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Ich wachte vor allen anderen auf, da ein brummendes Geräusch mich störte und etwas Weiches immer wieder auf meiner Nase landete. Gereizt öffnete ich die Augen und erschrak beinahe zu Tode, als eine Riesenbiene direkt vor meinem Gesicht flog.

"Kusch!", machte ich. Ich wollte nicht nach ihr schlagen, aus Angst, sie würde mich stehen. "Zisch ab!" Tatsächlich flog das Ding dann weiter. Ich folgte ihm mit den Augen und drehte den Kopf dabei leicht nach hinten, wodurch mein Blick auf Kili fiel. Dieser hatte seinen Arm in der Nacht wieder um mich geschlungen und drückte mich an sich.

Wenn er schläft, sieht er beinahe süß a- Moment mal, stopp. Das ist immer noch Kili, von dem wir hier reden, Tiaret. Der wäre nicht mal süß, wenn er aus Zucker bestünde.

"Ey!" Leicht schlug ich dem Zwerg auf die Wange, wodurch der nur brummte. "Kili, nimm deine Pfoten weg!"

"Du bist hier die einzige mit Pfoten", nuschelte er, gähnte und zog mich noch etwas enger an sich. Genervt legte ich mich wieder hin. Toll, und jetzt? Einfach weiterschlafen, wie Kili es tat, konnte ich nun sicher nicht mehr.

Nach ungefähr einer halben Stunde (die Sonne war bereits aufgegangen), wachten auch langsam die Zwerge auf, Dwalin, Fili und Balin zuerst.

"Fili!", zischte ich und verfluchte mich gedanklich, weil ich ihn nicht einfach früher geweckt hatte. Suchend sah der Blonde sich um. "Hier unten!" Er entdeckte mich und sah etwas verwirrt auf uns hinab. "Was in Durins Namen tut ihr da?"

"Frag das deinen Bruder", schnaubte ich, bevor meine Stimme flehend wurde. "Tu irgendwas, bitte!"

"Das kannst du vergessen." Bofur tauchte neben Fili auf, ehe dieser etwas sagen konnte. Nori und Bombur standen hinter ihnen.

"Was soll das denn jetzt heißen?!"

"Dass du da schön liegenbleibst", grinste Bofur.

"Bofur, ich glaube nicht, dass das so eine gute-", begann Fili, doch Bofur und Nori zogen ihn bereits von uns weg in Richtung der anderen. "Das glaube ich schon, mein Lieber. Die beiden können gar nicht genug voneinander kriegen, das sieht doch jeder."

"Entschuldige mal?!", quietschte ich, meinte, mich verhört zu haben.

"Entschuldigung akzeptiert", lächelte Bofur nur und wandte sich endgültig ab.

"Ich bring ihn noch um", knurrte ich. Neu motiviert, rammte ich Kili meinen Ellbogen in die Seite.

"Au!", grunzte er und wachte blinzelnd auf. "Was in Durins-"

"Geh endlich weg!", blaffte ich, wodurch Kili sofort aufsprang und einen Meter Abstand nahm. "Hey, beruhige dich, Tia..."

Wütend stand ich auf. "Werde ich, sobald ich Bofur den Kopf abgerissen habe." Damit ging ich auf die Zwerge zu. Bofur, der eben noch gelacht hatte, versteckte sich hinter einem nachdenklich dreinblickenden Fili. "Oh, oh..."

"Oh, oh, aber hallo!", brummte ich. "Was fällt dir eigentlich ein?"

"Komm schon, Tia, das war doch nur Spaß", versuchte Bofur ängstlich, mich zu beruhigen, und lief um die Gruppe herum. Ich versuchte, ihm zu folgen, doch er wechselte immer wieder die Richtung, sodass ich ihn nicht erwischen konnte.

Als Bilbo auf uns zukam (scheinbar hatte er bisher geschlafen) und fragte, was er verpasst hatte, stellte Balin sich zwischen uns. "So gerne ich auch sehen würde, wie Tia Bofur ein paar Manieren beibringt... Wir müssen uns konzentrieren. Der Durinstag rückt immer näher, wir müssen überlegen, wie wir nun vorgehen."

Natürlich fing wieder eine Diskussion zwischen allen an. Manche waren der Meinung, wir sollten uns klammheimlich davonstehlen, andere weigerten sich, vor der "Bestie" wegzurennen.

Ob ich für sie auch eine Bestie bin?

Gandalf bestand darauf, dass wir ohne Beorns Hilfe nicht weit kämen, und so überlegten wir uns einen Plan, wie wir möglichst behutsam um Hilfe bitten konnten, da Beorn laut Gandalf kein großer Freund von Fremden war und Zwerge konnte er gleich gar nicht ausstehen. Wir stellten uns in Zweiergruppen vor, Bilbo und Gandalf gingen zuerst.

Da jedoch niemand wusste, was jetzt genau das Zeichen war, mit dem Gandalf uns signalisierte, dass die nächste Gruppe heraustreten konnte, mussten wir raten. Bofur, der aus dem Fenster sah, rief irgendwann: "Das war's! Los, los, los!"

Dwalin und Balin gingen als nächste. Das ging so lange, bis nur noch Thorin und ich übrig waren.

"Sind das alle?", hörten wir Beorns tiefe, misstrauische Stimme. "Sind da noch mehr?" Thorin und ich sahen einander kurz an und traten heraus.

Beorns Blick blieb an mir hängen. "Sie ist kein Zwerg."

"Messerscharf erkannt", murmelte ich, worauf Thorin mir seinen Ellbogen in die Seite stieß.

"Was ist sie?"

"Ich bin wie Ihr", rief ich mit fester Stimme über die Lichtung, bevor Gandalf hätte antworten können.

Beorn riss die Augen auf. "Dann bist du also die Löwin?"

"So ist es", bestätigte ich und drängte mich an den Zwergen vorbei, stellte mich an Gandalfs Seite.

"Beweise es!", forderte Beorn.

Ich stutzte. Ernsthaft? Ich sollte mich verwandeln, während alle mich anstarrten? Das war... Irgendwie merkwürdig. Ich spähte zu Gandalf, welcher bloß nickte. Räuspernd legte ich den Kopf schief. "Na schön, äh..."

Ich schloss die Augen und konzentrierte mich. Ich konnte spüren, wie mein Körper sich veränderte, und als ich nach wenigen Sekunden die Zwerge nach Luft schnappen hörte, öffnete ich die Augen. Ich war wieder die Löwin.

Zu sagen, Beorn war überrascht, wäre eine Untertreibung gewesen. Er starrte mich einfach nur an, bis ich mich zurück verwandelte. Etwas unsicher fragte ich: "Glaubt Ihr mir jetzt?"

Das tat er, und so kam es, dass wir in der Hütte des Mannes saßen und essen und tranken und zuhörten, wie er von seiner Familie erzählte. Die meisten von ihnen hatte Azog umgebracht, andere als Sklaven gehalten, und das nur zum Spaß. Mein Blick huschte zu den Metallfesseln an Beorns Händen.

"Ich will nicht unhöflich sein", sprach ich, als er geendet hatte. "Aber auch meine Familie wurde von Orks angegriffen, vor langer Zeit..."

Beorn nickte wissend. "Azog hat Jagd auf Hautwechsler gemacht... Ich bezweifle, dass es außer uns beiden noch welche gibt."

"Weißt du, ob-" Ich stoppte.

"Stell ruhig deine Frage", ermutigte Beorn mich, doch ich konnte nicht. Tief in meinem Inneren wusste ich die Antwort bereits, und wenn Beorn meine Furcht nun bestätigen würde...

Jemand griff nach meiner Hand. Es war Kili. Aufmunternd lächelte er mich an, worauf ich tief durchatmete und wieder zu Beorn sah. "Die Orks - Azog - sie haben meinen Bruder ermordet... Ich bin allerdings nicht sicher, ob meine Eltern-"

"Wenn sie sie als Sklaven gehalten haben", unterbrach mich Beorn, der meine Frage bereits erahnt hatte, "dann sind sie jetzt nicht mehr am Leben. Es tut mir leid."

Ich biss mir auf die Unterlippe und nickte. "Natürlich..." Es war töricht von mir, zu hoffen, meine Familie wäre noch irgendwo da draußen. "Entschuldigt mich", krächzte ich, befreite mich aus Kilis Griff und stand auf, verließ das Haus. Ich ging zu der Koppel, auf der Beorns schwarzweiße Ponys und ein paar Pferde standen, und lehnte mich dagegen. Eines von ihnen sah neugierig zu mir herüber, traute sich aber nicht recht, zu mir zu kommen.

"Ich tu dir nichts", versicherte ich und streckte vorsichtig meine Hand aus. "Na komm..."

Als hätte es mich verstanden, trat das Pferd langsam näher. Vorsichtig stupste es mit seinen Nüstern meine Hand an, ließ dann zu, dass ich es streichelte.

"Sie scheint dich zu mögen."

Ich fuhr herum und sah Beorn auf mich zukommen. Ich zuckte nur mit den Schultern. "Kann sein", meinte ich nachdenklich und ließ meine Hand sinken. Der Hautwechsler hielt neben mir an und streichelte nun ebenfalls durch das Fell des Pferdes. Nach ein paar Minuten ergriff er wieder das Wort. "Du gehörst nicht zu den Zwergen."

Ich runzelte die Stirn und sah zu ihm auf, da er ein ganzes Stück größer war als ich. "Wie meinst du das?"

"Wir beide sind die Letzten unserer Art", erklärte Beorn. "Zwerge sind gierig und blind. Sie haben keinen Respekt vor denen, deren Leben sie als weniger wertvoll erachten." Eindringlich sah er mir in die Augen. "Du gehörst zu deinesgleichen, Tiaret."

Nachdenklich sah ich den Ponys beim Grasen zu. Beorn bot mir an, bei ihm zu bleiben. Sollte ich das? Vermutlich würden einige der Zwerge mich nicht vermissen, wenn ich sie jetzt verließ... Doch dann erinnerte ich mich an alles, was wir bereits zusammen erlebt hatten, und fasste einen Entschluss. "Es tut mir leid, was deiner Familie zugestoßen ist, Beorn", sagte ich. "Glaub mir, ich weiß, wie schwer es ist, Fremden zu vertrauen. Aber diese Zwerge sind nicht so, wie du sie beschreibst. Ja, sie sind stur und unheimlich anstrengend, aber sie sind auch mutig, loyal und aufrichtig. Und deshalb werde ich bei ihnen bleiben, denn ich habe mein Wort gegeben, ihnen zu helfen, ihre Heimat zurückzuerobern." Erneut sah ich zu dem Hautwechsler auf, welcher mich die ganze Zeit beobachtet hatte. "Niemand sollte ohne Heimat sein."

"Dir liegt etwas an ihnen", bemerkte Beorn mit leichter Überraschung in der Stimme.

"Ja."

"Dann werde ich nicht versuchen, dich aufzuhalten."

"Das hättest du auch nicht geschafft!", ertönte eine Stimme - Dwalin. Wir drehten uns um und sahen Gandalf, Bilbo und die Zwerge vor uns treten.

"Tia ist eine von uns", sagte Kili und Fili fügte hinzu: "Und das wird sie auch immer sein."

"Wenn du aber bleiben willst..." Thorin stand nur wenige Meter von mir entfernt. "Dann verbiete ich es dir nicht."

Mein Blick fiel auf Bofur, welcher mich eindringlich ansah, und ich dachte an den Abend in der Höhle über der Goblinstadt. Du gehörst zu uns - wenn du das willst. Das hatte er gesagt.

Ich grinste nur und ging auf Thorin zu. "Das hättest du wohl gern, aber so leicht werdet ihr mich nicht mehr los, Thorin Eichenschild."

Erleichtert atmeten die Zwerge auf und jubelten, einige klatschten mir auf den Rücken oder drückten mich kurz an sich. "Okay, okay, beruhigt euch", lachte ich und kämpfte mich an den Rand der Gruppe. Ich spürte, dass jemand mich beobachtete. Es war Gandalf, und er lächelte.

Als die Zwerge von mir abließen, nahm er mich beiseite. "Du hast die richtige Entscheidung getroffen, Tiaret."

"Denkst du?"

"Ich weiß es." Er sah mir in die Augen. "Du bist nicht mehr dasselbe Mädchen, welches ich damals allein im Wald vorfand. Du warst einsam, verbittert und gebrochen... Und weißt du noch, was ich zu dir sagte?"

Die Erinnerung huschte durch meinen Kopf wie ein Schatten. "Für mich deutet die Definition des Wortes gebrochen darauf hin, dass etwas repariert werden kann", gab ich Gandalfs Worte wieder. Tränen bildeten sich in meinen Augen, aber es waren Freudentränen. Ich blinzelte sie weg und fiel Gandalf um den Hals, welcher überrascht, aber lächelnd, die Umarmung erwiderte.

"Ich hab's geschafft...", hauchte ich.

"Ja, das hast du."

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