Wieder landete ein zusammen geknülltes Papier, auf dem einige verschmierten Zeilen verfasst waren, bei den anderen vorangegangenen auf dem Boden des kleinen Zimmers.
"Ich schaff's einfach nicht! Das kann doch nicht so schwer sein!", schnaufte Jungkook frustriert über sich selbst und seinem mangelnden Talent in puncto songwriting.
Wieso fiel es ihm nur so unsagbar schwer seine Gedanken und Emotionen, die er so gerne auf Papier bringen wollte, in Worte zu fassen und nieder zu schreiben, ohne dass es klang, als habe das eine Achtjährige geschrieben? Immerhin schafften es die anderen auch. Namjoon, Hoseok und Yoongi bewiesen sogar sehr viel Talent beim songwriting, es schien manchmal so, als kämen die Worte einfach so von allein, ohne dass sie sich dabei groß anstrengen mussten, selbst wenn dem wahrscheinlich nicht so war.
Er saß bereits seit einigen Tagen, ja richtig gelesen, seit Tagen an diesen wenigen Zeilen, ohne dass er einmal annähernd zufrieden damit gewesen wäre, was wiederum dazu führte, dass das Meer aus verworfenen Blättern stetig Zuwachs bekam. Natürlich hätte er sich Hilfe von einem seiner Freunde holen können, doch zum einen ließ es sein Stolz nicht zu und zum anderen gab es da noch das Problem, dass er diese Zeilen vielleicht hätte erklären müssen und das wollte er um jeden Preis vermeiden.
Jungkook saß noch immer auf dem Gamingstuhl vor dem Schreibtisch, der eher einem Schlachtfeld aus Papier ähnelte, als er seine Augen schließlich laut seufzend schloss und den Kopf in den Nacken legte. Ein weiteres Mal ging er im Kopf die Zeilen durch, die er bislang hatte.
Du bist der Grund meiner Euphorie
Wenn ich bei dir bin, bin ich in Utopie
Ich bin so glücklich, dass ich nicht atmen kann
Lass meine Hand nie los
Es war plump und oberflächlich und drückte so gar nicht das aus, was er hatte ausdrücken wollen. Also beschloss er, dass es für heute keinen Sinn mehr machte daran weiter zu arbeiten und legte den Stift, den er noch immer krampfhaft in der Hand hielt, auf Seite und stand auf. Als er sich in seinem Zimmer umsah und das, sich auf dem Boden erstreckte Chaos erstmals richtig wahr nahm, wurde ihm schlagartig bewusst, dass er es ohne Hilfe wohl nicht schaffen würde.
Er überlegte noch eine Zeit lang, wie er seinen Freund bitten sollte ihm zu helfen ohne etwas über die Thematik der Lyrics zu verraten. Nachdenklich trottete er aus seinem Zimmer und den langen Flur entlang, der die sieben Zimmer miteinander verband, als er im Flur von jemandem aufgehalten wurde. "Kookie! Ich wollte grade zu dir. Hast du Zeit grade?"
Taehyung hatte sein liebstes Lächeln aufgesetzt, als er den Jüngeren erwartungsvoll ansah. Wie gerne hätte er jetzt einfach die Einladung angenommen, doch er hatte sich etwas vorgenommen und wusste, wenn er es jetzt nicht durchziehen würde, dann würde er am nächsten Tag doch wieder kneifen und nicht zu Namjoon gehen. Die Tatsache, dass Taehyung sich bereits in seine gemütlichen Oversized Klamotten geworfen hatte und seine blondierten Haare etwas zerzaust ab standen machte es zu seinem Bedauern nur nicht unbedingt einfacher für Jungkook. "Tut mir Leid, ich glaube heute eher nicht.", überwand der Jüngere sich schließlich und ließ einen schmollenden Taehyung zurück. Jungkook war schnell verschwunden, nachdem er ihm noch einen schönen Abend gewünscht hatte, da er wusste, dass er doch wieder schwach werden würde, wenn Taehyung ihn schmollend anblickte, dafür war er dem jungen Mann viel zu sehr verfallen.
Mit schnellen Schritten und einem noch schnelleren Puls kam der Maknae schließlich an Namjoons Zimmer an und trat ein, nachdem er angeklopft hatte. Eher zögerlich fragte er, ob er kurz Zeit für ihn hatte. Wie erwartet wand sich der Leader Jungkook sofort zu und erkundigte sich, wobei er ihm helfen könnte. So war Namjoon nun mal, Jungkook wusste, dass auf den Älteren immer Verlass war und jederzeit bereit, den Anderen aus der Gruppe zu helfen.
"Du schreibst so oft Songtexte. Wie schaffst du das? Ich meine, das auszudrücken, was du fühlst?", traute er sich schließlich seinen Hyung zu fragen, während er vor ihm stand, als wäre er ein kleines Kind, das gerade vor seinem Vater stand, um ihm zu beichten, was es ausgefressen hatte. "Schreibst du grade etwa an einem?", hackte er nach, während er dem Jüngeren anwies, sich doch zu setzen. Seufzend nahm Jungkook auf dem Bett platz und blickte zu Boden.
"Ja, aber eigentlich nur für mich."
Namjoon schien sofort zu verstehen, was das Problem seines Freundes war, denn er rollte mit dem Schreibtischstuhl, auf dem er saß zu ihm ans Bett und sah ihn verständnisvoll an. Er holte nochmal tief Luft, bis er erklärte, worauf es beim songwriting ankam.
"Es kommt immer drauf an, um was für ein Text es sich handelt. Wenn du zum Beispiel ein gesellschaftskritisches Thema hast, brauchst du einen guten Aufbau und Themenpunkte, an denen du dich orientierst. Wenn es aber ein Text ist, der auf einer Gefühlslage beruht, darfst du nicht so viel denken. Du musst dich voll und ganz auf das Gefühl einlassen und den Kopf ausschalten. Wenn du dich von dem Gefühl leiten lässt, kommen die Worte ganz automatisch, du musst ihnen nur die Chance geben einfach zu fließen."
Kurzzeitig herrschte Stille in dem kleinen, stilvoll eingerichteten Zimmer des Leaders, während der Jüngste die Worte sacken ließ. Bevor er darauf etwas antworten konnte, fügte Namjoon noch etwas hinzu, um dem Braunhaarigen etwas Mut zu machen: "Weißt du, ich habe mich am Anfang auch sehr schwer getan damit. Ich hab an meinen ersten Lyrics auch ewig gesessen. Du wirst das schon hinkriegen, gib dir einfach die Zeit, die du brauchst und zwing dich nicht dazu."
Die sanften Worte des Älteren sorgten dafür, dass sich Jungkook tatsächlich besser fühlte. Er hatte ihm wirklich geholfen, ohne wirklich nachzufragen, um was für einen Text es sich handelte oder an wen er gerichtet war. Er schien einfach immer genau zu wissen, was grade angebracht war und was nicht.
"Danke Hyung. Ich glaube, dass hat mir jetzt wirklich geholfen.", lächelte der Maknae, ehe er aufstand und Namjoon zum Abschied nochmal freundschaftlich drückte und sich dankend von ihm verabschiedete. Doch bevor er das Zimmer wieder verlassen konnte, hielt Namjoon ihn auf. "Jungkook? Wirst du mir den Text zeigen, wenn du ihn fertig hast?" Die Art und Weise wie er fragte, ließ Jungkook ein weiteres Mal staunen. Sicherlich würde er sich freuen, wenn er es sehen dürfte, und dennoch lag keinerlei Zwang in seiner Frage, kein versteckter Appell an ihn.
"Ich weiß es noch nicht. Vielleicht."
Namjoon nahm es so hin und wünschte dem Jüngeren noch eine Gute Nacht, bevor dieser wieder in sein eigenes Zimmer zurückkehrte. Er ignorierte gekonnt das Blättermeer, dass sich auf seinem Boden erstreckte, immerhin konnte er das auch morgen noch wegräumen, als er sich auf das Doppelbett warf und die Worte nochmal Stück für Stück durchging. Er sollte sich völlig auf seine Gefühle einlassen?
Das war nur leider einfacher gesagt als getan, denn schließlich versuchte er, diese Gefühle zu verdrängen, das war ja auch der Grund, weswegen er den Text überhaupt erst schreiben wollte. Er hatte schon immer das Gefühl, wenn er über etwas schrieb, fiel es ihm leichter über etwas hinweg zu kommen. Und das war in seiner Situation sicherlich angebracht. Wie konnte er auch nur so starke Gefühle für seinen eigentlich besten Freund entwickeln? Und wann hatte das eigentlich angefangen?
Jungkook bekam gar nicht mit, wie seine Gedanken sich verselbstständigten und sein Gedächtnis, ohne das er es steuern konnte, ein Bild dieses perfekten Gesichtes hervorholte. Es war beinahe unheimlich, wie makellos dieses Gesicht war, wie ausdrucksstark seine großen, dunklen Augen waren, in der er sich immer häufiger verlor, wie perfekt seine sinnlichen Lippen geformt waren und wie mitreißend dieses ganz besondere Lächeln war, das nur er so präsentieren konnte und mit dem er ihm bis jetzt jedes Mal hatte anstecken können. Er erinnerte sich daran, als er ihm das erste Mal begegnet war. Er hatte eine so ausdrucksstarke Aura, dass er ihn sofort in den Bann gezogen hatte. Er war schon immer völlig fasziniert von ihm gewesen und ertappte sich immer häufiger selbst dabei, wie er ihn manchmal während des Essens oder bei Interviews einfach anstarrte und es, wenn überhaupt, erst im Nachhinein bemerkte.
Es war ihm schon bei ihrer ersten Begegnung aufgefallen, dass Taehyung etwas an sich hatte, eine besonders hell scheinende Aura, die sogar den verunsicherten, selbstkritischen Jungkook von damals dazu brachte, seine aus Angst errichteten Schutzmauern aufzugeben und sich von dem Leuchten anstecken und wärmen zu lassen.
Plötzlich schreckte Jungkook hoch, hechtete zum Tisch, suchte eilig seinen Stift und schnappte sich das erstbeste Blatt, was er grade zu greifen bekam.
Du bist die Sonne die wieder in meinem Leben aufgegangen ist
Jungkook schrieb die erste Zeile nieder und blickte sie zufrieden an. Das war genau das, was er versuchte auszusagen. Er war die Sonne gewesen, die so hell leuchtete, dass sein Licht sogar ihn erreichte und aus seinem dunklen Gemäuer, das er damals zum Schutz vor dem Unbekannten errichtet hatte, schaffte raus zu holen. Ohne groß weiter darüber nachzudenken ließ er den Stift erneut über das Papier gleiten, sodass innerhalb kürzester Zeit eine neue Zeile nach der anderen entstand, die zwar noch überarbeitet werden mussten, ihm aber generell sehr gut gefielen.
Träume ich noch?
Da ist eine Oase in meiner Wüste
Eine Priorität in mir
Ich bin so glücklich, dass ich vergesse zu atmen
Meine Umgebung verblasst immer mehr
Ich höre den Ozean
Durch den Traum, vorbei an den Wäldern
Gehe ich zu dem Ort
er wird immer klarer
Nimm meine Hände jetzt
Du bist der Grund meiner Euphorie
Zufrieden lehnte er sich zurück und genoss das erleichterte Gefühl, dass sich gerade in ihm ausbreitete. Namjoon schien einmal mehr Recht gehabt zu haben, dass es nichts brachte, sich auf das Schreiben zu versteifen, sondern den Text erfühlen musste.
In den folgenden Tagen arbeitete Jungkook immer wieder an dem Text, bastelte einige Zeilen um, fügte neue hinzu oder veränderte sie geringfügig. Schließlich war er vollständig zufrieden mit dem Ergebnis und konnte sich erleichtert zurück lehnen. Durch das schreiben hatte er sich intensiver mit seinen Gefühlen auseinander setzen müssen und wie er gehofft hatte, war er sich selbst somit etwas mehr auf die Schliche gekommen. Er war jetzt zumindest schon mal an dem Punkt angelangt, dass er sich bewusst war, wie sein Hyung solche Gefühle in ihm auslösen konnte und wann das alles begonnen hatte.
Die Hoffnung, dass er dadurch die Gefühle verarbeiten und verdrängen könnte, hatte er jedoch schnell wieder verworfen, als er feststellen musste, welch großen Platz sie in seiner Gefühlswelt einnahmen. Jetzt musste er sich nur noch entscheiden, was er als nächstes tun wollte. Er konnte diese intensiven Gefühle nicht länger einfach für sich behalten, jetzt wo er sie endlich geschafft hatte in Worte zu fassen und erkannte, wie wichtig sie ihm geworden waren.
Jungkook schnappte sich die fertigen Lyrics und ging ein weiteres Mal entschlossen zu seinem verständnisvollen Hyung, um ihm zu präsentieren, was er die letzten Tage nieder geschrieben hatte. "Namjoon? Hast du nochmal kurz Zeit für mich?", fragte der junge Mann an seinen Freund gewandt. Dieser bat ihn wieder einmal freundlich herein und hörte sich an, was er zu sagen hatte, bis er schließlich einen DinA4 Zettel in die Hand gedrückt bekam und de Zeilen überflog, die darauf geschrieben waren.
Ein sanftes Lächeln schlich sich auf die Gesichtzüge des Leaders, ehe er Jungkook direkt in die Augen blickte. Sofort hatte der Jüngere ein schlechtes Gefühl, denn so selbstsicher wie Namjoon ihn just in diesem Moment anblickte, wusste oder ahnte er etwas, von dem Jungkook nicht wollte, dass es so war.
"Jungkook. Ich hab da schon eine Vermutung für wen die Lyrics geschrieben sind.", platze er mit der Wahrheit heraus und ließ den jungen Mann kurz zusammen schrecken. Wie er befürchtet hatte, bewies der Rapper tatsächlich einen gut ausgeprägten sechsten Sinn. "Es ist Taehyung, hab ich Recht?", ergänzte er, nachdem er von seinem Gegenüber, der noch immer in einer Starre fest zu hängen schien, keine Antwort erhalten hatte.
"W...wie kommst du darauf, dass es Taehyung ist?", schaffte es Jungkook schließlich über seine Lippen zu bringen, selbst wenn er das Gefühl hatte, seine Kehle sei urplötzlich ausgetrocknet gewesen und würde keinen einzigen Laut mehr von sich geben können. "Du solltest es ihm sagen, Jungkook. Vetrau mir.", grinste Namjoon, während er aufstand, zu dem Jüngeren rüber ging und sich augenscheinlich über etwas freute, was überhaupt nicht vorhanden war.
"Wie kannst du dir da so sicher sein!?", platze es panisch aus dem Maknae heraus, als er langsam aber sicher aus dem Zimmer seines Hyungs geschoben wurde. Erstaunlicherweise blieb der Ältere auch jetzt noch immer cool und lächelte, als er sich erklärte. "Taehyung hat mir heute zufälligerweise auch etwas zukommen lassen. Geh zu ihm und red mit ihm."
Kurz bevor Jungkook vollständig aus dem Zimmer rausgeschmissen wurde, bekam er noch zwei Blätter in die Hand gedrückt. Das eine kannte er, es waren die Lyrics, die er Namjoon gerade gegeben hatte, doch das andere Blatt war ihm fremd. Er versuchte, gegen das aufkommende Verlangen es zu Lesen zu kämpfen, doch schnell musste er sich die Niederlage eingestehen und las die von Hand geschriebenen Zeilen.
Dann las er sie ein zweites und drittes Mal. Wieder und wieder überflog er die Worte, die den seinen gar nicht so unähnlich waren. Sein Herz hatte mittlerweile angefangen schneller zu schlagen, als es ihm lieb war und er fragte sich für einen kurzen Moment, wie lange ein Mensch mit einem solchem Herzschlag wohl überlebte, ohne einen Herzinfarkt zu erleiden.
Doch lange konnte er nicht mehr im Flur stehen und grübeln, denn eine Hand, die sich freundschaftlich auf seine Schulter legte, holte ihn schlagartig in die Realität zurück. "Was hast du da?", fragte der blonde, junge Mann, der sich zu Jungkook gesellt hatte nach und versuchte über seine Schulter hinweg auf das Papier zu sehen, das Jungkook so lange angestarrt hatte.
"Taehyung!", kam es in einem erschrockenen, zugegeben, eher unmännlichen Ton über Jungkooks Lippen, als Taehyungs Augen sich weiteten. Anscheinend hatte er den Zettel endlich erkannt und sah nun mehr als verwundert zu dem Jüngeren vor sich.
"Woher hast du den?", hakte er unsinnigerweise nach, denn woher hätte Jungkook den schon haben sollen, außer von ihrem Leader? Jungkook wusste darauf nicht wirklich etwas zu sagen, daher nahm er nun das zweite Blatt, dass unter dem ersten gut versteckt gewesen war, und drückte es Taehyung in die Hand, der umgehend anfing den Text zu lesen. Jungkook sah, wie sich seine Augen immer mehr weiteten, je weiter er gelesen hatte und die Zeilen ohne weitere Bemerkungen zu verstehen schien.
"Taehyung. Ich glaube wir beiden sollten mal miteinander reden."
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