01 - DNA

Es war jedes Jahr aufs Neue faszinierend, wie ein paar weiße Schneeflocken selbst eine so große, belebte Stadt wie Seoul, die scheinbar niemals schlief, etwas ruhiges verlieh, als wäre ein weißer Schleier aus Ruhe und Besinnlichkeit über sie gelegt worden. Es hatte gestern angefangen zu schneien, auch wenn es generell nicht ungewöhnlich für diese Jahreszeit war, wunderte ich mich wie früh dieses Jahr der erste Schnee fiel.

Ich blickte in die Ferne, ohne einen genauen Punkt an zu visieren und beobachtete, wie die Schneeflocken wild durcheinander wirbelten, als würden sie gemeinsam einen Tanz in der kalten Luft durchführen, um sich anschließend auf allem nieder zu lassen, was ihren Weg kreuzte. Eigentlich war es nur Wasser, dass seinen Aggregatzustand aufgrund der Kälte verändert hatte, doch für mich hatte Schnee schon immer eine besondere Wirkung, die ich kaum in Worte fassen konnte.

Ich war ein Winterkind, immer schon gewesen und höchst wahrscheinlich würde es sich niemals ändern, dass ich zu dieser Jahreszeit sentimentaler und melancholisch wurde.

Es ging mit großen Schritten auf Weihnachten zu, was für uns bedeutete, dass wir mehr Interviews, unsere alljährlichen Winterspecials sowie Showauftritte hatten, als das restliche Jahr über. Die ersten Vorbereitungen liefen bereits seit Wochen und nun war es soweit, dass wir täglich von einem Termin zum anderen fuhren, doch mich störte das nicht. Solange ich meine Freunde, die mittlerweile eher als Familie bezeichnete, um mich hatte war auch das etwas schönes.

Ich konnte ein grinsen nicht verbergen, als mir das heute morgen durchgeführte Interview durch den Kopf ging. Wir drehten ein Interview, das jedoch erst gegen Ende des Jahres veröffentlicht werden sollte. Es waren die üblichen Fragen gewesen, was wir uns für das nächste Jahr wünschten oder vornahmen und natürlich ein kleiner Jahresrückblick. Wir erzählten davon, was wir das Jahr über geschafft hatten, wie stolz wir waren, dass uns die ARMY so sehr unterstützte. Jungkook und ich waren uns sehr ähnlich, wie auch ich hatte er damit zu kämpfen, dass diese Jahreszeit ihn überwältigte und er sentimentaler war, als sonst. Er hatte wieder dieses Funkeln in den Augen, als er sich im Interview dafür bedankte, wie viel Liebe die ARMY uns schenkte, wie glücklich er war, Sänger geworden zu sein und dass sein Traum bereits in Erfüllung gegangen war. Ich kannte Jungkook schon viele Jahre und wusste, dass er wirklich unglaublich glücklich darüber war, daher war es für mich nicht außergewöhnlich, als ich erkannte wie sich kleine Freudentränen in seine Augen schlichen. Doch als er gefragt wurde, ob er für das kommende Jahr noch einen Traum oder Wunsch hätte, sah er für einen Sekundenbruchteil etwas hilflos zu mir, ehe er seinen Blick verlegen zu Boden richtete und nur zögerlich nickte.

Und an diesem Blick hingen meine Gedanken fest. Immer wieder sah ich vor meinem geistigen Auge den leichten Rotschimmer, der sich auf seine Wangen gelegt hatte und wie verlegen er seinen Blick zu Boden richtete, nachdem er mich kurz angesehen hatte. Natürlich fragte ich mich, was sein Wunsch war, doch so gut ich ihn auch kannte, in diesem Punkt war er bis heute undurchschaubar für mich.

Ich holte tief Luft, genoss eine Zeit lang das Gefühl, wie sich die kalte, frische Winterluft meine Lungen durchströmte. Es dämmerte bereits, daher machte ich mich von meinem kleinen Winterspaziergang im anliegenden Park langsam auf den Rückweg in unsere Wohngemeinschaft.

Ich hing noch einen Moment meinen Gedanken nach, als ich eine mir bekannte Stimme hörte.

"Taetae."

Als ich mich umdrehte, sah ich einen frierenden jungen Mann im Wintermantel, einen dicken, übergroßen Schal verdeckte sein Kinn und passte farblich zu der Mütze, die ihm ins Gesicht hing. Seine Hände hatte er gut in seinem Mantel versteckt, während er von einem Fuß auf den Anderen tippte, um der Kälte etwas Einhalt zu gebieten.

"Jungkookie? Was machst du hier?", hakte ich nach, während ich weiter auf ihn zu ging und ihn in meine Arme zog, als ich nah genug bei ihm stand. Er schien darüber froh, denn sofort erwiderte er die Umarmung und versteckte sein Gesicht, das von der Kälte völlig durchgefroren war, in meiner Brust, die ebenfalls von einem Schal bedeckt war.

"Ich wollte zu dir." Seine Stimme war zittrig, doch auch das kannte ich bereits von ihm, immerhin war er derjenige von uns, der die kalte Jahreszeit nicht unbedingt gut vertrug. "Aber woher wusstest du...?", begann ich meine Nachfrage, unterbrach jedoch, als ich sah, wie der Braunhaarige sich wieder etwas von mir löste und sich kichernd die Hand vor den Mund hielt. "Du bist doch jedes Jahr hier, wenn der erste Schnee gefallen ist."

Wo er Recht hatte, hatte er Recht. Dass er wusste, dass ich jedes Jahr den selben Weg entlang ging, war mir allerdings nicht bewusst gewesen.

Ich legte meine Hand um seine Schulter und zog ihn wieder zu mir. "Und gibt es auch einen Grund, warum du zu mir wolltest?", fragte ich nach, doch Jungkook sah mich erstmal nur verwundert an. "Brauche ich dafür einen Grund, Taetae?"

Nun war es an mir verlegen auf den Boden zu sehen. Natürlich brauchte er keinen Grund. Ich freute mich über jede Sekunde, die ich mit ihm verbringen konnte, er wusste wahrscheinlich gar nicht, wie sehr. "Nein. Natürlich nicht.", gab ich schließlich zu und erntete dafür ein breites Grinsen von dem Maknae. Seine braunen Augen zogen mich, wie so oft in seinen Bann, ich kam nicht dagegen an, ihn einfach anzusehen und mich über die Tiefe seiner Rehaugen zu wundern. Da fiel mir wieder das Interview ein mit dem an mich gerichteten Blick, den ich noch immer nicht deuten konnte.

"Du, Jungkookie? Wieso hast du vorhin beim Interview eigentlich so fragend zu mir geguckt?"

Mein Gegenüber schien nicht sofort zu verstehen, welchen Blick ich meinte, daher erklärte ich ihm, was ich meinte. Und da war sie wieder. Diese verlegende Röte, die mich heute den ganzen Tag über beschäftigte.

"Kookie?"

"Ich... Taehyung. Ich wollte dir noch was sagen. Aber... ich weiß nicht wie.", stammelte mein bester Freund, während er nervös mit seinen Finger spielte, die er extra dafür wieder aus seinem Mantel hervor geholt hatte. Ich fragte mich zunehmend, was ihn so sehr beschäftigte, weswegen ich seine Hände in meine nahm, ihn liebevoll anlächelte und versuchte, ihm somit die nötige Stärke zu geben. "Du weißt, dass du mir alles sagen kannst. Du musst nicht nach den richtigen Worten suchen. Ich kenne dich, Kookie. Bei mir darfst du alles sagen, so wie du es willst."

Jungkook nickte, schien noch eine Weile über die Worte nachzudenken. Ich war mir nicht sicher, ob er nun mit mir darüber sprechen wollte oder nicht, doch langsam wurde es selbst mir zu kalt. Ich war nun schon einige Zeit draußen, es war noch immer am schneien und das wir grade nur standen, sorgte nicht unbedingt dafür, dass mir wärmer wurde. Zudem hatte ich sowieso vorgehabt, langsam nach Hause zu gehen.

"Na komm, es wird langsam echt zu kalt. Wir können drin weiter reden."

Ich war bereits im Begriff mich wieder in Bewegung zu setzen, als ich ein leises "Warte." von Jungkook hörte. Er hatte blitzschnell nach dem Ärmel meines Mantels gegriffen und mich daran wieder zu ihm gezogen. Das nächste, was ich spürte, waren seine weichen, warmen Lippen auf meinen und das angenehm warme Gefühl, dass sich in meinem Körper ausbreitete.

Es waren nur wenige Sekunden und doch stand ich völlig regungslos und überfordert vor ihm und fragte mich, wieso er das getan hatte und wie ich nun reagieren sollte. Es war nicht so, dass ich was dagegen gehabt hätte. Im Gegenteil, wie oft hatte ich mir vorgestellt, genau das zu tun.

"Die Wahrheit ist... ich kann dich nicht mehr nur als Freund sehen, Taehyung."

Ich schluckte, stand weiterhin regungslos vor ihm und sah ihn fragend an. So viele Gedanken gingen mir durch den Kopf, doch mein Körper schien über den plötzlichen Kuss noch nicht hinweg zu sein.

"Weißt du. Als mich der Typ gefragt hat, ob ich noch einen Wunsch habe. Da musste ich wieder an dich denken. Ich... ich weiß, dass ich dich damit jetzt wahrscheinlich total überrumpel. Aber ich kann es dir einfach nicht weiter verschweigen. Ich liebe dich Taehyung."

Jungkook konnte mich nicht ansehen, während er die Worte nur zögerlich über seine Lippen brachte. Wie lange hatte ich mir schon gewünscht, dass einmal von ihm zu hören? Wie lange sehnte ich mich schon nach meinem besten Freund, der schon lange tiefere Gefühle in mir auslöste, als es ein Freund tun sollte. Anstatt mich ihm zu offenbaren und seine Liebe zu erwiedern, stand ich jedoch nur da und fragte mich, woher so plötzlich seine Erkenntnis kam.

"Woher... so plötzlich?"

"So plötzlich ist es gar nicht. Es... wie soll ich das sagen? Ich hab das Gefühl schon immer. Ich war mir nur nie sicher, ob ich den Mut habe dir das zu sagen. Ich... ich habe schon bei unserer ersten Begegnung gedacht, dass es Bestimmung ist, dass wir uns kennen gelernt haben. Es ist, als würde sich mein ganzer Körper nach dir sehnen. Als wäre etwas in meiner DNA, das nach dir ruft. Ich glaube, dass ist die Liebe, von der man immer hört, von der jeder immer spricht."

Seine Worte drangen nur langsam zu mir, brauchten lange, um wirklich verstanden zu werden. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Ich wollte nichts sagen. Ich wollte einfach nur wieder dieses unbeschreibliche Gefühl spüren, das durch meinen Körper strömte, wenn wir uns nah waren. Jungkook hatte Recht. Auch ich hatte immer schon das Gefühl gehabt, dass unsere Begegnung Bestimmung gewesen war. Das wir beide füreinander geschaffen waren.

Ohne etwas auf seine Worte zu antworten, zog ich den Jüngeren wieder zu mir, legte behutsam meine Hände an seine Wangen und erfüllte mir den Wunsch nach einem weiteren Kuss. Erst als ich mich wieder von ihm löste, sah ich den Braunhaarigen wieder an. Ich hatte das Gefühl, dass mein Lächeln unnatürlich breit war, was mich nicht störte, da es nur so annähernd zeigte, wie glücklich ich gerade über diese Wendung war.

"Jungkook, es geht mir ganz genauso. Ich liebe dich auch. Ich habe dich immer schon geliebt.", kam es endlich über meine Lippen und sorgte dafür, dass Jungkooks zweifelnder Blick einem breiten Lachen wich. Wieder zogen wir uns in einen weiteren Kuss, während die Schneeflocken unermüdlich um uns herum weiter tanzen und sich auf uns nieder ließen.

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Ich wünsche euch allen einen schönen 1. Advent <3

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