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Beinahe während der gesamten Bootsfahrt war es unangenehm ruhig. Oin saß ganz vorn und ruderte zielstrebig auf den Erebor zu. Das taten wir anderen auch, doch dabei flüsterte Fili Kili immer wieder eindringlich ins Ohr, worauf der Jüngere bloß jedes Mal entsetzt den Kopf schüttelte, und Bofur und ich saßen schweigend nebeneinander. Ich wusste genau, dass ihm tausend Fragen auf der Zunge brannten, doch solange er sie nicht freiwillig stellte, hatte ich nicht vor, ihn dazu zu ermutigen.
Ich konnte sie selbst vermutlich auch nicht beantworten.
Wenn Tauriel die Wahrheit gesagt hatte... Bedeutete das, dass Kili für mich mehr als nur Freundschaft empfand. Und da ich mir inzwischen sicher war, dass es um meine Gefühle ihm gegenüber genauso stand, rastete ich innerlich gerade total aus, während ich äußerlich so wirkte, als würde ich nichts anderes als den Erebor und dieses blöde, langsame Mini-Boot im Sinn haben.
Fili hatte aufgegeben, auf Kili einzureden. Der Braunhaarige sah, während wir den Flus überquerten, kontinuierlich über die Schulter zu mir. Wenn ich allerdings aufsah, um seinen Blick zu erwidern, drehte er sich schnell wieder nach vorn um und tat, als wäre nichts gewesen.
Ich war froh, als wir endlich wieder festen Boden unter den Füßen hatten, und ich muss zugeben, ziemlich aufgeregt gewesen zu sein. Der Erebor war eines der größten und bekanntesten Zwergenreiche, und wir hatten so viel auf uns genommen, um es zurückzuerlangen. Bevor wir den Berg aber endlich betreten konnten, stand ein ziemlich langer Fußmarsch dorthin an. Während dieser Zeit waren wir nicht so schweigsam, sondern unterhielten uns angeregt. Hauptsächlich die Zwerge, zugegeben. Kili und Fili berichteten von den Legenden, die Thorin ihnen über ihre Heimat erzählt hatte, als sie noch Kinder waren, und auch Bofur und Oin hatten die ein oder andere Geschichte auf Lager. Zwischendurch stellte ich interessiert Fragen, war ansonsten aber still.
Kili, der, wie die anderen auch, übers ganze Gesicht strahlte, wenn er von seinem Zuhause redete, ließ seinen Blick des Öfteren zu mir schweifen. Manchmal lächelte er zögernd und ich erwiderte es.
Uns taten die Füße weh, als wir endlich vor dem Erebor standen, doch darauf achteten wir nicht, denn seine Tore und Eingangshalle waren zerstört und lagen in Trümmern. Smaug hatte hier gewütet. Wir tauschten alarmierte Blicke und rannten, in Sorge um unsere Freunde, ins Innere des Berges.
Bofur rief nach seinem Bruder und Vetter, seine Stimme hallte von den kalten Wänden wieder. "Hallo? Bombur? Bifur?"
Der Erebor war wunderschön, auch jetzt, wo er durch Smaug teilweise kaputt war. Ich nahm mir vor, mich umzusehen, aber erst, nachdem wir unsere Freunde - sicher und wohlbehalten - gefunden hatten.
"Thorin?", rief ich. Keine Antwort. "Bilbo? Balin?" Nichts.
Suchend und panisch rannten wir durch die leeren Hallen des Zwergenreiches, bis eine Stimme hinter uns rief: "Wartet! Wartet!"
"Das ist Bilbo!", stellte Oin erleichtert fest.
Mir fiel ein Stein vom Herzen. "Er lebt!"
Flink rannte der Hobbit auf uns zu. "Halt, halt, halt! Ihr müsst sofort weg hier! Wir alle müssen hier weg!"
Bofur war sichtlich verwirrt. Nicht nur er... "Wir kommen doch gerade erst an-"
"Ich habe versucht, mit ihm zu reden, aber er hört nicht", faselte Bilbo.
"Was meinst du, Junge?" Oin hielt wie immer seinen Trichter ans Ohr.
"Thorin!", sagte Bilbo plötzlich lauter, sodass wir alle kurz zusammenzuckten. Leiser erklärte Bilbo: "Thorin... Thorin... Er ist seit Tagen da unten. Er schläft nicht, er isst kaum noch etwas... Er ist nicht mehr er selbst, nicht im Geringsten. Das liegt an diesem Ort-", Bilbo machte eine umfassende Bewegung, die den Erebor einschloss, "- eine Krankheit scheint auf ihm zu liegen."
"Krankheit?", echoten Kili und ich synchron und ich fragte: "Was für eine Krankheit?"
Fili allerdings hörte gar nicht mehr zu. Er ging an Bilbo vorbei, die steinernen Treppen hinunter. Bilbo rief nach ihm, aber der Blonde hielt nicht an, also gingen wir ihm nach. Dabei musste Kili - wie auf unserem Weg hier her auch schon - etwas langsamer laufen, da sein Bein immer noch wehtat. Unauffällig sah ich immer wieder zu ihm, oder zumindest dachte ich, dass ich unauffällig war, aber Kili bemerkte es. "Mir geht's wieder gut, Tia", versicherte er mir leise.
Da die anderen bereits viel weiter vorn waren, nahm Kili mich einfach bei der Hand und zog mich weiter. Wir hielten erst an, als wir in einer riesigen Halle voller Gold standen. "Ach du meine Güte", stieß ich hervor, starrte dabei allerdings nicht auf das Gold, sondern auf Thorin, der in dessen Mitte stand. Er trug einen Umhang aus braunem Fell und sah auf den ersten Blick einfach nur wie Thorin aus.
Auf den zweiten jedoch wusste man, was Bilbo mit Krankheit gemeint hatte... In Thorins Augen sahen wir nichts als Dunkelheit. "Gold", sagte er, seine Stimme dunkel und noch tiefer als sonst. "Gold jenseits aller Vorstellungen. Jenseits von Trauer und Gram..."
Leicht drückte ich Kilis Hand, als Thorin aus zusammengekniffenen Augen zu uns hinaufblickte. Er war... Irgendwie nicht er selbst. Er war... Anders. Ich kann es nicht richtig beschreiben.
"Seht ihn an", waren die ersten Worte, die der König unter dem Berge nach unserer Ankunft an uns richtete. "Den Schatz von Thror..." Auch Fili und Kili konnten ihren Onkel nicht wiedererkennen, ich sah es in ihren Augen. Er hatte sich verändert.
Thorin warf etwas auf uns zu, Fili fing es auf. Es war ein goldener Kelch. "Willkommen, meine Schwestersöhne", sagte Thorin und breitete stolz die Arme aus, als wolle er den gesamten Schatz darin einschließen, "in dem Königreich Erebor!"
"Was ist mit ihm?", flüsterte ich Bilbo leise zu.
"Wie gesagt... Er ist krank."
-
Als wir die anderen Zwerge fanden, umarmte jeder zur Begrüßung jeden, wir waren froh, dass alle wohlauf waren. Nachdem er seinen Vetter Bofur begrüßt hatte, umarmte Bombur mich - er hob mich dabei hoch und zerquetschte beinahe meine Rippen. "Ja, ich hab euch Jungs auch vermisst", keuchte ich, was die Zwerge zum Lachen brachte. Bombur setzte mich ab und ich schnappte nach Luft.
Als dann sogar Dwalin mich an sich drückte, blieb mir die Luft vor Überraschung weg. Dwalin schien zu merken, dass einige von uns ihn anstarrten, und ließ mich schnell los, um mir freundschaftlich auf die Schulter zu klopfen. "Schön, dass es dir gut geht, Kleine", sagte er nur und wandte sich ab, um Kili zu begrüßen. Lächelnd beobachtete ich sie dabei.
Mit Bedauern stellte ich fest, dass Gandalf nicht hier war. Er wollte sich doch mit der Gruppe vor dem Erebor treffen... Was hat ihn aufgehalten?
Viel Zeit, uns miteinander zu unterhalten, blieb allerdings nicht, denn Thorin schickte uns gruppenweise für mehrere Stunden in die große Halle, um die Goldberge nach dem Arkenstein zu durchsuchen. Ich war mit Nori, Dwalin, Bofur und Gloin in einer Gruppe. Mir blieb nicht verborgen, wie misstrauisch Thorin uns die ganze Zeit beobachtete, als fürchtete er, einer von uns würde ihm das Königsjuwel stehlen, es ihm vorenthalten. Besonders mich behielt Thorin gut im Auge.
"Er beobachtet uns", flüsterte ich Bofur zu, als wir zufällig während dem Suchen näher zueinander kamen.
Über die Schulter wagte Bofur einen Blick in die Richtung seines Königs. "Bilbo hat recht", murmelte er. "Irgendwas ist anders an Thorin."
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