Kapitel 3

Wieso auch immer machte sich Hannah Kinnley nicht schnurstracks auf den Weg in ihr Aus – wie es jeder faire Mensch auf diesem Planeten getan hätte –, sondern ließ sich äußerst theatralisch auf den kühlen Hallenboden fallen, und senkte den Kopf auch noch, als hätte ihr mein Ball, der sie, zugegeben, vielleicht ein bisschen hart getroffen hatte, tatsächlich irgendwelche Schmerzen zugefügt. Ihre Freundin war sofort an ihrer Seite. Keine Ahnung, wie sie heiß, Koala oder so.

Ich verdrehte die Augen über diese Weiber, und konzentrierte mich wieder auf das Spielgeschehen.

Am liebsten hätte ich einen Ball genommen, und ihn gleich noch einmal Fettie ins Gesicht geknallt, so sehr pulsierte meine Wut auf sie noch durch meine Adern. Nicht nur, dass sie urplötzlich einen auf Völkerball-Weltmeister tun musste – sollte es diesen Titel überhaupt geben –, nein, sie wagte es auch noch, mich abzuwerfen und tatsächlich herauszufordern. Fettie! Mich! Und dabei war es nicht geblieben. Sie hatte mich vorgeführt, vor allen hier anwesenden Mitschülern. Als wäre ich nicht im Stande, jemanden wie Fettie abzuwerfen.

Heute schien nicht mein Tag zu sein, und ihrer schien nur so vor Glück zu strahlen. Anders war dieses Desaster gerade eben nicht zu erklären.

Mit Genugtuung hatte ich gesehen, wie der Ball sie getroffen hatte. Der Triumph darüber lag immer noch über mir wie ein stolzer Mantel. Nur langsam konnte er die Wut zurückdrängen.

»Mann, du scheinst Fettie ja ganz schön hart abgeworfen zu haben, wenn die jetzt nicht einmal mehr mitspielen kann.«, Andrew, einer der Typen, die ich zu meinen Freunden zählte, tauchte neben mir auf. Ich warf den Ball auf die gegnerische Spielhälfte, wo er einen Typen mit grünen Haarspitzen traf, bevor ich Andrews Blick folgte.

Das durfte doch nicht wahr sein! Fettie ließ sich gerade ernsthaft von dem Koalabären vom Spielfeld führen, sich dabei übertrieben den Kopf haltend.

Meine Güte, so hart hatte ich nun wirklich nicht geworfen! Musste sie so übertreiben? Frauen!

»Die übertreibt doch nur«, antwortete ich Andrew mit gerunzelter Stirn und rollte dann zur Bestätigung meiner Worte mit den Augen.

»Glaubst du wirklich? Irgendwie sieht sie blasser aus, oder?«, meldete sich nun auch Homér, den Typ, den ich als so etwas wie meinen besten Freund bezeichnen würde.

Ich kannte ihn schon seit dem Kindergarten, als wir uns geprügelt, und unsere Eltern sich darüber befreundet hatten. Daher wusste ich, dass Homér oft eher der Typ ‚stiller Beobachter' war, ihm dadurch meist aber auch nichts entging. Homér kannte seine Mitmenschen, er hatte sie praktisch studiert. Verdammt gruselig manchmal.

Aber eben dadurch war er auch ein außerordentlich guter Zuhörer – nicht, dass ich seine Dienste oft beanspruchen würde, daran würde ich im Traum nicht denken. Nur dieses eine Mal, als meine Grandma gestorben war.

Ich zuckte mit den Schultern. »Und wenn schon, sieht sie halt blasser aus. Sie wird sich schon wieder einkriegen.«


Leider war dem nicht so, wie ich einige Minuten später feststellen musste.

Fettie hatte es tatsächlich zustande gebracht, Mrs. Ellen, ihre Sportlehrerin, und Mr. Hafloy, unseren Sportlehrer, soweit davon zu überzeugen, dass es ihr schlecht ging, dass die beiden sie zusammen mit ihren beiden Freundinnen – die zweite hatte sich mittlerweile auch zu ihr gesellt – zu den Schulsanitätern schickten. Ein paar Sekunden später ertönte eine schrille Trillerpfeife.

Ein Blick auf die große digitale Uhr über uns an der Wand, zeigte mir, dass die Unterrichtsstunde noch eine ganze halbe Stunde ging – kein Grund also, die Partie zu unterbrechen, oder sogar abzubrechen. Vor allem nicht, da es gerade begann, äußerst gut für unser Team zu stehen.

Ohne Fettie war ihr Team nur halb so gut, wie ich mir zähneknirschend eingestehen musste. Aber dass mein Team durch das Ausfallen von Hannah Vorteile gewann, hob meine Stimmung wieder.

»Henry Macintosh, könnten sie vielleicht herkommen«, tönte Mr. Hafloys Stimme durch die Turnhalle, autoritär und streng wie immer. Er war mit Abstand einer der strengsten Sportlehrer auf diesem Planeten. Waren die nicht normalerweise cool und gechillt?

Mit gerunzelter Stirn joggte ich die paar Meter an den Rand des Spielfelds zu den beiden Sportlehrern. »Was gibt's?«, wollte ich wissen.

»Was es gibt?«, brauste Mr. Hafloy sofort auf. »Sie haben eine Mitspielerin so hart abgeworfen, dass sie jetzt zu den Schulsanitätern muss! Noch dazu am Kopf, dabei sind Kopftreffer verboten!«

Nur mit Mühe gelang es mir, meine Augen nicht zu verdrehen. »So schlimm ist es doch sicher gar nicht. Vielleicht hat sie ein bisschen Kopfschmerzen, oder was weiß ich.«

Dass Fettie diese Kopfschmerzen, oder was immer sie behauptete zu haben, meiner Meinung nach auch verdient hatte, erwähnte ich lieber nicht. Mr. Hafloy war auch schon so auf 180.

»Kopfschmerzen?!«, sein Gesicht nahm eine rötliche Färbung an. Die schon ergrauten Augenbrauen zogen sich zu einem einheitlichen Strich zusammen. »Vielleicht hat Ihre Mitschülerin eine Gehirnerschütterung, und Sie machen sich darüber lustig? Nicht nur, dass Sie die Spielregeln gebrochen haben, und das einfach so hinnehmen. Sie haben dabei auch noch eine Mitschülerin schwer verletzt, ist das Ihnen bewusst?«

Mit hochgezogenen Augenbrauen verschränkte ich meine Arme vor der Brust. Eine Gehirnerschütterung also, so, so. Was ein Ball so alles anrichten konnte.

Allerdings übertrieb Mr. Hafloy vollkommen. Selbst wenn Fettie eine Gehirnerschütterung hatte, war es das ganze Theater absolut nicht wert. Fettie war es nicht wert, dass ich auch nur einen Gedanken an ihr Wohlergehen verschwendete. Schließlich hatte ich das die ganzen letzten Jahre nicht getan.

»Okay, tut mir leid«, sagte ich, obwohl ich es absolut nicht so meinte. »Kann ich jetzt wieder mitspielen?«

Das Rot von Mr. Hafloys Gesicht verdunkelte sich – wenn möglich – noch um einig Nuancen. Bei seinen nächsten Worten flog Speichel aus seinem Mund, und ich rückte angeekelt ein bisschen von ihm weg. »Mitspielen?! Glauben Sie ernsthaft, ich lasse Sie nach diesem Vorfall noch Völkerball spielen? Gehen Sie sich umziehen, den Rest der Stunde verbringen Sie hier am Rand. Und heute Mittag sehe ich Sie zum Nachsitzen!«

Damit war wohl alles gesagt. Zumindest auf seiner Seite.

Auf meiner Zunge lagen noch diverse Beleidigungen, die hauptsächlich Fettie galten, und einige andere ungesagte Dinge, aber ich ließ sie lieber dort, anstatt sie hinaus in den Raum zu tragen.


Es gab deutlich schönere Dinge für einen Dienstagnachmittag, als in einem stickigen, alten Kellerraum mit Aktenschränken und fünf klapprigen Tischen – vier für Schüler, einen für den Aufsichtslehrer – zu sitzen. Sogar das Büchersortieren in der Bibliothek, das mir das letzte Mal aufgebrummt worden war, erschien mir spannender als dieses in die Luft starren.

Eigentlich sollte ich ein Entschuldigung an Fettie schreiben, aber erstens war mir das ganze zu kindisch – das letzte Mal hatte ich Entschuldigungen in der sechsten geschrieben –, und zweitens hatte Fettie sicherlich keine Entschuldigung von mir zu erwarten. Viel eher sollte ich eine von ihr verlangen.

Die Gründe dafür waren einfach: Fettie hatte mich vor allen vorgeführt, als wäre ich der schlechteste Völkerballspieler dieser Welt. Außerdem hatte sie mit ihren läppischen Kopfschmerzen dafür gesorgt, dass ich meinen Nachmittag hier verbrachte, während sie vermutlich mit ihren Freundinnen picknickte.

Mit einem langgezogenen Seufzer lehnte ich mich in meinem Stuhl zurück und las zum wiederholten Mal, was ich Fettie als Entschuldigung geschrieben hatte.

Es tut mir leid, vielleicht.

Das sollte reichen. Mehr war einfach nicht drin, da konnte mich Mr. Hafloy noch so lang hier festhalten. Eben jener saß vorne an einem Tisch, mir und zwei anderen Nachsitzern zugewandt, und kontrollierte irgendwelche Arbeiten.

»Mr. Hafloy, wie lange müssen wir denn hier noch hocken? Es ist schon halb drei, und wir sind alle fertig mit was auch immer wir machen mussten.«, beschwerte ich mich.

Er sah nicht einmal mehr auf. »In zehn Minuten dürfen Sie gehen, Henry, aber zuvor möchte ich mir doch bitte ihre Entschuldigung anhören.«

Also las ich ihm vor, was ich geschrieben hatte. Natürlich ohne das letzte Wort.

Mr. Hafloy sah nun doch auf. Entgegen meiner Erwartung blieb er angesichts dieser kurzen Erklärung vollkommen ruhig. »Wir sehen uns übermorgen in Sport, Sie dürfen dann gehen.«, sagte er nur und deutete mit einer Hand auf die Tür. »Alle.«

Natürlich ließ sich das niemand zwei Mal sagen, und schon waren wir vom Nachsitzen befreit.

Das gute, alte Nachsitzen...
Es war schon beim Original ein Bestandteil der Story, den ich leider viel zu wenig Bedeutung gegeben hab. Das soll sich zumindest in dieser Version ändern. Ob ich das hinkriege, weiß ich nicht, aber wird schon. :)

Wie auch immer, ist unsere Lesenacht hiermit beendet, da ich es leider nicht geschafft habe, noch ein Kapitel zu schreiben. Das hier ist auch schon kürzer als die davor.
:(

Das nächste Kapitel gibt es dann irgendwann, wenn ich wieder drei Stück auf Vorrat habe....

Habt noch einen schönen Abend/Nacht.

Eure
Silvy

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