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"Tia, alles in Ordnung?" Kili kniete sich neben mich und fuhr vorsichtig mit seinem Daumen über meine Lippe. "Ah!", zischte ich, merkte erst da, wie sehr sie brannte. Von Thorins Schlag war sie aufgeplatzt und blutete leicht.
Kilis Augen wurden dunkel vor Wut. "Kili, beruhige dich", flüsterte ich beschwichtigend in sein Ohr. "Das war nicht seine Schuld, es ist das Gold... Es geht mir gut, das ist nur ein Kratzer." Kili sah nicht überzeugt aus, sagte aber nichts, sondern half mir auf die Füße. Schützend legte er einen Arm um meine Hüfte und zog mich an sich.
"Bis jetzt machst du als König unter dem Berge keine sehr gute Figur, nicht wahr, Thorin, Sohn von Thrain?", spottete Gandalf. Ich konnte nach wie vor nicht glauben, dass er tatsächlich dort unten stand.
Auch Thorin sah den Grauen Zauberer wie erstarrt an und ließ dabei von Bilbo ab, der nach Luft röchelnd auf die Knie fiel. Schnell halfen Bofur und ich ihm auf die Füße und schoben ihn von Thorin fort, damit der Hobbit den Wall hinunterklettern und zu Gandalf gelangen konnte. Danach drückte Kili mich sofort wieder an sich.
Thorin war komplett wahnsinnig geworden. Er hat Bilbo beinahe umgebracht!
Aber auch Gandalfs Worte konnten Thorin nicht überzeugen. Aufgebracht lief er hin und her und sah immer wieder gen Horizont, als würde er nach etwas oder jemandem Ausschau halten.
Balin versuchte nun, auf Thorin einzureden. Ich dachte beinahe, er hätte es geschafft, ihn zur Vernunft zu bringen. Beinahe dachte ich, wir könnten noch eine friedliche Lösung finden.
"Gebt uns Eure Antwort!", rief Bard durch die Stille zu uns herauf. "Wollt Ihr Frieden... Oder Krieg?"
Da landete ein Rabe auf der Mauer vor uns und etwas in Thorins Blick änderte sich. Zu unser aller Entsetzen, lautete seine Antwort: "Ich will Krieg!"
"Thorin-" Ich unterbrach mich, als zu unserer Linken etwas erschien. Oder eher, jemand: Ein Zwergenheer, bis an die Zähne bewaffnet und bereit, für Thorin in den Kampf zu ziehen. Die Zwerge an meiner Seite jubelten: "Eisenfuß ist gekommen!"
"Eisenfuß?", widerholte ich perplex. "Fürst Dain, der Herr der Eisenberge", erklärte Kili. "Er ist Thorins Vetter."
Ich nickte nur. Mir war nicht wohl bei der Sache. Zum Einen war es gut, dass wir Verstärkung hatten, zum Anderen war das so etwas wie die endgültige Bestätigung, dass ein Kampf unausweichlich sein würde.
Thranduil war nun nicht mehr so zuversichtlich. Er rief Befehle auf Elbisch, worauf seine Krieger und die Menschen der Seestadt sich von uns abwandten, um sich auf Dain zu konzentrieren. Dieser ritt ihnen auf einem Wildschwein entgegen und sah nicht besonders glücklich aus.
"Gandalf der Graue..." Dain kniff seine Augen zusammen, als mein Lehrer das Wort an ihn richtete. "Sag diesem Gesindel, es soll verschwinden, sonst tränke ich den Boden mit ihrem Blut!"
"Ein Krieg zwischen Zwergen, Menschen und Elben ist unnötig", behauptete Gandalf zurecht. "Ein Heer von Orks marschiert auf den Berg zu, haltet Eure Streitmacht zurück!"
"Orks?", keuchte ich, spürte, wie Kilis Griff um meine Hüfte sich verstärkte. Da draußen waren Orks, die uns alle töten wollten, und hier standen wir - Zwerge, Menschen, Elben, ein Zauberer, ein Hobbit und eine Hautwechslerin - und vergeudeten unsere Zeit, indem wir aufeinander losgingen, statt uns gegen den Feind zusammenzuschließen?
"Das ist nicht richtig", atmete ich zittrig aus. "Das ist ganz und gar nicht richtig."
Balin, der neben uns stand, sah mich zustimmend an, sagte aber nichts. Mit Thorin konnte man nicht mehr verhandeln, und sein Vetter Dain schien noch unvernünftiger zu sein.
"Vor Elben halte ich überhaupt nichts zurück. Und schon gar nicht vor diesem ehrlosen Waldlandkobold!"
Dain sprach von Thranduil, nur, falls das nicht klar war...
"Er wünscht sich nur das Schlechteste für mein Volk. Und sollte er sich zwischen mich und meine Sippe stellen, dann spalte ich ihm seinen hübschen Schädel! Mal sehen, ob er dann immer noch so fein lächelt." Mit diesen Worten ritt Dain zu seinen Leuten zurück.
Was taten Kili, Fili und die anderen? Sie jubelten. Sie jubelten! Das war's. Wir sind verloren. Ich verfluche die Sturheit der Zwerge, die Arroganz der Elben und diese dämlichen Menschen! Wieso sind sie alle so blind? Selbst von hier oben aus konnte ich sehen, wie Gandalf zu mir heraufsah, und ich wusste genau, was er sagen würde, wäre er jetzt hier.
Die Menschen traten zurück, während ein Teil der Zwerge auf Widdern sitzend auf die Elben zuritt. Diese spannten ihre Bögen.
"Thranduil, das ist Wahnsinn!", rief Gandalf, doch der Elbenkönig hörte nicht auf den Zauberer und ließ die ersten Pfeile abschießen. Die Zwerge hatten allerdings einen Trumpf im Ärmel: Eine Waffe, welche sie in die Luft schleuderten, damit sie die Pfeile abfing und sie nicht treffen konnten.
Die Krieger gingen zum Nahkampf über, lange währte dieser allerdings nicht, den wir alle konnten sie hören und kurz darauf auch sehen: Wehrwürmer. Sie schossen aus der Erde und versanken kurz darauf wieder darin, um sich für einen Angriff zu rüsten.
Die Orks waren hier.
Dains Zwerge reagierten als erstes. Schreiend und mit erhobenen Waffen rannten sie dem Orkheer entgegen.
"Ich klettere den Wall runter. Wer kommt mit mir?" Fili war voller Tatendrang. Sofort trat ich an seine Seite, Kili direkt hinter mir. Auch Oin, Dwalin und die anderen waren bereit, mit uns in die Schlacht zu ziehen.
Thorin war es nicht. Er befahl uns, die Waffen niederzulegen, was uns mehr als verwirrte.
"Sollen wir gar nichts tun?", fragte Fili seinen Onkel. Dieser widerholte lauter: "Ich sagte, legt die Waffen nieder!"
Das kann nicht sein Ernst sein! Orks griffen uns an, unter ihnen Azog der Schänder! Da konnten wir doch nicht tatenlos zusehen! Auch die Elben schienen zunächst nicht bereit zu sein, sich an Dains Seite zu stellen, doch dann schossen sie hinter den Zwergen hervor und gingen auf die Orks los.
Die ersten Krieger fielen binnen Sekunden auf beiden Seiten.
Ein Horn ertönte und wenige Sekunden später kamen von Seiten der Orks riesige Bestien auf die Elben und Zwerge zu. Sie schlugen sie nieder und machten sich daran, ihre Kriegsmaschinen zu zerstören.
Wieder ertönte ein Horn und eine weitere Gruppe Orks marschierte auf die Stadt zu. Bard befahl den Menschen, sich nach Tal zurückzuziehen, und ich sah Gandalf und Bilbo ihnen folgen. Was taten sie denn da?! Die Orks, die in der Stadt waren, würden alle abschlachten!
Thorin ließ uns noch immer nicht über den Wall, stattdessen befahl er uns sogar, in den Berg zu gehen. Ich konnte nichts tun als zu hoffen, dass Bilbo und Gandalf heil hier rauskommen würden, so auch die anderen, die sich gegen die Orks wehrten.
Wir sollten den Leuten da draußen helfen, die Orks zu vertreiben. Die Zwerge gaben ihr Leben für uns! Stattdessen verschanzten wir uns wie Feiglinge in diesem Berg. Ich war mit den Zwergen so weit gereist, wir hatten so viel durchgestanden, und wir hatten nur überlebt, weil wir zusammengehalten hatten. Wir waren loyal, mutig und aufrichtig zueinander gewesen. Doch wie konnte ich loyal, mutig und aufrichtig sein, wenn ich andere für mich kämpfen ließ? Für uns? Selbst, wenn es den Leuten gelang, die Orks zu vertreiben, gewannen wir dadurch nicht.
Wir verloren unsere Ehre und das Vertrauen, das andere in uns gesetzt hatten. Verlieren ist einfach. Zu gewinnen braucht Mut. Und Mut hatten wir doch alle bewiesen - auch Thorin. Besonders Thorin.
Wieso unternehmen wir dann nichts?!
"Wir können nicht weiter nur rumsitzen!" Unruhig lief ich hin und her, die anderen Zwerge - bis auf Thorin - saßen oder standen mit mir in einer der Hallen des Erebors. "Thorin muss uns kämpfen lassen!"
"Das wird er aber nicht", sprach Balin, ebenfalls verzweifelt. "Er ist nicht mehr er selbst."
Ich hörte auf, umherzulaufen, und sah dem alten Zwerg in die Augen. "Dann braucht er wohl jemanden, der ihm einen kräftigen Arschtritt verpasst, damit sich das ändert!" Damit drehte ich mich um und marschierte in Richtung Thronsaal.
"Warte!", rief Bofur. "Wo willst du denn hin?"
Ich gab keine Antwort, bekam noch mit, wie Kili sagte: "Hast du ihr nicht zugehört? Sie will unserem Onkel in den Arsch treten", dann war ich um eine Ecke verschwunden. Nach ein paar Sekunden konnte ich Schritte hinter mir hören und Dwalin trat an meine Seite. "Kann ja nicht schaden, wenn zwei das übernehmen", meinte er auf meinen fragenden Blick hin. Ich war erleichtert, dass er nicht versuchte, mich aufzuhalten, sondern mich unterstützte. Wenn Dwalin bei mir war, hatte ich bessere Chancen, dass Thorin zuhörte.
Wir erreichten den Thronsaal. Dwalin ging zielstrebig auf Thorin zu, ich folgte ihm. "Seit wann lassen wir unsere eigenen Leute im Stich?", fragte der Zwerg erbost. "Thorin, sie sterben dort draußen."
Thorin drehte seinen Kopf zu uns, hörte Dwalin aber gar nicht richtig zu. "Es gibt Hallen um Hallen unter diesem Berg", sprach er. "Orte die wir befestigen, sichern, verstärken können - Ja!" Er erhob sich und kam langsam auf uns zu. "Ja, das ist es... Wir müssen das Gold tiefer unter der Erde in Sicherheit bringen!"
"Hast du Dwalin nicht gehört? Dein Vetter ist umstellt!", rief ich eindringlich und Dwalin fügte hinzu: "Sie werden geschlachtet!"
"Viele sterben im Krieg", murmelte Thorin. "Ein Leben ist wertlos. Aber ein Schatz wie dieser lässt sich nicht in verlorenen Leben aufwiegen." Ich konnte die Fassungslosigkeit und Enttäuschung in Dwalins glänzenden Augen sehen, spürte dasselbe auch in mir. "Er ist es wert, ist alles Blut wert, das wir vergießen", sagte Thorin dann.
Nein, stopp. Thorin hätte so etwas nie gesagt. Dieser Schatz... Er vergiftet sein Herz...
Dwalin hatte nichts als ein ungläubiges Keuchen für ihn übrig. "Du sitzt hier in diesen gewaltigen Hallen und trägst auf deinem Kopf eine Krone... Doch du bist ein geringerer, als du je warst."
"Sprich nicht mir mir, als wäre ich irgendein unbedeutender Zwergenfürst. Als wäre ich immer noch-" Seine Stimme brach. "- Thorin Eichenschild."
"Aber der bist du doch!" Vor Verzweiflung bahnten sich Tränen ihren Weg nach oben, verschleierten meine Sicht. "Der Thorin, mit dem wir so weit gereist sind", sprach ich nun, meine Stimme überraschend fest, "der Thorin, der mir das Leben gerettet hat, der Thorin, der mein Verbündeter, Freund und sogar König wurde... Dieser Thorin, Thorin Eichenschild, hätte nie - hörst du, nie! - das Leben seiner Leute für Gold geopfert!"
"Sprich nicht, als wärst du eine von uns... Ich bin nicht dein König, ich bin Dwalins König. Ich bin der König unter dem Berge!", rief Thorin wütend aus. Ich schüttelte nur den Kopf, blinzelte meine Tränen weg. Wut staute sich in mir, Wut auf diesen elenden Schatz, auf Smaug, auf die Orks, auf Thorin.
"Du warst immer mein König", versicherte Dwalin ihm. "Und du bist auch Tias. Wir beide würden dir bis in den Tod folgen. Das hast du früher auch gewusst." Dwalins Augen glänzten, seine Stimme zitterte. "Du siehst nicht, was aus dir geworden ist..."
Thorin stand da und starrte uns an. Dann wandte er den Blick zu Boden und sagte ruhig: "Geht. Verschwindet... Bevor ich euch umbringe."
Wieder schüttelte ich den Kopf, Dwalin aber legte eine Hand auf meinen Rücken und drehte mich sanft, doch bestimmt in Richtung Ausgang. Stumm liefen wir Seite an Seite zu den anderen. Eine Träne schaffte es, mein Auge zu verlassen und meine Wange hinunterzurollen. Zornig wischte ich sie weg.
Als wir bei den anderen ankamen, sahen sie uns wenig hoffnungsvoll an. Sie merkten an unserer Haltung, wie das Gespräch verlaufen war.
"Thorin wird nicht kämpfen", murmelte ich und ließ mich zwischen Fili und Kili auf einen Felsbrocken sinken. "Er hat sich verändert. Er wird nichts unternehmen...", sprach nun Dwalin, derweil legte Kili sanft einen Arm um mich. Er, Fili und die anderen waren genauso ratlos und niedergeschlagen wie Dwalin und ich, denn wir waren dabei, unseren Freund an eine Krankheit zu verlieren, für die wir kein Heilmittel kannten.
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