010. Was mich dich hassen lässt
02. September 1977
Der Unterricht bei Professor Velasquez war im Gegensatz zu dem seiner Vorreiter ausgesprochen interessant. Er verstand sich darauf, ihnen nicht bloß die Theorie der Verteidigung gegen die Dunklen Künste näher zu bringen, sondern auch die Praxis direkt von Beginn an mit einzuarbeiten.
Lily Evans saß gebannt auf ihrem Stuhl und lauschte dem Professor, während im hinteren Teil der Klasse irgendjemand seine Faxen trieb.
Und das so kurz vor den UTZs, dachte sie sich kopfschüttelnd.
Ohne einen Blick über die Schulter zu werfen, war sich Lily sicher, wen sie zwei Reihen hinter sich erblicken würde. Die selben Unruhestifter wie auch schon in den Jahren zuvor.
Black und Potter.
Krampfhaft versuchte Lily sich auf die Tafel zu konzentrieren, doch immer wieder ertönte albernes Gekicher aus den hinteren Reihen. Gerade als sie sich wütend herumdrehen wollte, berührte sie jemand am Arm.
"Evans, leihst du mir mal dein Tintenfass? Ich habe meine Selbstauffüll-Feder im Schlafsaal liegen gelassen und nur das alte Ding hier dabei."
James Potter grinste ihr mit einer erhobenen Schreibfeder entgegen.
Irritiert blinzelte sie einmal. Zweimal.
Er saß immer noch da, neben ihr, und nicht dort hinten, wo sich jemand beinahe scheckig lachte.
Sie drehte den Kopf. Im hinteren Teil des Klassenzimmers saßen bloß ein Hufflepuff Mädchen, Bettina Walters und ein Ravenclaw, Collin Rowley.
Immer wieder stupsten sie sich gegenseitig an, kicherten und machten sich schöne Augen.
Lilys Augenpaar wanderte zurück zu Potter, der sie erwartungsvoll anlächelte.
James Potter lächelte nicht oft, zumindest meistens nicht - er hatte stets ein breites Grinsen - dieses typische Rumtreibergrinsen, das sie alle vier über die Jahre perfektioniert hatten - auf den Lippen, doch lächeln hatte Lily ihn in den vergangenen Jahren kaum gesehen...
"Ähh." Ihr fehlten die Worte.
Stumm griff sie nach ihrem Tintenfass und schob es genau zwischen sie beide.
"Danke, Evans."
"Mhm."
Etwas blass um die Nase beugte sie sich tief über ihre eigenen Aufzeichnungen, so dass ihr rotes Haar wie ein seidener Vorhang vor ihr Gesicht fiel und sie gänzlich von der Welt abschirmte.
"Oh là là", flötete Marlene zu ihrer Rechten, doch ein einziger Blick seitens der Rothaarigen genügte um sie zum Schweigen zu bringen.
Lily setzte gerade den letzten Punkt unter ihre Aufzeichnungen, da klatschte Professor Velasquez einmal laut in die Hände und all das geschriebene verschwand von der staubigen Tafel ins Nichts.
"Shit!", fluchten Black und Potter und sahen missmutig zwischen der Tafel und ihren Pergamentbögen hin und her. Sirius winkte schließlich ab, doch Potter starrte noch immer auf die leere Tafel.
"Meine Herren, Sie hätten sich etwas beeilen sollen", mahnte der Professor und ließ mit seinem Zauberstab die Tische aus dem Weg fliegen, sie reihten sich hintereinander an die Wände an und ließen bloß Schüler und Schülerinnen zurück, die gerade in letzter Sekunde noch nach ihren Habseligkeiten gegriffen hatten.
Nun würde also der Praxisteil folgen...
Lily hatte sich darauf gefreut, sehr sogar. In diesen Zeiten war es wichtiger denn je, genau zu wissen, wie man sich zu verteidigen hatte, doch ihrer Meinung nach, war der neue Lehrer für Verteidigung gegen die Dunklen Künste etwas zu übereifrig.
Nachdem Remus ihnen versichert hatte, sie dürften bei ihm abschreiben, packten auch Potter und Black ihre Bücher wieder ein, zückten die Zauberstäbe und erhoben sich. Sobald sie einen festen Stand erreicht hatten, verschwanden die Stühle unter ihnen wie die Worte an der Tafel.
Schon gleich standen etwa zwanzig Schüler - all diejenigen ihres Jahrgangs, die die ZAGs mit einem O oder E bestanden hatten - nur mit ihren Zauberstäben bewaffnet im Raum und warteten auf Instruktionen.
"Dieses Jahr brauche ich ein O", murmelte Marlene und schob sich die Ärmel ihrer Uniform hinauf.
"Wieso das?", fragte Alice verwundert. "Für die Heilerausbildung im Mungos wird doch bloß ein E verlangt."
Lilys beste Freundin zuckte mit den Schultern. "Was nützen Heiler, wenn die anderen schon alle auf dem Schlachtfeld sterben, weil sie sich nicht wehren können..."
Alice zog die Stirn kraus und wollte etwas erwidern, als Professor Velasquez ein zweites Mal in die Hände klatschte, um ihre Aufmerksamkeit zurück auf sich zu ziehen, doch als alle verstummten und zu ihm aufblickten, wie er sich die ergrauten Strähnen angestrengt aus der Stirn wischte, flogen die Flügeltüren auf und herein trat...
"Lucius Malfoy?", flüsterte Mary verwirrt.
"Malfoy?", fragte Alice skeptisch.
Marlene nickte kräftig und auch Lily erkannte starke Ähnlichkeiten in seinem Auftreten, doch...
Nein, er war viel zu jung -
Und steuerte direkt auf James zu.
"POTTER, WAS ZUR HÖLLE HAST DU ANGESTELLT?!"
Er spuckte ihm den Namen quasi entgegen, als er schwer atmend in das Klassenzimmer hechtete. Die blonden Strähnen hingen ihm wirr in die Stirn. Das Knirschen seiner Sohlen auf dem alten Steinboden war das Einzige, das die aufkommende Stille unterbrach, bis er vor seiner neu anerkannten Nemesis zum Stehen kam.
"Wie bitte?", erwiderte James beinahe belustigt. "Ich habe keine Ahnung, wovon du sprichst."
Das blonde Lucius Malfoy-Double sprudelte vor Wut beinahe über. Blind vor Rage trat er einen weiteren Schritt weiter, nun den Zauberstab auf Potters Gesicht gezielt.
Erschrocken hielt Lily die Luft an.
"Senken Sie Ihren Zauberstab, Junge", sagte Professor Velasquez streng und hob vorsichtig den seinen.
"Potter, was treibst du hier für ein idiotisches Spiel?!"
James schüttelte bloß verständnislos mit dem Kopf. "Wer bist du denn bitte?"
Ihm stand die Verwirrung ins Gesicht geschrieben. Während die anderen Schüler bloß hinter vorgehaltener Hand kicherten und grinsten, sah Lily ängstlich zwischen den beiden Jungen hin und her.
Sollte sie eingreifen? Sie war immerhin Schulsprecherin...
"Du und deine Freunde, ihr findet das wohl auch noch lustig! Aber wo sind Granger und Weasley jetzt? Jetzt bist du ganz allein und hast keinen der sich für dich opfern würde, Potter!"
Während Professor Velasquez wohl mehr als nur überfordert mit der ganzen Situation zu sein schien, trat Black zwischen den Blonden und seinen besten Freund.
"Achja? Dann versuch ihm wehzutun und ich breche dir jeden Knochen zweimal!"
Der Lucius-Malfoy-Verschnitt grinste.
"Noch ein kleiner Fan von dir, Potter?"
Sirius' Gesicht nahm eine ungesunde Farbe an, als er den Zauberstab auf 'Lucius'' Nase richtete. Seine Hand zitterte vor Wut, doch die Augen waren dunkel und so konzentriert, dass sie ihn leicht verrückt aussehen ließen.
"Wie nennst du mich bitte?!"
"Tatze, beruhig dich", murmelte Remus, doch gänzlich ohne Erfolg.
Für einen kurzen Moment - so kurz, dass Lily glaubte, es sich einzubilden, huschte ein kleiner Schimmer des Zweifels über das Gesicht des Blonden, als er Sirius direkt ansah, doch dann lachte er hähmisch. "Aber das hätte ich mir ja denken können, du kriegst ja sowieso nie etwas allein auf die Reihe - versteckst dich hinter deinen Schlammblutfreunden und Bewunderern - ganz der Feigling wie dein Vater und deine dumme Mutter."
Erschrocken zogen einige scharf die Luft ein. Lily wusste, sie hätte eingreifen müssen, doch wie erstarrt blickte sie bloß in die Runde - die Augen glasig und die Kehle trocken.
Es passierte furchtbar schnell.
James und Sirius hatten die Zauberstäbe so rasant geschwungen, dass niemand hätte interferieren können.
Gleich zwei Flüche prallten dem Blonden direkt entgegen. Der eine riss ihn von den Füßen und schleuderte ihn gegen die steinerne Wand, während der zweite ihm die Nase brach und sein Gesicht mit Blut benetzte.
Mary stieß einen spitzen Schrei aus.
"Wag es nicht!", brüllte James zornig. Nicht bloß sein Zauberstab schien vor unkontrollierter Magie zu sprühen, er selbst wirkte ebenfalls geladen - wie eine Waffe, bereit zum Schuss.
Wen würde es treffen?
Röchelnd erhob sich der Blonde, bereit sich im nächsten Moment auf die beiden Idioten zu stürzen.
Professor Velasquez schien wieder in die Realität zu tauchen und zu erkennen, dass er immer noch der Lehrer war und schritt nun als Verantwortlicher dazwischen.
"Meine Herren", versuchte er sie wenig diplomatisch mit zwei ausgestreckten Armen voneinander fernzuhalten, "Das reicht nun - sie haben genug Aufmerksamkeit auf sich gezogen."
"POTTER HAT VERSUCHT MICH UMZUBRINGEN!"
"Bitte, das war doch kaum ein Schocker", winkte Black ab.
Velasquez räusperte sich lautstark und deutete mit seinem Zauberstab auf den blonden Jungen.
"Und Sie sind?"
"Wütend", schnaubte dieser.
Unter normalen Umständen hätten Black und Potter wohl gelacht, doch im Augenblick war niemandem noch nach Lachen zumute. Alle hatten gebannt die Luft angehalten, starrten bloß in die Mitte des Raumes und verhielten sich mucksmäusschenstill. Selbst die elenden Turteltauben hielten den Mund.
"Ich muss doch sehr bitten!" Professor Velasquez verschränkte die Arme vor der Brust und bedachte den Unbekannten mit einem missbilligenden Blick.
"Draco Malfoy."
Der Lehrer nickte zufrieden, auch wenn ihm der Name wie allen anderen nichts sagte... Black runzelte irritiert die Stirn.
"Miss Evans?", Professor Velasquez musterte sie.
"Ja, Sir?"
"Informieren Sie doch bitte den Schulleiter über diesen... Vorfall und das Eintreffen unseres... Gastes."
Lily nickte, doch noch bevor sie die Tür erreichte, hatte Draco schon wieder das Wort erhoben.
"Ich würde gerne auch mit Professor McGonagall reden - sie über den Vorfall in ihrem Büro-", er wurde barsch von Marlene unterbrochen, die ihre Heilerausbildung schon immer ausgesprochen ernst genommen hatte und sich ihm nun in den Weg stellte.
"Schätzchen, vergiss es - der einzige Ort an den du jetzt gehst ist der Krankenflügel, abgesehen davon, dass du die beiden offensichtlich provoziert hast. "
Irritiert starrte er Lilys beste Freundin an. "Was?"
Man hätte meinen können, er wäre mit einer clevereren Antwort um die Ecke gekommen, doch Marlene McKinnon hatte schon immer eine Art an sich, die die Männer in ihrer Umgebung schnurren ließ wie zahme Kätzchen.
"Dann wäre das ja geklärt", seufzte der Lehrer. "Black, Potter - Professor McGonagall wird von diesem Vorfall erfahren und sich um Ihre gerechte Strafe kümmern - und Sie", erneut zeigte er auf Draco, "Nach Ihrem Besuch im Krankenflügel werde ich Sie mir höchstpersönlich vorknöpfen, einfach meinen Unterricht zu unterbrechen..."
Zustimmendes Gemurmel ging durch den Raum.
"Evans?", rief der Professor aufgebracht, als er sie noch immer an der Tür stehen sah, "Professor Dumbledore informiert sich nicht von allein. Sie kennen das Passwort?"
Lily nickte und mit einem letzten Blick in die Runde huschte sie aus der Tür, Marlene und Draco kamen ihr hinterher, wobei letzterer sich ziemlich zierte, trotz Marlenes Zuckergusslächeln, das sonst bloß für Kandidaten wie Sirius Black oder August Vance reserviert war.
"Hat er gerade Dumbledore gesagt?", murmelte Draco verwirrt.
"Albus Dumbledore. Du solltest schon einmal von ihm gehört haben", sagte Lily und zuckte grinsend mit den Schultern.
Und mit einem letzten aufmunternden Blick Richtung Marlene machte sich Lily auf den Weg zum Büro ihres Schulleiters, wo sie ganz andere Probleme erwarten dürften...
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