✧˚ · . 𝖕𝖗𝖔𝖑𝖔𝖌
WIE SO VIELE WUNDERSAME GESCHICHTEN, beginnt auch diese mit einem Mädchen und einem Jungen. Zwei unschuldige Waisenkinder, deren Herzen voller Sehnsucht nach Abenteuern schlugen, und die noch keine Ahnung hatten, welche Prüfungen und Triumphe das Schicksal für sie bereithielt.
Caspian, ein junger Prinz, war von abenteuerlustiger Natur und von einem Aussehen, das den Augen wohlgefällig war. Benannt nach der See, dessen Weite und Tiefe seine Seele spiegelte, war er gerade einen halben Kopf größer als seine liebste Gefährtin, die alle nur Star nannten. Im Gegensatz zu Caspian war Star kein Kind königlichen Geblüts, noch war sie von auffälliger Schönheit; doch in ihrer Einfachheit barg sie ein geheimnisvolles Leuchten.
Der weise Professor fand sie als zartes Baby während eines tobenden Sternschnuppensturms in Telmar, und seitdem trug sie den Namen des Himmelskörpers, der ihr Schicksal lenkte. Ihre Eltern blieben ihr jedoch auf immer ein Rätsel, ein Geheimnis im Gewirr der Sterne.
In den strahlenden Tagen ergriff Prinz Caspian die Kunst des Kampfes mit festem Griff, sei es das Schwert, die Taktik oder die Strategie. Doch auch die Gefilde der Politik, Geschichte und Geografie waren unverzichtbare Lehren auf seinem Weg zum König, von keinem Geringeren als Professor Cornelius vermittelt. Es war in diesen Stunden, dass er eine besondere Verbindung zu Star knüpfte, die ebenso wie er in den Hallen des Wissens unterrichtet wurde.
Star, von niedrigerem Stand, musste sich mühsam ihr Wissen erkämpfen, denn für jemanden wie sie war der Weg zu Erkenntnis steinig. Seit ihrer Kindheit hatte sie gelernt, dass ihr nichts geschenkt würde. Wenn sie etwas begehrte, musste sie es sich hart verdienen, vielleicht sogar vergeblich...
Auch wenn sie im Schloss lebte, hatte sie sich noch nie so recht willkommen dort gefühlt, auch wenn es ihr Zuhause war. Das einzige, was ihr in diesen traurigen Hallen einen Funken an Freude und Geborgenheit spendete, war Caspian, mit dem sie sich beinah jeden Nachmittag, bei Sonnenuntergang heimlich aus dem Schloss schlich. Am liebsten, schauten sie sich aber die Sterne am Abend an. Die zwei nahmen sich an ihren Händen und rannten los, so wie sie es immer taten. Sie rannten und rannten und ehe sie es wussten, lagen die zwei auf ihrer Wiese, umgeben vom hohen, grünen Gras und den bunten Blumen.
Obgleich sie im Schloss lebte, fand Star nie völlige Heimat dort, obwohl es ihr Zuhause war. Einzig die Gesellschaft von Caspian brachte ihr Freude und Geborgenheit in den tristen Gemäuern. Beinahe jeden Nachmittag entflohen sie gemeinsam dem Schloss, lachend und spielend, ihre Hände ineinander verflochten, um auf ihrer Wiese zur Ruhe zu kommen, umgeben von sattem grünem Gras und lebendigen Blumen.
Unbemerkt von den Erwachsenen, die ihre Anwesenheit kaum zur Kenntnis nahmen, fanden die Kinder Zuflucht in ihrer eigenen Welt. Einzig der Professor kümmerte sich um ihr Wohl, während Lord Miraz, Caspians Onkel, kaum ein Auge auf seinen Neffen hatte, zu sehr war er in die Angelegenheiten des Königreichs vertieft.
„Glaubst du, es könnte wahr sein, was der Professor uns erzählt hat?", fragte der Junge mit den dunklen Locken, seinen Blick zu Star gewandt, während er über die heutige Unterrichtsstunde nachdachte. Er verschlang die Geschichten des Professors, doch nach dem, was sein Onkel ihm sagte, waren sie nur leere Phantasien und Märchen. Caspian, noch nie außerhalb der Mauern von Telmar gereist, träumte von unbekannten Gefilden jenseits der verbotenen Grenzen. Sein Herz sehnte sich nach Abenteuer, nach dem Unbekannten und Aufregenden. Die einzigen Reisen, die er erleben konnte, waren diejenigen zwischen den Seiten von Büchern, doch nichts begeisterte ihn mehr, als wenn Star ihm Geschichten vorlas oder selbst erzählte.
„Du meinst, den ewigen Winter in Narnia?", hakte Star nach, als sie ihm nun ihre volle Aufmerksamkeit schenkte. „Ich weiß nicht so recht, alles klingt so verrückt. Das Einzige, was für mich ein wenig glaubwürdig klingt, sind die alten Könige und Königinnen. Vielleicht auch Aslan der Löwe, aber der Rest erscheint mir wie reine Fantasie!", erklärte sie ungläubig und wandte ihren Blick wieder dem Himmel zu, wo sie eine Wolke erspähte, die die Gestalt eines Hirsches anzunehmen schien.
Es war eine typische Angewohnheit von ihr, in die Wolken zu starren und nach Formen zu suchen, von denen sie selbst noch keine Ahnung hatte. Ob bei Tag oder bei Nacht, der Himmel war ihr vertrautes Reich. Schon immer fühlte sie sich zu den Sternen hingezogen, als würden sie mit ihr sprechen, über sie wachen und Geschichten erzählen, auch wenn es vielleicht unsinnig erschien.
Der Professor hatte immer gesagt, die Sonne war einsam. Denn sie war der einzige Stern, der am Tag strahlen musste, dennoch war sie der hellste und allerschönste Stern von allen. Die Menschen sahen zu ihr hinauf und bewunderten ihre Schönheit. Der Mond war in die Sonne verliebt, vermisste sie so sehr, dass er sich jede Nacht mit Sternen umgab, doch keiner konnte seiner Sonne auch nur annähernd gleichen. Der Mond verbrannte sich an dem Feuer der Sonne, denn er war nicht bereit mit ihr zu sein. Sonne und Mond konnten niemals gleichzeitig existieren.
Der Professor hatte immer gesagt, dass die Sonne einsam sei. Sie strahlte allein am Tag, dennoch war sie der hellste und schönste aller Sterne. Die Menschen schauten zu ihr hinauf und bewunderten ihre Pracht. Doch der Mond, von unstillbarer Sehnsucht nach ihr erfüllt, umgab sich jede Nacht mit den Sternen, vergeblich suchend nach einem Hauch ihrer Wärme. Doch kein Stern konnte seiner Sonne auch nur annähernd gleichen. So verbrannte sich der Mond in dem verzehrenden Feuer ihrer Pracht, denn er war nicht würdig, an ihrer Seite zu sein.
Sonne und Mond waren dazu verdammt, niemals gemeinsam zu existieren.
In den tiefen des weiten blauen Meeres fanden die Tränen der einsamen Sonne ihren Trost. Das Meer lauschte ihrem Klagelied, verstand ihre Sehnsucht und versuchte, sie zu besänftigen und zu trösten. Und so geschah es, dass sich die Sonne in das Meer verliebte, denn es spiegelte sie wider und ließ ihr Licht noch heller erstrahlen, als je zuvor.
„Was ist mit der Sonnenkriegerin?", fragte er, während sein Blick unbeirrt auf Star ruhte. Seine Augen waren immer bei ihr.
„Ich bin mir nicht sicher", sagte sie. „Ich bezweifle, dass sie mehr als eine Legende ist, erschaffen, damit die Menschen an etwas glauben können. Etwas, das mächtiger ist als sowas wie eine Hexe, die den Winter beschwören kann", erklärte sie aufrichtig, doch der letzte Satz fiel ihr schwer über die Lippen. „Falls es sie wirklich geben würde... würde sie die Schatten auf der dunklen Insel vertreiben."
Die Wahrheit war, dass Star die Sonnenkriegerin verabscheute. Sie verachtete den Mythos, der um diese vermeintliche Heilige gesponnen wurde. Der Nebel, der die dunkle Insel umhüllte, hatte einst ihre Eltern verschlungen – oder so fürchtete sie zumindest, denn das Schicksal vieler Waisenkinder im Land war ähnlich. Vielleicht war das der Grund für ihren Groll gegen die Sonnenkriegerin. Für Star war sie weder eine Heldin noch eine Heilige, denn sie fühlte sich von ihr im Stich gelassen...
„Wenn ich groß bin, verspreche ich dir, die dunklen Inseln zu vernichten", verkündete Caspian mit fester Stimme, als er die Traurigkeit auf dem Gesicht seiner Freundin bemerkte. Er konnte es nicht ertragen, sie so zu sehen, denn ihr strahlendes Lächeln war ihm das Liebste auf der Welt. „Dann werde ich mein eigenes Schiff haben, mit dem wir, wohin wir auch wollen hinsegeln können!" Sein Lächeln war warm und er drückte zärtlich ihre Hand. „Nur du und ich!"
Für Star war der Gedanke, einfach fortzugehen und die Welt hinter sich zu lassen, verlockend. Doch sie wusste, dass nur einer von ihnen dazu bestimmt war. Wenn Caspian eines Tages König wurde, würde er sie sicherlich vergessen. Denn dann würde er eine wunderschöne Königin an seiner Seite haben und ein Land zu regieren haben. Und vielleicht würde er sich nur noch dann an sie erinnern, wenn er den Sternenhimmel betrachtete.
Doch in diesem Moment spielte sie mit, als wäre alles perfekt. Und in diesem Augenblick war es auch so. „Du und ich", hauchte sie lächelnd und ließ zu, dass ihre Finger sich liebevoll ineinander schmiegten.
In den Tiefen ihres Herzens hegte Star den Wunsch, niemals von Caspian getrennt zu sein, obwohl sie wusste, dass es ein selbstsüchtiger Gedanke war. Alles schien so leicht und sorglos, solange er an ihrer Seite war. Doch der einzige Feind, den Star fürchtete, war die strahlende Sonne am Himmel, die unausweichlich untergehen musste und die Dunkelheit der Nacht heraufbeschwor, um sie von Caspian zu trennen.
Nur du und ich...
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