𝗞𝗢𝗢𝗞-𝗣𝗥𝗜𝗡𝗖𝗘𝗦𝗦

JJ MAYBANK HIELT MEIN HANDY in seiner rechten Hand und grinste.

Ich verengte meine Augen zu Schlitzen und erhob mich vom Sofa. Es quietschte gefährlich als ich in seine Richtung stürzte. Kiara erhob sich ebenfalls, versuchte mich aufzuhalten.

„Jemma!"

Vergeblich.

Wie ein wildgewordener Bullenhai schnellte ich auf ihn zu. Ich ignorierte den Schmerz an meiner Schläfe und presste die Zähne zusammen. Der Blonde hatte das Fass zum Überlaufen gebracht - nein zum Explodieren. Er war ohne Erlaubnis an meiner Tasche gewesen. Wütend kam ich vor ihm zum Stehen. Aus dem Augenwinkel konnte ich sehen wie John B und Pope Blicke austauschten.

„Suchst du das hier?", fragte er und lächelte frech. Ich schnaufte und streckte meine Hand aus. JJ's Lächeln wurde breiter. Eine Sekunde später steckte er es hinter seinen Rücken und beugte sich zu mir herab. Ich war ungefähr 1,70 Meter groß und somit ein leichtes Ziel für seine Schergen und Attacken.

„Was kriege ich dafür, Kook? Ein Haus am Meer? Eine neue Yacht?", fragte er mit gehobenen Augenbrauen. Empört schüttelte ich den Kopf. Was glaubte er eigentlich, wer er war?

„Noch besser. Ich verpasse dir nicht hier und jetzt eine Schelle.", antwortete ich knurrend, streckte meine Hand aus und versuchte hinter seinen Rücken zu gelangen. JJ quittierte meinen Versuch mit einem überlegenen Grinsen.

„Du hattest vor mich zu schlagen? Dieses furchtbar gutaussehende Gesicht?" Er zwinkerte und ich stöhnte genervt. Erneut versuchte ich an mein Handy zu gelangen. Ein leises Bro ertönte seitens Pope.

„Furchtbar trifft es.", knurrte ich und verschränkte meine Arme. Wieder grinste er. Dieses Mal noch gönnerhafter als zuvor. Und bevor ich die Chance hatte, ihn verbal zu zerstören, ergriff Kiara das Wort.

„J gib ihr das verdammte Handy zurück. Du benimmst dich wie ein unterbelichteter Neandertaler!" Mit gehobenen Augenbrauen kam sie vor ihm zum Stehen und hielt ihm ihre linke Hand entgegen.

Für einen kurzen Moment war es still.

„Unterbelichteter Neandertaler... das ist neu, Kie.", erwiderte er und strotzte nur so vor Überlegenheit. Die Braunhaarige antwortete ihm nicht. Stattdessen verdeutlichte sie ihre Absichten indem sie ihre Hand öffnete.

Knapp eine Minute später saß ich wieder auf dem Sofa, mein Handy in der Hand und Kiara - sichtlich zufrieden - im Schneidersitz neben mir. JJ saß an einem der Stühle in der provisorischen Küche und strafte mich mit bösen Blicken, während Pope eine Schüssel Cornflakes bearbeitete.

Ich genoss den Anblick des Blonden. Ich genoss wie er sich den rechten Fuß hielt und so tat, als hätte ihm Kie sämtliche Knochen zertrümmert. Er war eine Dramaqueen.

Eine riesige Dramaqueen.

So wunderte es mich nicht, dass er mich für sein Unglück verantwortlich machte. Wie ein wütender Sechsjähriger saß er da und warf mir böse Blicke zu. Zugegebenermaßen, er hätte beinahe süß ausgesehen, wäre er nicht absolut hohl in der Birne.

Doch als wäre dieser Tag nicht desaströs genug, ließ mich sein mehr als amüsanter Anblick die Zeit vergessen.

Als ich auf den Wecker neben dem Sofa schaute, war es 19:30 Uhr. Meine Familie und die Camerons hatten vor einer halben Stunde begonnen zu grillen. Mein Vater war vermutlich krank vor Sorge. Vielleicht hatte er die Cops gerufen. Seit der Sache mit Mom war er besonders vorsichtig was mich und Nathaniel betraf.

Die Schuldgefühle zerfraßen mich.

Keine drei Sekunden später hielt ich mein Handy in der Hand und wählte die Nummer meines Vaters. Ich merkte, wie meine Hände klamm wurden. Nervös sah ich zu Kiara, die mir ein beruhigendes Lächeln schenkte. Ich sah ein letztes Mal in die Runde, ehe ich meinen Daumen auf das Display drückte.

Einige Sekunden später ertönte das altbekannte Lied. Dad's Klingelton war Somewhere Over The Rainbow von Israel Kamakawiwo'ole. Es war das Lied, was er immer für Mom gesungen hatte - mit Sonnenhut und seiner alten Gitarre. Damals in Australien. Er hatte es jeden Tag im Krankenhaus gesungen.

Sie hatte es geliebt.

Schließlich verebbte das Klingeln und ein leises Knistern hallte durch die Leitung. Jetzt konnte es sich nur noch um Sekunden handeln. Doch zu meiner Überraschung war er ruhig.

„Hallo, meine Kleine. Kommt ihr bald? Soll ich euch abholen?", fragte er gut gelaunt. Ich verzog mein Gesicht und sah geschockt zu Kie.

„Jemmy, bist du noch dran?", fragte er verwirrt und ich schluckte. Irgendwas stimmte nicht. Irgendwas war gewaltig faul. Ich räusperte mich und bemühte mich um eine normale Tonlage.

„Ja, Dad. Das Netz hier ist nicht so toll. Ich komme bald nach Hause.", entgegnete ich schließlich und wartete auf eine Reaktion seinerseits. Ich schenkte Kiara einen Seitenblick und zuckte mit den Schultern.

„Ich dachte du und Rafe seid an der Küste? Er hat dich doch nach dem Surfen abgeholt?" Er klang mehr als verwirrt. Ich verzog mein Gesicht und legte meine Stirn in Falten.

Offensichtlich musste er mit Rafe gesprochen haben.

Und offensichtlich musste Rafe ihn angelogen haben.

Das erklärte seine mehr als ruhige Reaktion und die Tonlage. Ich kam nicht darum rum und fragte mich, warum Rafe ihn belogen hatte. Mein Magen zog sich krampfhaft zusammen, als ich daran dachte, dass er etwas vor mir verheimlichte. Seit seiner Rückkehr verhielt er sich merkwürdig. Er meldete sich abends oft nicht und zog mit seinen Freunden um die Häuser.

„Ähm, wir haben uns aufgeteilt. Er wollte noch was für's Grillen holen. Ich bin in einer halben Stunde Zuhause.", entgegnete ich und hielt mir eine Hand an die Stirn.

Das Stechen an meiner Schläfe bereitete mir im wahrsten Sinne des Wortes Kopfschmerzen. Ich hatte keine Ahnung wie ich die massive Beule innerhalb von dreizig Minuten verschwinden lassen sollte. Geschweige denn wie ich nach Hause kommen sollte.

„Oh, dann sehen wir uns später. Ich habe schon einen Maiskolben für dich raufgeschmissen. So wie du es magst.", sagte er gelassen und ich hörte die Stimmen von Sarah und Wheezie im Hintergrund. Ich lächelte leicht und murmelte ein leises Danke in den Hörer.

„Bis Später, Pops.", sagte ich, ehe ich auf den roten Button drückte und mich zurücklehnte. Mir fiel ein riesiger - streicht riesiger - massiver Stein vom Herzen. Erleichtert stützte ich die Ellenbögen auf meine Oberschenkel und seufzte. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie mich Kiara konsterniert musterte.

„Alles in Ordnung? Hausarrest?", fragte sie.

„Ja, Hausarrest?", fragten John B und Pope unisono, während JJ stillschweigend auf seinem Stuhl kauerte und mich beobachtete. Ich glaubte Amüsement in seinen blauen Augen zu erkennen.

„Kein Hausarrest. Ich habe ein neues Problem.", murmelte ich.

In diesem Moment realisierte ich, wie träge und schwer meine Knochen waren. Zum ersten Mal seit meinem Unfall bemerkte ich, wie ausgelaugt und kraftlos ich war. Ich war mir sicher, dass ich heute Nacht wie ein Baby schlafen würde - vorausgesetzt, ich überlebte diesen Abend. Denn trotz Dad's sichtlich guter Laune bestand immer noch das Problem um Nathaniel's Jeep.

Ich hatte keine Ahnung, wie ich mich erklären sollte. Dann war da noch die Verletzung an meiner Stirn.

Schließlich holte mich die Stimme des Blonden aus meinen Gedanken.

„Ist ja nicht so als wärst du ein einziges Problem.", sagte er und die anderen drehten sich um. Ich schaute ihn verdattert an und hob meine Arme.

„Was ist eigentlich dein Problem?", fragte ich und erhob mich vom Sofa, ehe ich langsam in seine Richtung lief. Ich hatte sein unfreundliches Verhalten satt. Ich hatte seine Kommentare satt.

Nicht eine Sekunde ließ ich ihn aus den Augen und erdolchte ihn mit meinen Blicken. JJ schien überrascht. Zumindest veränderte sich sein Gesichtsausdruck. Wütend kam ich vor ihm zum Stehen und verschränkte die Arme vor meiner Brust

„Ich weiß nicht, was du gegen mich hast. Vielleicht willst du ja einfach nur dein großes Ego spielen lassen, um damit deinen fehlenden Charakter zu kompensieren, aber nicht mit mir, okay? Ich mag von der anderen Seite der Insel sein, aber das heißt noch lange nicht, dass ich weniger wert bin als ihr.", sagte ich und zeigte mit dem rechten Zeigefinger auf meine Brust. Die anderen schwiegen.

„Und das heißt ebenfalls nicht, dass ihr weniger wert seid als ich! Vergiss doch bitte ein Mal diesen dummen Streit zwischen Pogues und Kooks! Ich habe dir nie was getan, Maybank. Nicht alle reichen Menschen sind Arschlöcher." Ich musterte ihn eindringlich.

„Mein Vater hat in Australien alles verkaufen müssen. Unser Haus, unser Boot und seine Firma. Ich habe alle meine Freunde verloren und bin nichtsahnend umgezogen... auf eine Insel, auf der Zustände wie im verdammten Mittelalter herrschen - wo es tatsächlich zwei Lager gibt. Für dich mag das wie Meckern auf hohem Niveau klingen, aber es gibt Menschen, wie zum Beispiel Kie's Eltern oder Pope's Vater,", ich deutete in ihre Richtung, "die hart arbeiten. Mein Vater hat ebenfalls jahrelang hart und ehrlich gearbeitet. Halte ich mich deshalb für was besseres? Nein! Wird dir sicherlich schon aufgefallen sein. Ein wahrer Kook wäre wohl kaum aus freien Stücken zu eurem Strand gekommen. Also entspann dich und zieh' dir das Treibholz aus dem Arsch, JJ!"

Es herrschte Totenstille in der kleinen Fischerhütte.

Das laute Zirpen der Grillen hallte durch die warme Luft. Die untergehende Sonne warf ihre goldenen Strahlen durch die alten Fenster und erhellte mein Gesicht. Ich war mir sicher, dass ich wie Eos, die griechische Göttin der Morgenröte, aussehen musste.

„Du kannst ja ganz anders sein, Schätzchen.", murmelte JJ und sein rechter Mundwinkel zuckte in die Höhe. Erst jetzt bemerkte ich, wie nah ich ihm gekommen war. Innerhalb von Sekunden brachte ich uns auf Distanz und verengte meine Augen zu Schlitzen. Achtlos ließ ich meine Hände neben meine Hüfte fallen und sah zu Kiara, Pope und JB. Auch sie schienen überrascht.

„Wie bitte?", fragte ich und legte meinen Kopf schief. JJ's Mund verzog zu einem breiten Lächeln.

„Bilde dir ja nichts darauf ein.", erwiderte er und lief anschließend zur Tür. Ich hob eine Augenbraue und warf ihm einen fragenden Blick zu. Der Blonde legte seine Stirn in Falten, hielt im Türrahmen an, stützte seine Hand gegen das Holz und - er schien unsere Blicke bemerkt zu haben - musterte uns verwirrt.

„Wollt ihr Wurzeln schlagen? Worauf wartet ihr?", fragte er und sah in die Runde. JB und Pope sahen sich an. Anschließend wanderten ihre Blicke zu mir. Auch Kiara musterte mich. Ihre Augen wanderten zwischen mir und dem Wecker neben dem Sofa.

Er riss die Tür zur Veranda auf und deutete auf ein Objekt vor der Fischerhütte. Völlig verdattert sah ich ihm hinterher. Ich kam mit seinen Stimmungsschwankungen nicht hinterher. Geschweige denn mit meinen. Ich hatte tatsächlich vergessen, dass ich ihm noch vor einer halben Stunde den Kopf hatte abreißen wollen.

Aber Jemma Thompson war kein Mädchen, das jemandem blindlings vertraute.

Schließlich riss mich John B's Stimme aus meinen abwegigen Gedanken.

„J hat Recht. Wir wollten sowieso zum Wreck.", erklärte er und deutete in Richtung Hof. Pope und Kiara nickten. Ich folgte seinem Blick und verengte meine Augen zu Schlitzen. Die Strahlen der untergehenden Sonne hüllten das alte Blech in beinahe engelsgleiches Licht. Die Fenster spiegelten die seichten Wellen des Wassers am Steg und das Logo auf dem Kühlergrill glänzte silber.

Es war der alte VW-Bus.

„Ihr wollt mich nach Hause fahren?", fragte ich.

Ich war noch nie in einem VW-Bus gefahren, schon gar nicht in diesem Zustand. Die kleine Stimme in meinem Kopf sagte, dass ich mein Leben nicht in die Hände eines 16-Jährigen Fahranfängers legen sollte.

Doch was wusste ich schon. Immerhin hatte ich den Jeep meines Bruders geradewegs auf den Parkplatz des Abschleppdienstes befördert.

„Besser als gar nichts, Kook-Prinzesschen.", sagte JJ schließlich und zuckte mit den Schultern. Ich seufzte, drehte mich um, nahm meine Tasche und öffnete meinen lockeren Dutt. Meine Haare fielen mir augenblicklich ins Gesicht, umrahmten meine Konturen in einem dreckigen Blondton. Sie verdeckten die Wunde an meiner Stirn wie ein unauffälliges Pflaster.

Anschließend drängte ich mich an JJ vorbei und lief auf die hölzerne Veranda. Die anderen folgten mir.

Allem voran der Blonde, der es sich erneut zur Aufgabe gemacht hatte, mich auf die Palme zu bringen. Ich hatte mich zu früh gefreut.

Kaum hatte ich neben Kiara und Pope im hinteren Teil des Minivans Platz genommen, ging das ganze Theater von vorne los.

„Ey, Prinzesschen. Lass mal das Fenster runter!"

„Nenn' mich nicht, Prinzesschen."

Prinzesschen."

„Halt die Klappe."

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