevoll einzelnd verpackt und mit einem roten Schleifenband zu einem Päckchen gebunden worden.

"Liebling, wer ist denn da?", schallte die Stimme seiner Mutter aus dem Wohnzimmer, die sich anscheinend schon fragte, wo er denn so lange blieb.
"Moment.", antwortete Jungkook, ehe er sich wieder dem Päckchen widmete, es reinholte und hinter sich die Tür schloss.

Noch im Flur packte ihn die Neugierde, sodass er die Schleife öffnete und das Geschenk vorerst zur Seite legen konnte. Die Briefe waren noch immer ordentlich auf einem Stapel aufgereiht und erst jetzt fiel ihm auf, dass dort Zahlen drauf vermerkt waren. Der oberste zierte ein '2013'.

Er spürte, wie sein Blut durch die Aufregung schneller durch seinen Körper gepumpt wurde, als er den ersten Brief öffnete.

Hallo Jungkook,

Ich bereue es nicht, es dir gesagt zu haben. Auch wenn ich vielleicht alles kaputt gemacht habe.

Ich bin mit meinem Eltern weggezogen, sie haben da oft von gesprochen, aber ich hatte eh nie vor, mit zu kommen. Naja. Jetzt ist es vielleicht besser, wenn ich doch einfach mit ihnen gehe.

Ich hab Angst dich wieder sehen, Angst, dass wir erneut versuchen könnten Freunde zu sein. Nicht, weil ich das nicht wollen würde, sondern weil ich weiß, dass es für mich kein Zurück mehr gibt.

Ich liebe dich Jungkook, ich hoffe wir finden eines Tages die Gelegenheit, dass wir uns nochmal sehen und aussprechen können.

Dein Taehyung , Sept. 2013

Jungkook war so überwältigt von dem Brief, dass er den Tränen einfach freien Lauf ließ. Es war kurz nachdem Taehyung verschwunden war, wie er am Datum feststellen konnte. Eilig, als hätte er keine Zeit zu verlieren, öffnete er den zweiten Brief des Stapels auf dem eine '2014' aufgeschrieben stand.
Auch in diesem Brief hatte Taehyung aufrichtige Worte seiner Gefühlswelt aufgeschrieben. Und wieder zog sich Jungkook viel zu schnell schlagendes Herz zusammen.

So öffnete er einen Brief nach dem Anderen, bis er endlich bei dem letzten angekommen war, der dir Aufschrift '2019' trug.

Hallo Jungkook,

Ich habe dich gestern wieder gesehen.
Endlich.
Nach all den Jahren.

Unser Gespräch ist nicht unbedingt so verlaufen, wie ich es mir erwünscht hätte, aber ich kann es verstehen.
Du hast die letzten Jahre anscheinend auch viel durchgemacht.

Trotzdem bin ich froh, dass wir uns wieder begegnet sind, auch wenn du es anscheinend anders siehst.

Du hast mir gestern gesagt, dass du dir etwas gewünscht hast. Solltest du immer noch wollen, dass er in Erfüllung geht, dass komm zu den alten Bahngleisen, wo wir früher so oft waren.

Ich werde da auf dich warten.
Und wenn du nicht kommst, weiß ich, dass ich dich endlich vergessen sollte.

Dein Taehyung.

Weinend ließ Jungkook sich zu Boden gleiten. Den Brief fest an seine Brust geklammert, versuchte er das geschriebene zu verarbeiten.
Taehyung hatte ihm wirklich all die Jahre geschrieben. Er hatte sie nur nie abgeschickt.

"Liebling, was ist denn jetzt!?", holte ihn seine Mutter wieder in die Realität. Sie schien nicht erfreut, dass ihr Sohn sie so lange alle in ließ, weshalb sie bereits auf dem Weg war, zur Türe zu gehen. Sie wollte gerade entsetzt fragen, warum Jungkook weinen würde, als dieser aufsprang mit nichts als den Worten: "Ich muss nochmal weg!"

"Was hat dieser Junge denn nun schon wieder?", fragte seine Mutter seufzend, während sie sich verwirrt umblickte.

Aber nur Jungkook wusste, dass es seine zweite letzte Chance war, diesem Jungen noch mal zu begegnen. Und diesmal wollte er sie nicht so leichtfertig wegwerfen.

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Entschuldigt, dass die Kapitel jetzt immer so spät online kommen :(
Ich schaffe es grade nicht früher. Einfach zu viel um die Ohren.

Btw das ist eine uralte idee von mir, die Ich mal eben relativ schnell runter geschrieben habe (wobei mir auffällt, dass für sonderlich einfach nicht die Zeit ist, wenn man jeden Tag ein OS hochladen will ^^' )
Ich hab sie nicht mehr Korrektur gelesen, solltet ihr unmengen an Fehler finden, tut es mir leid xD

Ich hoffe euchbhats gefallen :D

Ein paar Ideen hab ich noch, ich hoffe nur, dass ich bis zum 24. noch genügend hab ^-^'

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