𝗡𝗢𝗧𝗛𝗜𝗡𝗚'𝗦 𝗔𝗦 𝗜𝗧 𝗦𝗘𝗘𝗠𝗦
— ICH HATTE DEN GESAMTEN MORGEN damit verbracht, an meine Zimmerdecke zu starren.
Vor einem Tag war alles in Ordnung gewesen. Und nun war mein Leben ein absolutes Chaos. Ich hatte mein Surfboard geschrottet, mich beinahe umgebracht und Nate's Wagen geradewegs auf den Parkplatz des Abschleppdienstes befördert.
Dazu kam die Sache mit Rafe und die unbekannte Nummer, die ich seit gestern Nacht geflissentlich ignorierte.
Ich hatte Mom's Armband wie jeden Morgen umgebunden und getragen - beim Frühstück, bei der Zeugnisvergabe. Selbst, als ich Nate's Auto geklaut hatte. Das Armband musste sich irgendwo zwischen unserem Anwesen und dem Cut befinden.
Sind nur 7 Meilen, dachte ich und vergrub meinen Kopf unter meiner Decke. Es war zum Heulen. Wo hatte die Person mein Armband gefunden?
Bevor ich tiefer in Selbstmitleid versinken konnte, ertönte ein lautes Klopfen an meinem Fenster. Immer und immer wieder. Genervt streckte ich meinen Kopf unter der Decke hervor und sprang auf. Ich lief in Richtung Fenster, betätigte meine Rollos und schaute auf die Veranda herab.
Plötzlich knallte ein kleiner Stein gegen das dünne Glas. Ich zuckte zurück. Innerhalb von Sekunden riss ich meine Balkontür auf und blickte in den Garten herab.
„Rafe?", fragte ich ungläubig und hob meine Augenbrauen. „Was machst du hier? Es ist 9:00 Uhr." Mein Freund lächelte geheimnisvoll und hielt sich den rechten Zeigefinger vor die Lippen.
Einige Sekunden später vibrierte mein Handy, fiel beinahe vom Nachttisch. Überrascht hastete ich zu meinem Bett und sah aufs Display. Ich hatte eine Nachricht. Eine Nachricht von Rafe.
„DD?"
Dean's Diner.
Dort gab es die besten French Fries, die besten Milchshakes und den besten Redvelvet-Cake in ganz OBX. Immer roch es nach Frittieröl und Pancakes. Es mochte alt aussehen, doch es hatte seinen Charme. Seit Rafe von der Uni zurückgekehrt war, aßen wir dort mindestens ein Mal die Woche.
Schließlich nahm ich das silberne Gerät und trat an mein Fenster. Der Dunkelblonde stand mit seinem Handy vor unseren Rosensträuchern und deutete in Richtung Auffahrt. Ein schwarzer Wagen parkte neben dem Auto meines Vaters.
Meine Lippen verzogen sich zu einer schmalen Linie. Für einen kurzen Moment erinnerte ich mich daran, dass er mich belogen hatte. Dass er gestern Abend nicht bei mir gewesen war. Er tat so, als wäre nichts geschehen.
Er wusste nicht, dass seine Lüge aufgelogen war. Er wusste nicht, dass ich mir seit Stunden den Kopf über ihn zerbrach.
Vielleicht hatte er sich mit einem anderen Mädchen getroffen.
Ich schüttelte meinen Kopf und verdrängte den Gedanken.
Nein, das würde er mir nicht antun.
Schließlich flogen meine Finger über die leuchtende Tastatur und verfassten eine knappe Antwort. Ein Teil von mir hoffte, den ganzen Stress vergessen zu können. Dass ich die Zeit zurückdrehen konnte. Ohne unbekannte Nummer und ohne Mom's fehlendes Armband. Ohne Rafe's Lügen.
Das, was ich jetzt brauchte, war Normalität.
Einige Sekunden später lief ich zu meinem Schrank und wechselte meine Kleidung. Ich drapierte mein strohblondes Haar über meine gebräunten Schultern - darauf bedacht, die Wunde an meiner Stirn zu verdecken - griff mir eine kleine Tasche, nahm ein paar Dollarnoten und verließ mein Zimmer.
Als die Haustür ins Schloss fiel, atmete ich erleichtert auf und schlich zu den Rosensträuchern.
Das Zirpen der Grillen hallte über die hölzerne Veranda. Eine seichte Brise wehte über das Grundstück, trug den Geruch von Wasser und Salz durch den großen Garten. Der graue Kies knirschte unter meinen weißen Sneakern, als ich den Weg zur Auffahrt herablief. Rafe stand neben Dad's schwarzem Chevrolet Impala und lehnte gegen einen Wagen.
Bei genauerem Hinsehen fiel mir auf, dass es sich um Ward's blauen Chrysler handelte. Mein Freund lächelte und seine weißen, geraden Zähne kamen zum Vorschein. Er streckte seine Hand nach mir aus und zog mich an der Hüfte zu sich.
Überrascht sog ich die warme Sommerluft ein. Einige Sekunden später küsste er mich. Fordernd bewegten sich seine Lippen gegen meine. Es war anders als sonst. Normalerweise war er sanfter.
„Babe.", hauchte er gegen meine Lippen und hielt mich. Seine großen Hände umschlossen meine Taille. „Bist du bereit für ein tolles Frühstück?"
„Ja, Mr Cameron.", erwiderte ich und legte eine Hand an seine Brust. Rafe ließ von mir ab und öffnete mir die Beifahrertür des Chryslers. Überrascht hob ich eine Augenbraue und ließ mich auf den cremefarbenen Ledersitz fallen.
Als er sich an das Steuer setzte und das Radio einschaltete, fühlte es sich an wie früher - wie vor seiner Zeit an der Universität.
Es ertönte Wonderwall von Oasis. Es war das Lied, das wir bei unserem ersten Kuss gehört hatten. Ich spürte ein Prickeln auf meinen Lippen.
⌇ ⌇ ⌇
Wenn man das Interieur von Dean's Diner betrachtete, stellte man fest, dass alle Sitzbänke aus alten Autos stammten.
Dean hatte sie höchstpersönlich ausgebaut. Er war ein großer Oldtimerfan, was man an den zahlreichen eingerahmten Nummerschildern erkennen konnte. Sie schmückten die kirschroten Wände wie kostbare Diplome.
Auch heute lag der Duft von Pancakes in der Luft.
Unser Stammplatz war eine abgerockte Vierersitzbank aus dunklem Leder. Rafe war fest davon überzeugt, dass diese Sitze aus dem verunglückten Porsche 550 Spyder von James Dean stammten.
„Was darf es für euch sein? Wieder Nummer 4?" Ein Mann mit schokoladenfarbener Haut trat aus der Küche hervor und lief zum Tresen. Seine Unterarme schimmerten - vermutlich Bratöl. Ein freundliches Lächeln zierte seine vollen Lippen.
„Nummer 4.", bestätigte Rafe, griff in seine Hosentasche und zog eine Fünzigdollarnote hervor. Überrascht hob ich die Augenbrauen.
Woher hatte er das Geld?
„Kommt sofort.", entgegnete Dean, machte kehrt und verschwand pfeifend in der Küche.
„Geh' du ruhig vor. Ich bringe die Shakes.", sagte Rafe. Ich nickte schwach und machte kehrt.
Unbewusst biss ich mir auf die Unterlippe, lief über die karierten Fliesen und sah zu Boden. Die kühle Luft der Klimaanlage blies durch meine Haare. Ich ließ mich auf unsere Sitzbank fallen, zog mein Handy hervor und überprüfte meine Nachrichten. Meine Finger wanderten über das Display und landeten auf der unbekannten Nummer.
Keine neue Nachricht. Ich seufzte und sah auf - direkt in ein Paar blauer Augen.
Ein Junge mit blondem Haar, einer Badeshorts und blauem T-Shirt. Ein überlegenes Lächeln zierte seine Lippen. Mich überkam eine Welle von Scham. Das hatte mir gerade noch gefehlt.
Vor mir saß JJ Maybank.
„Was machst du hier?", fragte ich ungläubig. Er schien meine leicht geröteten Wangen zu ignorieren.
„Zufälligerweise esse ich in diesem Etablissement." Seine Zähne kamen zum Vorschein. Lässig lehnte er sich gegen das dunkelrote Leder. Ich hatte mit allem gerechnet. Mit allem, nur nicht mit ihm.
„Mund zu. Es zieht.", sagte er knapp und ich zog meine Augenbrauen in die Höhe. Ich wollte etwas Freches erwidern, doch in diesem Moment kam Rafe mit einem Tablett in unsere Richtung gelaufen.
Als er vor der Sitzbank zum Stehen kam, musterte er uns verwirrt.
„Was will der denn hier?", fragte er und schaute auf den Blonden herab. Das Tablett schwankte gefährlich, als ich ihm mit einem Achselzucken signalisierte, dass ich genauso ahnungslos war. Er stellte unsere Shakes auf den Tisch und taxierte JJ mit schneidenden Blicken. Seine Augen schienen Löcher in sein T-Shirt zu brennen.
„Wie auch immer. Wäre toll, wenn du von unserem Platz verschwinden würdest, Pogue.", bemerkte mein Freund. Ich schielte ihn von der Seite an.
„Süßer, ich kann sitzen wo ich möchte." JJ schaute auf und schenkte ihm einen genügsamen Blick. Dem jungen Cameron entgleisten die Gesichtszüge.
„Wie hast du mich gerade genannt?", fragte Rafe und wurde lauter. Als ich zu JJ sah, bemerkte ich, dass er mich musterte. Ein schmales Lächeln lag auf seinen Lippen. Bei mir klingelten sämtliche Alarmglocken, doch ich ignorierte das ungute Gefühl in meinem Bauch.
Immer wieder redete Rafe auf ihn ein. Seine Stimme klang merkwürdig. „Du wirst dich jetzt woanders hinsetzen, du Ratte." Er betonte das Wort mit so viel Nachdruck, dass ich Gänsehaut bekam. JJ regte sich nicht. Stattdessen zog er sein Handy hervor und blickte desinteressiert auf das Display.
Indes zog Rafe die Aufmerksamkeit der anderen Gäste auf sich. Selbst Dean hatte sich über den Tresen gebeugt und beobachtete das Spektakel.
„Brauchst du eine Sondereinladung?" Rafe schlug auf den Tisch. Ich schüttelte den Kopf und legte meine Hand an seinen Unterarm, wissend, dass er mich ignorierte.
Und plötzlich vibrierte mein Handy.
Die Welt um mich herum verschwamm, wurde zu einem Gemisch aus Rot und Weiß. Für einen kurzen Moment glaubte ich, meinen Herschlag hören zu können, das Rauschen des Blutes in meinen Ohren.
Langsam zog ich mein Handy hervor und betätigte den Powerbutton. Mein Display leuchtete auf, zeigte mein Hintergrundbild. Es war ein Bild von Rafe und mir an der Promenade. Er hatte seinen Arm um meine Hüfte gelegt. Ich lächelte glücklich.
Ein Stechen durchfuhr meine Brust.
Und dann sah ich sie, die Nachricht der unbekannten Nummer. Spottend leuchtete sie mir entgegen, erinnerte mich an meine eigene Dummheit.
Doch das war nicht, was mir den Atem nahm.
Es war die Art, wie JJ Maybank sein Handy in die Luft hielt und den Bildschirm in meine Richtung drehte. Wie sich seine Lippen zu einem genügsamen Lächeln verzogen. Seine Finger wanderten über die leuchtende Tastatur.
Erneut bimmelte mein Handy.
„Suchst du dein Armband, kleine Kook?"
Mir rutschte das Herz in die Hose.
Geschockt erhob ich mich von der Sitzbank und sah zu Rafe. Meine Augen waren weit aufgerissen.
„Rafe, hör auf. Lass uns woanders hingehen.", entgegnete ich geistesabwesend und nahm unser Tablett. Er wollte mich aufhalten, doch ich ignorierte ihn. Er betrachtete die Szenerie mit offenem Mund. Ich musste hier weg.
Sofort.
„Was soll das? Babe?", fragte er verwirrt und folgte mir mit gehobenen Händen. Meine Finger umklammerten das Plastiktablett als hinge mein Leben davon ab. Ich schluckte. Es fühlte sich an, als würden sich die Konturen meines Handys in meinen Oberschenkel bohren.
Ein letztes Mal warf ich einen Blick über meine Schulter.
Der Blonde sah mich an. Seine Augen waren Blau wie das Meer, sein Ausdruck undefinierbar. Für einen kurzen Moment glaubte ich, seine Mundwinkel zucken zu sehen.
Er war die unbekannte Nummer. Er hatte mein Armband gefunden.
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