Kapitel 8
Schwestern
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"Wie... meinst du das?" Sprachlos versuchte ich, Roselynns Worte zu verarbeiten. Das in Leder gebundene Buch, welches sie vor mich auf den Tisch gelegt hatte, kam mir deshalb so bekannt vor, weil ich es auch hatte.
Es war das Tagebuch meiner Mutter.
"Woher hast du es?" Meine Stimme zitterte vor Unsicherheit, als ich mit dem Kinn auf das Tagebuch zeigte.
"Mum hat uns beiden eines hinterlassen", antwortete Roselynn schlicht. "Ich weiß nicht, wieso. Vielleicht für Erinnerungen oder was auch immer." Sie zuckte mit den Schultern. "Naja, ich bin auf jeden Fall froh, dass ich es habe, sonst wäre ich all die Jahre ziemlich verloren gewesen." Sie lachte leicht und strich sich eine ihrer blonden Locken hinters Ohr. Genau, wie ich es immer tat. Zufall, rief ich mir gedanklich zu.
"Ach ja?" Meine Unsicherheit wich der Wut. Mein Kiefer spannte sich an und meine Stimme bebte vor Zorn. "Du meinst, so verloren wie ich in dem Waisenhaus?"
Sie seufzte. "Ivy, ich weiß, du kannst das schwer glauben-"
"Allerdings", schnaubte ich und verschränkte die Arme vor der Brust.
Roselynn fuhr fort, als hätte ich nichts gesagt. "Jedoch versichere ich dir, dass ich es ernst meine. Ich habe mein ganzes Leben versucht, herauszufinden, wer du bist, von dem Moment an, in dem ich erfuhr, dass ich eine Schwester habe." Verzweifelt sah sie mich an. "Bitte, du musst mir glauben."
"Nehmen wir mal an, das tue ich..." Ich lehnte mich mit den Armen auf der Tischplatte ab und musterte Roselynn aus zusammengekniffenen Augen. "Wo warst du all die Jahre? Wieso waren wir nicht beide in dem Waisenhaus?"
"Ich weiß es selbst nicht genau", antwortete sie vage. "Ich glaube, am Besten wäre es, wenn Onkel Remus dir das erzählt. Er hat mir nichts gesagt, außer, dass ein Freund von ihm und er mich damals-"
"Warte, warte, warte..." Meine Augen weiteten sich. "Sagtest du gerade Onkel Remus? Wie... Unser Verteidigungslehrer Remus Lupin?"
Nickend bejahte sie und widerholte, was ich vorhin sagte: "Allerdings."
Mein Mund wollte sich nicht mehr schließen.
Lachend stand Roselynn auf. "Komm mit. Er wird es dir erklären."
Verdattert nahm ich meine Tasche und folgte der neuen Slytherin aus der Bibliothek und in Professor Lupins Büro.
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"Ich wusste, ich würde um dieses Gespräch nicht lange herumkommen." Seufzend ließ der Professor sich in seinen Schreibtischstuhl sinken, Roselynn und ich standen ihm gegenüber. "Setzt euch doch." Mit einem Wink seines Zauberstabs erschienen zwei Stühle hinter uns. "Kann ich euch etwas anbieten? Schokolade?"
"Bei allem Respekt, Professor Lupin", begann ich vorsichtig und setzte mich angespannt. "Aber wir sind nicht zum Essen hier."
"Richtig, ja..." Lupin räusperte sich und schenkte mir ein Lächeln. "Nun, Ivy, zuerst einmal: Nenn mich doch Remus, solange wir unter uns sind. Das haben deine Eltern und deine Schwester schließlich auch ihr Leben lang getan."
"Womit wir beim Thema wären", erinnerte ich erneut. "Woher kannten Sie meine Eltern? Ich dachte, sie wären Muggel gewesen? Und in meinem Tagebuch von Mum stand nichts über eine Schwester und auch nichts darüber, dass unser Onkel Lehrer ist."
"Langsam, eine Frage nach der anderen." Beruhigend hob Lupin die Hände. Er setzte sich aufrechter hin und stützte die Ellbogen auf dem Schreibtisch ab. "Also... Wo fange ich an..." Er überlegte kurz, bevor er zu erzählen begann. "Eure Mutter war eine muggelstämmige Hexe, euer Vater ein Muggel. Er kannte Harry Potters Mutter von früher und eure Mutter war mit mir, James und Lily Potter und ein paar anderen unserer Freunde hier auf Hogwarts. Die Tagebücher, die sie euch hinterlassen hat, wollte sie führen, bis ihr volljährig wärt, und sie euch dann als Erinnerung geben. Einige Seiten sind leer, nicht?"
Ich nickte. Roselynn neben mir saß still da und hörte zu. Wusste sie all das schon? Ich bezweifelte, dass sie es zum ersten Mal hörte.
"Das liegt daran, dass sie sie mit einem Zauber belegt hat. Wenn du Aparecium anwendest, sollte die Tinte wieder sichtbar werden."
Stöhnend schlug ich mir die Hand gegen die Stirn. Ich Idiotin! "Wieso habe ich da nicht früher dran gedacht?", murmelte ich.
Lupin lachte leise. "Naja, bis vor Kurzem dachtest du, deine Mutter wäre ein gewöhnlicher Mensch. Um deine anderen Fragen zu beantworten... Du kannst natürlich das Tagebuch lesen, allerdings steht dort vermutlich nicht viel darüber, woher ich sie kannte. Ich bin nicht euer Onkel, wie du vielleicht denkst. Eure Mutter war eine meiner engsten Freunde und hat mich zu eurem Patenonkel erklärt." Er atmete tief durch, bevor er sagte: "Ich weiß nicht, wie das Feuer zustande kam. Offiziell heißt es, es war ein Unfall." Ich schluckte. Roselynn sah mich von der Seite an, doch ich starrte nur auf Professor Lupin, der weitererzählte. "Rose war damals sehr krank. Ein Freund und ich haben angeboten, auf sie aufzupassen, da eure Eltern damals sehr viel um die Ohren hatten, und sie für eine Weile mit zu mir nach Hause genommen. Als wir sie eines Abends nach Hause bringen wollten, war das Haus eurer Eltern bis auf den Grund niedergebrannt." Er machte eine Pause. "Wir dachten, du seist mit ihnen gestorben, aber später erfuhr ich, dass du all die Jahre in einem Waisenhaus gelebt hattest und nun nach Hogwarts gehst. Daraufhin habe ich es Rose erzählt und mich im Jahr darauf hier beworben."
"Ist das ein Witz? Ihr habt nicht einmal versucht, mich zu finden? Und jetzt platzt ihr alle in mein Leben und bringt es durcheinander?
"Ivy -", begann Rose, doch ich unterbrach sie mit einer energischen Handbewegung. "Nein, spar's dir. Ich will kein weiteres Wort hören." Aufgewühlt sprang ich auf. "Ich gehe jetzt zum Abendessen."
"Ivy", sprach Lupin.
"Was?", fauchte ich und drehte mich zu ihm um.
"Bitte erzähl Harry nicht, dass ich seine Eltern kannte."
Fassungslos schnaubte ich. "Im Ernst? Ich soll meinen besten Freund anlügen? Wieso, verdammt?"
"Ich will selbst mit ihm darüber sprechen", lautete die Antwort.
Ich schüttelte bloß den Kopf, wusste nicht, was ich dazu sagen sollte. Darum ging ich.
Nach wenigen Metern hörte ich Roselynns Schritte, die zu mir aufholten. "Hey, warte!"
"Was willst du?" Ich beschleunigte, statt langsamer zu werden, meine Schritte.
"Mit dir reden!"
"Du lässt einfach nicht locker, oder?", bemerkte ich. "Ich sagte doch, ich will kein weiteres Wort hören."
"Ivy, bitte!" Sie fasste mich am Handgelenk und hielt mich somit davon ab, weiter vor ihr davonzulaufen. "Du hast keine Ahnung, wie lange ich dich gesucht habe!" Langsam wurde sie wütend.
Doch das wurde ich auch. "Und du hast keine Ahnung, was ich durchgemacht habe! Immerhin wusstest du von der Zaubererwelt und was mit unseren Eltern geschehen war! Ich hatte nicht mal eine Ahnung, wer ich wirklich bin!"
Meine Stimme war immer lauter geworden. Bei dem Versuch, mich zu beruhigen, schloss ich die Augen, und sprach ruhiger weiter. "Bitte, lass mich einfach in Ruhe."
Als ich meine Augen wieder öffnete, schwammen Tränen in Roselynns Augen. Doch sie widersprach nicht und ließ mein Handgelenk los. Im selben Moment drehte ich mich um und floh in die Große Halle.
Das konnte doch alles nicht wahr sein.
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"Deine Schwester?!", riefen Daphne und Hermine im Chor.
"Psst!", zischte ich und sah mich in Professor Trelawneys Unterrichtssaal um. Einige Schüler trotteten gerade ein, von Harry und Ron war keine Spur.
Normalerweise hatten Daphne und Hermine nicht viel miteinander zu tun. Sie gifteten sich nicht an, weil sie wussten, wie schwer es mir fiel, wenn die beiden sich stritten und dann wollten, dass ich für eine von ihnen Partei ergriff. Sie redeten zwar nur das Nötigste miteinander, doch das reichte mir.
Und gerade brauchte ich meine besten Freundinnen.
"Zwillingsschwester, wenn ich es richtig verstanden habe. Zweieiig", spezifizierte ich. Seufzend strich ich meine Haare hinter mein Ohr. Obwohl ich sie zu einem Dutt gebunden hatte, fielen mir vereinzelt Strähnchen ins Gesicht. Das war total nervig!
"Wow, also das hätte ich echt nicht erwartet", murmelte Daphne.
"Ich auch nicht", stimmte Hermine zu. Sie und ich saßen gemeinsam an einem der Tische und Daphne saß vor uns und wartete auf Blaise, um mit ihm zusammen zu arbeiten. "Aber..." Nachdenklich legte Hermine den Kopf schief.
"Aber was?", harkte ich nach.
"Denkst du wirklich, dass sie die Wahrheit sagt?", zweifelte sie.
"Ich weiß nicht", gab ich zu. "Aber ihr wisst doch, was Lupin gesagt hat." Ich hatte ihnen nicht alles erzählt. Nur, dass er meine Eltern kannte und bestätigt hatte, dass Roselynn und ich Schwestern waren.
"Ziemlich krass", fand Daphne. "Ich würde jetzt nicht gern in deiner Haut stecken, um ehrlich zu sein."
Ich schmunzelte müde. "Das glaube ich dir sogar."
"Hey", ertönte da Harrys Stimme. Er und Ron steuerten den Tisch neben Hermine und mir an. "Kein Wort zu niemandem!", zischte ich meinen Freundinnen zu. Beide nickten und als Harry und Ron bei uns ankamen, taten wir, als sei nichts.
"Worüber habt ihr euch unterhalten?", wollte Ron wissen.
"Wahrsagen", log Hermine. "Ich glaube ja nicht, dass dieses Fach sonderlich spannend wird."
Natürlich vertraute ich Harry und Ron. Aber erstens hatte Lupin gesagt, ich sollte Harry nichts von seinen und meinen Eltern sagen, und zweitens wollte ich erst mal nicht, dass jeder etwas wusste, von dem ich selbst nicht sicher war, ob es stimmte.
Allerdings... Wie groß war die Chance, dass Lupin und Roselynn sich das ausgedacht hatten? Und was hätten sie davon?
Professor Trelawney begann ihre Unterrichtsstunde.
Sieh es ein, Ivy, flüsterte eine Stimme mir zu. Du hast noch Familie - ob es dir passt oder nicht. Und damit war ich mehr als überfordert.
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