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Es war so, wie ich befürchtet hatte. Als ich heim kam, brannte bereits Licht in der Wohnung. Ein Teil von mir fragte sich, ob ich mich unbemerkt hineinschleichen könnte. Vielleicht hatte er noch nicht bemerkt, dass ich nicht zuhause war. Möglichst leise drehte ich den Schlüssel im Schloss und schlüpfte durch die Haustür.
Aus dem Wohnzimmer hörte ich gedämpft die Stimme eines Reporters. Wahrscheinlich lief gerade ein Fußballmatch und mein Vater lag mit einer Flasche Bier auf dem Sofa, um keinen Moment des Spiels zu verpassen. Entweder er würde gleich jubelnd die Flasche in die Höhe reißen oder wütend aufspringen, und dabei den Inhalt der Flasche durch die Luft fliegen lassen. So wie es immer war, wenn er abends über den Fernseher eine Sportsendung verfolgte. Wenn ich jetzt also zu meiner Zimmertür schlich,-
„Wo warst du so lange?" Die Stimmer meines Vaters war schneiden kalt.
Erschrocken drehte ich mich um. Starrte in zusammengekniffenen Augen.
„Sag schon! Was hast du die ganze Zeit getrieben? Wo warst du?"
Sein Blick hielt mich gefangen, hielt mich auf der Stelle und zwang mich innerlich einen Schritt zurück zu weichen.
„Ich-" Meine Stimme war dünn, brüchig.
Die Erinnerungen des Nachmittags zogen an mir vorbei. Der Springbrunnen im Schlosspark. Das Gespräch mit Theo. Wir beide, wie wir lachten. Mamas Grab im schwindenden Tageslicht.
Ich schluckte, hoffte, dass meine Stimme fester klang.
„Ich habe mich mit einen Schulfreund getroffen."
Mein Vater runzelte die Stirn. „Was habt ihr dann so lange gemacht?"
„Geredet. Sowas halt." Ich zuckte mit den Schultern. „Wir haben die Zeit vergessen." Ich atmete tief ein. „Es tut mir leid, dass es spät geworden ist", schob ich mit gesenkten Blick hinterher.
Täuschte ich mich, oder hatte der Blick meines Vaters tatsächlich an Härte verloren?
„Achte in Zukunft darauf, pünktlich zu Hause zu sein."
Ich nickte.
„Ach, und noch etwas."
Ich war schon einen Schritt in Richtung meiner Zimmertür zurückgetreten, hielt jedoch inne, als mein Vater noch einmal das Wort ergriff.
„Hast du schon etwas gegessen?"
„Nein."
„Gut. Ich auch nicht. Dann können wir gemeinsam essen?"
Es klang nach einer Frage. „Ja, klar."
Auf dem Gesicht meines Vaters erschien etwas, was vielleicht ein Lächeln hätte sein können.
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Gemeinsames Essen. Vor ein paar Monaten noch war das gang und gebe gewesen. Wir aßen gemeinsam, wann immer es möglich war. Gerade am Wochenende kamen wir öfters am Küchentisch zusammen. Dann hatte meine Mutter gekocht, ich hier und da etwas assistiert, den Tisch gedeckt und ihn wieder abgeräumt. Unter der Woche hatte sich mein Vater bemüht, möglichst zeitig von Arbeit zu kommen, um mit uns gemeinsam Abendessen zu können.
Doch seit Mama fehlte, gab es niemanden mehr, der „Essen ist fertig!" rief und wir hatten es aufgegeben, gemeinsam zu speisen. Kaum jemand rührte die Töpfe an. Wenn man was essen wollte, nahm man sich einfach das, was gerade da war.
Einmal noch hatten wir es getan, versucht, zu zweit. Es war der Tag nach ihrem Tod gewesen. Der erste Abend ohne sie. Die Deckenlampe hatte den Tisch beleuchtet, doch draußen vor dem Fenster hatte die Dunkelheit gelegen. Viel lieber wäre ich dort draußen gewesen, hatte nichts mehr sehen wollen und niemand hätte mich länger gesehen. Stattdessen kauerte ich auf meinem Stuhl und starrte schweigend ins Nichts. Gegessen hatte ich nichts. Mein Vater hatte mich ein paar Mal lange angesehen und etwas gesagt. Ich sah es an den Lippenbewegungun. Die Worte jedoch waren nicht bis zu mir vorgedrungen.
Danach hatten wir es irgendwie sein lassen. Wenn ich hörte, dass mein Vater in der Küche war, hatte ich oftmals auch einfach nicht zusammen mit ihm an einem Tisch sitzen wollen. Nicht, solange der dritte Stuhl leer war.
Und dennoch saß ich jetzt hier, meinem Vater gegenüber, obwohl der dritte Stuhl neben mit noch immer leer war. Wir aßen schweigend. Jeder hang wohl seinen eigenen Gedanken nach. Vorhin noch war eines gemeinsamen Beisammensein unvorstellbar gewesen. Wie nur hatten wir begonnen, uns so sehr aus dem Weg zu gehen?
Eben hatte mein Vater zwei Gläser aus dem Schrank genommen, füllte sie und stellte ins vor mich hin.
„Danke." Ich sah auf und begegnete seinem Blick, sah die Last eines ganzen Lebens darin, die unterdrückte Trauer, den Versuch weiterzugehen, durchzuhalten, die Verzweiflung, weil es nicht ging. Und dann war da ein winziger Funke.
Es war wenig.
Doch es war ein Anfang.
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