— ALS ICH DIE LANDSTRASSE VERLIESS und in Richtung Cut fuhr, hämmerte mein Herz wie wild gegen meinen Brustkorb. Die Erinnerungen an vergangene Nacht flammten vor meinen inneren Auge auf und ließen mich erschaudern.
Jetzt, wo sich das Adrenalin gelegt hatte, machte sich Wut in mir breit. Wut auf den blonden Strandbewohner, der eine Waffe gezogen und auf uns gerichtet hatte.
Meine Finger trommelten auf dem warmen Lenkrad, als ich in den kleinen, verwilderten Weg zu John Bs' Fischerhütte einbog. Eine seichte Brise wehte und trug den Geruch von Wasser und Salz durch die heruntergekurbelten Fenster von Dad's schwarzem Chevrolet Impala.
Ich warf einen Blick durch die Frontscheibe des Autos und kam in der dichtbewachsenen Einfahrt zum Stehen. Hohes Gras umringte den erdigen Weg, in dem sich die Reifenspuren des Routledge VW Busses befanden.
Mein Blick wanderte zur kleinen Fischerhütte. Der vordere Teil des Grundstücks verlief zu einem kleinen, hölzernen Steg und lauter herausgerissenen Sträuchern. Hurricane Agatha hatte ganze Arbeit geleistet.
Schließlich kam ich vor einem umgefallenen Baum zum Stehen und stieg aus. Mit einem lauten Knallen fiel die Fahrertür ins Schloss. Für einen kurzen Moment betrachtete ich die Fischerhütte und den verwüstete Garten, ehe ich mich in Bewegung setzte.
Meine weißen Sneaker hinterließen Abdrücke im feuchten Boden, als ich den Weg zur Holzveranda entlang lief. Ich stieg die kleinen Stufen empor und verharrte einige Sekunden. Erneut flammten Bilder und Erinnerungen an letzte Nacht vor meinem inneren Auge auf.
Ich fühlte Ärger und Wut, aber auch Unverständnis für das, was JJ getan hatte. Es machte mich rasend, wie leichtfertig er gehandelt hatte. Dazu kam der Fakt, dass er immer noch im Besitz meines Armbandes war.
Ich war gerade dabei an der Tür zu klopfen, als sie sich plötzlich öffnete. Einige Sekunden vergingen und mir wurde bewusst wer dort vor mir stand. Sein ebenfalls überraschter Gesichtsausdruck legte sich und verwandelte sich in ein überlegenes Lächeln.
„Prinzessin.", brachte er hervor, lehnte gegen den Türrahmen und musterte mich. Mir entfuhr ein leises Grummeln.
„Ich hoffe, dir ist klar, dass du eine Straftat begangen hast.", erwiderte ich düster und verschränkte meine Arme. Der Blonde hob die Augenbrauen.
„Du hast verdammt viele Leute in Gefahr gebracht." Es fiel mir schwer ihn anzusehen. Ich konnte spüren, wie mein Kiefer zitterte, als ich an Nathans' erleichterten Blick zurückdachte. Er hatte sich furchtbare Sorgen gemacht.
„Schon vergessen, dass einer von euch bekloppten Kooks versucht hat, meinen besten Freund zu ertränken?", fragte JJ vorwurfsvoll. „Das war versuchter Mord!"
Ich rollte mit den Augen.
„Du hättest sonst wen erschießen können! 100 Dollar, dass die Waffe gestohlen ist.", antwortete ich genervt. Anschließend wanderten meine Augen zu meinem Handgelenk. „Genau so wie mein Armband."
Der blonde Surfer sah zu mir auf, stieß sich vom Türrahmen ab und trat näher.
„Wer spricht von Diebstahl? Ich habe es gefunden. Du solltest dankbar sein, kleine Kook." Gleichgültig fuhr er sich durchs sandblonde Haar. Es lag etwas Herausforderndes in seiner Stimme.
„Dann gib es gefälligst zurück, Maybank. Es gehört dir nicht.", zischte ich unter zusammengepressten Zähnen. Dieses Armband war mehr als gewöhnlicher Modeschmuck. Es erinnerte mich an meine Mom. Es war ein Andenken an sie.
„Du kriegst es zurück, wenn du mir beweist, dass du's verdient hast.", erwiderte er und sein rechter Mundwinkel zuckte. Ich war mir sicher, dass er sah, wie meine Unterlippe zitterte.
„Leute!", ertönte es plötzlich aus der kleinen Fischerhütte und wir brachen auseinander.
Aufmerksam drehte sich JJ um. Die Worte, die ich mir zurechtgelegt hatte, erstarben in meiner Kehle.
„Da kommt jemand! JJ, wo bist du!", rief Pope. Kurz darauf hörte ich Kiaras' aufgescheuchte Stimme. Keine drei Sekunden später blickte ich in JJs' weit aufgerissene, blaue Augen.
„Fuck.", fluchte er leise, griff nach meiner Hand und zog mich ins Innere der Fischerhütte. Ich hatte keine Zeit zu protestieren oder zu schreien.
„Bist du bescheuert?", fragte ich wütend, doch er ließ sich nicht beirren.
JBs' Fischerhütte sah aus wie an dem Tag, als ich auf der Couch aufgewacht war. Viel Zeit zum Umsehen blieb mir nicht, denn der Blonde zog mich geradewegs in ein dunkles, staubdurchdrungenes Büro. Mappen und Karten lagen auf dem alten Parkett verteilt.
Ich sah John B, Pope und Kiara unter einem Fenster kauern. Ersterer spähte durch einen kleinen Spalt auf den Rest des Grundstücks.
„Leute, sind das nicht die Typen?", fragte Kiara aufgewühlt und John B signalisierte ihr leise zu sein.
„Pssst, sie haben Waffen." Pope hockte neben dem jungen Routledge und hielt sich den Mund zu. Aufgeregt drehte er sich um und erstarrte in seiner Bewegung.
Seine braunen Augen weiteten sich, als er sah, wer neben seinem blonden Surferkumpel stand.
„Jemma?", fragte er leise und die Anderen drehten sich um. Kiara musterte mich erschrocken und auch JB sah nicht weniger überrascht aus.
„Kann mir bitte jemand sagen, was hier abgeht?" Ich konnte das Adrenalin, welches von den anderen Pogues ausging, förmlich riechen. Kie hielt sich den linken Zeigefinger vor die Lippen.
„Kommt her!", zischte sie dann und brach aus ihrer Schockstarre. Mit einer Handbewegung signalisierte sie uns zum Fenster zu kommen. Erst jetzt bemerkte ich, dass mich JJ immer noch am Handgelenk hielt.
Der Blonde schenkte mir einen kurzen, merkwürdigen Seitenblick, ehe er von mir abließ und zum Fenster lief.
Schließlich kauerten wir zusammen unterhalb des Fensters. Im Halbdunkeln des Raumes konnte ich einen alten, rostigen Kompass in John Bs' Hand erkennen. Er umklammerte das Stück Metall, als hinge sein Leben davon ab.
„JJ, wo ist die Waffe?" Der junge Routledge drehte sich um und musterte seinen besten Freund. Überrascht weiteten sich meine Augen, als JJ seine Hosentaschen abtastete. Er hatte die Pistole behalten. Idiot.
„Keine Waffe. Sie ist in meinem Rucksack auf der Veranda.", erwiderte er und biss sich auf die Unterlippe. Kiara rieb sich die Nasenwurzel und taxierte ihn mit düsteren Blicken. Es war die Art Blick, den man einem Kind zuteil werden ließ, wenn es etwas Verbotenes getan hatte.
„Dein Ernst? Jetzt wo wir sie brauchen, hast du sie nicht?", fragte sie aufgebracht und sah aus, als würde sie dem Blonden jeden Moment eine Vernunftsbackpfeife verpassen.
Doch dazu sollte es nicht kommen, denn im nächsten Moment ertönte ein lautes Knarren auf der Veranda. Man hörte Rufe und Schritte von draußen. Es waren Männer.
„Raus hier, Routledge!", schrien sie wütend, als sie das Haus betraten. Schlagartig änderte sich meine Stimmung. Ich war nicht genervt oder sauer. Ich hatte furchtbare Angst.
Mir wurde heiß und kalt, als ich den erschrockenen Ausdruck in John Bs' Augen bemerkte. Was wollten diese Männer von ihm?
„Wo bist du, Junge?" „Wir müssen weg.", zischte Kiara. „Fenster. Fenster!"
JJ und Pope versuchten das angeklappte Fenster zu öffnen. Indes kamen die schweren Schritte immer näher.
„Fuck, es lässt sich nicht öffnen. Irgendwas klemmt.", zischte Pope und sah aufmerksam zu John B. Ängstlich fuhr ich mir durch die Haare. Mein Herz schlug mir bis zum Hals. Ich konnte nicht glauben, was gerade geschah.
„Ihr hättet mich die Waffe holen lassen sollen.", warf JJ ein und ich sah ihn verständnislos an. Auch Kie musterte ihn genervt. „Und dann was? Dich töten lassen?", hisste ich. „Dein Trieb zur Selbsterhaltung ist wohl doch nicht so ausgeprägt."
„Jetzt ist nicht der Zeitpunkt um zu streiten, Kleines.", brachte er kiefermalmend hervor und musterte John B, welcher sich vor der Tür platziert hatte.
„Kommt raus!", schrie einer der Männer. Pope und John B versuchten nun die Tür zuzuhalten. Jemand trat dagegen, sodass die zwei Teenager beiseite sprangen.
Einige Sekunden später ertönte das Klicken einer geladenen Waffe und das klemmende Fenster ließ sich endlich öffnen.
Es war ein Wirrwarr aus Stimmen und Bewegungen. Ich spürte Arme an meiner Schulter und wie sie mich in Richtung des hölzernen Rahmens drückten.
Einige Sekunden später befand ich mich außerhalb der Fischerhütte, die Finger in den Unterarm meines Gegenübers gekrallt.
Ich ließ von ihm ab, als ich bemerkte, wie er mich musterte. Ich sah Angst und Schock in seinen blauen Augen. Nur Gott wusste, was in diesem Moment in JJ Maybank vor sich ging.
Die gedämpften Stimmen von Kie, Pope und JB ertönten. Sie waren ebenfalls durch das Fenster gestiegen und signalisierten uns zum Hühnerstall zu laufen. Indes versuchte ich alles, um meine Atmung zu beruhigen.
Als wir zusammen im Käfig saßen, hob und senkte sich meine Brust in unregelmäßigen Abständen. Ich hatte JJ meine Meinung geigen und mich von Rafe ablenken wollen. Nun musste ich mich damit arrangieren in einem heubedeckten Hühnerkäfig zu sterben.
„Der hält einfach nicht die Klappe.", zischte Kie und deutete auf einen aufgeregten Hahn. Er flatterte mit den Flügeln und machte Lärm. Es war nur eine Frage der Zeit, bis uns die Männer finden würden.
„Bei Gott, bitte bringt ihn zum Schweigen.", entfuhr es mir.
„Und was sollen wir deiner Meinung nach tun?" fragte Pope außer Atem. „Ich weiß nicht. Es streicheln oder mit ihm reden", erwiderte ich und sah zu Kie, deren Wangen mit Tränen benetzt waren.
Für einige Sekunden hörte man unser angestrengtes Atmen und das Krähen des Hahns. Doch plötzlich ertönte ein lautes Knacken. JJ brach dem Federvieh das Genick.
„Oh mein Gott", flüsterte ich. John B ergriff Kies' Hand und versuchte, die Schwarzhaarige zu trösten, während ich am gesamten Körper zu zittern begann.
Die Luft rasselte in meinen Lungen, als ich meinen Blick auf JJ richtete, der ungläubig auf seine Hände herabblickte.
Für einen kurzen Moment erinnerte ich mich an letzte Nacht. Daran, wie verloren er gewirkt hatte und daran, wie er meinen Namen gesagt hatte. Jemma.
Das hier war der Anfang. Eine Sache, die viel größer als der Inselkonflikt oder unsere Sommerferien war.
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