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An diesem Abend erzählt Taehyung endlich alles. Er und Jungkook haben sich dicht aneinander in den Schlafsack geschmiegt, sodass er mit seiner Hand durch Jungkooks Haare fahren kann, während er von dessen Rettung berichtet.

Die Nachricht, die Kalten wären dabei, die Pascher zu vernichten, hat sich am gestrigen Tag wie ein Lauffeuer in der Stadt ausgebreitet und so ist es nicht verwunderlich, dass auch Hoseok ihn bei der Arbeit darauf angesprochen hat.

"Hast du schon gehört? Man sagt, sie haben die Pascher gefunden und wollen jeden einzelnen auslöschen."

Taehyung hat Hoseok auf der Stelle um Hilfe angefleht und musste ihm versprechen, die Arbeit am nächsten Tag zu verrichten, die sie heute ausfallen lassen würden - egal, wie lange das dauern würde. Aber er kann von Glück sprechen, dass Hoseok so ein großes Herz hat und seine Hilfe tatsächlich nicht verweigerte. Zumal er in der Vergangenheit zeitweilig zu den Paschern gehörte und somit wusste, wo deren Hauptquartier zu finden ist.

Es war einzig und allein pures Glück, dass sie auf dem Weg zum Hauptquartier am Fluss entlang gelaufen sind. Es war Glück, dass Taehyung durch das Gebell eines Hundes den Kopf gehoben hat und es war ebenfalls Glück, dass er Jungkook in genau dem Moment entdeckt hat, als dieser sich übers Geländer in die reißende Strömung gestürzt hat. Panisch hat er Hoseok am Ärmel gepackt, den Körper des Jüngeren nicht außer Acht gelassen und musste dennoch warten, bis sich der Soldat schulterzuckend abgewendet hat und mit seinem Hund davonmarschiert ist, bevor sie Jungkook nachrennen und an einer geeigneten Stelle aus dem Wasser ziehen konnten. Insgesamt hat sein Körper vielleicht fünf Minuten in dem eiskalten Wasser verbracht - zumindest sagt Hoseok das, für ihn hat es sich nämlich angefühlt wie Stunden, bis sie Jungkook zu fassen bekommen haben.

Als Jungkook auch noch ohnmächtig geworden ist, musste er Hoseok ein weiteres Mal um Hilfe bitten.

"Hoseok, ich brauche einen Ort, wo es warm ist. Eine Heizung, warmes Essen, warmes Wasser, ein Dach über dem Kopf. Er darf nicht sterben, verstehst du?"

"Ich kenne einen solchen Ort, aber er wird dir nicht gefallen... Schon gar nicht der Preis, den du zahlen müsstest."

Hoseok hat ihm von dieser Frau, dieser Kalten erzählt, die den Warmen gegen hohe Preise manchmal Unterschlupf gewährt. Er hat gemeint, dass man ihr vertrauen kann, obwohl sie eine biestige Schlange ist. Taehyung stand vor keiner Entscheidung, für ihn war es ohne zu zögern beschlossene Sache und so hat Hoseok ihm geholfen, Jungkook dorthin zu tragen und einen Deal mit ihr auszuhandeln. Er hat unheimlich viel Blut bezahlt - die Menge macht ihm immernoch Sorge, die so dunkel aus seinem Unterarm gequollen ist. Doch dann blickt er Jungkook an und weiß, dass er für ihn sogar das Doppelte gegeben hätte.

Aber das erzählt Taehyung dem Jüngeren überhaupt nicht; nur kurz reißt er an, wo sie sind und wer ihre Gastgeberin ist. Jungkook ist klug genug, um sich den Rest zusammenzureimen.

Nachdem der Lockenschopf zuende gesprochen hat, vergeht eine Weile, in der sie beide schweigsam ihren Gedanken nachhängen. Mit der Zeit geht ihre Atmung immer gleichmäßiger und ihre Lider fallen zu. Und kurz bevor Taehyung in den Schlaf driften kann, meint er, den Hauch von zwei dankbaren Lippen über seinen Hals streifen zu spüren.

——

Es ist mitten in der Nacht, als Jungkook plötzlich aufwacht, weil Taehyung keuchend aus dem Schlaf fährt. Benommen reibt er sich die Augen und versucht in der Dunkelheit Taehyungs Gesicht auszumachen, doch wie es scheint, hat dieser ihm den Rücken zugekehrt. Und obwohl es ziemlich finster ist, schalten bei Jungkook alle Glocken Alarm als ein schmerzverzerrtes Wimmern an seine Ohren dringt, das nur von Taehyung stammen kann, der eindeutig den Ärmel seines Pullovers nach oben gezogen hat, um die lange Wunde an seinem Unterarm in Augenschein zu nehmen.

"Tae?", will Jungkook beunruhigt wissen und setzt sich nun ebenfalls auf, "Was ist los?"

Als Taehyung nicht antwortet, schält Jungkook sich in Windeseile aus dem Schlafsack, schaltet die Nachttischlampe ein, die auf dem Boden steht und kniet sich dann direkt vor Taehyung, um ihn ansehen zu können. Der Ältere weicht seinem Blick konstant aus und versucht so gelassen wie möglich zu wirken, doch die Angst in seinen Augen bleibt nicht verborgen.

Jungkook kann nicht anders, als scharf die Luft einzuziehen, nachdem sein Blick auf die Wunde gefallen ist. Der gesamte Schnitt ist eitrig und nässt, die Haut leuchtet in einem gereizten Rot und sein Unterarm ist so dick angeschwollen, dass der Bindfaden spannt und mit dem Eiter verklebt. Ihm wird umgehend schlecht, bei der schleimigen Mischung aus Eiter, Wundwasser und Blut.

"Sieht nicht gut aus, was?", sagt Taehyung leise und versucht mit einem müden Lächeln die Ernsthaftigkeit der Situation etwas aufzulockern, doch der Jüngere ist nicht in Stimmung für Späße. Denn Taehyung hat recht - die Wunde sieht alles andere als gut aus.

"Ich schaue, ob ich zumindest eine Schmerztablette für dich auftreiben kann", meint Jungkook entschlossen und erhebt sich augenblicklich.

"Und woher?"

"Die Kalte hat bestimmt welche."

"Nein Jungkook. Ich-"

Doch da ist der Jüngere schon aus der Tür getreten und erblickt zum ersten Mal seit ihrem Aufenthalt den Rest des Hauses. Von der Treppe, die in den Dachboden führt, gelangt er in einen breiten Flur mit endlosen Türen. Es ist weitläufig und edel, selbst in der Dunkelheit kann Jungkook den Mamorboden glänzen sehen - was irgendwie seltsam ist, weil es so gar nicht mit dem Holz des Dachbodens zusammenpasst. Eine weitere Treppe führt zu seiner rechten wohl in den unteren Stock. Hier, umgeben von kaltem Weiß und Gold wird ihm wieder bewusst, in was für einem Haus er steht. Wenn er es nicht besser wüsste, würde ihm vor Staunen wohl der Mund offen stehen bleiben.

Kurz ist er dazu verleitet, den knochenartigen Schmuck, der an den Wänden hängt und von Gold überzogen ist, zu begutachten, bevor er sich wieder auf seine Aufgabe konzentriert. Er muss eine Schmerztablette finden. Und am besten noch eine Salbe. Die meisten Menschen lagern ein Erste Hilfe Set wohl im Badezimmer - glücklicherweise weiß er wegen Taehyung, wo sich dieses befinden müsste. Vorsichtig tritt er auf das entsprechende Zimmer zu und schickt ein Stoßgebet zum Himmel, dass dies auch wirklich der richtige Raum ist und die Kalte ihn nicht erwischt. Obwohl sie die Beiden versorgt und ihnen Essen heraufgebracht hat, kann Jungkook sie nicht ausstehen. Bei dem bloßen Gedanken, wie sie ihm den Unterarm aufgeschlitzt hat, packt ihn eine solche Wut auf die Kalte, dass er am liebsten etwas völlig anderes aufschlitzen würde. Das Schlimmste daran ist, dass letztendlich er schuld ist. Immerhin hat Taehyung selbst bestätigt, dass er das alles für ihn getan hat.

Erleichtert atmet Jungkook auf, als der Raum sich tatsächlich als Badezimmer entpuppt – nur als viel edlere Version davon. Die Fläche beträgt in etwa das dreifache des Waggons und ist mit Gold überschüttet, wohin das Auge reicht.

Bevor er noch entdeckt wird, durchwühlt Jungkook hastig die prachtvollen Schränke und wird schnell fündig. Er klemmt das Set unter den Arm, füllt noch einen Becher mit Wasser und trinkt selbst ein paar Schlucke aus dem Wasserhahn, ehe er so schnell wie möglich wieder zurück zu Taehyung schleicht.

Dieser sitzt noch immer am Rand der Matratze und blickt auf, sobald Jungkook die Tür hinter sich schließt.

"Kookie", beginnt er sofort, "Ich habe sie nicht dafür bezahlt, dass wir uns an ihren Schränken bedienen."

Er schnaubt unzufrieden und blickt erneut auf die entzündete Wunde. "Du hast viel zu viel bezahlt."

Wieder geht er vor Taehyung auf die Knie und reicht ihm das Wasserglas, bevor er eine runde Schmerztablette aus der Verpackung drückt und sie ebenfalls dem Älteren entgegen hält.

"Sie wird uns rausschmeißen."

"Bitte Taehyung!", fleht der Jüngere und lehnt seine Stirn verzweifelt gegen Taehyungs, nicht, ohne ihn weiterhin innig anzusehen. "Du hast mir gesagt, dass du Angst gehabt hast, mich zu verlieren. Jetzt habe ich Angst, dich zu verlieren."

Drängend zwängt er ihm die Tablette zwischen die Lippen, bis sich diese zögerlich teilen und die Tablette mit einem Schluck Wasser herunterschlucken.

Jungkook traut sich nicht, den Bindfaden zu entfernen, aber er verteilt vorsichtig eine Schicht Salbe auf dem Schnitt, während Taehyung die Zähne zusammenbeißt. Vereinzelt tritt Blut oder Eiter aus der Wunde aus, die Jungkook so sorgfältig wie möglich säubert.

"Danke", meint der Lockenschopf, nachdem Jungkook mehr schlecht als recht einen Verband angelegt hat und nun zart darüber streicht.

"Ich darf dich nicht verlieren", wiederholt er vorsichtig, "Also denk gar nicht daran, mich hier allein zu lassen."

Wie um seinen Worten Ausdruck zu verleihen, lässt er die Finger über seine Arme nach oben wandern und dort fester durch die Locken des Älteren gleiten - Als könnte er ihn auf diese Weise für immer im Leben halten.

"Verstanden?", raunt er und sieht in die dunklen Augen seines Gegenübers, die ihn so ehrlich und voller Leben anblicken, dass Jungkook für einen Moment glaubt, Taehyungs Körper würde nicht gegen eine schwere Entzündung ankämpfen. Ohne weiter darüber nachzudenken, überbrückt er die letzten Zentimeter, um ihre Lippen zaghaft übereinander streifen zu lassen. Automatisch wird seine Atmung flacher und die Hitze, die er in Taehyungs Gegenwart immer so intensiv verspürt, schlägt explosionsartig in seinem Inneren ein.

"Denk nicht mal daran", flüstert er rau, bevor er ihre Lippen endlich richtig vereint. Sanft animiert er den Mund des Älteren dazu, sich seinen Bewegungen anzupassen und verfestigt den Griff in seinem Nacken behutsam. Als Taehyung darauf eingeht und mit der Zunge leicht an dem Spalt seiner Lippen leckt, breitet sich ein Kribbeln wie Feuer unter seiner Haut aus, das sein Inneres durchzieht und jegliche Gedanken mit sich reißt. Unsanft gräbt Taehyung seine Finger in Jungkooks Hüfte und zieht ihn auf seinen Schoß, um ihm noch näher zu kommen. Das hier ist nicht der erste Kuss zwischen ihnen, es ist kein unbekanntes Gefühl für Jungkook, aber es fühlt sich genauso überwältigend an wie beim ersten Mal. Und als Taehyungs Zunge endlich in seinen Mund taucht, vergisst er vollends, wo sie sich befinden, warum sie hier sind und worüber sie gerade gesprochen haben. Alles woran der Schwarzhaarige denken kann, ist diese unbändige Hitze in seinem Inneren und wie sie sich mehr und mehr in seinem Schritt staut. Doch kurz bevor er sich mit allen Sinnen in diesem Kuss verlieren kann und vollständig die Kontrolle über seinen Körper verliert, zieht Jungkook auf einmal den Kopf zurück und trennt ihre Münder mit schwerem Atem voneinander. Taehyung blickt von seinen Lippen hoch in seine Augen; eine Spur Verwirrung liegt in ihnen, aber das ist nicht alles. Mehr als alles andere brennt darin Verlangen und Lust, was Jungkook leise aufkeuchen lässt. Am liebsten würde er sich von diesem Feuer verzerren lassen, sich Taehyung einfach hingeben, aber ein letzter Rest Vernunft hält ihn davon ab.

Taehyung geht es nicht gut. Er braucht Ruhe und sollte dringend ein wenig schlafen. Jetzt ist nicht die Zeit, um egoistisch zu sein.

"V-Vielleicht sollten wir lieber aufhören", stammelt Jungkook und will schon von dem Schoß seines Gegenübers rutschen, als dieser ihn wieder bestimmt an den Hüften packt.

"Warum?"

"Weil du dich ausruhen solltest."

"Sind das deine einzigen Zweifel?"

"Ja. Aber es sind berechtigte Zweifel."

Taehyung mustert Jungkook eindringlich, ehe er leicht den Kopf schüttelt. "Nein Jungkook", wispert er und sein hitziger Atem streift Jungkooks geschwollene Lippen, "Ich muss mich nicht ausruhen. Mag sein, dass ich dem Tod näher bin als je zuvor, aber heute strömt noch Leben durch meine Adern und in diesem Moment möchte ich es fühlen. Durch dich – wenn du mich lässt."

——

WaS wOhL nÄcHsTeS kApItEl PaSsIeRt 😏

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