|| 14 ||

Obwohl es unüblich war, fiel Mina überhaupt nicht auf, wie leer der Schulflur für einen typischen Freitag war. Stattdessen interessierten sie mehr die Reaktionen und Antworten von Chenle, wenn sie ihm erzählen würde, was da gestern passiert war; am Anfang konnte sie es ja selbst kaum glauben, wenn es doch nur eine Fake-Beziehung war, dessen Image sie vor allem in der Schule stark verteidigen mussten. Aber bei ihm zuhause bei seinen Jungs, die es sicherlich sowieso nicht juckte, was er da mit ihr tat und was nicht? (Ohne damit den Jungs Unrecht tun zu wollen, aber immerhin kannten sie sich erst seit gestern und sie hatten sicherlich andere Probleme als sich darum zu kümmern, wer die neue Fake-Freundin von Yukhei war).

Aufgeregt flutete eine ganze Welle von Worten aus ihrem Mund, die sich zu einer Erzählung zusammen setzte, welche die Geschehnisse von gestern zusammenfasste; und das ein oder andere Detail mit ein fließen ließ. Immerhin wurde es ja erst dann so richtig spannend.

So sehr Chenle auch versuchte irgendwie Freude in sein Herz zu zwingen, das ihm ein richtiges Lächeln auf das Gesicht malen würde, schaffte er es einfach nicht. Nicht wenn er sich selbst ständig vor Augen führte, wie falsch das ganze war. Dass alles im Endeffekt nur auf Lügen aufbaute und der Turm nie standhaft genug bleiben würde, bis nach ganz oben zu kommen, um am Ende auch stehen zu bleiben. Irgendwann würde alles auseinander brechen und Mina wäre die Jenige, die unter dem ganzen Schutt begraben läge.

Gerade als er den Mund aufmachen wollte und sie auf diese Tatsache ansprechen wollte, kam der Junge, um den sich das ganze Gespräch drehte aus dem Nichts von hinten und hatte Mina in den nächsten Sekunden schon an die Wand gedrückt, ehe er sich sofort an ihren Lippen zu schaffen machte, die ganze Zeit in sich hinein grinsend.

»Sag mal geht's noch?« Anstatt einfach nur daneben zu stehen und die Maus an die Katze auszuliefern, zog er den Älteren etwas von seiner besten Freundin weg, während sich der Ernst der Lage auf seinem Gesicht widerspiegelte. Ohne sich zu vergewissern, ob ihr noch andere neugierige Ohren waren, die nur auf den nächsten Tratsch wartete, ließ er sofort die nächste Frage blitzten: »Wie lange soll das Spiel eigentlich noch gehen?« Wenn es doch nur in Chenle's Hand liegen würde, dem ganzen einen Schlussstrich zu ziehen, dann hätte er die Kappe des Stiftes schon längst geöffnet. Stattdessen starte er diesen Stift nur aus Distanz an, während seine Augen funkelndes Verzweifeln in sich widerspiegeln, dass es fast schon ästhetisch gewesen wäre, wenn dort nicht dieser äußerst komplizierte Hintergrund wäre.

»Solange wie ich das will.« Ein kleines Zwinkern folgte auf die amüsierten Worte, denn dieses Verhalten, das Chenle da an den Tag legte, war nur ein Ansporn für Yukhei noch weiter voran zu schreiten, ohne das Ziel komplett vor Augen zu haben. Statt den großen Hauptweg zu nehmen, würde er plötzlich Nebenpfade einschlagen, um die Spannung sich elektrisieren zu lassen.

»Bis später Babe. Warte nach Schulschluss noch draußen auf mich, ich nehme dich mit.« Das Verlangen nochmal mit ihr auszugehen wie letzte Woche ins Restaurant war unglaublich hoch, nur dass es diesmal in eine andere Richtung gehen würde, wobei Essen hinterher angebracht wäre.

Ohne weitere Worte und mit einem breiten Grinsen auf den Lippen, ließ er die beiden stehen und suchte stattdessen nach seinen Jungs, die vermutlich wieder draußen in der Raucherecke standen, bereits tief in ein Gespräch verwickelt, das nur für sie einen wahrhaftigen Sinn hatte.

»Mina, du musst jetzt wirklich mal was unternehmen! Der Typ nutzt dich doch nur aus und wird dich irgendwann eiskalt fallen lassen, merkst du das denn nicht? Du bist das perfekte Opfer! Jetzt ist das ganze noch wegen seiner Ex! Das ganze Händchenhalten und Rumgeknutsche. Und wenn er weiter gehen will? Du machst es ihm doch viel zu einfach!«

Das eben noch fröhliche Lächeln verschwand von ihren Lippen und die Wärme um ihr Herz wurde durch einen eiskalten Mantel ersetzt. Unterbewusst legte sich ihre Hand auf ihre Brust, als versuche sie das Organ hinter dem Rippenkäfig vor der Art von Schmerz zu schützen, gegen den es keine Medizin gab. Sie vertraute Chenle, immerhin kannten sie sich aus den Windeltagen. Aber trotzdem taten diese Worte weh und ließen sie verstummen. Sie wusste, dass es irgendwann einen Schluss gab. Zudem hatte Chenle offensichtlich auch keine rote Liebes-Brille vor den Augen, hinter welcher sich auch die ganzen roten Warnungen versteckten, die Yukhei wie einen Umhang mit sich trug. Auch wenn Mina nicht daran denken wollte, wusste sie, dass ihr bester Freund Recht hatte. 

Schluckend ratterte sie alle Verbindungen mit ihrem Fake-Freund durch. Wahrhaftige gab es einige seltsame Momente zwischen ihnen, von denen sie nicht nachvollziehen konnte, inwiefern das hilfreich für seinen ursprünglichen Plan war, aber sie hatte auch nie nur versucht, all die Teile zu einem großen Gesamtbild zusammen zu fügen.

Vielleicht wäre es wirklich ratsam sich mit Yukhei darüber auszutauschen, wie es mit den beiden weitergehen sollte. Immerhin wuchsen in ihrer Brust Blumen und Raupen verwandelten sich in Schmetterlinge, die Platz in ihrem Bauch fanden. Yukheis Ex hingegen machte immer weniger den Eindruck von sich, wirkliches Interesse an ihm zu hegen, wo er so offensichtlich glücklich vergeben war.

Vielleicht wäre es wirklich das beste.

*****

Eine bedrückende Stille herrschte zwischen den beiden, als sie gemeinsam mit Yukheis neuem Wagen die leere Straße nähe eines kleinen Waldes passierten; obwohl das Gefährt gar nicht so neu war. Nach Angaben seines älteren Bruders, von dem er den hübschen Ford auch hatte, zeigte das gute Ding schon seit 2 Jahre Einsatz, ehe Lian schon zum nächsten Auto wechselte und seinem Bruder das Altgefährt überließ. Da er sein Motorrad daher nicht brauchte (zum Glück hatte er sich damals dafür entschieden, für beide Gefährte den Führerschein zu machen), stellte er es zum Verkauf, um seinen Bruder die Hälfte davon zu schenken; so als Dankeschön, immerhin war es nicht verständlich. Die andere Hälfte zahlte er seinem Vater aus, bei dem er durch einen Unfall noch ein paar Schulden angelegt hatte, die er nur verkleinern konnte.

In dieser gemeinsamen Fahrt, die sie ganz allein zurück legen, sah Mina die perfekte Chance, das Thema endlich anzusprechen, das ihr schwer auf dem Herzen lag, es beinahe abklemmte.

»Wie soll das jetzt eigentlich mit uns weitergehen?« Die Frage schafft es nur heiser ausgesprochen zu werden. Minas Herzschlag hingegen war lauter. Brutal pochte es gegen ihren Brustkorb, dass die Angst aufkam, Yukhei würde es wahrnehmen können. »Ehrlich gesagt, bekomme ich nämlich langsam... also.. langsam mischen sich echte Gefühle unter und... es ist einfach schwer für mich so weiter zu machen. Ich hoffe du verstehst das. Und deswegen brauch ich darauf jetzt auch eine ehrliche Antwort, Yukhei. Können wir dem nicht eine richtige Chance haben?« Mina war das Warum unbekannt, doch merkte sie, wie ihre Augen wahrhaftig dunkle Seen wurde, als sie sich mit einer dünnen Tränenschicht besetzten, aus welcher sie verschwommen stur gerade aus blickte. Nicht fähig auch nur annähernd in Yukheis Richtung zu blickte.

Stille. Die einzige Antwort war eine Welle von Stille, die sie in das eiskalte Meer von Verzweiflung drückte. Wenn Yukhei sich nicht entscheiden würde, ihr die Hand zu reichen und seine Stimme zu erheben, würde sie dort ertrinken.

»Verstehe mich jetzt nicht falsch Mina, aber nein. Ich meine, ich bin nicht abgeneigt von dir - du bist sympathisch, siehst auch ganz süß aus und diese Treffen haben mir bisher auch immer echt Spaß bereitet, aber ich mache das nur wegen meiner Ex. Aber ich kann dich wirklich gut leiden und wir können es weiter als Freunde versuchen. Du musst deine Gefühle nur etwas erdrücken, bald ist dieses ganze Theater vorbei un-«

»Halt bitte an, Yukhei.« Es war schwer zu überhören, wie viel Schmerz sich unter ihre Haut — unter ihrer Brust — ansammelte und sie musste sich wirklich zusammen reißen, nicht hier und jetzt in Tränen auszubrechen. Verwirrung malte sich auf Yukheis Gesicht, doch alsbald sich ihm eine Chance bot, folgte er der Bitte und fuhr rechts ran.

»So will ich aber nicht weitermachen.« Das Urteil war gesetzt; nicht in Sand, sondern in Stein.

Ohne zweimal darüber nachzudenken, war die Tür schon geöffnet und ihre Beine brachten sofort Distanz zwischen dem Auto und ihr; zwischen ihm und ihr. Das war's. Mina würde ihn hinter sich lassen. Wortwörtlich. Selbst als er aus dem Wagen aussteigt und ihren Namen rief, ließ sie ihre stille Ignoranz antworten, die nur eines im Sinn hatte: Weg von ihm und seinen dummen Spielen zu kommen.

Glasperlen benetzen ihre helle Haut, verschmieren das aufgetragene Make-Up von heute, für welches sie extra eine Stunde früher aufgestanden war, als sie es sonst tun würde.

Statt ihr wirklich zu folgen, blieb Yukhei nur weiter hinter der geöffneten Autotür stehen, seine Hand darauf verweilend, während immer wieder ihr Name laut aus seiner Kehle erklang, in der Hoffnung sie würde schon von selbst umdrehen. Er würde ihr nicht hinterher rennen. Weder hier noch so.

Mina hingegen würde nicht zu ihm zurück kehren. Weder hier noch in der gesamten Situation, in welcher sie sich wie eine verzweifelte Fliege im Spinnennetz verfangen hatte.

Es war aus. Ein für alle mal.

Sie hatten beendet, was sie nie wirklich angefangen hatten; trotzdem hinterließ es unübersehbare Spuren, welche bei jeder Berührung weh tun würde. Das wusste sie.

»Johnny? Kannst du mich abholen?« Das Handy in ihrer Hand zitterte genauso sehr wie ihre Stimme.

Der ganze Schmerz, das ganze Drama, das ganze Erlebnis — alles nur wegen einen dummen Bild von einem dummen Jungen, der sich in ihr Herz gefressen hatte. Der Junge, dessen glasige Augen dem jungen Mädchen hinterher sahen. Der Junge, der nur etwas mehr Zeit gebraucht hätte — Zeit, Liebe und das Vertrauen, dass das erste Gesicht mit dem sich ein Mensch zeigte, auch wahrhaftig dem Wahren entsprach.

Denn egal wie sehr er es verleugnete; Ihr Gesicht hatte nicht nur Punkte beim Aussehen gelandet, sondern auch wie sie ihm damit entgegen kam. Es war keine Maske, hinter welcher sie falsche Intentionen und schlechte Eigenschaften versteckte, hinter welche sich eine toxische Vene zog — sie zeigte sich genauso, wie sie war.

Und sie war wunderschön.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top