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Der Regen peitschte uns ins Gesicht, Donner grollte über uns und Blitze erhellten den Nachthimmel.

Der Pfad, den wir an den Bergen entlangkletterten, war schmal und ich hatte Angst, gleich einen von uns hinunterstürzen zu sehen. Ich bemühte mich daher, nicht nach unten in die Schlucht, sondern auf Thorin zu schauen, welcher vor mir lief. Zwischen ihm und Fili war eine recht große Lücke, sodass wir uns nun unabsichtlich in zwei Gruppen aufgeteilt hatten.

Als Bilbo beinahe abstürzte, konnten Bofur und Dwalin ihn geradeso packen und zurückziehen. Thorin rief noch, wir müssten einen Unterschlupf finden, da brüllte Dwalin: "Vorsicht!"

Wir sahen auf und schrien, als ein riesiger Felsbrocken auf uns zuflog und über uns an dem Berg zerschellte, die entstehenden Teile fielen auf uns herab. Thorin drückte mich mit einem Arm gegen die Wand, sodass ein herunterstürzender Fels mich bloß ganz knapp verfehlte.

Keuchend und mit weit aufgerissenen Augen sah ich Thorin an, welcher mich losließ und so tat, als hätte er mir nicht gerade das Leben gerettet.

"Das ist kein Donnergrollen... Das ist eine Donnerschlacht!", rief Balin. "Seht!" Wir folgten seinem Blick durch den Regen zu zwei gigantischen Wesen aus Stein, die auf einander einschlugen.

"Gütiger Himmel", stieß Bofur aus. "Die Legenden sind wahr! Riesen! Steinriesen!"

Plötzlich begann der Boden unter uns, sich zu bewegen. Entsetzt presste ich mich noch enger an die Wand. Ich hörte die anderen rufen: "Was ist hier los?", "Was passiert hier?", und als ich nach vorn sah, versuchte Fili noch, die Hand seines Bruders zu erfassen, da der Boden zwischen ihnen sich auftat und drohte, sie zu entzweien. "Nimm meine Hand! Nimm sie!"

Doch es war zu spät. Kili und alle, die vor ihm gelaufen waren, wurden fortgetragen, denn sie standen auf dem anderen Bein eines weiteren Steinriesen. Fili und ein paar andere wurden ebenfalls von uns weggetragen.

"Kili!"

"Fili, geh von der Kante weg!", rief ich ihm besorgt zu. Für einen Moment hätte ich schwören können, er würde seinem Bruder hinterherspringen, doch so weit kam es zum Glück nicht. Diesen Sprung hätte er nicht überlebt.

Dafür wurden die anderen immer weiter von uns fortgetragen und wir konnten nichts tun als zuzusehen, da wir beinahe selbst in die Tiefe stürzten. Auch unser Riese fand nun, dass eine Prügelei mit seinen Artgenossen eine gute Idee wäre.

Das war es nicht.

Einige Male wären wir beinahe abgestürzt, während die Riesen kämpfen, doch es gelang uns, auf einen nahen Felsvorsprung zu springen.

Die anderen hatten nicht so viel Glück.

Sie rauschten an uns vorbei und während die Zwerge in meiner Gruppe brüllten, sie sollten doch springen, hoffte ich, sie würden es bloß nicht tun, denn das wäre ihr sicherer Tod.

Da knallte das Knie des Riesen, auf dem unsere Freunde standen, gegen die Bergwand.

"Nein!", rief Thorin. "Nein!"

Mit weit aufgerissenen Augen beobachtete ich, wie der Riese in die Tiefe stürzte und zerbrach, allerdings ohne Zwerge. "Nein", hauchte ich, folgte Thorin den schmalen Weg entlang zu der Stelle, an der die Steine aneinandergeprallt waren.

Erleichtert atmeten Thorin und ich auf, als wir sahen, dass die Zwerge zwar ein paar Schrammen und klopfende Herzen hatten, aber ansonsten wohlauf waren. Ich ging auf Fili zu und half ihm auf, worauf er sich nach seinem Bruder umdrehte und ihn auf die Füße zog.

"Geht's euch gut?", fragte ich besorgt, mein Herz klopfte noch immer wie wild in meiner Brust.

Fili nickte. "Ja, alles bestens..."

"Was ist mit dir?"

"Abgesehen davon, dass ich durch euch beinahe einen Herzinfarkt hatte, ist alles super", informierte ich Kili leicht gereizt. Er hatte tatsächlich die Nerven, zu grinsen. "Dann hast du dir also Sorgen um-"

"Wo ist Bilbo?" Bofur sah sich panisch um. "Wo ist der Hobbit?"

"Oh mein Gott, da!" Panisch deutete ich auf Bilbo, der an der Klippe hing und sich geradeso festhalten konnte. Ich kam nicht an ihn ran, deshalb rief ich: "Zieht ihn rauf, schnell!" Noch während ich sprach, rutschte Bilbo ein Stück weiter hinunter und außer Reichweite der Zwerge.

Ich schnappte nach Luft und griff reflexartig nach Kilis Hand, als Thorin plötzlich waghalsig hinuntersprang, sich an einem Fels festhielt und Bilbo raufhievte. Er rutschte ab und schrie - doch Dwalin fing ihn auf.

Erleichtert atmete ich die Luft, die ich angehalten hatte, aus und schloss für ein paar Sekunden die Augen. Als ich sie wieder öffnete, sah ich in Kilis erstauntes Gesicht. Er wiederum starrte auf meine Hand, welche seine beinahe zerquetschte. Schnell ließ ich ihn los. "Entschuldige...", murmelte ich peinlich berührt.

Ich bemerkte, wie Fili zwischen seinem Bruder und mir hin und her sah, konnte seine Gesichtszüge aber nicht ganz deuten.

"Fast hätten wir unseren Meisterdieb verloren", keuchte da Dwalin.

Und Thorin, fügte ich gedanklich hinzu.

Dieser funkelte Bilbo kalt an. "Er ist verloren, seitdem wir aufgebrochen sind. Er hätte nie mitkommen sollen, er gehört nicht zu uns."

Autsch. Ich konnte mir denken, dass Bilbo an unser Gespräch in Bruchtal dachte, kurz, bevor wir weitergezogen waren. Wir behielten recht - es war verdammt schwer, Thorin von jemandem zu überzeugen, der keiner seiner Zwerge war.

Wir liefen weiter und fanden eine Höhle zwischen dem Fels, in der wir unser Nachtlager aufschlugen, nachdem Dwalin sichergestellt hatte, dass sie verlassen war. Thorin verbot Gloin, ein Feuer zu machen, und wies uns an, zu schlafen, da wir bei Tagesanbruch weitergehen würden.

"Was ist mit Gandalf?" Ich ging auf Thorin zu. "Wir sollten doch hier auf ihn warten, das war der Plan. Wir können nicht einfach ohne ihn weiter!"

Thorin hob die Schultern. "Pläne ändern sich." Er wandte sich an Bofur und machte so deutlich, dass das Gespräch damit für ihn beendet war.

Abfällig schnaubte ich und setzte mich, etwas abseits von den anderen, an eine Steinwand. Ich schlang meine Arme um meinen Oberkörper und zog die Knie an, da ich noch komplett durchnässt war und fror.

Langsam fielen mir die Augen zu. Als ich spürte, wie jemand eine Decke um mich legte, sah ich erschrocken auf. Es war Fili.

"Entschuldige", flüsterte er. "Ich wollte dich nicht wecken."

"Hast du nicht", beruhigte ich ihn.

Er nickte leicht und meinte: "Dann, ähm, lasse ich dich mal schlafen."

"Okay... Und Fili?"

"Ja?" Im Gehen wandte er sich nochmal zu mir um.

"Danke."

Er lächelte. "Kein Problem." Als er weg war, schloss ich erneut die Augen. Diesmal schlief ich sofort ein, allerdings nicht lange, da ich, wie so oft in letzter Zeit, von meiner Familie träumte. Doch diesmal war etwas anders... Denn diesmal sah ich einen großen, bleichen Ork auf einem weißen Warg, der im Schutz des Dickichts stand und alles beobachtete... Wie die Orks auf die Waldlichtung stürmten, meine Eltern herauszerrten, das Haus auseinandernahmen.

Ich bekam nicht mit, ob er sah, wie mein Bruder und ich durch die Hintertür davonrannten, denn ich war damit beschäftigt, ihn von dem Ort des Geschehens fortzubringen. "Lauf schneller!", keuchte ich panisch, griff nach seinem Handgelenk und zog ihn weiter.

"Was ist mit unseren Eltern?", weinte er. Ich antwortete nicht. "Tia, ich kann nicht mehr...", keuchte er, sank zu Boden und ließ dabei meine Hand los.

"Du musst! Bitte! Nur noch ein bisschen", ermutigte ich ihn und zog ihn auf die Beine. Er wurde immer langsamer und plötzlich sprang uns etwas aus dem Unterholz entgegen.

Es war ein Warg.

Er sprang zwischen uns, wodurch ich nach hinten stolperte und einen Hang hinunterfiel. Das letzte, was ich hörte, waren die Schreie meines Bruders...

"Tia. Tia..."

"Tia!"

Ich fuhr aus dem Schlaf.

Wie die Male zuvor auch, keuchte ich stark und mein Herz schlug schneller. Ich schloss die Augen und zählte langsam bis zehn, um mich zu beruhigen. Als ich sie wieder öffnete, kniete Kili vor mir. Er war es gewesen, der meinen Namen gesagt hatte.

"Was... was tust du hier?", fragte ich leise, um die anderen nicht zu wecken. Außer uns war nur Bofur wach, da er die erste Wache übernahm.

"Du hattest einen Alptraum", wisperte Kili zurück. Unschlüssig hob er die Hand, ließ sie dann wieder sinken, als würde ihm die Nacht neben dem Feuer in den Sinn kommen, als er versucht hatte, mich zu berühren und ich zurückgezuckt war.

"Es tut mir leid, falls ich dich geweckt habe", durchbrach ich die Stille, mir vollkommen bewusst, dass Bofur immer mal wieder zu uns rübersah.

"Schon okay", winkte Kili ab, deutete dann auf den leeren Platz neben mir. "Darf ich?"

Zu meinem eigenen und auch seinem Erstaunen nickte ich. Ich wollte gerade wirklich nicht allein sein, da hätte ich sogar Thorins Gesellschaft akzeptiert.

Mit ein paar Zentimetern Abstand ließ der Zwerg sich neben mir nieder, stützte die Ellbogen auf die Knie. Es war still in der Höhle, bis er anbot: "Willst du mir erzählen, von was du geträumt hast?"

Es dauerte ein paar Sekunden, bis ich leise antwortete, obwohl ich mich bereits entschieden hatte. "Ich habe wieder von meiner Familie geträumt... Ich... Ich habe meinen Bruder sterben sehen."

Mitleidig sah Kili mich von der Seite an, genau wie Bofur. Es war mir unangenehm, trotzdem erzählte ich weiter. "Ich versuche immer, ihn zu retten, aber er stirbt, ganz gleich, was ich mache..." Zitternd atmete ich aus und erzählte Kili, wie ich meinen Bruder aus dem Haus zerrte, um ihn - wie meine Eltern es mir befohlen hatten - in Sicherheit zu bringen. Tränen ließen meine Sicht verschwimmen. Ich versuchte, sie wegzublinzeln, doch dadurch rollten sie bloß meine Wangen hinunter. Wütend wischte ich sie weg. "Ich habe versagt", schluchzte ich leise und verfluchte mich dafür, meine Stimme nicht unter Kontrolle zu haben. "Ein Warg schnitt uns den Weg ab", erzählte ich weiter. "Ich bin einen Hang hinuntergestürzt. Vielleicht dachte er, ich hätte es nicht überlebt, keine Ahnung... Ich wurde ohnmächtig und als ich wieder zu mir kam..." Ich schluckte, meine Stimme zitterte immer mehr. "Er... Er lag im Wald, Kili, und alles war voller Blut... Sie haben ihn einfach dort liegengelassen... Ich hätte etwas tun sollen!"

Nun konnte ich nicht mehr an mir halten und ließ den Tränen freien Lauf. Bofur und Kili sahen einander traurig an, bevor Kili vorsichtig näher rückte und einen Arm um mich legte, mich an sich zog, sodass mein Kopf an seiner Schulter lehnte. Und das, obwohl ich ein Stückchen größer war als er. Doch das störte uns gerade nicht.

"Du hättest nichts tun können, Tia", versuchte er leise, mich zu beruhigen. "Es war nicht deine Schuld... Du hast alles versucht, was du konntest."

"Es war aber nicht genug", beharrte ich, schluchzte erneut leise auf, worauf Kilis Hand sanft durch mein Haar fuhr. Es dauerte seine Zeit, bis ich mich beruhigt hatte, dann sagte ich: "Ich habe mir danach etwas geschworen, Kili..." Schniefend richtete ich mich auf und wischte mir die Tränen weg. Aus geröteten Augen sah ich den Zwerg an.

"Und was war das?"

"Dass ich nie wieder, egal, was passiert, jemanden den ich liebe im Stich lasse." Ich schluckte, versuchte, nicht nochmal zu weinen, und diesmal gelang es mir. Trotzdem lehnte ich mich wieder an Kilis Schulter, denn auf eine mir unerklärliche Art und Weise spendete er mir Trost, und mir war nicht mehr ganz so kalt, als er seine Arme um mich legte.

Ich sah, dass Bofur uns zulächelte, bevor er seine Aufmerksamkeit wieder dem Höhleneingang schenkte. Bald fielen mir die Augen zu und ich schlief ein, da mich die Erschöpfung von der langen Reise, dem Unwetter und dem Weinen übermannte. Doch diesmal waren meine Träume friedlicher.

Ich wachte erst wieder auf, als ich leise jemanden reden hörte. Es war nicht Kili, denn dieser schlief tief und fest neben mir. Als ich mich umsah, entdeckte ich Bofur und Bilbo, die miteinander diskutierten.

"Du kannst jetzt nicht umkehren", sagte der Zwerg gerade. "Du bist Teil der Unternehmung, einer von uns!"

"Das ist doch gar nicht wahr", widersprach Bilbo, was Bofur stutzen ließ. "Thorin sagt, ich hätte nie mitkommen sollen, und er hat recht. Ich bin kein Tuk, ich bin ein Beutlin! Was habe ich mir dabei nur gedacht..."

Vorsichtig, um ihn nicht zu wecken, befreite ich mich aus Kilis Umarmung, stand auf und schlich zu den beiden rüber, die Decke weiterhin um mich gehüllt. "Bilbo."

Sie erschraken und fuhren zu mir herum. "Du kannst nicht gehen", sagte auch ich. "Wir sind so weit gekommen! Bitte, bleib."

"Tia, mach dir doch nichts vor!", sagte er. "Du weißt doch genauso gut wie ich, dass Thorin weder dich, noch mich je akzeptieren wird."

"Vielleicht", gab ich zu. "Aber das heißt nicht, dass wir aufgeben sollten."

"Doch, für mich schon. Ich hätte nie von Zuhause weggehen sollen..."

"Du hast Heimweh!", sagte Bofur und nickte. "Das verstehe ich."

"Nein, das verstehst du gerade nicht! Das versteht keiner von euch, ihr seid Zwerge und Tia eine Waise! Ihr seid sowas wie das hier gewohnt, ein Leben auf der Straße, nirgendwo sesshaft zu sein, nirgendwo hinzugehören!"

Ich zuckte zusammen, als hätte Bilbo mich geschlagen, und auch Bofurs Lächeln wich aus seinem Gesicht.

Schuldbewusst seufzte der Hobbit. "Tia, ich... Ich hab's nicht so gemeint, Leute, es-"

"Nein, du hast recht", sagte ich kalt.

Auch Bofur nickte, sah zu den anderen Zwergen. "Wir gehören nirgendwo hin..." Dann sah er mir in die Augen. "Aber du, Tia... Du gehörst zu uns - wenn du das willst. Egal, was Thorin zu dir sagt."

Ich lächelte dankbar. Vielleicht war Thorin nicht derselben Meinung und wäre sauer, wenn er uns gehört hätte, aber ich war froh, dass Bofur mich behandelte, als sei ich tatsächlich ein Teil von ihnen. Als wären wir eine Familie... Schnell verwarf ich den Gedanken wieder. So weit würde es nie kommen. Ich würde immer eine Waise bleiben, wenn auch nicht ganz allein.

Bofur wandte sich an Bilbo. "Ich wünsche dir alles Glück der Welt. Ganz ehrlich." Er legte Bilbo eine Hand auf die Schulter, die beiden nickten einander zu.

Ich trat einen Schritt vor. "Gute Reise, kleiner Hobbit..."

Nun wurde Bilbo beinahe etwas traurig. "Dich werde ich am meisten vermissen."

Ich antwortete nicht, sondern umarmte ihn kurz. Er erwiderte es, bald ließen wir jedoch wieder von einander ab und nach einem letzten Blick wandte Bilbo sich zum Gehen.

Ich drehte mich ebenfalls um, um wieder schlafen zu gehen, da fragte Bofur: "Was ist das?"

"Hm?" Bilbo sah hinunter und zog sein Schwert hervor. Es leuchtete blau.

Unter uns ertönten knarzende Geräusche.

"Wacht auf!", rief Thorin plötzlich. "Wacht auf!" War der etwa die ganze Zeit wach?!

Die Zwerge öffneten müde die Augen, doch es war bereits zu spät. Der Boden öffnete sich unter uns und drohte, uns zu verschlingen. Bofur griff nach meiner Hand bei dem Versuch, mich in Sicherheit zu bringen, wodurch er allerdings mit hinabgezogen wurde, und so stürzten wir alle in die Tiefe.

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