𝗖𝗛𝗔𝗧𝗘𝗔𝗨 𝗥𝗢𝗨𝗧𝗟𝗘𝗗𝗚𝗘
― IMMER WIEDER VERLOR ICH DAS BEWUSSTSEIN. Ich schnappte nach Luft, hustete Wasser. Mein Hals fühlte sich furchtbar trocken an und das Salzwasser brannte in meiner Kehle.
Ich hörte Schreie, das Rauschen des Meeres, Sand und noch mehr Schreie. Ein stechender Schmerz an meiner Stirn ließ mich aufstöhnen. Ich konnte spüren, wie sich zwei Arme um mich schlangen. Zischend klammerte ich meine Hände an den Nacken der Person.
Auf einmal spürte ich den heißen Sand unter meinem feuchten Körper. Mein Kopf wurde sanft auf dem Boden platziert. Anschließend hörte ich aufgeregte Stimmen. Es klang, als würde jemand gegen eine Wand reden - es war dumpf und kaum zu verstehen.
„Oh mein Gott, wir müssen einen Krankenwagen rufen! Ihre Stirn blutet! Was ist, wenn sie eine Kopfverletzung hat... und schaut doch, sie atmet kaum!" Kiara, definitiv Kiara. Sie klang aufgebracht, lief vermutlich im Sand auf und ab. Ich konnte mir vorstellen, dass sie bereits ihr Handy in der Hand hielt.
„Vielleicht Mund zu Mund? JJ, du kannst das doch bestimmt?" Es klang wie John B.
„Du glaubst doch wohl nicht, dass ich sie beatme? Sie ist die Freundin von Rafe. Würde mich nicht wundern, wenn sie nach Aschenbecher schmeckt." Und das war defintiv JJ. Die anderen ignorierten ihn.
„Du musst sie ja nicht mit Zunge küssen, du Idiot!"
„JJ, sei still. Ich muss mich konzentrieren! Lass' mich mal sehen!" Jemand kniete sich direkt neben mich und nahm meine Hand. Es musste Pope sein. Sein Schatten verdeckte die unangenehmen Strahlen der Sonne.
„Pope, falls es dir entgangen sein sollte... sie lebt noch!" Wieder Kiara. Sie klang aufgebrachter als zuvor.
„Nur, weil sie noch nicht tot ist, heißt das nicht, dass ich sie nicht untersuchen kann, Kie!"
„Alter, noch nicht tot? Was zur Hölle!" JJ's Stimme klang ungläubig. Wäre ich in der Lage gewesen ihm eine zu klatschen, hätte ich es spätestens jetzt getan.
„Klappe, J! Hol' mir den Verbandskasten. Er müsste im letzten Sitz rechts stecken." Ich hörte, wie JJ stöhnte. Vor meinem inneren Auge konnte ich bereits sehen, wie Kiara ihm böse Blicke zuwarf.
„Ihr habt doch den Arsch offen!"
„Jetzt tu, was er sagt!" Wieder John B. Ich versuchte, meine Augen zu öffnen. Ich scheiterte miserabel. Irgendwas hinderte mich daran, die Lider zu heben.
„Leute, wir können immer noch einen Krankenwagen rufen." Ich hörte, wie Kiara wie verrückt auf ihrem Handy herumtippte. Wie vom Blitz getroffen, schreckte ich hoch und knallte mit dem Kopf gegen John B's - zugegebenermaßen - muskulöses Schulterblatt. Mir entwich ein leises Krächzen.
„Kein' Krankenwagen. Bitte.", nuschelte ich leise und versuchte mich oben zu halten. Ich scheiterte kläglich. Während dessen malte ich mir sämtliche Horrorszenarien aus. Dad würde mich töten, dessen war ich mir sicher - und Nate... darüber wollte ich gar nicht nachdenken. Er würde mir die Hölle heiß machen.
„Oh mein Gott, Jemma. Leg' dich hin! Du bist verletzt.", Kiara packte mich an der Schulter. Wieder wurde ich in den heißen Sand gedrückt. Mittlerweile waren die Wasserperlen auf meinem Oberkörper getrocknet und die Sonne brannte sich in meine Haut.
„Wo bin ich..." Ich verzog mein Gesicht. Keine drei Sekunden später hörte ich Schritte im Sand und ein leises Klappern. Pope murmelte leise vor sich her. Es klang stark nach Idiot.
„Hier, P. Sind noch einige Verbände drin." Es war JJ.
Langsam öffnete ich meine Augen, blinzelte. Ich erkannte Pope und Kiara. Ersterer hockte neben mir und öffnete den Verbandskasten, während Kiara meinen Fuß begutachtete. In diesem Moment bemerkte ich den brennenden Schmerz an meinem Knöchel. Meine Leash war gerissen, hatte mir vermutlich in die Haut geschnitten. John B stand links neben mir und hatte die Arme unter den Ackseln verschränkt.
Und JJ stand rechts von mir und blickte stillschweigend auf mich herab. Es war das Letzte, was ich sah, bevor ich erneut das Bewusstsein verlor.
Stimmen ertönten und klangen dumpf.
„Sie ist wieder weg."
„Wir müssen sie hier wegbringen!"
„Wieso ruft ihr keinen Krankenwagen? Ihr Dad hat die 2500 Dollar."
„Sie wollte es nicht, JJ."
„Wooow! Und wenn sie uns wegstirbt? Ich gehe nicht in den Knast. Meine Vorstrafenliste ist... suboptimal."
„Man könnte meinen, du machst dir Sorgen, J."
„Ich will einen Aufriss vermeiden. Wenn das rauskommt... was denkt ihr, wen die für ihren Zustand verantwortlich machen werden? Wir sind Pogues. Die gehen immer auf uns."
„Jetzt halt die Klappe und vergiss' diesen ganzen Müll für ein paar Minuten. Hol' Wasser!"
⌇ ⌇ ⌇
Das laute Zirpen der Grillen hallte durch die warme Luft. Die untergehende Sonne warf ihre goldenen Strahlen durch die alten Fenster der heruntergekommenen Fischerhütte. Sie trafen mich direkt im Gesicht, ließen mich aufstöhnen. Genervt kräuselte ich meine Stirn und versuchte, meine Augen zu öffnen.
Es dauerte eine Weile. Die Strahlen der Sonne leckten an meinem feuchten Gesicht. Ich schwitzte - und das nicht wenig. Etwas Schweres und Kaltes lastete auf meiner Stirn. Feine Tropfen liefen in mein Gesicht, benetzten meine Lippen. Ich hob meine Hand und tastete meinen Kopf ab. Es war ein Sack aus Plastik, umgeben von Stoff. Ich stutzte und versuchte, mich auf zu setzen.
Ein dummer Fehler.
Kiefermalmend hielt ich mir den Kopf. Ein Stechen durchzuckte meine rechte Schläfe. Ich schaffte es, meine Augen vollends zu öffnen. Sie waren verklebt mit Sand und Flüssigkeit, brauchten einige Sekunden, um sich an die Umgebung zu gewöhnen.
Eine fremde Umgebung.
Plötzlich pulsierte Adrenalin durch meine Venen. Ich war aufmerksam, wach.
Ich sah mich hektisch um und musste feststellen, dass ich auf einem alten, roten Sofa lag.
Und als ich schließlich nach Rechts sah, bemerkte ich eine weitere Person neben mir in einem weißen Plastikstuhl. Es war Pope Heyward, die Arme verschränkt und die Augen geschlossen.
Hinter ihm stand John B - oberkörperfrei - in einer Art Küche und hielt eine schwarze Pfanne in seiner rechten Hand. Mit der linken rührte er. Es roch stark nach Omlette.
Ich tat das einzig Plausible.
Ich schrie.
„Beim großen Kahuna!"
JB fuhr herum und ließ die Pfanne fallen. Mit einem lauten Flatsch ging sein Omlette zu Boden. Pope riss seine Augen auf und sah mich an als hätte ich ihm eine gescheuert. Der weiße Plastikstuhl wackelte gefährlich, als er sich erhob und die Hände in die Höhe hielt. Ich wusste, dass er mich beruhigen wollte. Es funktionierte eher semi-gut.
Und als schließlich Kiara und JJ durch die Verandatür stürmten, war das Chaos perfekt. Ich setzte mich auf und blickte durch den Raum. Mein Herz wummerte gegen meine Brust, klang wie ein Maschinengewehr. Es dauerte, bis ich meinen Orientierungssinn zurückerlangte.
Ungefähr zehn Sekunden in denen mich die anderen musterten, als hätte man mich massakriert.
„Du bist wach.", sagten sie unisono und ich wäre am liebsten wieder in Ohnmacht gefallen.
Ich streckte meinen Arm aus und fuhr mir über meine nass-kalte Stirn. Verwirrt riss ich mir den Stofffetzen vom Kopf. Der Plastikbeutel ging zu Boden. In diesem Moment erkannte ich, dass es sich bei dieser Vorrichtung um eine Packung Eis und ein Bandana handelte. Ich runzelte die Stirn und sah verdattert in die Runde.
„Hör' auf, dich zu bewegen. Du hattest eine Kopfverletzung!", Kiara kam in meine Richtung und sah beschwichtigend auf mich herab. Ich verzog mein Gesicht und fuhr mir über die Stirn. Die Stelle an meine Schläfe pochte. Als ich schließlich die kleine Kruste bemerkte, wurde mir klar, dass ich geblutet hatte. Mit geweiteten Augen sah ich sie an.
„Was ist passiert? Wo bin ich?", fragte ich. Meine Augen schnellten zum Fenster. Die Sonne ging unter. Ein kleiner Wecker auf dem Kaffeetisch neben mir zeigte 19:12 Uhr.
Oh shit.
Vor zwölf Minuten hätte ich Zuhause sein müssen. Dad und Ward wollten grillen.
Sie machten sich Sorgen.
Nate machte sich Sorgen um sein Auto.
Ich war so gut wie tot. Fünfzig Jahre Hausarrest, wenn nicht mehr. Mein Vater würde mich töten.
Schließlich riss mich eine Stimme aus meinen morbiden Gedanken.
Es war John B. Er hatte das Omlette vom Boden gekratzt und stand direkt vor mir. Vom Sofa aus sah er sogar noch größer aus. Dieser Kerl war ein Riese.
„Du hattest einen Unfall beim Surfen. Wir haben dich zu mir gebracht, weil du nicht ins Krankenhaus wolltest... natürlich nachdem Pope deine Verletzungen ausgecheckt hat.", erklärte er und ich sah ihn ungläubig an.
Ich konnte mir nicht erklären, wie ich auf so einen Mist gekommen war. Gehirnerschütterung, Prellung, Blutungen, Schädelbruch - ich hätte tot sein können.
„Wieso wollte ich nicht...-", flüsterte ich.
Und in diesem Moment realisierte ich, warum ich nicht ins Krankenhaus wollte.
Ich hasste sie.
Ich hasste sie abgrundtief. Ich hasste die weißen Wände, den sterilen Geruch. Ich hasste die Betten, die tristen Menschen und die Blumen aus Plastik am Empfang.
Doch am meisten hasste ich das Gefühl von Hilflosigkeit, das sich in mir breitmachte, sobald ich das Piepen dieser furchtbaren Geräte hörte. Sobald sie aufhörten zu piepen und Stille alles war, was man hören konnte. Ein kalter Schauer rann meinen Rücken hinab.
Ich merkte nicht, wie sich Kiara neben mich hockte und ihre braunen Augen über meinen Körper wandern ließ. Sie wirkte wie eine besorgte Mutter.
„Du hast nur einen kleinen Kratzer an der Stirn und an der Lippe. Die Schramme an deinem Knöchel sollte schnell heilen. Pope hat dir ein Plaster raufgemacht.", sagte sie und deutete auf den bunten Fetzen. Er bedeckte meine gebräunte Haut wie einen Flicken. Meine Mundwinkel zuckten in die Höhe, als ich die kleinen Teddybären bemerkte.
„Danke.", sagte ich ehrlich und sah in die Runde. Ich versuchte mich an einem Lächeln. JJ's Miene blieb unverändert. Mir verschränkten Armen lehnte er im Türrahmen und musterte mich. Ich wusste, dass er etwas Gemeines sagen wollte. Ich wusste, dass er sich seinen Kommentar verkniff. Er sah mich an, als hätte ich seinen Tag vermiest - was ich mehr oder weniger auch getan hatte.
Schließlich wandte ich meinen Blick ab und sah zu Kie.
Für einen kurzen Moment verdrängte ich meine mehr als miserable Situation.
Für einen kurzen Moment.
Denn kurz danach erinnerte ich mich an das laute Krachen nach meinem Sturz in die Tiefe. Ich erinnerte mich daran, wie ich meine Leash verloren hatte und wie mein Surfbrett in den Wellen verschwunden war. Mein Herz setzte aus, mir wurde kalt. Mit tellergroßen Augen sah ich auf und presste meine Lippen aufeinander.
„Was ist mit meinem Board?", fragte ich leise und sah zu der Braunhaarigen.
Ihr Ausdruck veränderte sich schlagartig. Ihre Mundwinkel wanderten nach unten, machten einen bedrückten Eindruck. Die pinken Lippen verzogen sich zu einem schmalen Strich. Sie wollte Etwas sagen, doch der Blonde fiel ihr ins Wort. Er stieß sich vom Türrahmen und kam neben John B zum Stehen.
„Die Felsen haben sich 'drüber gefreut."
Mein Herz zog sich krampfhaft zusammen, als ich daran dachte, was mit meinem Brett passiert war. Es musste in tausend kleine Teile zersplittert sein. Ich stützte meine Ellenbogen auf meine Schenkel und fuhr mir durch die Haare.
„Fuck. Mein Dad wird mich umbringen."
Ich stöhnte laut und rieb mir die Augen. Es war mir egal, dass ich wie ein Panda aussah und meine gesamte Mascara in meinem Gesicht verteilt hatte.
Surfbretter waren teuer. Teuer teuer. Er würde meinen Hausarrest um mindestens dreizig Jahre erweitern. Ich stellte mir vor, wie ich noch mit achtzig in meinem Zimmer hockte und vor mich hinvegetierte.
Schließlich ertönte JJ's penetrante Stimme und holte mich aus meinen Gedanken.
„Nicht nur dein Dad. Wem gehört der Wagen noch gleich?", fragte er und seine blauen Augen blitzten auf. Am liebsten wäre ich aufgestanden. Doch ich konnte nicht. Meine Stirn schmerzte. Ich schnaufte laut und musterte ihn mit meinem - wie Nate ihn liebevoll nannte - Todesblick.
„Das ist Nathaniel's Wagen... was ist damit?" Ich verzog meine Augenbrauen. Als ich Pope's bedrücktes Seufzen vernahm, wurde mir klar, dass es schlecht aussah. Nicht nur für mich - sondern auch für den Jeep. Ich war geliefert. Ich war so gut wie tot.
„Abschleppdienst. Er kann ihn sich Dienstag bis Donnerstag zwischen 8:00 und 17:00 Uhr abholen." Das Lächeln auf JJ's Lippen war mehr als nur gönnerhaft. Es heimste ihm einen bösen Blick von Kiara ein. Dieser Junge hatte eine heftige Kopfnuss verdient. Aber so richtig.
Vorausgesetzt, ich überlebte das, was mich zu Hause erwartete. Meine Chancen waren eher schlecht. Zumal ich bereits zwanzig Minuten zu spät zum gemeinsamen Grillen mit den Camerons war.
„Wo bin ich?", wiederholte ich meine Frage und sah in die Runde. John B trat hervor, lächelte schwach und breitete seine Arme aus.
„Le Château.", erwiderte er schließlich stolz. Ich verzog mein Gesicht und versuchte, mich an meinen Französischunterricht zu erinnern.
Ein leises Lachen ertönte.
JJ schien meine Gesichtsentgleisung bemerkt zu haben. Ich entgegnete seinen belustigten Blick und verengte meine blauen Augen zu Schlitzen.
Der rechte Mundwinkel des Blonden zuckte in die Höhe, als er langsam in die rechte Tasche seiner Badeshorts griff und einen silbernen Gegenstand hervorzog.
Er lächelte triumphal, als er meinen Blick bemerkte.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top