Hölle und Weisheit
Das Grinsen auf meinen Lippen konnte ich am nächsten Morgen kaum verstecken. Ich hatte es geschafft Charon Black ein wenig aus der Fassung zu bringen und ihn zu überraschen. Um meinen Auftrag erfüllen zu können, musste ich ihm näher kommen. Die Frage war bloß, wie ich das schaffte, ohne, dass er etwas merkte. Einerseits konnte ich bei ihm so etwas nicht vortäuschen, da ich physikalisch kaum in der Lage war, dieses Bedürfnis nach Gegenwehr zu verstecken. Dummerweise wäre es jetzt aber auch extrem offensichtlich, wenn ich einfach begann mit ihm zu flirten. Das würde er sicherlich durchschauen. Ich musste dieses Spiel also weiterspielen und sehen, was passieren würde.
Jetzt konzentrierte ich mich aber ganz auf das Kunstmuseum, dessen Eingangshalle ich gerade betrat. Das Kunstmuseum "Halle des Apollon" war nicht nur riesig, sondern auch gefüllt mit teuren Bildern und Kunstwerken. Jairus hatte es zu Ehren seines Vaters errichtet und um seiner eigenen Liebe für die Kunst nachzugehen. Er war ein unglaublich talentierter Maler.
"Neoma!" hörte ich die melodische Stimme meines Cousins plötzlich, als ich mich in der großen Eingangshalle. Ich drehte mich in die Richtung, aus der die Stimme kam und entdeckte das liebevolle Gesicht von Jairus. Lächelnd kam ich auf ihn zu und er schloss mich so gleich in seine Arme. Wie lange hatte ich ihn nicht mehr gesehen? Sicher einige Jahre.
Nach einer langen Umarmung, ließ er mich wieder los und wir musterten einander. Zugegeben, ich hatte mich sicher genauso sehr verändert, wie er. Während Jairus reifer und breiter geworden war, hatte ich weiblichere Züge bekommen und mein Körper wirkte noch sportlicher. Auch meine Haare waren ein ganzes Stück länger und ich war sicher 10 Zentimeter gewachsen, seit wir uns das letzte mal gesehen hatten.
"Was machst du hier?" fragte er mich überrascht und grinste so schief wie immer. Auch früher hatte er dieses Grinsen schon gehabt. Schief und verträumt. Ja, Jairus erfüllte schon die ganzen Klischees eines Künstlers. Er war oft in seiner eigenen Welt, manche seiner Sätze ergaben keinen Sinn und er sah in allem etwas besonderes, egal ob eine wunderschöne Landschaft oder bloß ein kleiner Grashalm.
"Ich habe hier einen Auftrag und dachte ich könnte dich mal besuchen kommen. Mutter hat erzählt, dass du hier ein Museum aufgemacht hast" erklärte ich und mein Blick schweifte über die vielen Besucher, die durch die Eingangshalle strömten, um Jairus Kunstwerke betrachten zu können.
"Einen Auftrag? Vater hat Charon Black erwähnt... ist er dein Zielobjekt?" fragte Jairus und ich konnte die Sorge in seiner Stimme hören. Er hatte schon immer das Bedürfnis gehabt mich zu beschützten, weil er in mir eine kleine Schwester sah. Auch wenn wir eigentlich nur Cousins waren, benahmen wir uns mehr wie Geschwister. Unsere Eltern waren schließlich Zwillinge, also war das kein Wunder.
"Genau. Ich arbeite für seine rechte Hand und versuche näher an ihn heranzukommen" erklärte ich und nickte dann in Richtung der Galerie. "Wie wäre es, wenn du mir eine Führung gibst und wir dabei weiterreden?" fragte ich lächelnd und Jairus Gesicht hellte sich so gleich auf. Er liebte seine Kunst eben einfach.
Eine halbe Stunde lang führte er mich durch die langen Gänge und hohen Säle, in denen viele verschiedene Kunstwerke hingen. Natürlich erklärte er mir auch zu jedem dieser Bilder etwas und schweifte dabei manchmal ein wenig aus. Irgendwann war mein Hirn so überladen mit Informationen, dass ich nur noch nickte. Mit Kunst hatte ich einfach noch nie viel anfangen können. Diese Faszination, die Jairus dafür aufbrachte... das könnte ich niemals. Ich brauchte Aufregung und eine Aufgabe, ansonsten würde ich wohl durchdrehen.
"Neoma? Hörst mir überhaupt noch zu?" fragte Jairus plötzlich und ich sah ihn ertappt an. Er wusste sofort, dass ich ihm nicht zugehört hatte und wie es sich für einen Künstler eben gehörte, verschränkte er die Arme vor der Brust und seufzte theatralisch. "Natürlich weißt du meine Kunst nicht zu schätzten" brummte er wie ein beleidigtes Kind. Na super.
"Aber natürlich weiß ich deine Kunst zu schätzten! Ich war bloß in Gedanken" log ich und hoffte, dass ihn das beruhigte. Oh nein. Ich konnte sehen, wie seine Augenbrauen zuckten und seine Augen sich aufhellten. Dass bedeutete, dass er die Chance auf Tratsch witterte.
"In Gedanken an wen? Charon Black? Ich hab gehört seine teuflische Anziehungskraft soll selbst bei göttlichen Wesen wirken" raunte er grinsend und sah auf mich herab. Shit. Wie kam ich aus der Nummer wieder heraus? Ich konnte ihm ja schlecht erzählen, was ich getan hatte, um Charon näher zu kommen.
"Ich dachte bloß an Kirian" log ich weiter. Naja, eine richtige Lüge war das gar nicht. Ich dachte durchaus öfter an Kirian und unser Essen heute Abend... Sollte ich ihm davon erzählen? Eigentlich hatte Jairus ja immer was Schlaues zu solchen Situationen zu sagen.
"Oho, die Eule hat meiner kleinen Schwester also den Kopf verdreht hm?" erwiderte er mit einem wissenden Blick. Er hatte unsere Freundschaft schon immer belächelt und wohl auch Potenzial zu mehr darin gesehen, weshalb ihn diese Nachricht nicht wirklich zu überraschen schien.
"Er hat mir nicht den Kopf verdreht! Wir gehen bloß Essen heute Abend. Ich habe ihn einfach lange nicht mehr gesehen, weißt du?" versuchte ich ihm zu erklären und konnte in seinem Gesicht sehen, dass er mir das nicht wirklich glaubte. Kein Wunder. Jairus war ein hoffnungsloser Romantiker.
"Ihr geht essen? Wie romantisch" raunte Jairus und musterte mich. "Du hast also nicht nur dem guten Kirian sondern auch noch dem Sohn von Hades den Kopf verdreht? Man könnte meinen, dass du die Tochter von Aphrodite bist" neckte er mich und ich verdrehte die Augen. Er hatte schon immer einen Drang zur Dramatik.
Denn Rest des Mittags verbrachten wir damit über alles möglich zu reden. Er erzählte mir von seiner Reise durch die Welt und wie er dort seine "Inspiration" gefunden hatte. Ich berichtete ihm von meinen Aufträgen und wie es mit Charon weitergehen sollte. Natürlich kamen von ihm ein Haufen dummer Sprüche, doch immerhin hörte er mir zu. Irgendwann war es 4 Uhr und ich realisierte, dass ich mich bald fertig machen musste.
"Mist... schon 4 Uhr" brummte ich und sah Jairus entschuldigend an. "Ich muss los, sonst wird Kirian wieder ungeduldig" erklärte ich und mein älterer Cousin nickte sanft. Er hatte, trotz seiner dramatische Ader, immer Verständnis für solche Dinge, weshalb er keinen Aufstand machte.
"Na dann wollen wir Eule nicht warten lassen" stimmte er grinsend zu. Eule war Kirians Spitzname. Eulen waren sowohl Athenas, als auch Kirians Symbol und sie fühlten eine tiefe Verbundenheit zu ihnen, weshalb viele der Halbgötter begonnen hatten ihn Eule zu nennen. Wer genau das in die Welt gesetzt hatte, wussten wir nicht, doch ich hatte schon immer Jairus im Verdacht gehabt.
Mein Cousin umarmte mich noch mal lange, bevor ich mich Richtung Ausgang drehte. "Grüß ihn von mir und pass ja auf dich auf kleine!" rief er mir hinterher und ich schenkte ihm noch ein letztes Lächeln, bevor ich das Museum, dass meinem Onkel gewidmet war, verließ.
Ich freute mich auf das Essen, weshalb ich deutlich schneller durch die vollen Straßen lief, als normalerweise. Zuhause angekommen sprang ich direkt unter die Dusche. Ich ließ mir allerdings mehr Zeit als sonst. Ich wusch meine Haare unglaublich sorgfältig, benutzte mehrfach Duschgel damit ich auch gut roch und rasierte mich überall. Nach einer halben Stunde stieg ich dann wieder aus der Dusche und schnappte mir einen Föhn. Es war bereits fünf Uhr, weshalb ich mich etwas beeilen musste.
Sobald meine dunklen Haare trockenen waren und in schönen Wellen über meine Schultern fielen, begann ich mit meinem Make-Up. Ich trug einen dunklen Liedschatten auf, der meine Augen betonte. Dazu Mascara und Rouge, kombiniert mit Lipgloss. All das war mehr, als ich normalerweise trug, doch es gefiel mir. Ich fühlte mich... weiblich.
Nach meinem Make-Up suchte ich mir noch ein wenig Schmuck heraus und dann kam die große Herausforderung: Mein outfit. Was sollte ich für diesen Abend anziehen? Etwas Schickes? Etwas Hübsches? Sexy? Oder schlicht?
20 Minuten später stand ich immer noch planlos vor meinem Schrank. Dann fiel mir ein Kleid ins Auge. Es war schwarz und eng, mit ein wenig Ausschnitt. Es betonte meinen Körper perfekt und sorgte dafür, dass meine Augen noch mehr hervorstachen. Nachdem ich es anzogen hatte, betrachtete ich mich im Spiegel. Ich sah gut aus. Wirklich... gut. Überrascht lächelte ich mein Spiegelbild an, bevor ich noch schwarze High-heels anzog, die mich sicher 5 Zentimeter größer machten. Zufrieden schaute ich auf die Uhr und erkannte, dass es bereits Viertel vor sechs war. Gleich würde Kirian hier ankommen... Irgendwie machte mich das etwas nervös.
Die verbleibende Viertelstunde verbrachte ich damit nervös in meiner Wohnung herum zu tigern. Schon eine Minute nach 6. War er zu spät? Hatte er doch keine Lust gehabt? Nein, nein. Kirian würde sowas nicht machen. Vielleicht war er einfach nur spät dran.
Gerade wollte ich auf mein handy sehen, da klingelte es an der Tür. Mit einem breiten Lächeln auf den Lippen lief ich zur Tür. Kaum war sie offen, grinste Kirian mir entgegen. Er sah wirklich gut aus. Kiri hatte seine Haare gemacht und war etwas schicker angezogen als sonst. Wow.
"Hallo Mondschein" begrüßte er mich und musterte mich dann ausgiebig. Es schien, als würde ihm gefallen, was er sah, denn sein Grinsen wurde immer breiter. "Du siehst... umwerfend aus" hauchte Kiri. Nun stieg mir doch etwas die Röte ins Gesicht, als sein Kompliment langsam auf mich wirkte. Scheiße. Wie machte er das nur?
"Dankeschön... du auch Kiri" erwiderte ich mit einem sanften Lächeln. Erst jetzt fiel mir auf, wie ich mich in seiner Gegenwart benahm. Ich war so weich und feminine... ganz anders als bei Charon. Bei ihm war ich eiskalt und wollte hart wirken, doch Kirian rief eine andere Seite in mir hervor.
Zwei Seiten meiner Persönlichkeit, die so verschieden waren, wie die zwei Halbgötter selbst.
Der Sohn der Hölle.
Und
Der Sohn der Weisheit.
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