𝐾𝑎𝑝𝑖𝑡𝑒𝑙: 𝟏𝟏

𝐾𝑎𝑝𝑖𝑡𝑒𝑙: 𝟏𝟏

𝙼𝚊𝚛𝚢𝚊𝚗𝚊


Hunger trieb mich nachts aus dem Bett und runter in die Küche, wo ich nach dem Lichtschalter tastete, dummerweise meinen Zauberstab nicht mit runtergenommen hatte. Die Glühbirne an der Decke flackerte und ich seufzte leise, als ich den Kühlschrank öffnete. Das Haus war komplett still, einige Ordensmitglieder übernachteten hier, andere waren kurz nach Moody, Podmore und Vance ebenfalls gegangen. Besonders wo Dumbledore auch verschwunden war. Ich hatte mich von Hagrid verabschiedet, der sicher nur für mich hierher gekommen war... Doch davon abgesehen war ich jedem anderen mit finsterer Mine aus dem Weg gegangen und hatte mich ohne Abendessen ins Bett verkrochen. Und zwar in das von Sirius und mir... Weshalb ich so lange in mein Kissen geschluchzt hatte, bis meine Kehle so trocken gewesen war, dass ich einen Hustenanfall bekommen hatte. Wie konnte selbst Remus denken, dass Sirius... Hatte der Orden seine Meinung so sehr verdreht? Die Tatsache, dass man von Peter Pettigrew nur noch einen Finger gefunden hatte? Trauten sie Sirius wirklich zu, dass er zu so etwas grausamen im Stande war? Mein geliebter Verlobter, der immer um mich besorgt gewesen war und mich dennoch gleichzeitig liebend gerne zur Weißglut getrieben hatte. Mein Sirius, der zwar einerseits rebellisch und eigensinnig im Herzen war - und doch so voller Güte und Verständnis... Nein. Niemals wäre er dazu in der Lage gewesen. Er war unschuldig! Ganz gleich, was alle sagten, ganz egal wenn selbst Remus ins Zweifeln geraten war, ich würde das niemals tun. Sirius bedeutete die Welt für mich. Er war meine Welt. Und ich würde niemals meinen Glauben und mein Vertrauen in ihn verlieren.

Ich zog das Gurkenglas aus dem Kühlschrank und das große Stück Siruptorte, das noch übrig war, ehe ich es mir am Tisch bequem machte und gerade zu essen begonnen hatte, als die Dielen im Flur ein leises Knarren von sich gaben und ich den Kopf hob, jedoch sofort wieder auf meinen Teller sah, als ich Remus erblickte. Seine Haare waren etwas zerzaust und der Cardigan, den er sich übergestreift hatte, wirkte etwas zerknittert. Er sah aus als hätte er stundenlang an einem Schreibtisch gesessen und wilde Nachforschungen angestellt... Doch vermutlich kam sein verschlafener Blick viel mehr davon, dass er sich sehr viele Nächte um die Ohren schlug, weil er zu viel nachdachte. Das hatte ihn immer besonders einfühlsam und emotional gemacht, herzensgut - alles Eigenschaften, die Remus Lupin zu meinem Freund machten. Doch das wollten mein Herz und der beleidigte Trotz in mir nicht verstehen, als ich mir schweigsam Siruptorte in den Mund schaufelte. ,,Ach du bist es...", murmelte Remus leise seufzend, ehe er sich ein Glas aus dem Schrank nahm und es sich mit kaltem Wasser aus der Leitung füllte. Ich biss geräuschvoll in eine Gurke und starrte auf meinen Teller. Das Stück Siruptorte wurde kleiner und kleiner... Leider. Und leider war nichts mehr von dem leckeren Apfelkuchen übrig, den Molly vor kurzem erst gebacken hatte. Als hätte man mir noch nicht genug weggenommen, zählte ein zweites Stück Apfelkuchen wohl auch zu meinen Verlusten...

,,Hör mal, Mary", setzte er seufzend an und rieb sich müde übers Gesicht. ,,Ich wollte dich vorhin nicht verletzen. Auch ich kann das alles kaum fassen und mir nicht vorstellen, dass Tatze zu sowas in der Lage wäre...", begann er und ich schnaubte. ,,Ist, Remus. Er ist nicht dazu in der Lage", grummelte ich und der Werwolf nickte. ,,Ich weiß, aber wir müssen auch von dem Unmöglichen ausgehen. Wir haben nichts anderes, keinen anderen, der schuldig sein könnte...", fuhr er fort und ich hob den Kopf. ,,Ach und weil sonst niemand da ist, schieben wir doch Sirius die Schuld zu, hm? Ich meine, in Askaban ist er ja sowieso schon und raus kommt er da eh nicht mehr", meinte ich trocken und Remus schloss einen Moment die Augen. ,,So habe ich das nie gesagt. Und auch nie gemeint...", widersprach er mir und ich kratzte mit der Gabel letzte Krümel auf meinem Teller zusammen. ,,Ich werde es euch allen zeigen", flüsterte ich. ,,Ich werde euch allen zeigen, dass er es nicht gewesen ist..." Remus betrachtete mich, seine blauen Augen wirkten verwaschen und unglaublich erschöpft. ,,Ich möchte auch an ihn glauben, wirklich", flüsterte er und ich zog das Gurkenglas näher. ,,Dann tu es", murrte ich und er trat näher. ,,Hältst du das für eine gesunde Kombination?", warf er unsicher ein und ich hielt inne. Plötzlich fühlte sich der saure Essig bitter in meiner Kehle an und der Geschmack, der sich mit dem der Siruptorte zusammen tat, erschien mir widerlich. ,,Bei Merlin, ich glaube nicht", presste ich hervor, ließ die Gurke fallen und schaffte es gerade noch so, aufzuspringen und zur Spüle zu stolpern, ehe ich mich auch schon übergab. Remus zögerte, ehe er hinter mich trat und nach meinen Locken griff, sie in meinem Nacken zusammenhielt. Keuchend krallte ich mich in die Kanten des Küchenschranks. ,,Oh nein, ich hatte gehofft, mir bliebe das erspart", jammerte ich und er lachte leise. ,,Willkommen im komplizierteren Teil der Schwangerschaft, Mary."

Ich drehte den Wasserhahn auf und spülte die Spüle aus, ehe ich mir ein Glas füllte, das Remus mir reichte, um meinen Mund auszuspülen. ,,Glaub nicht, dass ich dir deine Worte verziehen habe...", flüsterte ich mit brüchiger Stimme. ,,Oder die Tatsache, dass du mich belogen hast." Er strich mir über den Rücken. ,,Glaube ich auch nicht", gab er zurück. ,,Aber du scheinst mich gerade zu brauchen und ich denke wir sind erwachsen genug, um dann trotz aller Probleme füreinander da zu sein", fügte er hinzu und ich schwieg. Er hatte recht, das waren wir. Auch wenn meine Wut auf ihn in mir rebellierte und ich ihm am liebsten ein paar mit einem der Pfannenwender verpasst hätte. Ich fuhr mir übers Gesicht und drehte langsam den Wasserhahn wieder zu. ,,In solchen Dingen warst du immer geduldiger als Tatze...", flüsterte ich und richtete mich langsam auf, lächelte schwach. ,,Wahrscheinlich würden er und ich uns in solchen Augenblicken erst die Köpfe einschlagen, bevor wir uns wieder in den Armen liegen würden", fügte ich weinerlich hinzu und langsam ließ Remus mich los. ,,Kleines...", meinte er vorsichtig und ich sah ihn an. Traurig und mit einem Schatten in seinem Blick betrachtete er mich. ,,Auch wenn ich nicht weiß, was ich glauben soll...", murmelte er und vergrub die Hände in den Taschen seines Cardigans. ,,Ich glaube nicht, dass Sirius keinen Weg finden wird, zu dir zurück zu kommen. Moody denkt das. Aber du sollst wissen, dass ich das nicht tue. Es ist Tatze. Er findet immer einen Weg." Seine Worte ließen mich schwach lächeln und trösteten mein gebrochenes, schmerzendes Herz, das eben noch stundenlange Schmerzensschreie meinen Brustkorb hinauf geschickt und die ich in meinem Kopfkissen erstickt hatte, das selbstzerstörerisch sehr nach Sirius gerochen hatte... 

      

          

    

Am nächsten Morgen hatte ich mich unter die Dusche geschleppt und mich einigermaßen ansehnlich hergerichtet. Nachdem ich mit meinen zerzausten Locken zuvor deutlich wirr ausgesehen hatte, glaubte ich jetzt, dass ich ernst zu nehmender aussah. Ich zog gerade den Knopf meines dunkelgrünen Umhangs durch seine Lasche, als Remus die Treppenstufen runtertrat und von dem Geschimpfe Walburga Blacks verfolgt wurde, das er mit einem gequälten Lächeln quittierte. ,,Was hast du denn vor?", fragte er überrascht, als er mich in der Eingangshalle des Anwesens erblickte und ich gerade meinen Zauberstab in die Innentasche meines Umhangs schob. Ich gehe ins Ministerium. ,,Ich gehe in die Winkelgasse", gab ich zurück und schloss meine Tasche. Remus hob skeptisch die Augenbrauen. ,,Und was willst du da?", fragte er misstrauisch und trat langsam zu mir. Ich biss mir auf die Unterlippe.
Bartemius Crouch aufsuchen, Moody tyrannisieren, Bagnold einen kleinen Überraschungsbesuch abstatten... Mir bleibt so einiges übrig, um meiner Wut und Verzweiflung Luft zu machen. ,,Einkaufen?", gab ich zurück und hob den Blick. ,,Einkaufen?", gab er ungläubig zurück, dann schüttelte er den Kopf. ,,Maryana, so leicht bin ich nicht zu belügen." Ein gereizter Unterton schwang in seiner Stimme mit. Schluckend versuchte ich ihn zu ignorieren. ,,Hast du schon den Tagespropheten gesehen? Bagnold verkündet nun das unabdingbare Recht zu feiern. Der Krieg wäre ja zu Ende. Was ist mit all den geliebten Menschen, die wir verloren haben?", knurrte ich und biss mir auf die Unterlippe, die ich mittlerweile schon völlig zerkaut hatte und die vollkommen wund deshalb war.

Remus legte die Stirn in Falten. ,,Du willst ins Ministerium", schloss er und ich trat an ihm vorbei ins Wohnzimmer, um das Flohpulvernetzwerk zu benutzen. Er griff nach meinem Handgelenk. ,,Maryana, damit wirst du nichts erreichen. Das ist die dümmste Idee, die du haben kannst! Lass es bleiben", raunte er und ich sah ihn an. ,,Hast du eine bessere Idee?", gab ich mit brüchiger Stimme zurück und räusperte mich dann. ,,Ich werde nicht mehr länger tatenlos hier rumsitzen und immer mehr Leuten dabei zuhören, wie sie Sirius zu einem Mörder machen", fügte ich schwach hinzu und entzog mich seinem Griff. Hastig griff er nach meiner Taille. ,,Maryana", meinte er ernst - und es war wirklich selten, dass er meinen vollen Namen benutzte. ,,Tus nicht."

Meine Unterlippe begann zu zittern. ,,Welche Wahl habe ich denn, Remus?", fragte ich ihn mit bebender Stimme und er schluckte hörbar. ,,Es geht hier um keine Wahl. Es geht hier um dich - und darum, dass du im Ministerium nichts erreichen wirst!" Ernst sah er mich an und ich senkte den Blick. ,,Das reicht mir nicht...", hauchte ich und trat an den Kamin, um aus einer Porzellanschale Flohpulver zu nehmen und meine linke Faust damit zu füllen. Remus raufte sich durchs Haar. ,,Bist du dir selbst denn so bedeutungslos geworden?", warf er verzweifelt ein und einen Moment hielt ich inne. War ich das? War ich mir selbst unbedeutend geworden? Ich schloss die Augen, als sie zu brennen begannen. Vielleicht, ein wenig... Ja. Doch welche Bedeutung hatte mein Leben ohne Sirius noch? ,,Ich muss jetzt gehen", flüsterte ich und trat gebückt in den Kamin. ,,Maryana-", setzte Remus noch warnend an, doch ich ließ mit einem ,,Zaubereiministerium" das Flohpulver fallen.

Er verstand es nicht. Er verstand nicht wie sehr mich das alles zerfraß. Und dass ich das nicht mehr länger konnte! Ich war übermüdet, nachts bekam ich kein Auge zu... Ich malte mir die schrecklichsten Szenarien aus, was Sirius in Askaban wohl alles angetan wurde. Und wir sollten hier sitzen und darauf warten, dass uns ein Hinweis durch Zufall in die Hände fiel? Nein... Das konnte ich nicht. Ich trat aus dem Kamin im Ministerium und klopfte mir den Ruß vom Umhang, während ich hastig hin- und her eilenden Zauberern und Hexen auswich. Es war viel los... Aus jeder Ecke drangen Beschwerden, Journalisten des Tages- und Nachtpropheten irrten mit erhobenen Kameras an mir vorbei und ich zog mir die Kapuze meines Umhangs tiefer ins Gesicht, bevor man mich noch als Geliebte des Massenmörders Sirius Black erkannte und das Ministerium mich noch in Sicherheitshaft nehmen würde. Ich hatte Sirius oft in seinen Mittagspausen im Ministerium besucht, daher wusste ich auch genau, wo ich Alastor fand. Eine junge, nachtblau kostümierte Frau eilte auf mich zu, als ich zielstrebig auf sein Büro zusteuerte. ,,Miss! Sie können da nicht rein, Moody befindet sich in einer wichtigen Besprechung er-", setzte sie verzweifelt an, doch da hatte ich auch schon die Tür aufgestoßen und mehrere Köpfe an Alastors Schreibtisch fuhren auseinander. ,,Es tut mir leid, ich habe versucht sie zurückhalten!", rief die junge Frau bestürzt und griff nach meinem Arm. Moody hob die Hand. ,,Ist schon in Ordnung, Ann. Meine Herren, würden Sie mich einen Moment alleine lassen?" Er hob die Augenbraue, sein Glasauge zuckte unruhig hin und her und seine Mitarbeiter erhoben sich langsam. ,,Bis zur Mittagspause, Alastor", meinte einer von ihnen noch, musterte mich und feindselig starrte ich ihn an, bis Ann sie aus der Tür geleitet hatten und ich mit Moody alleine war. Er lehnte sich zurück. ,,Setz dich, Stone", meinte er ruhig und ich schüttelte den Kopf, schob die Kapuze in meinen Nacken. Er zuckte mit den Schultern. ,,Dann... Was willst du hier?" Er musterte mich und ich presste die Lippen aufeinander.

,,Ich will, dass du mich nach der Geburt meines Kindes verhaften lässt", meinte ich und verschränkte die Arme vor der Brust. Einen Moment lang glaubte ich, seine Gesichtszüge könnten ihm entgleiten, doch dann zog sich bloß ein spöttisches Lächeln über seine Lippen. ,,Wofür?", fragte er und musterte mich. Ich biss die Zähne zusammen. ,,Mir egal", presste ich hervor, trat an seinen Schreibtisch und stützte mich mit beiden Händen auf dem Holz ab, lehnte mich zu ihm vor. ,,Bring mich nach Askaban", raunte ich leise und fixierte ihn mit meinen Blicken. Sein vernarbtes Gesicht blickte mir ohne jegliche Emotion entgegen. Er schüttelte nun ungläubig den Kopf. ,,Sie hatten recht. Du bist verrückt geworden", meinte er, wollte sich seinen Papieren zu wenden, doch ich entriss sie ihm und fegte die losen Zettel vom Schreibtisch. ,,Ich bin nicht verrückt!", knurrte ich und zog meinen Zauberstab hervor. ,,Ich meine es ernst, Alastor. Ihr konntet Sirius ohne Verhandlung nach Askaban bringen, wieso also nicht mich auch?" Feindselig funkelte ich ihn an und er betrachtete einen Moment die dünne Spitze meines Zauberstabs, die ich direkt auf sein unruhig zuckendes Glasauge gerichtet hatte. ,,Bei Sirius gab es Beweise auf Massenmord", raunte er und ich schnaubte. ,,Gut, dann töte ich dich. Wie klingt das?!", entgegnete ich finster und er lachte leise auf. ,,Schätzchen", begann er und ohne dass er einen Entwaffnungszauber aussprechen musste, flog mein Zauberstab mir aus der Hand und landete neben der Bürotür. ,,Geh zurück nach Hause. Ich sag Arthur, er soll dich bringen", meinte er und ich schlug wütend auf die Tischplatte. ,,Bring. mich. nach. Askaban", knurrte ich gereizt, jede einzelne Silbe betonend. Wieso kam mir niemand entgegen? Wenn sie Sirius nicht zu mir bringen konnten, musste ich zu ihm. Und ihm Mut zur Flucht einreden... Ganz gleich ob das zuvor einem Zauberer gelungen war oder nicht. Hieß es nicht starke Liebe überwand jedes Hindernis? Wieso dann nicht die Festungen von Askaban? ,,Nein", gab Alastor ruhig zurück. ,,Und jetzt geh, bevor ich den Sicherheitsdienst ausrufen lasse", setzte er nach und ich verlor die Geduld. Fauchend machte ich einen Satz über seinen Schreibtisch und wollte meine Hände um seine Kehle schließen, doch mit einem gekonnten Zauber ließ er mich in der Bewegung erstarren.

Die Tür hinter uns wurde aufgestoßen und Sicherheitsmänner stürmten das Büro. An den Armen wurde ich von Alastor weggerissen. ,,Hat sie Sie angegriffen?", fragte einer der beiden Zauberer und Alastor winkte ab. ,,Sie ist eine Freundin. Bringt sie einfach raus", meinte er und ließ sich seine Zettel zurück auf den Schreibtisch sammeln. Wütend starrte ich ihn an. ,,Das ist noch nicht vorbei, ich komme wieder!", schrie ich, während die beiden Sicherheitsleute Mühe hatten, mich aus dem Büro zu schleifen. ,,Tu das, Stone. Aber ich werde dir bei deinen verrückten Vorhaben nicht helfen", gab Alastor noch zurück, dann flog seine Bürotür zu und kraftlos sank ich zusammen, was die beiden Männer so sehr überraschte, dass sie mich nicht fest genug im Griff hatten und ich auf den Boden sank, schluchzend das Gesicht in den Händen vergrub. Wieso half mir niemand? Bedeutete ihn Sirius etwa nichts? Bedeutete ich ihnen nichts? Verflucht sei dieser verdammte Orden. Er hatte Alice und Frank in den Wahnsinn getrieben, James und Lily in den Tod. Und Sirius nach Askaban.

,,Lassen Sie es gut sein. Ich mach das schon", konnte ich jemanden sagen hören und kurz darauf sank jemand seufzend neben mir in die Knie. ,,Ich sagte doch, komm nicht her...", flüsterte Remus und schluchzend ließ ich zu, dass er mich auf seine Arme hob. ,,Remus", weinte ich und er zog mir vorsichtig die Kapuze über den Kopf. ,,Ich weiß, Mary...", meinte er leise, ehe er mich aus dem Ministerium trug. Von allen Seiten wurden wir schief angesehen, doch das war mir egal. Den ganzen Weg weinte und zitterte ich, während Remus mit mir durch den Ausgang trat und erst stehen blieb, als wir uns ein ganzes Stück entfernt hatten, er mich sanft auf eine Bank setzte und sich neben mir niederließ. ,,Was auch immer du versucht hast...", flüsterte und zog mich an sich. ,,Es hat keinen Sinn." Nach Luft schnappend krallte ich mich in seinem schwarzen Cape fest. ,,Aber das muss es", gab ich wimmernd zurück und sanft strich er mir durchs Haar. ,,Nein, Mary... So wirst du ihn nicht zurückbekommen", widersprach er mir und ich fuhr in seinen Armen zusammen, erneute Schluchzer krochen meine Kehle hinauf. ,,Werde ich das überhaupt jemals?!", gab ich beinahe hysterisch zurück und schweigend schloss Remus seine Arme fester um mich. Er entgegnete nichts... Und ich wusste, er wusste es selbst nicht. Sirius war vermutlich für immer verloren.

Remus hatte mich schließlich zurück nach Hause gebracht und ich hatte mich zurückgezogen, mich im Badezimmer eingeschlossen und kauerte nun wieder unter der Dusche, drückte die Stirn auf meine Knie, versuchte mich zu fassen. Hoffend, das prasselnde Wasser könnte eine ähnlich beruhigende Wirkung auf mich haben wie heute morgen. Das Blut rauschte in meinen Ohren und ich schaltete zwischen kalt und warm hin- und her, während ich mich auf dem Duschboden wiegte und versuchte, ruhig zu atmen. Die Dämonen krochen die Duschwand hinauf und bahnten sich ihren Weg in meinen Verstand. Nimm ein Leben, dann gelangst du nach Askaban. Es wird dich mit offenen Armen empfangen... Sirius wird das... Keuchend presste ich meine Handballen gegen meine Schläfen. Ich musste irgendwas tun, es musste einen Weg geben. Angestrengt versuchte ich die leisen, tückischen Stimmen aus meinem Kopf zu vertreiben. James und Sirius hatten damals nicht umsonst gescherzt, dass ich keiner Fliege etwas zu leide tun konnte. Es stimmte. Nicht einen Todesser hatte ich in all den Kämpfen wirklich getötet. Ich war keine Mörderin. Erstickt holte ich Luft. Ich wollte doch nur Sirius zurück. Er hatte nichts getan. Er wäre gestorben, niemals hätte er James und Lily verraten. James war sein Bruder. Unser Bruder. James war für ihn in seiner schwersten Zeit da - und auch für mich.

Ein lauter Knall im Wohnzimmer hatte mich aus dem Schlaf gerissen. Erschrocken war ich auf der Matratze neben James' Bett hochgefahren und stieß ihn an, als es unten im Wohnzimmer klirrte. Etwas war runtergefallen und zerbrochen. ,,James", flüsterte ich und stieß meinen Freund leicht an. Er brummelte. ,,Mary? Was denn? Hast du wieder Angst im Dunkeln? Komm mit in mein Bett", nuschelte er und ich schüttelte den Kopf. ,,Nein, James, das ist es nicht... Da unten im Wohnzimmer ist etwas. Hast du nicht gesagt, deine Eltern kommen erst zu Heilig Abend wieder zurück?", hauchte ich und James rieb sich verschlafen übers Gesicht, setzte sich langsam auf. ,,Tun sie auch", meinte er alarmiert, griff nach seinem Zauberstab und knipste die Lampe auf dem Nachttisch an. ,,Aber da unten ist was", flüsterte ich und er schwang die Beine über die Bettkante. ,,Du bleibst hier. Ich sehe nach", meinte er und schlich barfuß zu seiner Zimmertür. Ich griff ebenfalls nach meinem Zauberstab. ,,Vergiss es, Potter", flüsterte ich, erhob mich ebenfalls und folgte ihm leise. Unten brannte Licht und jemand gab einen leisen Schmerzenslaut von sich. James beschleunigte seine Schritte, schlich die Treppen runter und ich folgte ihm leise. Wie angewurzelt blieb er im Türrahmen stehen. ,,Tatze?!", flüsterte er fassungslos und ich linste ihm erschrocken über die Schulter. ,,Oh scheiße, Sirius...", hauchte ich und der Dunkelhaarige hob den Kopf. Blut sickerte durch sein weißes Hemd. ,,Überraschung", grinste er schwach und es kam wieder Leben in James. ,,Mary, schnell. Hol Moms Diptam" , raunte er und hastig machte ich kehrt, stürzte ins Badezimmer und durchwühlte panisch einen der Schränke, ehe ich mit dem Fläschchen Diptamessenz zu den beiden zurück trat. ,,Oh Gott", flüsterte ich weinerlich und ging neben Sirius und James in die Knie. ,,Was ist passiert?" Sirius keuchte heiser. ,,Meine Mutter", meinte er bloß finster - und mehr brauchte er gar nicht sagen. James riss Sirius' Hemd auf und nahm mir das Fläschchen ab. Dumpf stöhnte Sirius auf, als die Flüssigkeit zischend auf seinen tiefen Wunden landete. ,,Halt ihn fest", meinte James hastig und ich griff hastig nach seinen Schultern. ,,Scheiße", raunte Sirius, legte den Kopf in den Nacken und biss die Zähne zusammen. Es war eine harte Prozedur, bis der Diptam die Wunden geschlossen hatte. Und ich bewunderte Sirius dafür, dass er nicht vor Schmerz schrie. Verschwitzt und keuchend ließ er sich zurücksinken und James lehnte sich gegen den Sessel. ,,Du gehst nie wieder zurück", knurrte er, schüttelte fassungslos den Kopf. ,,Wie kann sie nur...", hauchte ich und Sirius setzte sich langsam auf. ,,Es tut mir leid, eigentlich sollte ich erst morgen herkommen, ich weiß aber...", setzte er an, doch James unterbrach ihn. ,,Sirius, du bist jeder Zeit hier willkommen. Man, diese alte Hexe!" Fassungslos schüttelte er den Kopf und zögernd sah ich Sirius an. Er lächelte schwach. ,,Komm schon her. Ich sehe es doch in deinen Augen, Stone", schmunzelte er erschöpft und ich zögerte nicht mehr lange, schlang meine Arme um ihn. ,,Wie kann sie dir nur so weh tun", flüsterte ich und strich ihm durchs Haar. Zittrig seufzend vergrub er sein Gesicht an meiner Schulter und James legte ihm die Hand auf den Rücken. ,,Dann werde ich jetzt wohl auf der Matratze pennen und ihr bekommt mein Bett... Keine Sorge, Kumpel, das kriegen wir hin. Es ist Weihnachten. Und du gehörst zur Familie, das tut ihr beide. Und jetzt kommt, wir retten noch Moms Wohnzimmerteppich und gehen dann nach oben."

Zitternd rieb ich mir übers Gesicht. James war immer für uns da gewesen. Ich hatte bei den Potters unterkommen können, als meine muggelstämmigen Eltern im letzten Schuljahr von Todessern getötet worden waren... Und Sirius war schon mit sechzehn zu ihnen geflohen. Dafür hatten wir James dabei geholfen, das Herz von Lily zu erobern... Es war so unfair, dass er so wenig Zeit mit ihr hatte. Langsam drehte ich das Duschwasser ab und kämpfte mich schwach auf die Beine, griff nach dem Pelzmantel von Sirius, den ich mit ins Badezimmer genommen hatte. Langsam streifte ich ihn mir über, vergrub meine Nase in dem schwarzen Fell, das die selbe Farbe hatte wie sein Animagus... Dieser Krieg hatte so viel genommen. So viel, dass ich Voldemorts Verschwinden und das Zurückziehen seiner Anhänger, die langsam weniger werdenden Angriffe dennoch als keinen Grund zu feiern sehen konnte. Ich trauerte. Um alles, was wir verloren hatten. Mein gesamtes Leben war verpufft, alles war fort, nur ich selbst war noch da. Und Remus, den ich immer und immer mehr von mir stieß und es nicht einmal wollte. Doch was wenn ich ihn auch noch verlor? Ich kauerte mich unter dem Badezimmerfenster zusammen und seufzte leise. Meine Hand glitt zu meinem Bauch, der Tag für Tag härter zu werden schien. ,,Was hältst du davon, wenn Remus dein Patenonkel wird, hm?", flüsterte ich und schloss die Augen. Ich musste dieses Kind mit meinem Leben beschützen... Es war alles, was ich noch hatte. Alles was mir von Sirius geblieben war. Doch sollte er nicht zurückkehren und unser Kind auf der Welt sein... dann würde ich trotzdem nicht aufgeben, ihn zurück zu holen. Dann erst recht nicht. Koste es, was es wolle. Und wenn ich dafür selbst nach Askaban musste.


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Hey!
Wieder ein eher längeres Kapitel - damit sind Kapitel 9 und dieser hier die beiden längsten dieser Story. Ich hoffe, es hat euch gefallen - und ja, in Marys Kopf wachsen immer gefährlichere, verrücktere Ideen, um Sirius zurückzuholen. Was würde sie nicht alles für ihn tun...
Über Feedback zu ihrem Gespräch mit Alastor, ihrem Draht zu Remus oder ihrem Flashback würde ich mich sehr freuen!
Liebe Grüße,
Eure wingsofeden

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