v. the allure of darkness
Some days even the devil sits back
and admires my work.
Unknown
•••
Leute konnten schlimmere Dinge tun, als einen umzubringen.
Das war Samodiva schon eine ganze Weile bekannt, doch sie hätte nicht damit rechnen können, was an diesem unscheinbaren Dienstag noch passieren würde.
In ihrer Schuluniform, die bereits bessere Tage gesehen hatte, lief sie neben Orphea und Estrella zu ihrer nächsten Stunde - Verteidigung gegen die dunklen Künste. Jedes Mal, wenn sie in die Richtung des alten und staubigen Raumes lief, wünschte sie sich, auch etwas gegen ihren dunklen Fluch aussprechen zu können.
Ihnen wurde gegen jeden noch so kleinen Zauberspruch ein Gegenfluch beigebracht, doch sie bleib ungeheilt.
Verdorben bis aufs Mark.
Verflucht bis in die Seele.
Ihre Freundinnen unterhielten sich über Estrellas Date, dass leider nicht so gelaufen war, wie sie es sich vorgestellt hatte. Jakob war zu spät gekommen, seine Ausrede fiel entsprechend ausgefallen aus, was ihm niemand abnehmen konnte. Danach war die aufgeregte Stimmung dahin. Estrella hatte sich eher durch das Date gequält, von dem sie sich etwas anderes erhofft hatte. Als er sie zum Abschied küssen wollte, sich ihr fast schon vor dem Schloss aufdrängte, war der Abend vorbei.
Estrella hatte das schlechte Date gut verkraftet und weggesteckt, eine Träne war abends geflossen, doch ansonsten wurde mit Humor das Geschehene aufgearbeitet. Während Orphea mit Estrella über den Hufflepuff redete - Themen wurden üblicherweise mehrmals besprochen, um auch jede Kleinigkeit kommentiert zu haben - lief Samodiva ihnen hinterher und ließ die Wahrsage-Stunde noch einmal Revue passieren. Die Vision konnte sie nicht einordnen und ihre Interpretation war dementsprechend auch sehr verwirrend. Wenn sie doch nur wüsste, wo dieses zerstörte Gebäude stand und wer geschrien hatte. Und welche Frage hatte Theodore geäußert?
Ihre Mitschüler standen schon alle vor dem Raum für Verteidigung gegen die dunklen Künste, als die drei Frauen ankamen. Anders als noch zu Beginn des Schuljahres war die Luft nicht mehr mit Vorfreude und Nervosität geladen, sondern eine angespannte unangenehme Stimmung legte sich über die Schultern der Schüler, die mit ihren zerknitterten Uniformen in den Gängen standen. Keiner vermochte es mehr, sich mit Motivation für den Tag fertig zu machen, hatte sie der Schulalltag wieder eingeholt und die Depression durch die dunkle Jahreszeit ihre Seele verdunkelt.
Obwohl einige Gespräche gehalten wurden, schienen sich alle Schüler einig, ihre letzten Minuten vor der Stunde zu genießen und sich gegenseitig nicht zu stören. Sogar Estrella und Orphea hatten aufgehört zu reden, jedoch nur, weil sie sie anstarrten. Verwirrt zog Samodiva ihre Augenbraue hoch und versuchte, ihren Kopf zwischen den Schultern zu verstecken. Was auch immer dazu geführt haben konnte, dass Estrella die letzten Minuten in Stille verbringen wollte, es konnte nichts gutes sein.
„Wie geht's dir?", ertönte die schon seit mehreren Tagen befürchtete Frage, vor der sie sich eigentlich verstecken wollte. Warum wollten Menschen immer wissen, wie es einem ging?
„Ganz gut, danke der Nachfrage", gab sie gepresst von sich, bevor sie ihre Mitschüler weiter beobachtete und hoffte, dass ihre Professorin kommen würde. Diesen Tag hätte sie sich nie vorstellen können, an dem sie den Beginn des Unterrichts herbeisehnte, um einem Gespräch aus dem Weg zu gehen.
„Du siehst aus, als würdest du uns gleich umkippen. Ist letzte Woche Freitag noch etwas geschehen?", fragte Estrella noch einmal nach, da die glasigen Augen ihrer Freundin Anhaltspunkt genug waren. Den Ellenbogen Orpheas in ihre Rippen ignorierte sie konsequent, denn obwohl es definitiv nicht der richtige Ort für eine solche Unterhaltung war, wusste sie, was in der kommenden Stunde thematisiert werden würde. Professorin Merrythought hatte letzte Stunde voller Enthusiasmus verkündet, dass Duelle stattfinden, die Kontrahenten jedoch erst in der Stunde verkündet werden würden.
Estrella vermochte es sich nicht vorzustellen, was passieren würde, wenn Samodiva unbeabsichtigt abgelenkt ihr Duell beginnen würde. Nicht jeder in dem aus allen Häusern gemischten Kurs war Slytherins wohl gesonnen. Und sie bezweifelte es, dass Professorin Merrythought die Freundinnen als Duellpartner ausgewählt hatte.
„Mir geht's wirklich gut. Mir geistert nur noch die Wahrsage-Stunde im Gedächtnis herum, das kann ich euch jedoch nachher erzählen." Samodiva hoffte, dass ihr kläglicher Versuch ihre Freundin umstimmen und das Thema für beendet erklären würde. Wenn sie eines hasste, dann war es, über ihre Gefühle zu reden. Sie hatte dann immer das Gefühl, ihren Gefühlen ausgeliefert zu sein. Ihre Freundinnen sollten sie so nicht sehen, auch wenn sie sie in Situationen aufgebaut hatten, in denen sie nicht weiter wusste. Ihr Leiden war ihr Leiden allein und nicht etwas, was sie anderen aufbürden wollte, da sie selber zu viele Gefühle der Toten aufgebürdet bekam.
Und wo viel Gefühl war, da war auch viel Leid.
Zu ihrem Glück wurden ihre Gebete erhört und Professorin Merrythought betrat den Gang, wodurch mit einem Schlag sämtliche Gespräch, die im Flüsterton geführt wurden, verstummten. Mit ihrer kleinen und ründlichen Statue suchte sie sich einen Weg durch die Schüler, die der alten Professorin mit den warmen Augen und Lachfalten auf dem Gesicht freiwillig Platz machten. Wie eine solch herzliche Person seit fast fünfzig Jahren Professorin für Verteidigung gegen die dunklen Künste sein konnte, war jedem Schüler ungewiss, jedoch liebten sie die alte Frau mit ganzem Herzen.
Gefolgt von Tom Riddle und zwei seiner Freunde öffnete die Frau die schwere Tür zu dem geräumigen Klassenzimmer, in das nun die Schülermasse strömte. Auch Samodiva schloss sich ihren Mitschülern an und ließ Estrella und Orphea stehen. Die Schwarzhaarige drehte sich direkt zu ihrer blonden Freundin um und sah sie wütend an.
„Einfühlungsvermögen hast du auch nicht, oder?", stellte sie ihre rhetorische Frage, während sie verständnislos ihren Kopf schüttelte und ihre glatten Haare in ihrem Zopf zum Schwingen brachte. Nach dem Brief war sie froh, dass Samodiva sich ohne Tränen durch die Tage kämpfte, da sie ihre Schuldgefühle gegenüber ihres Bruders nachvollziehen konnte.
„Klar habe ich Einfühlungsvermögen", entgegnete die Blondine empört. „Wenn ich es jedoch vor der Stunde nicht wenigstens versucht hätte, hätte ich direkt Satan in der Hölle besuchen gehen können." Ein Schmunzeln legte sich auf ihre rosigen Lippen, das nach einem mahnenden Blick Orpheas schnell wieder verschwand. „Ich wollte ihr die Chance bieten, sich uns zu öffnen. Und ich weiß, dass der Zeitpunkt denkbar ungünstig war, aber sie ist uns seit letzter Woche aus dem Weg gegangen", fügte sie hastig hinzu und begab sich mit den letzten Schülern in den großen Raum.
„Samodiva wird sich uns öffnen, wenn sie dazu bereit ist. Und ich werde dich in der Hölle besuchen kommen, wenn Gott dich des Himmels verweist." Orphea mochte den Gedanken nicht, dass Estrella mit ihrem Sonnenschein-Charakter die Möglichkeit erachtete, in die Hölle geschickt zu werden, sollte sie denn existieren.
Die beiden Frauen stellten sich neben Samodiva als sie die Konstruktion vor ihnen begutachteten, um die sich die Schüler gesammelt hatten. Die Stühle und Tische befanden sich an der Decke, klebten dort, als würde die Schwerkraft in eine andere Richtung zeigen, und machten Platz für eine mindestens fünf Meter lange Tribüne, die an beiden Enden eine Treppe aufwies. Ansonsten war der Raum wie sonst mit den deckenhohen Fenstern und den vielen Regalen einladend für seine Besucher.
Professorin Merrythought, die straßenköterblonde Frau, stellte sich vor die murmelnde Gruppe, die sich nun doch etwas enthusiastischer umschauten und bereits begannen, ihre Duellpartner zu erraten. Auf der Tribüne hatte sie den Überblick über die zwanzig Schüler, mit denen sie die Stunde geplant hatte. Zu ihrem Glück war keiner krank und ihre Konstellationen konnten durchgeführt werden. Freudig klatschte sie in ihre Hände und erhielt, wie sie seit Beginn der Schulzeit ihren Schülern beigebracht hatte, Stille als Antwort. Ein vorfreudiges Lächeln legte sich auf ihre geschrumpelten Lippen, während sie die Stunde begann.
„Willkommen zur nächsten Stunde in Verteidigung gegen die dunklen Künste. Nachdem wir die letzten Wochen viele Zaubersprüche gelernt haben, müssen wir nun lernen, sie in einem Duell anzuwenden. Dafür, wie euch bekannt ist, dürft ihr euch heute duellieren." Freudige Ausrufe ertönten und als Samodiva sich umschaute, erkannte sie einen großbewachsenen Gryffindor, der mit einem verdächtigen Glitzern in den Augen seine Freunde anschaute, die ihm mit ähnlicher Lautstärke beipflichteten. Auch in anderen Augen konnte sie die Vorfreude finden, die sich überdies langsam in ihrer Magengegend ansammelte und ein angenehmes Gefühl verbreitete.
Vielleicht würde die Stunde doch nicht so schlimm werden, wie sie befürchtet hatte.
„Bevor ich die Duellpartner bekanntgebe und die Duelle beginne, werden zwei Paare ihr Können beweisen. Die Kritik könnt ihr für euer Duell nutzen, um die Zauber besser anzuwenden." Der anfängliche Enthusiasmus änderte sich schlagartig. Jeder versuchte, der Professorin nicht in die Augen zu blicken, um nicht der Auserkorene zu sein, der sich vor dem Kurs duellieren musste. Ausschließlich der Schulsprecher blickte mit geradem Rücken und Erwartung in den Augen nach vorne, den Kopf stolz erhoben, als Professorin Merrythought ihm zunickte und ihm den Vortritt gab. Während Tom seinen Umhang ablegte und ihn Maddox überreichte - eine Angewohnheit, die er seit der zweiten Klasse nicht abgelegt hatte - blickte Merrythought durch den Raum. Sie wusste, nach wem sie zu suchen hatte, die Schüler drehten trotzdem ihre Köpfe weg.
Tom Riddle war der begabteste Schüler an der Schule und ein Meister in Verteidigung gegen die dunklen Künste. Sein Geschick im Umgang mit Zaubersprüchen lag einem Strudel aus Wut, Ehrgeiz und Grausamkeit zugrunde. Mit seiner unnachgiebigen Art und seinem Machthunger hatte er die Zaubersprüche perfektioniert, um jede Art des Elends zu erschaffen und sich an den jämmerlichen Gesichtern zu erfreuen. Nun gegen den Schulsprecher antreten zu müssen, hieß sich der Schmäh zu stellen, vor dem Kurs zu verlieren.
„Frau Knight, treten Sie doch bitte vor."
Erleichterte Geräusche waren in dem Raum zu hören, doch Samodiva pochte das Blut in den Ohren und ihre Finger zitterten, während sie das Gefühl bekam, ihre Beine würden unter ihr nachgeben. Der Atem floss aus ihren Lungen und mit großen Augen schaute sie in die erschrockenen Gesichter ihrer Freundinnen.
Die Hoffnung eines einfachen Duells war gestorben.
Nach erneuter Aufforderung seitens Professorin Merrythought blickte Samodiva erst zu ihr und dann zu Tom, der sich bereits auf der Tribüne eingefunden hatte. Niemals hätte sie gedacht, einmal gegen den Schwarzhaarigen antreten zu müssen, und so trat sie mit zittrigen Schritten und flachem Atem an die Treppe der Tribüne heran.
„Riddle, schone das arme Mädchen. Wir wollen ohne Sauerei den Raum verlassen", hörte sie Maddox rufen und laut gehässig lachen. Er genoss es, andere leiden zu sehen, vielleicht sogar mehr, als Tom in den Qualen seiner Gegner badete. Würde das Licht in dem Moment nicht in seine Augen fallen und das Braun hervorheben, sähe seine Iris beinahe blutrot aus. Sein Kommentar half Samodiva nicht, ihre Atmung zu beruhigen, vielmehr stellte sie sich mit zittrigen Beinen vor den einzigartigen Mann, der sie bereits mit einer Mischung aus Arroganz und Ekel, aus gehässigem Leuchten und einem Fünkchen Freude betrachtete.
Er war groß, aristokratisch, einzigartig - ein Magnet für schöne Frauen. Nur wenige Männer hatten seinen Charme.
Weniger, Gott sei Dank, hatten seine perverse psychopathische Lust.
Denn als er ihr gegenüberstand, sie mit mindestens einem Kopf überragte, während er darauf wartete, dass sie ihre Atmung unter Kontrolle brachte und ihren Zauberstab erhob, wie es bei einem Duell für angebracht war, flackerte kurzzeitig Blutlust in seinen obsidianfarbenen Augen auf.
Sie sah unschuldig aus - der Körper eines Mädchens, das von Engeln geküsst wurde und mit der Seele eines Racheengels, das hatte Lestrange ihm nach der letzten Wahrsagestunde erzählt.
Es war nicht so, dass er ihr vor der Klasse die Kehle aufschlitzen und in ihrem Blut baden würde. Das rubinrote Elixier des Lebens, dass dann ihre Kehle hinunterfließen und einen starken Kontrast zu ihrer hellen Haut bilden würde, die durch die schnelle Atmung kleine besprenkelte Flecken aufwies. Die Tropfen, die auf Ihr Dekolleté fallen und zwischen ihren Brüsten verschwinden würden.
Seine Augen folgten seiner Imagination. Ihr Brustkorb, der sich schnell hob und senkte, die schmale Taille, die durch die geknitterte Bluse hervorgehoben wurde, über ihre Hüfte, auf der der Rock bereits einige Zentimeter nach oben gerutscht war, wodurch ihre Oberschenkel freigelegt wurden. Wenn er mit ihrer Kehle fertig war, musste er ...
Ein leises Räuspern unterbrach seine Gedanken, die sich weiterhin fließendes Blut vorstellten, das langsam an ihren Beinen herunter rann und sie als ein Meisterwerk seiner Künste brüstete.
Seine Augen wanderten ihren Weg zurück zu ihrem Gesicht, aus dem descloizitfarbene Augen in seine starrten. Etwas schwamm in der Dunkelheit, etwas, das ihm eine Gänsehaut bescherte, die er schon so lange nicht mehr erfahren hatte.
Es erregte seine Aufmerksamkeit.
Sie erregte seine Aufmerksamkeit.
Die Macht, die in ihr schlummerte und ihr Innerstes verbarg, um sich selbst zu schützen, war sein perfekter Gegenspieler. Jemand, den er testen, den er dominieren, den er unterwerfen wollte.
Zu diesem Zeitpunkt wusste er es nur noch nicht.
Ihr Herz würde dieses Duell nicht unbeschadet überleben. Nicht jede Blutlust musste in einem Massaker enden - es konnte auch nur bleibenden Schaden anrichten, der in den nächsten Jahren vor sich hin rottete, ihre Adern vergiftete und ihren Geist verpestete.
Das hatte er sich fest vorgenommen. Jemand, der einem solchen Schicksal entgegenblickte, der musste schon einmal erfahren, welche Grausamkeiten die Welt beherbergte. In Toms Augen kam das fast Gnade zuteil.
Ihre linke Hand hob zitternd ihren Zauberstab, den in einem mitternachts schwarz kleine Gravuren zierten, die er aus der Entfernung nicht erkennen konnte. Ihre Augen huschten schnell zurück zu ihren Mitschülern, die das Geschehen aufmerksam beobachteten.
Sie ertrug seinen Blick nicht.
Ein Grinsen legte sich auf seine Lippen.
Ein Grinsen, das Genugtuung verdeutlichte.
Er tat er ihr gleich und hob ebenfalls seinen Zauberstab vor sein Gesicht, das das Lächeln nicht verließ. Er wusste, dass seine Ritter schon untereinander tuscheln würden. Sie waren wie Tratschtanten, die alles kommentierten und ihre Meinung dazu geben wollten. Er würde sich später etwas anhören müssen, was zu jeder Menge gebrochener Egos, wenn nicht sogar zu gebrochenen Fingern führen würde. Die Erben der Zaubererfamilie lernten nicht dazu - besonders Lestrange und Rosier würden noch Wochen über sein Interesse an diesem kleinen zarten Mädchen reden. Doch in diesem Moment war ihm das egal. Was Lestrange erzählt hatte, die Macht, die er in ihren Augen sah, alles löste ein Kribbeln aus.
Er wollte sie beherrschen.
Mit einer eleganten Bewegung glitt er in die Verbeugung, die bei den Zaubererduellen vorgesehen waren. Sein Hemd spannte sich leicht an seinem Rücken, der durch den fehlenden Umhang freigelegt wurde. Als er sich wieder erhob und seine erste Angriffsposition einnahm, sah er noch, wie sie zittrig einatmete, ihre Arme ausschüttelte und mit sachten Schritten zurücktritt, um etwas mehr Entfernung zwischen sich und ihrem nahenden Schicksal zu bringen.
Doch wie weit sie auch rannte, die Welt war nicht groß genug, um sie vor ihm zu verbergen.
Obwohl der Raum angenehm beheizt war, friss sich die Kälte langsam in ihre Knochen, nicht so schlimm wie in den dauernden Albträumen, die sie gewohnt war, doch die Augen des Monsters, das vor ihr stand und jede ihrer Bewegung zu beobachten schien, war weitaus schlimmer, als jeder Anblick, der sich ihr in ihren Träumen offenbart hatte.
Sie hasste es, Seelen an ihre eigenen Dämonen zu verlieren. Doch sie würde sich dieser Folter freiwillig hingeben, um dem Teufel zu entfliehen, der seit ein paar Tagen sein Interesse an ihr gefunden hatte.
Vorsichtig begab sie sich in eine ähnliche Position wie Tom, der ihr trotz der wachsamen Augen ihrer Mitschüler noch keinen Fluch auf den Hals gehetzt hatte. Es war, als würde er versuchen sie zu durchschauen und in ihren Kopf einzudringen. Ein Schauer legte sich über ihre Schultern, als sie einen dumpfen Schmerz in ihrem Kopf verspürte, der an ihrem Schädel zu pochen begann. Wie ein Klopfen an einer verschlossenen Tür, die man aufzustemmen versuchte.
Sie beobachtete ängstlich, wie er sie anstarrte. Sie war seine Beute, das war ihr schon in dem Moment bewusst gewesen, als sie ihre beiden Namen gehört hatte, doch er ließ sich genüsslich Zeit, sie zu foltern. Wie ein Löwe, der das Lamm beobachtete, wie es versuchte, seinen Schneidezähnen zu entkommen, in dem Wissen, es nicht zu schaffen.
Sie würde das Duell nicht beginnen, lieber verfluchte sie sich selbst.
Sie kannte ihre Magie und sie kannte seine.
Sie war ihm nicht gewachsen. Wahrscheinlich war ihm abgesehen von ihrer Professorin keiner in diesem Raum gewachsen, was sie nur noch ängstlicher werden ließ. Am liebsten würde sie die Treppe wieder herunterspringen und aus dem Raum rennen, um diesem Duell zu entgehen.
Die Kopfschmerzen waren auszuhalten, nicht so schlimm wie vor einer Woche, als sie den Leichnam in seinem Büro gefunden hatte, doch sie irritierten sie. Schon seit etlichen Jahren, seit sie verstanden hatte, wie sie die konstanten Geräusche um sich herum ausblenden konnte, die die Toten und zu Dämonen gewordenen von sich gaben, hatte sie während sie wach war, keine solchen Kopfschmerzen mehr.
Sie hoffte nur, dass sie sie bei dem Duell nicht behindern würden.
Als ob das etwas ausmachen würde.
Das kantige Gesicht des Schulsprechers verzog sich leicht, als die eigentliche Stille in dem Raum von einem Surren eingenommen wurde, das sein Gehirn nicht verarbeiten konnte. Er hasste das Gefühl, etwas nicht zu können. Seine Augen wanderten über den unbeeinträchtigten Ausdruck auf dem Gesicht der Schwarzhaarigen. Sie schien das lauter werdende Surren nicht wahrzunehmen. In seinem Augenwinkel schien auch keiner sonst beeinträchtigt zu sein.
Sein Versuch, ihre Gedanken zu entschlüsseln, blieb vergebens.
Vielmehr sah er wieder in ihre Augen.
Die Stille fraß sich durch die Luft, aufgeladenen von anhaltender Spannung. Ihre Mitschüler stöhnten vereinzelt genervt von diesem Duell auf. Sie hatten eine Show erwartet, etwas, was sie nie schaffen würden. Diese Blicke, sowohl von Angst als auch von Überlegenheit eingenommen, versprühten Gewissheit. Blicke sagten oft viel mehr als Worte.
Manche Menschen blickten einem tausendmal in die Augen, doch sie sahen einen nicht wirklich. Bei anderen reichte ein Blick und sie sahen einem mitten ins Herz.
Und er sah sie.
Das kleine, ängstliche Mädchen, das auf den kommenden Schmerz nicht vorbereitet war - wahrscheinlich auch nie verbreitet sein konnte.
Das mit Blutlust ausgekleidete Lächeln legte sich wieder auf seine Lippen; seine Haltung wurde noch eleganter, noch aristokratischer, als er mit einer gekonnten und einfachen Bewegung den ersten Zauberspruch aussprach, der das Duell beginnen lassen sollte.
Seine tiefe Stimme schnitt die Luft wie eine Sense, als er den ersten Zauberspruch aussprach und er aus der Spitze seines Zauberstabs auf Samodiva zuschoss.
Ihr Körper versteifte sich, als sie den Blitz sah. Gänsehaut legte sich über ihren Körper, während sie erneut zitternd einatmete und in den wenigen Sekunden, die ihr geblieben waren, versuchte, dem Zauber auszuweichen. In ihrem Kopf herrschte eine Leere, wie sie sie schon eine ganze Weile nicht mehr erlebt hatte. Alles war leergefegt - sie erinnerte sich an nichts mehr.
Der Entwaffnungszauber schlug neben ihrem Kopf ein. Anscheinend hatte ihr Körper sich reflexartig zur Seite bewegt, um ihm auszuweichen.
Wenn sie doch nur etwas tun könnte.
Der nächste Blitz schoss bereits auf sie zu. Sie hatte Tom nicht gehört - noch wusste sie, welcher Zauber es war.
„Protego", sprach sie noch rechtzeitig aus, doch die Wucht, mit der der unbekannte Zauber ihren Schild traf, ließ sie einige Meter zurück stolpern. Ihr linker Fuß stand nun auf der Kante der Tribüne, der Hacken hatte bereits keinen Untergrund mehr.
Noch so einen Zauberspruch und sie würde durch die ganze Klasse geschleudert werden.
Ihre Hände schwitzten.
Der Zauberstab lag unsicher zwischen ihren linken Fingern. Die rechte Hand strich sie an ihrem Rock trocken, wobei sie bereits wenige Sekunden wieder Schweißperlen aufwies.
Ihr müsste irgendetwas einfallen, um ihren Körper unter Kontrolle zu bekommen.
Er würde sie in ihrem Zustand noch umbringen.
„Impedimenta", erklang es über das Applaudieren ihrer Klassenkameraden. Tom genoss sichtlich die Aufmerksamkeit. Seine Körperhaltung entsprach der eines Fürsten, der von seinen Untertanen wegen seiner Macht und seines Wissens angehimmelt wurde.
Sie kannten seine Macht.
Er kannte seine Macht.
Der Blitz traf Samodiva an ihrer rechten Schulter, schleuderte sie von der Tribüne direkt vor die Füße ihrer Mitschüler, die beherzt zu lachen begonnen hatten. Estrella und Orphea versuchten, jeden in ihrer Umgebung wütend anzufunkeln, doch die Scham konnte nicht unterbunden werden.
Blut sammelte sich in Samodivas Wangen, verfärbte sie in einem kräftigen Rot, während sie versuchte, wieder auf die Beine zu gelangen, was mit einem immer schwerer werdenden rechten Arm nicht einfach war. Der Blick war auf den Boden gerichtet, wollte sie in keine spottenden Augen schauen, die sich über sie lustig machten.
Die Enttäuschung in sich selbst fraß sich bereits durch ihre Herzwand, säte einen Samen, der durch ihr vergiftetes Blut direkt zu wurzeln begann.
Sie schämte sich.
Ihre Beine zitterten, als sie endlich wieder stand.
Ihre Beine zitterten auch dann noch, als sie die Treppe zum Podium wieder hinauflief.
Sie wünschte sich, im Boden verschwinden zu können - von den Erdmassen mitgerissen und begraben zu werden.
Ihr Kontrahent sah sie genervt an.
Das Duell hatte fast so schnell begonnen wie es geendet hatte.
Wenn sie sich nicht zusammenriss, würde sie sie beide in den Abgrund reißen.
Tom wartete noch eine Sekunde, damit sie sich wieder kampfbereit machen konnte, bevor er ihr den nächsten Fluch entgegensetzte, dem sie gerade so ausweichen konnte.
Sie hörte ihr Blut an ihrem Trommelfell schwappen, ein unangenehmer Druck in ihrem Schädel. Das Stimmengewirr ihrer Mitschüler verschwand hinter dem anhaltenden Pulsieren, das kontinuierlich schneller wurde. Ein Kribbeln breitete sich in ihren Extremitäten aus - eine Reaktion auf den Stress und die Angst, sie sich in ihren Gefäßen festgesetzt hatte.
Schnell sprang sie wieder auf die Beine, sprach einen Schutzzauber aus, der von einem weiteren Fluch in Fetzen gerissen wurde. Kleine durchscheinende Fäden flogen um sie herum, als sie verstört vor sich schaute.
Nichts stand mehr zwischen ihr und dem Teufel.
Der nächste Zauberspruch lag bereits auf seiner Zunge; sie erkannte seinen mit Blutlust besprenkelten Blick wieder. Er hatte ihn am Anfang des Duells schon einmal getragen.
Verzweifelt fuhr sie mit ihrer Zunge über ihre trockenen Lippen und schluckte einmal schwer.
Dieses Duell würde ihr Ende sein.
Während sie den Schulsprecher beobachtete, wie er in eine erneute Angriffsposition glitt, den Zauberstab erhoben, die Lippen geöffnet, strich etwas über ihren Rücken. Nur eine hauchzarte Berührung, doch sie erkannte sie auf Anhieb.
Die Kralle tropfe mit schwarzen und verdorbenen Blut, das laut in ihren Ohren widerhallte. Jegliche Geräusche verstummten, als sich die schwarze ledrige Hand um ihre Kehle legte und zudrückte.
Sie saß in der Falle.
Der personifizierte Teufel vor ihr und sein Monster hinter ihr.
Sie musste sich nicht umdrehen, um zu wissen, wie die Gestalt aussah. Die zerfressenen Reißzähne, von denen Geifer tropfte, die mit Beulen verzierte Haut, die aussah, als ob flüssiges Teer über sie gegossen wurde, und die roten Augen.
Als kleines Kind hatten ihr die Augen immer Angst eingejagt, sie in jedem Traum verfolgt, in denen eine Gestalt mit eben jenen Augen neben ihrem Bett stand und auf sie mit einem irren Lächeln hinunterblickte, bevor sie sie verspeiste.
Ihr Oberteil verfing sich an seinem Brustpanzer, als er noch näher an sie trat. Seine eine Hand lag noch immer auf ihrer Kehle.
Ihre Luft wurde langsam knapp.
Panisch zog sie etwas Sauerstoff in ihre Lungen, bevor das Monster fester zudrückte und ihre Luftröhre zerdrückte. Der Schmerz kam blitzartig, schoss durch jede Zelle, zerstörte die Zellwand und tötete jeden Lebenswillen.
Sein knochiger Finger der anderen Hand strich sachte über ihre Wange, wischte ihr Blut über die Haut, die bereits von Tränen genässt war.
Ihr Blick war starr noch vorne gerichtet, suchend nach Erlösung, die ihr nur eine Person in diesem Raum versprechen konnte. Seine obsidianfarbenen Augen blickten ihr verwirrt entgegen, weshalb sie ihm so panisch entgegen blickte.
Er sah das Monster nicht.
Keiner der Zuschauer sah das Monster, das seine Kralle an ihre Schläfe hob.
Vielmehr bewegten sie sich in Zeitlupe.
Samodiva konnte jede Muskelbewegung beobachten, während Tom weiterhin seinen Zauberstab anhob, nicht sonderlich weiter als noch vor Sekunden.
Es war, als ob die Zeit stillstehen würde.
Als ob sie bereits einen Schritt näher an dem Tod war, als der Rest.
Stechender Schmerz schoss durch ihren Schädel, als die Kralle des Monsters die Barriere ihrer Haut durchbrach und an ihrem Schädel kratzte, sich einen Weg in ihren Verstand bahnte und ihr Gehirn auf dem Podium verteilte.
Galle stieg in ihrem Mund auf. Ihr Magen drehte sich bei dem schabenden Geräusch um, verstärkt mit dem morbiden Schmerz, der immer stärker wurde. Die Wunde blutete und riss durch jede Bewegung weiter auf. Die rote Flüssigkeit lief von ihrer Schläfe über ihre Wange und tropfte schlussendlich auf ihr Oberteil.
Mehr Tränen sammelten sich in ihren Augen, während sie versuchte, sie wegzublinzeln und ihren Fokus auf Tom zu richten, der seinen Zauberstab inzwischen erhoben hatte, die Spitze glühte in einem dunkelrot. Der Fluch war bereit, auf sie gefeuert zu werden.
Das Pochen wurde in ihrem Kopf wieder lauter, verstärkt durch das Schaben. Die Hand um ihre Kehre wrang sich noch enger, quetschte ihre Carotisstenose ab und ließ kein Blut mehr in ihr Gehirn.
Die verdorbene Gestalt verdarb ihren Verstand.
Durch den zunehmenden Druck in ihrem Schädel war ihre aufgebaute Mauer brüchig. Risse entstanden, in denen sich die Krallen des Monsters verfingen und Stück für Stück erweiterten. Das allbekannte Surren kam durch die Spalten, hallte in ihrem Kopf wider und manifestierte sich in ihrem Kleinhirn.
Mit jedem Herzschlag fiel ein weiteres Stück, eröffnete den Weg für Gestalten, die sie jahrelang abschirmen konnte. Eiswasser lief ihren Rücken hinunter.
Etwas fraß sich in ihr Herz.
Etwas abgrundtief verdorbenes.
Etwas, dass sie nicht mehr bekämpfen konnte.
Während das Monster seine Kralle mit einem abscheulichen Geräusch aus ihrem Knochen entfernte, bildeten sich schwarze Flecken am Rande ihres Sichtfeldes, verflochten sich zu einem Gestrüpp, das sich über ihre Augen legte und sie von der Welt abschirmte.
Es existierte nur Schwärze.
Der Tod war anwesend.
Bis sich wieder alles normalisierte.
Sie sah ihre Mitschüler, sie sah Tom, der den Zauberspruch ausgesprochen hatte, und sie sah den Fluch, der bereits auf halben Weg zu ihr war.
Doch sie reagierte nicht.
Sie hatte keinen Einfluss über ihren Körper.
Das Monster hatte sich festgesetzt.
Mit einem Schrei durchriss sie die Zeitverschiebung, der Fluch explodierte hinter ihr. Kleinere Scherben bohrten sich in ihren Rücken, als sie sich mit einer Kraft auf ihn stürzte, die nicht ihre eigene war.
Ihre Adern verfärbten sich schwarz, ein Meisterwerk eines verdorbenen Künstlers. Ihre Fingerspitzen waren genauso dunkel wie ihr Zauberstab, als sie ihren nächsten Zauberspruch durch die Geräusche der Menge schrie.
Ihre Klassenkameraden traten vereinzelt einen Schritt zurück, überrascht von der Wucht, mit der ihre Stimme den Raum erfüllte. Die Macht pulsierte um sie herum. Doch abgesehen von einem mörderischen Blick schien an ihr nichts verändert.
Für alle bis auf Tom.
Ihre Augen waren völlig schwarz und ohne Leben.
Als er in dieses leeres Nichts schaute, war es, als ob der Abgrund selbst ihn anstarrte.
Im letzten Moment wich er ihrem Explosionsfluch aus, feuerte eine Salve des gleichen Zauberspruches auf sie zurück und sah zu, wie sich ein mörderischer Ausdruck auf ihr Gesicht legte, bevor sie von seinem Spruch getroffen und in die Scherben der Vitrine hinter ihr geschleudert wurde.
Ihre Augen drehten sich nach hinten, immer noch schwarz verfärbt, die Blutgefäße traten pulsierend hervor, als sie auf dem Boden aufkam und sich noch mehr Splitter in ihren Körper bohrten. Ein großer Glassplitter riss ihren Ärmel auf, durchbrach ihre Haut und durchtrennte ihren Muskel.
Der Schmerz pochte dumpf durch ihre Adern, das Monster in ihrem Innern ignorierte jede körperliche Einschränkung, die das Duell hervorgebracht hatte. Ihr immer schwerer werdende rechte Arm, ihr nun zerfledderte linke Arm, die Splitter in ihrem Rücken und das Loch an ihrer Schläfe. Alle Wunden tropften mit dunkelrotem Blut, das beinahe schwarz wirkte.
Ihr schwarzen Augen legten sich wieder auf die Züge des Schulsprechers, die leichte Panik aufwiesen. Es war nicht so, dass er vor dem Duell Angst hatte - er hatte vor gar nichts Angst - doch ihr irrer Blick, die schwarzen Augen, die schwarzen Finger, die in schwarzen Adern endeten.
Das alles war ihm nicht geheuer.
Sie war ihm nicht geheuer.
Doch sie hatte Potenzial - anders als von ihm anfangs angenommen.
Sie sprang diesmal ohne Scham auf ihre Beine, lief die Treppe hinauf und stellte sich ein letztes Mal vor ihren Kontrahenten. Die Augen zu Schlitzen verengt, hob sie ihren Zauberstab vor ihren Oberkörper. In ihrer Haltung sah sie aus wie eine Ballerina.
Und sie tanzte mit dem Teufel.
Das Grand Pas de deux war beinahe beendet. Die Coda war angestimmt und ließ seine Tänzer den Schlusssatz meistern.
„Lokomotor", hauchte sie aus. Das dumpfe Pochen in ihrem Arm verlagerte sich langsam in ihre Schulter. Sie konnte durch das Blut ihren Zauberstab kaum greifen, doch einen letzten Zauberspruch - einen letzten Versuch, bevor der Teufel die Tür zur Hölle öffnete, musste sie wagen. Die Scherben und Splitter der zerbrochenen Vitrine schwebten hinter ihr in der Luft. Wie kleine Schneeflocken, die in der Luft eingefroren waren, so schön wie Monets Meisterwerk ‚Die Elster' und so tödlich wie Uemuros Schneesturm. Tom starrte sie einen Moment an, versuchte abzuschätzen, ob sie diesen Pfad wirklich betreten würde, bevor er noch im letzten Moment einen Schutzzauber aussprach.
Die Splitter folgten der Bewegung Samodivas Zauberstab, der ohne zu zögern blitzschnell in Toms Richtung gestreckt wurde.
Nun war keine Zeit, an ihren Entscheidungen zu zweifeln.
Sie musste ihn aufhalten.
Das Monster in ihr musste ihn aufhalten.
Sein Schutzzauber erschien nicht schnell genug - einige Glasscherben durchlöcherten sein Hemd und hinterließen kleine rote Flecken. Die markanteste Wunde war der Schnitt an seiner Wange, aus dem rotes Blut sickerte. Erschrocken riss der Schwarzhaarige seine Augen auf. Mit dieser Wucht und Schnelligkeit des Zaubers hatte er nicht gerechnet, noch weniger mit der Entschlossenheit, die durch die schwarz Sklera ihm entgegenstarrte.
Hissend wischte er sich den Blutstropfen von der Wange, während auch er einen letzten Fluch sprach.
Einen Fluch, von dem er annahm, dass sie ihn nicht kannte und verlieren würde.
Während sich der grüne Blitz an der Spitze seines Zauberstabes bildete und ihre Mitschüler blendete, legte sich ein zufriedenes Lächeln auf ihre Lippen.
In ihrem Zustand sah sie aus wie eine Irre.
Eine Irre, die das Leid genoss, das er ihr entgegenwerfen wollte.
Ihr Zauberstab flutschte ihr aus ihren blutigen Fingern, fiel klappernd zu Boden und besprenkelte den dunklen Boden mit roten Spritzern.
Sie war ungedeckt.
Der Zauber würde sie mit seiner ganzen Kraft treffen.
Er sah dem grünen Blitz nach. Sein kompletter Körper war angespannt, als sich der Fluch seinem Ziel näherte.
Er hatte Vertrauen in seine Fähigkeiten, doch etwas an ihrem Blick ließ ihn zweifeln.
Und er hasste es, zu zweifeln.
Als der Blitz nah genug war, riss Samodiva ihre Arme nach vorne, die Handflächen waren in seine Richtung geneigt, die Finger immer noch so schwarz wie seine Seele. Ihr Blick löste sich nicht von seinen Augen.
Sie hatte keine Angst.
Sie musste nicht auf den Fluch schauen, um ihn abzuwehren.
Sie hatte Vertrauen in das Monster, dass sie schützen würde.
Als der Fluch auf ihre Handflächen traf, verschwand das grüne Licht. Nichts passierte. Gar nichts. Geschockt blickte er auf ihre Hände, die verkohlt rauchten und Verbrennungen aufwiesen, die von der schwarz werdenden Haut eingeschlossen wurden.
Ihre Hände waren schwarz.
Die Adern bildeten sich auch an ihrem Hals.
Seine Augen folgten den schwarzen Gefäßen hin zu ihren Augen, dem Abgrund, der sich vor ihm auftat und ihn fast verschluckte. Wäre er nicht so eingenommen von ihren Augen gewesen, hätte er die Veränderung bereits wahrgenommen.
Die Luft um ihn herum wurde immer kälter. Das Leichentuch legte sich über seine Schultern, verband sein Schicksal mit ihrem, als er seine Hand kraftlos fallen ließ und seinen Augen kaum trauen konnte.
Sie stand vor ihm.
Nur war sie nicht mehr sie.
Das hatte er schon während des Duells bemerkt. Doch jetzt sah sie aus wie ein Racheengel.
Schatten bildeten sich hinter der weißen Schönheit mit den schwarzen Augen, so dunkel, dass sie mit ihren Haaren verschmolzen. Die Schwaden flogen durch die Luft, pulsierten in dem gleichen Rhythmus wie ihr verdorbenes Herz, ein Teil ihres Körpers, bevor sie sich an sie schmiegten und sich wie ein Kleid um sie legten.
Sie war ein Engel.
Die Schatten, die zu ihren Füßen schwappten, erhoben sich in die Lüfte und formten Flügel, mit denen sie nicht fliegen konnte, sie jedoch bei weitem göttlicher erschienen ließen, als jeder Zauber es gekonnt hätte.
Sie war die Personifikation des Todes - seine Auserwählte, die Bürde zu tragen und das Leben in Angst und Schrecken zu leben.
Doch sie war auch sein Gegenspieler.
Er, als personifizierter Teufel, erkannte den Tod an.
Er erkannte ihre Macht an.
Und er erkannte sie an.
Während er nun vor ihr stand, sprachlos, wie schon seit seinen Kindertagen nicht mehr, verzogen sich ihre Lippen zu einem blutigen Lächeln. In ihrem Mundwinkel sammelte sich das Elixier, das auch aus ihren Augen zu tränen begann. Das Monster zerfraß sie von innen, verdarb ihre Organe und riss ihre Blutgefäße auseinander, bevor es schlagartig dahin zurückkehrte, wo es hergekommen war.
Das Surren, das bis dahin geherrscht hatte, verschwand, machte dem aufgeregten Murren ihrer Mitschüler Platz, die auf die blutigen Körper vor ihnen starrten.
Hustend hielt sich Samodiva ihre Hand vor den Mund, die wieder ihre helle Hautfarbe besaß, durch Blutstropfen besprenkelt wurde und den Schwall an Magensäure ein Hindernis in den Weg stellte, bevor noch mehr Blut und Galle den Boden bedeckte.
Erschöpft fiel sie in sich zusammen, die Hand noch immer vor den Mund gehalten, um ihren Mitschülern nicht noch mehr Angriffsfläche zu bieten, während Estrella und Orphea auf das Podium rannten.
Ihr kompletter Körper schmerzte. Ihre Arme waren ramponiert und sie hielt ihren linken Arm nur mit letzter Kraft nach oben. Ihr Rücken schmerzte, nicht so doll wie das Loch in ihrem Schädel, durch das andere ihr Gehirn erblicken konnten.
Ihr Herzschlag pochte in ihren Ohren, verschlimmerte das Gefühl in ihrem Kopf, wodurch sie erneut Magensäure erbrach.
Dieses Duell hatte ihr ihre letzte Kraft geraubt, sie ausgeknockt und für die nächsten Wochen zerstört.
Ihr rechter Arm gab unter ihrem Gewicht zusammen.
Schlaff fiel sie nach vorne, mit dem Gesicht in die Mischung aus Flüssigkeiten.
Bevor sie auf dem Boden aufkommen konnte, legten sich zwei Arme schützend um sie, zogen sie an eine Brust und in die Sicherheit. Die manikürte Hand, die über ihre Haare strich, sie wie ein kleines ängstliches Kind beruhigte, verleitete sie dazu, ihre Augen zu schließen und sich der Erschöpfung hinzugeben, in dem Wissen, diesmal von keinem Monster übernommen zu werden.
Als Tom auf die zarte Figur des Mädchens blickte, das ihn noch vor ein paar Sekunden hätte umbringen können, machte sich Erkenntnis in ihm breit.
Sie wusste nicht, was für eine Macht sie besaß.
Und sie konnte diese nicht gekonnt einsetzten.
Ein Schlag auf seine Schulter riss ihn aus seiner Starre. Seine Augen sprangen zu dem blonden Jungen, der neben ihm stand und ihm seinen Umhang entgegenstreckte. Ein wissendes Lächeln lag auf seinen Zügen, als er zusah, wie sein Anführer nach dem Kleidungsstück griff, es sich anzog und seinen Zauberstab verstaute.
Er hatte ein neues Opfer gefunden.
Und damit hatten sie ein neues Opfer.
„Das hast du wirklich gut gemacht. Professor Merrythought ist sehr stolz auf dich. Sie hat das gesamte Duell nur davon geschwärmt, wie brilliant du bist." Notts Stimme unterbrach die schweigend nebeneinander stehenden Bekannten, die gemeinsam auf das bewusstlose Mädchen blickten, das von dem Podium getragen wurde, um sie in den Krankenflügel zu bringen.
Beide Augenbrauen wanderten nach oben, als Tom Maddox erwartend anschaute. Er würde nicht fragen, so erniedrigt war er nicht. Außerdem stand er über ihnen. Sein Blick sagte alles.
„Na, du hast sie doch so richtig fertig gemacht. Wie viele Flüche du auf sie geschossen hast, sodass sie nur schmerzerfüllt aufschreien konnte." Er klatschte begeistert in seine Hände. Er hatte schon immer einen Hang zum Blutigen. „Es war ein Meisterwerk eines Schaustücks. Das musst du unbedingt wiederholen. Das Mäuschen war dir vollends unterlegen."
Maddox' Blick schwankte von Toms Gesicht zu dem Umriss der Blondine, die ihren zwei Freundinnen folgte, ihre Arme ängstlich vor den Körper gepresst und mit großen tränenden Augen.
Auch Toms Aufmerksamkeit fiel wieder auf die Freundinnen.
Samodiva würde für ihn eine Bereicherung darstellen, wenn sie Kontrolle über ihre Fähigkeiten erlangen konnte.
Besonders, wenn - abgesehen von den zwei Kontrahenten - keiner in dem Raum etwas von ihrer Macht mitbekommen hatte.
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