𝐾𝑎𝑝𝑖𝑡𝑒𝑙: 𝟓

𝐾𝑎𝑝𝑖𝑡𝑒𝑙: 𝟓

𝔦𝔫𝔫𝔢𝔯𝔥𝔞𝔩𝔟 𝔡𝔢𝔯 𝔉𝔢𝔰𝔱𝔲𝔫𝔤𝔢𝔫 𝔳𝔬𝔫 𝔞𝔰𝔨𝔞𝔟𝔞𝔫

Sirius Black war sich sicher. In der vergangenen Nacht hatte er dem kalten Grauen direkt in die Augen geblickt. Beinahe hämisch war es über ihn gekommen und hatte alles in ihm so starr werden lassen, dass er das Gefühl nicht los wurde, er wäre in sich selbst gefangen. Zusammengesunken saß er in seiner Zelle. Direkt in der neben ihm hatte ein Dementor in der vergangenen Nacht seine Kapuze gelüftet... Und während Sirius von Schmerzen und Ängsten geplagt worden war, sich erneut seiner eigenen Schmach an Tränen geschämt hatte, waren die Schreie in der Zelle neben seiner leiser und leiser geworden, bis er nur noch das rasselnde, gierige Atmen der gefürchteten Kreatur gehört hatte... Einen Moment, Schreck war durch seine Glieder gefahren und hatte ihn den Kopf hochreißen lassen, hatte die knochige, schleimige Hand des Dementors auch die Gitter seiner eigenen Zellentür umfasst - doch er war, seine Kapuze wieder tragend, anschließend ohne einen Laut den Korridorr hinab geglitten und Sirius hatte sich zusammengekauert und wieder zu weinen begonnen. Schluchzer hatten seinen ganzen Körper geschüttelt und er verfluchte jeden Tag, an welchem er dieses Gefängnis in den Mund genommen hatte... Er verfluchte all die Eltern, die ihren Kindern abend um abend schaurige Geschichten über das Zauberergefängnis erzählten... Sei brav, sonst kommst du nach Askaban...

Ein kalter Schauder kroch seinen verschwitzten Rücken hinab. Niemand dort draußen hatte eine Vorstellung davon, wie es hier in Askaban wirklich war. Und niemand der jemals nochmal hier raus kam, würde es jemals wieder vergessen können... Der Animagus hob den Kopf, als sich in der Zelle ihm gegenüber etwas regte. Durch sperrliches Licht konnte er den alten Zauberer sehen, der nun seine Gitterstäbe umfasste und seine Augen zusammenkniff, um in der Zelle neben Sirius' etwas erkennen zu können. ,,Armer Kerl", meinte er rau. ,,Er hat lange durchgehalten. Hoffentlich bringen Sie ihn bald weg..." Sirius schluckte schwer. Er konnte Galle seinen Rachen empor steigen spüren. Man sagte sich, es sei schlimmer als der Tod selbst. Der Kuss eines Dementoren raubte einem jegliche Persönlichkeit, jede Erinnerung... Jedes Gefühl. ,,Sie werden ihn dadrin verrecken lassen", brachte er heiser hervor, seine Knie umklammert. Seine Stimme bebte. Der alte Zauberer sah zu ihm. Sein langer, ergrauter Bart reichte bis auf den schmutzigen Boden seiner Zelle. ,,Werden sie", pflichtete er ihm bei und ließ sich mit einem ächzenden Laut zurück auf den Felsboden sinken, der die eisige Kälte beherbergte und sie in ihre müden Knochen kriechen ließ. 

Man erzählte sich, den Kuss eines Dementors mitanzusehen, konnte einen für wahr um den Verstand bringen. Doch ihn auch nur mitanhören zu müssen hatte Sirius jede Kraft geraubt. Hatte seine Hoffnung im Keim erstickt, hatte ihn die Hände über dem Kopf zusammenschlagen - und seinen Verlobungsring, den er schon bald an den Hauselfen aushändigen würde müssen, immer und immer wieder zwischen seinen zitternden Fingern drehen lassen. Doch in dieser Nacht war es ihm nicht gelungen, daran festzuhalten... Er hatte verzweifelt versucht an sie zu denken, an ihre rehbraunen Augen, ihr wallend rotbraunes Haar, das in der Sommersonne beinahe in Flammen stand. Doch er hatte sie nicht sehen können... Die kalte, beklemmende Präsenz des Dementoren hatte es nicht zugelassen. Nur eine dünne Felswand hatte ihn vor den schrecklichen Geschehnissen gleich nebenan getrennt - Sirius wagte es nicht, das Stück Brot anzurühren, das ihm von einem der zerlumpten, gebückt umher schleichenden Elfen durch eine verriegelte Klappe geschoben wurde. Scheppernd fiel sie wieder zu und knirschend drehte sich der Schlüssel der Klappe wieder im Schloss. 

,,Wenn du es nicht frisst, wird es das Ungeziefer aus dem Schatten tun", zischte der Elf, musterte den zusammengesunkenen Animagus, ehe er mit schlurfenden Schritten weiterging. Sirius sah den alten Zauberer gegenüber an. ,,Hast du es mitangesehen?", fragte er ihn. Er saß da und aß. Hungrig riss er an dem Stück Brot, das viel zu schnell begann, kleiner zu werden. ,,Bei Merlin, bist du des Wahnsinns? Ich habe nicht vor, hier in Askaban zu krepieren. Ich werde den Tod erst über die Schwelle lassen, wenn ich die Sonne wieder auf meiner Haut spüren kann", gab er zurück. ,,Und der Wahnsinn, der wird mir gar nicht erst kommen brauchen. Meine Türen bleiben verschlossen - und das sollten Deine auch. Iss - oder stirb." Damit wandte der Zauberer sich von ihm ab und mit leerem Blick starrte Sirius das trockene Brot in der schwarzen Blechschale an, ehe er für einen Augenblick, nur einen Kurzen, die brennenden, trockenen Augen schloss. 

,,Finger weg vom Dessert, Tatze!", tadelte sie ihn kichernd, ihre braunen Augen bemühten sich vergeblich, ihn streng anzusehen und sie nahm die Schüssel vom Tisch, deren Deckel er gerade langsam angehoben hatte. Er grinste. ,,Ich wollte doch nur mal gucken...", warf er scheinheilig ein und kopfschüttelnd schob die Rothaarige den Nachtisch in den Kühlschrank. ,,Du bist genauso unmöglich wie James", schimpfte sie mit ihm. ,,Immer muss er auf dich abfärben!" Sirius lachte heiser und schob sich hinter sie, als sie einen prüfenden Blick in den Ofen warf. Es roch nach dem Braten, an dem sie stundenlang gearbeitet hatte... Es war das erste Weihnachten, das sie nicht in Godrics Hollow, sondern in der Wohnung, in welcher Sirius schon in seiner Jugend gelebt hatte - kurz nachdem er geerbt und entschieden hatte, den Potters nicht mehr länger zur Last fallen zu wollen - feiern würden. Lily und James hatten sich schleppend dazu überreden lassen... Und auch Remus wollte über die Weihnachtsfeiertage vorbeischneien. Sanft legte er den Arm um die Schönheit vor sich, seine Hand strich ihr das Haar aus dem Nacken und sie seufzte, als seine Lippen ihre süße Haut berührten. ,,Oh Sirius...", hauchte sie leise, schloss einen Moment die Augen. ,,In Wahrheit färbe ich auf James ab, du weißt es genau...", raunte er heiser und sie erschauderte kichernd. ,,Du bist unmöglich, weißt du das?" Sie drehte sich in seinen Armen, sah ihn an. Und in ihrem Blick fand er alles, was er sich immer gewünscht hatte... ,,Und du das Dessert, von dem ich einfach nicht die Finger lassen kann", gab er frech zurück und ihr darauffolgendes Lachen war wie Musik in seinen Ohren. Keck schmunzelnd legte sie ihre Arme um seinen Hals, ihre Fingerspitzen strichen liebkosend durch seinen Nacken, ließen ihn leise brummeln. ,,Na schön... Vielleichst darfst du doch mal kurz gucken...", hauchte sie - und das, bei Merlin, ließ er sich nicht zweimal sagen.

,,Du solltest aufhören, deinen Träumen nachzuhängen!", riss ihn eine heisere Stimme aus der Erinnerung, die wenigstens einen kleinen Augenblick für Wärme in seinem Inneren gesorgt hatte. Sirius öffnete die Augen und blinzelte. ,,Wie sonst soll ich verhindern, wahnsinnig zu werden?", gab er gebrochen zurück und der Zauberer ihm gegenüber, dessen Blick der eigenen Zellenwand galt, schüttelte den Kopf. Sirius konnte im Halbdunkel die vielen Striche sehen, die er in die Wand geritzt hatte. Viele, viele Einkerbungen... Und er wollte gar nicht  darüber nachdenken, wie lange sein Gegenüber hier wohl schon gefangen war. Wann hatte dieser Mann zuletzt die Sonne gesehen? War ihm überhaupt bewusst, wie die Welt sich draußen weiter gedreht, verändert hatte? Wie alles gewachsen war...? Einen Moment durchfuhr es den Animagus eiskalt. Seine Welt wuchs auch weiter... Und er war nicht da, um ihr dabei zuzusehen. ,,Indem du anfängst dich mit der Realität zu befassen..." Unheillvoll sah der Zauberer wieder zu ihm. ,,Bevor du eines morgens aufwachst und nicht mehr zwischen Traum und Realität unterscheiden kannst... Die Illusionen, die du versuchst aufzubauen, werden zerbrechen. Genauso wie deine Seele, wenn die Dementoren dir all das Nacht um Nacht wieder nehmen und du anfangen wirst, dich selbst in deinem Verstand einzuschließen. Dann, mein Freund, wird nichts mehr länger echt sein." 

Sirius starrte ihn an und schwieg. Dann robbte er auf allen vieren auf dem harten, kalten Boden voran und zog die Blechschale schlitternd zu sich. Er musste durchhalten. Für alles, was ihm etwas bedeutete. Für den Widerstand, für seine wunderschöne Frau, die auf ihn wartete... Für Remus, der einzige Freund und Bruder, der ihm noch geblieben war. Er biss in den harten Kanten und sein Magen begann zu knurren wie ein ausgehungertes Tier... Er hatte großen Hunger. Hunger, der ihm durch seinen versteiften und verschleierten Verstand nicht einmal aufgefallen war. Und obwohl er ihn nun schnaufend stillte, fühlte er sich furchtbar. Denn neben an saß ein junger Mann, der kein Mensch mehr war. Er hörte die ruhigen, flachen Atemzüge einer leeren Hülle direkt neben seinen Eigenen. Soweit durfte er es nicht kommen lassen... Seine Zellenwand sollte nicht so viele seiner Einkerbungen tragen, wie die des alten Mannes in dem Rattenloch direkt gegenüber. 



Die Müdigkeit hatte seinen Körper befallen und egal wie verzweifelt Sirius sich hatte wehren wollen, der Schlafentzug hatte ihn süß dazu verführt, sich auf den klammen Felsboden sinken zu lassen und die Augen zu schließen. Es kam ihm bloß vor wie ein Wimpernschlag, als Schmerz ihn keuchen ließ. ,,Steh auf, du nutzloser Blutsverräter!", konnte er jemanden fluchen hören und stöhnend versuchte der Animagus, sich aufzusetzen. Aus großen, hervorquillenden, aber feindseligen Augen starrte der Hauself ihn an. ,,Steh schon auf!", keifte er weiter und Sirius rieb sich träge übers Gesicht, ehe er sich aufrappelte und jeder seiner Knochen ein protestierendes Knacken von sich zu geben schien. Wie lange hatte er geschlafen? Er durfte seinen eigenen Rhythmus nicht verwirren... Eine Ration Essen stand in der Zelle, dabei hatte er doch gerade erst welches bekommen. Und die Regeln besagten, dass er zweimal am Tag etwas bekam. War es schon Abend? War er den ganzen Tag weggetreten gewesen? Bei Merlin, er flehte, es war nicht so... Er wollte sich heute Nacht von der Müdigkeit übermannen lassen, er wollte sich in Morpheus Arme flüchten und sich dort vor dem Schrecken verstecken, der dann seine Runden durch das Zauberergefängnis ziehen würde... Der Schrecken, dem er schon in der vergangenen Nacht ins Gesicht gesehen hatte. Er wollte ihn nicht noch einmal sehen müssen.

Er war noch nicht ganz in seinen Körper zurückgekehrt, als er aus seiner Zelle trat und seine Fußfessel unheilverkündend über den Boden zog. Das schlurfende, schlirrende Geräusch ließ ihm schlecht werden... Am liebsten würde er das harte Brot wieder aus seiner Magengegend befördern. Er vermisste zuhause. Sie war zuhause. Er vermisste ihre Lieblichkeit, ihre Fürsorge, ihr zartes Wesen. Sie hatte ihn in die Arme geschlossen, wenn er besonders gerädert nach Hause gekommen war. Ein neuer, mühsamer Tag... Viele muggelstämmige, die gegen die Todesser fielen. Zahlreiche Einlieferungen im St. Mungos - Krankenhaus. Der Krieg nahm einen schrecklichen, angsterfüllenden Lauf. Und sie war es, die ihm dennoch Halt gegeben, ihm Mut und Hoffnung geschenkt hatte. Oh Merlin, sehnte er sich in ihre warmen Arme... An ihre weiblich runde Brust, in ihren zarten Schoß. 

,,Schneller!", fauchte der Elf ihn an und Sirius stolperte beinahe über seine eigenen Füße. ,,Du bist hier eingeteilt. Erledige deine Aufgaben, dann gehts zurück in die Zelle!" Sirius kam sich vor, als tauschten die Hauselfen und die Zauberer in Askaban die Rollen. Beinahe bemitleidete er den knurrigen, runzligen Kreacher. Aber auch nur beinahe. Er trat an das Wasserfass und griff in den Wäscheberg, während er versuchte, nicht zu tief Luft zu holen. Eine widerliche Mischung an Gestank stieg zu ihm hoch und ließ seine Augen brennen, so sehr verspürte er den Drang, seinen Mageninhalt zu entleeren. Körperflüssigkeiten und Blut, das an seinen Händen haften blieb und nicht sein eigenes war. Doch am schrecklichsten ließ der treibende Gestank nach Verwesung ihn würgen. Er beförderte die zerfetzte Kleidung in das eiskalte Wasser, ehe er sie zu schrubben begann. Seine Handflächen rissen wieder auf, seine Haut begann zu brennen und das so scharf, das er die Zähne fest aufeinander beißen musste. 

Tief atmete er durch. Etwas traf ihn an der Schulter und er drehte den Kopf. Doch er war alleine... Auch wenn er den Elfen, der ihn hergeschleift hatte, durch den ganzen Korridor schimpfen hören konnte. Sirius' Blick flog zu Boden. Ein zerknüllter Fetzen von altem, verbrauchten Pergament lag auf kahlem Stein und er sah sich nochmal um, ehe er es mit zitternden Fingern auseinander zog und sich bemühte, damit seine nassen Finger nicht die noch frische, schwarze Tinte verwischten... 

Ich bin bereit, wenn du bereit bist, zu bezahlen. 
Morgen wirst du in der Küche sein, genau wie ich. 
Ab hier gibt es kein zurück mehr 
- du befindest dich in meinen Diensten und musst dafür zahlen.
Sicher sind wir uns einig. 

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