𝗦𝗛𝗢𝗧𝗦 𝗙𝗜𝗥𝗘𝗗

HURRICANE AGATHA HATTE die Outer Banks in Schutt und Asche gelegt. Ein Teppich aus abgebrochenen Ästen, Laub und Treibholz bedeckte die Straße zwischen Figure Eight und Kildare Island wie eine modernde Decke.

Agatha war ein Miststück vom Allerfeinsten, hatte getobt und gewütet bis sämtliche Schiffe auf Grund gelaufen waren.

Und nun - nachdem ihre erbarmungslosen Winde das Wasser aufgewühlt und für Zerstörung gesorgt hatten - schienen ihre Nachwehen für meinen eigenen, kleinen Hurricane zu sorgen.

Nate wechselte kaum ein Wort mit mir, warf mir böse Blicke zu und machte mir mehr als deutlich, dass er mir die Aktion mit seinem Jeep nie vergessen würde.

Mein Surfboard hatte ich selbstverständlich von meinen Ersparnissen ersetzen dürfen, zwischen Rafe und mir lief es miserabel und JJ Maybank - der Letzte einer Reihe von angelnden, trinkenden, streitenden, schmuggelnden Strandbewohnern, die vom Meer lebten - hatte das Armband meiner Mom in seinen kleinen, schleimigen Fingern.

Da saß ich also, Jemma Maria Thompson, am Strandabschnitt Boneyard und hielt meinen roten Becher gen Meer, während sich um mich herum immer mehr Teenager - egal ob Kooks, Pogues oder Touris - versammelten.

Ich wusste genau, dass sich mein Bruder irgendwo an diesem Strand herumtrieb. Und ich wusste genauso gut, dass er nicht erfreut sein würde, mich hier zu sehen.

Immerhin lauerte es hier von Halbstarken, vereint durch ihre Gelüste nach Freibier und Drogen.

Wenn es um Partys im Boneyard ging, herrschte eine unausgesprochene Toleranz zwischen den verfeindeten Stämmen. 

Für einige Stunden konnten Pogues und Kooks miteinander leben, die gleiche salzige Luft zu atmen, auf dem gleichen Treibholz sitzen und aus den gleichen ranzigen Fässern trinken ohne sich gegenseitig die Köpfe einzuschlagen.

Für ein paar kostbare Stunden herrschte ein feindseliger Waffenstillstand, ganz nach dem Motto Sei betrunken, sei high, habe Sex und vergesse am nächsten Tag, dass das alles jemals passiert ist. 

Dass dieser Strand Kulisse einer potenziellen Katastrophe sein würde, wusste ich zu diesem Zeitpunkt nicht und so nippte ich an meinem Bier.

Rafe war vor einigen Minuten mit Topper und Kelce verschwunden. Somit vergnügte ich mich allein, trank meinen Alkohol und blickte auf die schimmernde Wasseroberfläche des Atlantiks.

„Darf ich?"

Ich sah mich um und richtete meine Augen auf das nackte, muskulöse und behaarte Beinpaar, das mir nun die Sicht aufs Wasser versperrte. Ich hob meinen Blick und sah - zu meiner Überraschung - in das kantige Gesicht von niemand anderem als John B. 

Ich mochte ihn, das tat ich wirklich. Ich hatte mitbekommen, was er in den letzten Monaten hatte durchmachen müssen. Obgleich er ein Pogue und somit absolutes Tabu für mich war, mochte ich den Routledge-Sprössling.

Ich würde ihm nie vergessen, wie er und seine Freunde mein Leben gerettet hatten. Auch wenn ich den Teil mit JJ geflissentlich ignorierte.

Als ich merkte, dass John B immer noch auf eine Antwort wartete, räusperte ich mich und nickte eilig.

„Natürlich, setz dich ruhig!"

Der Lockenkopf lächelte zu mir hinunter. Als Form des Dankes erschien ein Paar niedlicher Grübchen in seinen gebräunten Wangen.

„Hast du zufällig meinen Freund gesehen?", fragte ich nonchalant und fuhr mir durchs Haar. Für einen kurzen Moment schien John B zu zögern.

„Er kifft.", erwiderte er knapp und nahm einen ordentlichen Schluck von der grünen Flasche, die er zwischen seinen großen Fingern hielt. Ich nickte rudimentär und lächelte.

Es war kein echtes Lächeln. Aber das wusste er nicht.

„Nette Party übrigens. Ich hab gehört, du hast sie organisiert?", sagte ich nach einigen Sekunden. Der Routledge-Sprössling lächelte, sein Gesicht warm und freundlich im fernen Feuerschein. 

„Ja, danke."

„Was ist der Anlass?"

„Muss es denn immer 'nen Grund zum Feiern geben?" 

Ich neigte den Kopf zur Seite.

„Für die Kooks, nein. Ich bin mir sicher, die könnten jeden Tag ohne Sinn und Verstand durchfeiern. Aber für dich? Der Partycrasher schlechthin schmeißt einmal selbst eine? Und dann auch noch mit Freibier?"

Es kam nicht jeden Tag vor, dass John B. Routledge aus seiner Fischerhütte hervorkam, um etwas zu veranstalten, das sich wahrscheinlich als die denkwürdigste Nacht des Sommers erweisen würde. 

Der Braunhaarige wandte sich von mir ab und sah in den orangenen Sonnenuntergang. Wieder herrschte Stille.

„Was machst du eigentlich?", fragte ich plötzlich und überraschte mich mit meiner Offenheit. Ich hatte bereits einige Male mit John B gesprochen, oft während der Schulzeit - hatte die Gerüchte über ihn gehört.

Doch nie hatte ich mir die Mühe gemacht, ihn näher kennenzulernen.

„Ich arbeite.", entgegnete er ohne seinen Blick vom Wasser abzuwenden. Auch wenn ich es nicht sehen konnte - Ich war mir sicher, dass etwas Anklagendes darin lag.

Ich arbeite, du lebst im Luxus.

„Und was tust du gerne?" 

„Ich surfe. Ich fahre Boot. Und ich fische."

„Und wenn ich weder das eine noch das andere tue, hänge ich mit meinen Freunden herum. Aber das hast du ja sicherlich schon mitbekommen." Er lächelte.

„Das habe ich.", erwiderte ich leise und ein kleines Schmunzeln umspielte meine Lippen.

Gedankenverloren ließ ich meinen Blick über den Strand wandern. Selbst im Halbdunkeln konnte ich Sarahs blonde, gewellte Haare erkennen. Sie stand zusammen mit einigen anderen Mädchen und unterhielt sich, während Topper mit Kelce und Rafe kiffte.

Doch meine Gedankengänge wurden von niemand anderem als JJ Maybank unterbrochen. 

„JB, mein Kumpel. Wie geht's?", fragte er und ich konnte erkennen, dass er eklatant betrunken war.

Dann wanderten seine meerblauen Augen zu mir und ich konnte erkennen, wie sich sein Gesichtsausdruck veränderte.

„Wen haben wir denn da?" JJ sah an mir auf und ab. Ich rollte genervt mit den Augen und stöhnte auf.

„Lass gut sein, Maybank."

„Oh, ich weiß genau, warum du hier bist.", ignorierte er und kicherte dämlich.

Meine kühle Fassade bröckelte. Ich war mir sicher, dass er vom Armband sprach.

„Wenn du denkst, dass ich gekommen bin, um deinen Arsch zu küssen, liegst du falsch.", antwortete ich schließlich und versuchte von meiner eigenen Unsicherheit abzulenken.

JJ schien nichts zu bemerken.

Stattdessen verharrte der Blonde in seiner Bewegung und bedachte mich mit einem Blick, der frech hatte sein sollen. Doch jetzt, wo er so unverhohlen auf mich herabsah, blieb sein eigener Gesichtsausdruck vakant wie der Meeresgrund bei Ebbe.

Ich fragte mich, wieso wir uns hassten.

Warum durften wir nicht die sein, die wir waren? Warum Seiten und Stämme? Warum musste es eine Kluft geben, wenn wir uns doch alle in dieselbe Richtung bewegten?

Wir alle waren nur Teenager, die versuchten, ihre Fußabdrücke im Sand der Zeit zu hinterlassen.

Ich bekam nicht mit, dass John B und JJ in ein hitziges Gespräch ausgebrochen waren, denn plötzlich brüllte der Blonde herum und bedeutete nun niemand Geringerem als Sarah Cameron, zu ihm kommen und ein Bier zu trinken.

„Nein, danke.", antwortete sie kühl.

Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Topper, Kelce und Rafe hinter ihr auftauchten. Ersterer legte seine Hand bestimmt an ihre schmale Taille, zog sie zu sich und ließ dem blonden Pogue tödliche Blicke zuteil werden.

„Komm schon!", quengelte JJ und ignorierte Topper, während mir bewusst wurde, dass mich Rafe mit indigniertem Blick musterte. Langsam wanderte er zwischen John B und mir, der immer noch neben mir stand.

Plötzlich tat JJ einen entscheidenden Schritt näher.

„Sie will es nicht, du dummes Stück Scheiße!" Topper knurrte und ich konnte sehen, wie sich Rafes Hände zu Fäusten ballten.

Als sich die beiden Jungen aufeinander stürzten, schob sich John B an mir vorbei und schlang die Arme um seinen besten Freund. Mit Hilfe von Pope versuchten sie verzweifelt, JJ von Topper herunterzuziehen, was ihnen schließlich, mit einem harten Stoß nach hinten, gelang.

„Dreckige Pogues!", schrie Topper.

Im nächsten Moment heizte Rafe auf mich zu und packte mich am Arm. Mir entfuhr ein leises Zischen, als er mich mit sich zog.

Indes brach die Hölle über Boneyard hinein. Aus der Ferne ertönten die Schreie von Topper, JJ, John B und Kiara. Ich versuchte mich umzudrehen, doch Rafe hielt mich mit eisernem Griff.

„Was hast du bei diesem Routledge gesucht?", fragte er und erst jetzt bemerkte ich, dass er furchtbar betrunken war. Der Geruch von Bier und Schnaps stieg meine Nase empor und ließ mich das Gesicht verziehen.

„Na, wo habt ihr rumgemacht?" Er hob die Augenbrauen. „Hat er dir an die Titten gefasst?"

Geschockt öffnete ich meinen Mund.

„Rafe-", sagte ich, doch er unterbrach mich.

„Du siehst aus wie eine Nutte, Jemma. Wie eine verdammte Nutte hurst du herum, während ich weg bin.", lallte er.

Ich spürte, wie mir Tränen in die Augen schossen. Mit jedem Wort stach mein Herz ein kleines bisschen mehr. Er schien nicht zu bemerken, dass ich das Kleid trug, das er mir zum 16. Geburtstag geschenkt hatte.

„Rafe, das bist nicht du. Du weißt nicht, was du sagst. Du bist betrunken.", krächzte ich und hörte ein lautes Klatschen in der Entfernung - als wäre jemand ins Wasser gefallen.

Mein Freund schüttelte seinen Kopf.

„Ich erkenne billigen Scheiß, wenn ich ihn sehe. Ich habe dir alles gegeben, Jemma. Und dann gibst du dich mit ihm ab?" Er kam näher und stieß mit seinem Zeigefinger gegen meinen Oberkörper. Mit jedem Wort bohrte er ihn tiefer in meine Haut.

„Du fickst diesen Pogue? Fick dich, Jemma!", schrie er und plötzlich landete meine flache Hand in seinem Gesicht.

„Ich-", flüsterte ich.

Geschockt taumelte er zurück.

Und ehe er etwas erwidern konnte, stürmte ich davon, lief zurück zur Gruppe und versuchte das Loch, das sich in meinem Herzen bildete, zu stopfen.

Ich sah, wie Topper und John B im Wasser standen. Ersterer hielt den Braunhaarigen am Kragen seines Hawaihemds. John Bs Gesicht war bleich und ich konnte sehen, wie sich ein Veilchen an seinem rechten Auge bildete.

Ein Wirrwarr aus Musik, Stimmen und dem erbarmunglosen Rauschen des Meeres. In all dem Chaos sah ich, wie JJ ins Wasser lief - die Hand in der Gesäßtasche.

Und im nächsten Moment hielt er Topper Thornton eine Waffe an den Hinterkopf, den Finger bereits um den Abzug gekrümmt.

Die anderen Teenager begannen sofort, vom Strand zu fliehen. 

„Verschwindet verdammt noch mal von unserer Seite!", spie der Blonde in den Wind - in das Tosen des Meeres, in die Vergessenheit der Sterne, die auf all unsere zerrütteten Geister herabzustürzen drohten.

Dann richtete er den Lauf gen Himmel feuerte einige Warnschüsse in die Luft.

„Nimm sofort die Waffe runter, JJ!", schrie ich und stellte mich mit erhobenen Händen vor ihn. Der Blonde drehte sich augenblicklich um.

Ich sah, wie sich seine Augen weiteten, als ich ihm die Waffe mit einem harten, aber bestimmten Schlag aus der Hand riss und sie zwischen uns auf den abgekühlten Sand beförderte.

Stille.

Jetzt standen wir uns so nah, dass ich ihn riechen konnte. Den Schweiß, den Alkohol - das Schießpulver auf seiner gebräunten Haut.

Jemma.", brachte JJ hinter zusammengebissenen Zähnen hervor.

-
Hallo, ihr Lieben!
Willkommen zu einem neuen Kapitel. Es hat mir furchtbar Spaß gemacht, dieses Kapitel zu schreiben, weil ich alleine die Szene in der Serie unfassbar gewaltig fand. Was haltet ihr davon? Und denkt ihr, sie wird Rafe verzeihen?

Ich wünsche euch ein gesundes und erfolgreiches 2021! 🥂

- eure Michi ❤️

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top