𝗧𝗛𝗘 𝗕𝗘𝗚𝗜𝗡𝗡𝗜𝗡𝗚 𝗢𝗙 𝗦𝗢𝗠𝗘𝗧𝗛𝗜𝗡𝗚

„RATTER, WAS ZUM TEUFEL MACHST du da? Auf geht's!", schrie einer der Eindringlinge auf der Veranda.

Von dort aus konnte er uns nicht im Hühnerstall sehen. Das Rauschen in meinen Ohren sorgte dafür, dass seine Stimme unfassbar weit entfernt und dumpf klang.

Ängstlich öffnete ich meine Augen und versuchte, die Tränen fortzublinzeln. Doch es war vergebens. Sie fielen leise auf meine aufgescheuerten Knie und das Schluchzen in meiner Kehle wich einem starken unsteten Atmen.

Dann blickte ich zu JJs linker Hand und dem gebrochenen Hals des Huhns, den er immer noch festhielt. Augenblicklich sank mein Herz in die Spitzen meiner Zehen. Ich merkte kaum, wie Kiara mich ansah und ihre Hand nach mir ausstreckte.

„Alles wird gut, Jemma", murmelte sie leise. Im selben Moment ertönte der Motor eines Wagens. Ich konnte nicht genau sehen, wie er davon fuhr, doch ich war mir sicher, dass es die beiden Männer waren.

Einige Sekunden später verschwand das Auto zurück auf die Straße. Ihre Schreie waren verebbt. Alles, was man nun hörte, war unser angestrengtes Atmen.

Mein Blick wanderte erst zu Pope, dann zu John B und schließlich zu Kie. Ihre braunen Augen waren rot und geschwollen. Aber auch die Jungs schienen erschüttert.

„Kann mir bitte einer erklären, was zum Teufel das war?", fragte ich im nächsten Moment.

Die Pogues tauschten vielsagende Blicke miteinander aus.

⌇ ⌇ ⌇

„Ihr seid also auf der Suche nach einem Schatz?", fragte ich verdutzt. Wir hatten den Hühnerstall vor einigen Minuten verlassen. „Mit einem Kompass?"

Nun saßen wir auf John B's Veranda. Ich war damit beschäftigt, den getrockneten Schlamm, der unter meinen Nägeln eingebettet war, herauszukratzen. Der Schock saß immer noch tief. Alles in mir zog sich zusammen, wenn ich an die zwei Männer zurückdachte.

„Ja, und diese Typen anscheinend auch. Sie sind uns vor ein paar Tagen mit dem Boot gefolgt und haben auf uns geschossen", erzählte Pope und raufte sich die Haare. Mir wurde übel.

Sie haben auf euch geschossen?"

JJ's Augen glitzerten merkwürdig, während er uns zuhörte. Er steckte steif auf seinem Stuhl fest und sah zwischen Pope und mir hin und her, beinahe als wägte er ab, ob man mir vertrauen konnte.

Sie haben einige Entwürfe der Royal Merchant und Kisten mit Beweismaterial mitgenommen." John B kam aus dem Inneren seiner Fischerhütte hervor und ließ sich auf einen Stuhl neben Kiara fallen.

Ich sah, wie JJ angestrengt das Gesicht verzog.

„Kann mir bitte einer sagen, was es mit diesem Schiff auf sich hat? Ich verstehe kein Wort", sagte ich aufgebracht und erhob mich von meinem Plastikstuhl. „Ich wäre beinahe mit euch draufgegangen, also gebt mir bitte eine Erklärung."

Pope stieß ein langes Seufzen aus.

„Nach dem Hurricane waren wir draußen im Sumpf. Wir haben ein Wrack entdeckt und sind runtergetaucht. John B hat einen Schlüssel gefunden. Damit begann dieser ganze Albtraum", erklärte er und kniff sich in die Nasenwurzel.

„Vergiss nicht den Teil, wo ihr mit dem Schlüssel in ein Motel eingestiegen sind und fremdes Geld plus JJ's bescheuerte Pistole aus 'nem Safe haben mitgehen lassen", fügte Kiara hinzu und sah zu John B und JJ.

„Ich kann's nicht fassen! Die Pistole war gestohlen? Wieso seid ihr nicht zur Polizei gegangen?", fragte ich entsetzt und hielt mir eine Hand an die Stirn. „Vielleicht war das eine Tatwaffe!"

„Wir sind zur Polizei gegangen, aber die hatten allerhand mit Agatha zu tun", warf John B ein und Pope nickte eifrig. „Und dann ist Scooter's Leiche aufgetaucht."

„Wie bitte?", fragte ich mit geweiteten Augen. Scooter Grubbs war ein erfahrener Fischersmann und galt seit dem Hurricane als verschwunden.

Für einige Sekunden war es still. Dann meldete sich JJ zu Wort. Er sprang von seinem Stuhl auf und verschränkte die Arme vor der Brust.

„Denkt ihr wirklich, es ist eine gute Idee, dieser Kook alles zu erzählen?" Argwöhnisch blickte er auf mich herab. Wenn er mich so ansah, erinnerte er mich an die Nacht im Boneyard. „Außerdem ist sie Rafes' Freundin."

„Halt die Klappe, JJ. Das sind wir Jemma wohl schuldig", entgegnete Kie bestimmt und warf dem Blonden einen scharfen Blick zu. Der schnaubte daraufhin verächtlich.

„Außerdem können wir ihr vertrauen", fügte die Schwarzhaarige hinzu.

„Vertrauen verdient man sich." JJ schenkte mir einen finsteren Blick. „Sie könnte uns an die Cops verpfeifen."

„Euch verpfeifen? Ich würde niemals zur Polizei damit gehen. Die würden mir eh nicht glauben", entgegnete ich hitzig und bohrte meinen rechten Zeigefinger in seine Brust. Im nächsten Moment schlug er meine Hand beiseite.

„Es ist die Wahrheit. Die Polizei würde uns nicht glauben. Mal abgesehen davon, dass die alle ein Haufen korrupter Idioten sind", sagte John B. Ich wendete meinen Blick von JJ ab. Fragend sah ich den Braunhaarigen an.

„Sheriff Peterkin war hier. Wegen der Sache mit meinem Dad. Es ging ums Sorgerecht und ob ich noch länger hier sein darf. Sie meinte, sie hilft mir, wenn ich diese ganze Sache mit dem Schatz und dem Schiff vergesse", erklärte der junge Routledge und erhob sich von seinem kaputten Plastikstuhl.

„Die verbergen irgendwas", sagte Pope. „Irgendwas ist da im Busch."

„Natürlich ist da irgendwas im Busch, Smart-Ass", entfuhr es JJ, der sich daraufhin wieder auf seinen Stuhl fallen ließ. Das weiße Plastik knackte gefährlich laut.

„Wir sind nochmal zum Wrack zurückgefahren. Dieses Mal mit Taucherausrüstung. Wir haben eine schwarze Tasche gefunden. Kurz darauf sind diese Typen aufgetaucht", erzählte Kiara, als sie meinen verwirrten Blick bemerkte.

„Sie waren erst bei Scooters' Frau und haben nach der Tasche gesucht", fügte John B hinzu. „Die wollten den Kompass. Er hat 'was mit der Royal Merchant und dem Schatz zu tun."

„Diese Royal Merchant— Dein Dad hat dazu geforscht? Und dann ist er einfach verschwunden? Heißt das, diese Typen wollen das Schiff finden?", fragte ich und verzog das Gesicht.

„Die Royal Merchant ist eines der berühmtesten Schiffsunglücke des 18. Jahrhunderts. Eine riesige Menge Gold ist mit ihr untergegangen. Heute weiß niemand mehr, wo das Gold versteckt ist, aber John B's Dad hat's sich zur Aufgabe gemacht, diesen Schatz zu entdecken", erzählte Pope. „Und anscheinend ist er nicht der Einzige."

„Was genau habt ihr jetzt vor?", fragte ich und presste meine Lippen aufeinander. „Was ist der Plan?"

„Wir gehen dorthin, wo der Kompass uns hinschickt", entgegnete John B und reichte das Stück Metall an Kiara weiter. Ich runzelte die Stirn. „Es gibt nur einen Ort namens Redfield."

„Und du bist sicher, dass das die Botschaft war?" Ich hob eine Augenbraue. Kiara, die die Kette des Kompasses zwischen ihren Fingern hielt, schien fasziniert von der Drehung der kleinen Nadel.

„Ich meine, es ist doch offensichtlich, oder?" JB richtete seine Worte an den Rest der Gruppe, während Kiara den Kompass an mich übergab. Ich scannte ihn kurz, fuhr über seine Rundungen, ehe ich ihn Pope rüberreichte.

„Dieser Kompass ist seit Generationen in meiner Familie. Meine Urgroßväter, dann mein Vater und jetzt ich. Es gibt keinen besseren Ort, um eine geheime Botschaft zu verstecken." John B deutete mit seinem Zeigefinger auf den Kompass, während Pope ihn von allen Seiten musterte.

„Er muss gewusst haben, dass er seinen Weg zu mir zurückfindet", seufzte er. „Mein Dad ist irgendwo da draußen."

Ich bemerkte, dass JJ seinen Körper unangenehm verschob, als ob er nicht den Mut hatte, um seinem besten Freund zu sagen, dass er keine einzige Silbe von dem glaubte, was er sagte.

Kiara ließ einen kleinen Ausatmer aus, beinahe so, als ob sie sich darauf vorbereitete, ihn anzulügen.

„Ja...es ist möglich." Ihre Worte ernteten ein Augenrollen von Pope.

„Vielleicht braust du aber auch einfach nur wilde Theorien zusammen", entfuhr es ihm und alle Augen landeten auf ihm.

„Weißt du", fing er wieder an, doch John B schnitt ihm das Wort ab.

„Pope?" Es war fast so, als würde er ihn warnen, aufzuhören — was Pope offensichtlich nicht vorhatte.

Du musst diese traurigen Gedanken verarbeiten."

Kiara schenkte ihm warnende Blicke, doch es war zu spät. Als ich zu John B sah, wirkte er gebrochen und beleidigt.

„Bruder, du weißt, wie ich meine Gefühle verarbeite", sagte er ernst. „Mein Dad will mir eine Nachricht senden. Er ist irgendwo da draußen!"

JJ, Pope, Kie und ich sahen sich unbeholfen an und wussten nicht, was wir sagen oder tun sollten. Das Bild, welches JB gerade von sich zeichnete, war das, eines verzweifelten Jungen. Ich hatte ihn noch nie zuvor so wahrgenommen.

„Wenn es dir hilft daran festzuhalten, ist das völlig okay", sagte ich schließlich mit gesenkter Stimme. „Ich habe meine Mom verloren. Ich habe immer noch das Gefühl, dass sie irgendwo da draußen ist."

Die Augen des jungen Routledge schnellten zu mir.

Wir kannten uns kaum und dennoch fühlte ich in diesem Moment eine starke Verbindung zu ihm. Wenn ich ihn ansah, sah ich mich selbst.

Ich war ein pures Abbild der Leugnung. Damals, als meine Mutter verstorben war, hatte ich es nicht glauben können.

Lymphdrüsenkrebs im Endstadium. Noch nie in meinem Leben hatte ich so viel geweint, wie an dem Tag, als sie die Diagnose erhielt.

Wie oft hatte ich mir eingeredet, dass es ihr besser gehen würde. Ich wusste genau, was ihr Zustand bedeutete. Der Krebs hatte bereits ihr Knochenmark befallen. Er zerfraß ihre Leber. Und dennoch hatte ich daran geglaubt, dass sie gesund werden würde.

Erst, als ich vor ihrem blendend weißen Sarg gestanden hatte, war mir klar geworden, dass sie nun endgültig fort war.

Sie würde nie wieder mit mir surfen, die Sonne sehen oder in Bondi schwimmen. Das alles wegen eines entarteten Blutkörperchens.

„Hey, hört mal... Das war ziemlich aufregend—", sagte ich schließlich und stieß ein tiefes Seufzen aus.

Mir war gar nicht aufgefallen, dass die Anderen das Gespräch bereits weitergeführt hatten. Kiara reagierte zuerst. Sie schenkte mir ein sanftes Lächeln.

„Fahr ruhig nach Hause, Jemma", sagte sie warm.

Ich konnte spüren, dass mich JJ ansah. Es war wie am Strand. Seine Augen schienen Löcher in mein Top zu brennen. Auch Pope und JB wandten sich nach einigen Sekunden zu mir um.

Ich erntete ein verständnisvolles Lächeln von John B. Wenn mich einer verstand, dann er. Sein Vater war vor einem Jahr wie aus dem Nichts verschwunden. Er war vielleicht nicht tot, doch er war verschollen.

Irgendwas war ihm zugestoßen und ich war mir sicher, die Pogues würden herausfinden, was es war.

„Ist wirklich alles in Ordnung?", fragte Pope, als ich nicht antwortete und musterte mich mit gehobenen Augenbrauen. Ich winkte ab.

„Alles in Ordnung. Ich bin eigentlich nur hergekommen, um JJ den Hintern zu versohlen", entgegnete ich. Kie lachte leise.

„Daraus ist wohl nichts geworden, Prinzessin." Lässig lehnte sich JJ gegen einen der Holzpfeiler. Sein rechter Mundwinkel zuckte, als er mich ansah.

„Keine Sorge, ich habe meine Genugtuung erhalten", zischte ich und lächelte zuckersüß. Er rollte mit den Augen.

„Ich gehe lieber, bevor der Kleptomane wieder auf die Idee kommt, mit seiner Waffe herumzuschießen." Ich stieg die kleine Verandatreppe herab und sah zu den Pogues auf.

„Wenn ihr meine Hilfe braucht—", sagte ich und sah zu John B. Er musterte mich nachdenklich.

Wenn ihr meine Hilfe braucht, meldet euch."

Keine zwei Minuten später saß ich in meinem Auto. Mein Blick wanderte zurück zur Fischerhütte. In der Ferne konnte ich John B's Stimme vernehmen. Er klang aufgebracht.

Ich atmete tief aus. Es war das zweite Mal in einer Woche, dass ich beinahe gestorben wäre. Ein Fakt, über den ich keineswegs zufrieden war.

Erst, als ich wieder auf der Landstraße fuhr, wurde mir klar, was heute geschehen war. Die Gesichter der Männer geisterten durch meinen Kopf. Die Gedanken an John B, Rafe, JJ und Scooter folgten mir wie dunkle Schatten.

Hätte ich doch nur gewusst, was mich Zuhause erwartete.

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Hey, ihr Lieben 🫶🏻

Hier bin ich wieder mal nach sehr langer Zeit. Ich hatte so viel um die Ohren (neue Ausbildung, Studienabbruch, Umzug, lernen... die Liste ist lang)
Ich hoffe, euch gefällt das Kapitel, auch wenn es mehr ein Füllkapitel ist. Aber schließlich muss ich Jemma ja auch langsam in die Welt der Pogues einführen, hm? Außerdem wissen wir endlich, was mit ihrer Mutter passiert ist.

Und was könnte Jemma wohl erwarten?

Bleibt gesund!

- eure Michi ❤️

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