✧˚ · . 006. EIN SICHERER ORT
STAR KONNTE NICHT EINSCHLAFEN, warum sollte sie auch? Sie befand sich weder an einem Ort, den sie kannte, noch hatte sie das Gefühl, irgendeine Chance zu haben, das Alles zu überleben. Tief in ihrem Inneren hatte sie Angst, dass wenn sie zu naiv und unvorsichtig war, man ihr im nächsten Moment die Kehle durchschneiden würde.
Zwar lag Caspian neben ihr, aber statt zu ihm starrte Star in den Himmel hinauf. Der Zentauren hatte von besonderen Sternbildern erzählt, doch leider konnte sie diese nicht finden, auch wenn sie es versuchte. Vielleicht würde sie sich an einem anderen Tag trauen ihn danach zu fragen, aber fürs erste war sie noch zu schüchtern. Schon als Kind, konnte Star viele Sterne bei ihren Namen nennen, geschweige denn die einzigartigen Konstellationen erkennen.
So wie sie es immer tat, suchte sie oben am Himmel nach irgendetwas, was ihre Gedanken ablenken konnte. Genau überhalb der Wasserschlange erkannte Star, die neun Sterne die den großen Löwen formten. Einen echten Löwen hatte sie noch nie zuvor zu Gesicht bekommen, und erst recht keine Wasserschlange.
Die Narnianen verehrten Aslan, aber die meisten kannten ihn nur aus Geschichten der goldenen Zeit. Star fühlte sich eigenartig, in der Nähe seines Grabs zu schlafen, doch wo sollten sie sonst in Sicherheit verweilen, wenn nicht hier? Wenn Aslan echt war, würde er niemals wollen, dass jemand schutzlos zurückblieb. Sie wollte fest an ihn glauben, immerhin befand sie sich an seinem Heiligen Ort, aber es war schwer an jemanden zu glauben, der schon lange tot war.
Der Nachthimmel war ein Meer aus Sternen und Planeten. Jeder einzelne Stern, egal wie klein er auch sein mochte, hatte eine Bedeutung und Zweck – genau das liebte Star an ihnen. Keiner wurde ausgeschlossen und keiner war gezwungen alleine zu strahlen. Auch der Mond war am scheinen, doch er war nicht annähernd so hell wie die Sonne. Star kannte die Geschichten über ihn – Der Mond hüllt sich mit Sternen und Dunkelheit, weil er zu feige war die Sonne zu lieben. Er war eifersüchtig, weil sie von jedem geliebt wurde, doch wenn er am Himmel schien, verschliefen alle seine wunderschönen Nächte. Die Sterne gehörten einst der Sonne, doch der Mond raubte ihr diese, weil er viel stärker strahlen wollte als Sie.
Star versuchte an so viele Märchen über Sonne und Mond zu denken, wie möglich, alles nur um müde zu werden. Und ehe sie es wusste, fühlte sie wie sich der Schlafsand in ihren Augen absetzte...
„Schau mal, Cas. Eine Tulpe." Sagte Star aufgeregt und zeigte in den hellblauen Wolkenhimmel. „Was? Wo erkennst du da bitte, eine Tulpe? Das sieht aus wie eine Gabel." Caspian runzelte mit der Stirn, als er Star einen verwirrten Blick zuwarf. Er musste lachen, als er ihr beleidigtes Schmollen bemerkte. „Ach, du hast doch gar keine Fantasie!" meckerte Star, nachdem sie etwas Gras aus der Wiese rupfte, um es dann auf Cas zu werfen.
„Hey, was soll das?!" Er hörte auf sie auszulachen und spuckte nun ein paar Grashalme aus, bevor er sein dunkelbraunes Haar zurecht rückte. „Keine sorge, Prinzessin. Deine Frisur sitzt immer noch perfekt." Lachte Star, weil sie ganz genau wusste, dass Caspian es hasste, wenn seine Haare nicht ordentlich waren. „Du bist unmöglich, Star." sagte Caspian kopfschüttelnd und fuhr eine Hand durch sein braunes Haar.
Nun war Star diejenige, die lachen musste und sich den Bauch festhielt. Dann aber schoss ihr eine Idee in dem Kopf: Mit einer schnellen Bewegung kletterte sie auf Caspian's Schoß und zerzauste ihm seine wunderschönen Locken. Während Star ihren Spaß hatte und herum kicherte, bettelte Caspian um Kapitulation. „Jetzt siehst du aus, wie ein Löwe." Scherzte Star, als sie zu ihm aufsah. Doch bevor sie weiter lachen konnte, warf Caspian sie mit einer flinken Bewegung auf ihren Rücken, damit er nun über ihr war. Er stützte sich mit seinen Armen, auf der Wiese ab und hielt sie so fest, dass Star nicht abhauen konnte. „Ich glaube, jetzt sitzt du in der Falle." Grinste Caspian und bemerkte, wie überrascht Star aussah. Dann pflückte er ein großes Gänseblümchen, was neben ihnen wuchs und setzte den Stängel über ihrem Ohr ab. „Wunderschön." lächelte er stolz, bevor Caspian die rosa Farbe auf ihren Wangen bemerkte. Er hatte Star gemeint, aber laut ihr ging es einzig und allein, um die Blume. Warum auch sollte sie glauben, dass es etwas anderes als das war...?
Caspian fand es immer wieder verblüffend, wie er sie mit einem winzigen Kompliment zum Schweigen bringen konnte. Natürlich war Star in ihn verliebt, aber er war ihr bester Freund, und nicht mehr. Ihre Hoffnung, dass er sich vorbeugen und sie küssen würde, wäre albern. Vielleicht in ihren Träumen, dachte sie sich. Sie wollte nicht, dass er es wusste...
Aber er tat es, er lehnte sich nach vorne. Und plötzlich bekam sie Angst, ihr Herz raste, während klitzekleine Schmetterlinge ihn ihrem Bauch herumflatterten. Er war der Prinz, das wird nur traurig enden, schaltete sie sich, weshalb sie ihr Gesicht zur Seite drehte und sich aus seinem Griff befreite. Caspian küsste die Wiese und plötzlich musste Star wieder anfangen zu lachen, auch wenn sie nicht wollte.
Star stand auf und strich ihr dunkles Haar und fliederfarbenes Kleid zurecht. „Hey, jetzt hast du auch eine Blume im Haar." scherzte Star kichernd und hielt sich eine Hand vor ihren Mund, als sie eine platte Blume in seinen Locken bemerkte. „NA, WARTE STERNCHEN!" Warnte Caspian grinsend, bevor er sich ebenfalls vom Boden erhob und sie durch die hohen Gräser jagte, so wie sie es als Kinder immer getan haben. Mit einem Vorsprung und einem kleinen Schrei rannte sie los und blickte nicht mehr zurück. Sie wartete darauf, dass er sie einholte und dann seine Arme um ihre Mitte schlang, damit er sie dann herumwirbeln oder über seine Schulter werfen konnte.
Doch als sie sich nach einer Weile, irgendwann wieder umdrehte, war er nicht mehr da. „Cas?" rief Star, als ihr Lächeln so langsam verblasste. „CAS?" Rief sie erneut, diesmal um einiges lauter, doch bekam trotzdem keine Antwort. Sie hob die Hand vor ihre Stirn, um sich vor der strahlenden Sonne zu schützen und blickte einmal quer über die Wiese. Ihr Magen verkrampfte sich. „Das ist nicht lustig, Cas!" Seufzte sie und verschränkte die Arme vor die Brust. „CASPIAN!"
„Bitte, CAAAAAAHHHHHH–" Bevor sie ihren Satz auch nur beenden konnte, spürte sie einen schmerzhaften Ruck an ihrer Taille. Es tat so weh, dass sie ihre Augen vor Angst zusammenkniff. Sie landete hart auf ihrem Rücken, doch statt der Sonne begrüßte sie nun eine pechschwarze Dunkelheit – kein Mond, keine Sterne. Ihre Atmung wurde schwer und völlig tobend zugleich, ihr war nach weinen zumute. Es war eiskalt, wie Winter, sodass sie sogar ihren Atem sehen konnte. Sie stützte sich mit ihren Ellbogen auf und wollte fliehen, aber irgendwas bremste sie. Der Druck auf ihrem Herz wurde immer schlimmer und schlimmer, bis plötzlich ein Schatten auf sie zukam.
„Nein, Nein, Nein, Nein! Geh weg!" schrie sie, als sie versuchte sich aufzurappeln. Überall war Dunkelheit, egal wo sie hinblickte, überall Schatten. „Cas..." sie rief seinen Namen, in Hoffnung er würde sie irgendwie retten, auch wenn sie eindeutig alleine war. Der Schatten kam immer näher und streckte seine Hand nach ihr aus, und mit ihm kamen Schlangenartige Wesen auf sie zugekrochen. Star wollte rennen, aber bevor sie auch nur ein paar weitere Schritte machte, rissen die Schatten sie in die dunkle Tiefe.
„Nein, bitte..." weinte Star völlig verängstigt und fühlte, wie die Furcht sich in ihrem Magen ausbreitete. „Cas..." die heißen Tränen rollten ihre Wangen hinunter, aber die Dunkelheit wurde nicht weniger. Sie schüttelte ihren Kopf und hoffte endlich ein Licht zu sehen. „Star, wach auf. Ich bin bei dir." flüsterte eine sanfte Stimme, die sie sofort in die Arme nahm. Sie öffnete gezwungenermaßen die Augen und konnte endlich bekannte Umrisse erkennen. „Du hast nur geträumt." Versicherte er und strich ihr über's Haar.
„Wir- wir waren auf unserer Wiese. Und- und dann warst du weg. Der Schattenmann war wieder da." Erklärte sie und wischte sich die Tränen mit ihrem Ärmel weg. „Dir kann nichts passieren, ich bin bei dir." Sagte er leise, damit sie sich beruhigte. „Du bist ganz kalt." bemerkte er, was sehr ungewöhnlich war und fühlte sich immer mehr schlecht, da sie keine weiteren Decken hatten.
Die meisten schliefen, aber anscheinend konnte Riepicheep ebenfalls kein Auge zudrücken. „Hier, deck sie damit zu." Hörte er ihn sagen und schob Caspian eine Art Fell zu. „Weißt du, unsere Sankta Alina, hatte auch immer furchtbare Alpträume." Begann die Maus und wandte sich an Star, die immer noch versuchte mit dem Weinen aufzuhören. „Aber genau wie du, hatte sie Freunde, die sie getröstet haben." lächelte er warm. „Wirklich?" Seufzte Star und rieb sich die Augen, als sie sich zu ihm drehte. „Oh ja, sie war gerade mal so alt wie König Edmund, als sie gegen die Weiße Hexe gekämpft hat." Erzählte er ihr, in Hoffnung sie etwas ablenken zu können.
Selbst Caspian schien interessiert an seiner Geschichte, während er Star sanft über den Rücken strich. „Auch sie hatte Angst, große Angst und viel Leid erfahren. Bevor sie die Sonnenkriegerin, geschweige den eine Heilige wurde, war sie ein kleines Mädchen. Sie erinnert mich immer wieder daran, dass nur wer Angst spürt, auch mutig sein kann." Sagte er, als wenn er ganz genau wüsste, was sie in diesem Moment zu hören brauchte. Star war sehr fasziniert, wie hochangesehen er über sie redete. „Aus dir mach ich auch noch, eine tapfere kleine Kriegerin." lächelte er warm, bevor er sich wieder hinlegte und Caspian zunickte. „Aber fürs erste solltest du versuchen, deine Augen zuzubekommen."
Caspian stupste sie in ihre Seite und lächelte sie ebenfalls ermutigend an. Statt Tränen klebte nun auch bei Star ein schwaches Lächeln im Gesicht. Nur wer Angst spürt, kann mutig sein. Sie versucht diesen Satz im Kopf zu behalten.
Die zwei legten sich wieder hin und diesmal sorgte Cas, dass Star in seinen sicheren Armen einschlief, so wie damals, als Kinder, wenn sie einen Alptraum hatte und er sie heimlich in sein Zimmer geschmuggelt hatte.
Einen sicheren Ort, das war alles was Star wollte.
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