Kapitel 45
Aus "Wir" wurde "Ich"
-
Das Gelächter wurde lauter, vor allem Bellatrix amüsierte sich prächtig.
"Nun ja, Neville, wir finden schon einen Platz für dich in unseren Reihen", begann Voldemort, doch Neville unterbrach ihn. "Ich möchte etwas sagen!"
"Nun denn, Neville, ich bin mir vollkommen sicher, dass alle gebannt an deinen Lippen hängen." Jeder konnte sehen, wie sehr Voldemort versuchte, seine Wut zu unterdrücken.
Neville erhob seine Stimme. "Dass Harry tot ist, ändert nichts."
"Hör auf, Neville", zischte Seamus.
"Tag für Tag sterben Leute!", fuhr Neville dennoch fort. "Freunde, Verwandte... Ja, heute haben wir Harry verloren - aber er ist noch bei uns. Hier drin!" Neville legte eine Hand auf sein Herz. "Genau wie Fred... Remus... Tonks... Sie alle." Bei der Erwähnung seines Bruders atmete George zitternd ein und ich drückte seine Hand fester, um ihn daran zu erinnern, dass er nicht allein war.
Dankbar sah er zu mir runter (immerhin war er gut eineinhalb Köpfe größer als ich) und wir hörten weiter Neville zu.
"Ihr Tod war nicht sinnlos! Aber Ihrer wird es sein, weil Sie im Unrecht sind! Harrys Herz hat für uns geschlagen, für jeden von uns! Es ist nicht vorbei!" Damit zog Neville Gryffindors Schwert aus dem Hut.
Voldemort, der eben noch gelacht hatte, trat einen Schritt zurück, und dann passierte etwas, dass uns alle überraschte.
Harry sprang auf, als hätte sein Herz nie aufgehört, zu schlagen. Die nächste Überraschung folgte, als Draco "Potter!" rief, auf Harry zurannte und ihm seinen Zauberstab zuwarf.
Harry fing ihn auf und griff Voldemort an, welcher sofort zurückfeuerte, Harry konnte jedoch ausweichen.
Einige Todesser disapparierten, um sich in Sicherheit zu bringen. Sie geben auf! Meine Freude wandelte sich in Sorge, als Draco mir einfiel. Suchend drehte mich im Laufen um mich selbst. Es war so laut und alles war durcheinander, weshalb mir meine ausgeprägten Sinne im Moment auch nicht weiterhelfen konnten.
Ich entdeckte Harry bei Ron und Hermine und trat zu ihnen. "Wie ist der Plan?"
"Ich locke ihn ins Schloss! Wir müssen die Schlange töten."
"Alles klar", nickte ich, da sprang plötzlich Neville vor uns und versuchte mit Gryffindors Schwert, Voldemort in den Weg zu treten, wurde jedoch davongeschleudert und das Schwert fiel ihm aus der Hand.
Voldemort disapparierte mit Nagini und wir anderen rannten ins Innere, teilten uns auf, um die Schlange zu finden.
Harry und ich gingen jeweils allein, Ron mit Hermine. Nach kurzer Zeit stieß ich auf Daphne und Blaise. "Merlin sei Dank, es geht euch gut", stieß ich aus.
"Wir haben gehört, was mit Lupin und Weasley passiert ist." Daphne nahm meine Hand. "Es tut mir leid, Ivy..."
Ich schluckte, lächelte dann gezwungen. "Wir reden später darüber. Bringt euch in Sicherheit und macht nichts Dummes."
"Und das gerade aus deinem Mund", rief Daph mir hinterher, worauf ich ihr zuzwinkerte und weiterrannte.
Ich fand Hermine, welche zur Ablenkung Nagini mit Steinen bewarf, und Ron, der sich von hinten an die Schlange anzuschleichen versuchte. In der Hand hielt er einen Basiliskenzahn.
Allerdings durchschaute Nagini meine Freunde, fuhr herum und griff Ron an. Dadurch fiel ihm der Basiliskenzahn aus der Hand.
Hermine ergriff Rons Hand und die beiden rannten die Treppen nach unten.
"Verdammt", knurrte ich und nahm die Verfolgung auf. Ron wollte Nagini mit einem Zauber abwehren, jedoch schadete er der Schlange nicht. Da mir nichts Besseres einfiel, bewarf ich sie nun mit Steinen. Wütend zischelnd schlängelte Nagini auf mich zu. "So ist's recht, du hässliches Mistvieh! Komm und hol mich!", stichelte ich sie an.
"Ivy, was tust du da? Bist du lebensmüde?", rief Ron mir nach, als ich in die entgegengesetzte Richtung davonrannte.
"Ich rette dir den Arsch, Ronald!"
Allerdings hatte ich das nicht sonderlich gut durchdacht, denn bald hatte Nagini mich eingeholt und schnappte nach meinem Bein, sodass ich mit einem dumpfen Laut zu Boden stürzte. Mein Zauberstab fiel mir aus der Hand und landete außer Reichweite auf dem kalten Boden. Panisch nahm ich das Nächstbeste, was bei mir lag, in die Hand (es war ein Stein, der von der Decke gestürzt war) und haute es Nagini auf den Kopf, was sie nur noch wütender machte. Dafür ließ sie jedoch mein Bein los und ich robbte über den Boden, aufstehen konnte ich vor Hektik und Schmerz nicht. Vor mir baute sich eine Mauer auf und ich musste mit Schrecken feststellen, dass ich in der Falle saß.
Panisch fuhr ich herum und wich so weit zurück, bis mein Rücken an die Mauer stieß. Bedrohlich schlängelte Nagini langsam auf mich zu und öffnete ihren Mund, entblöße die spitzen Zähne darin. Ich schloss die Augen und wartete auf den Schmerz.
Aber er kam nicht.
Als ich die Augen öffnete, sah ich gerade noch, wie Nagini sich in schwarzen Rauch auflöste. Der letzte Horkrux war zerstört.
Schweratmend und zitternd sah ich auf und wäre am liebsten aufgesprungen, wäre da nicht die Wunde an meinem Bein gewesen. Draco stand vor mir, Gryffindors Schwert in der Hand, und starrte auf die Stelle, an der Nagini eben noch lag. Hinter ihm konnte ich Neville sehen, der mit Ron und Hermine in unsere Richtung lief.
"Draco...?"
Meine Stimme ließ ihn ins Hier und Jetzt zurückkehren. Er ließ das Schwert mit einem Blick fallen, als würde er erst jetzt begreifen, was geschehen war, und beugte sich zu mir runter. "Alles in Ordnung?"
"Ich denke schon, nur mein Bein..." Bei dem Versuch, mein Hosenbein hochzukrempeln, biss ich die Zähne zusammen.
"Da ist ziemlich viel Blut...", merkte Draco das Offensichtliche an. "Komm." Er nahm meinen Zauberstab und gab ihn mir, hob mich hoch, indem er einen Arm unter meine Kniebeugen und einen an meinen Rücken legte. Ich verschaffte mir mehr Halt durch meine Hände, die um seinen Nacken lagen.
Mein Bein brannte und es war mal wieder einer dieser Momente, in denen ich verfluchte, nicht komplett Werwolf zu sein.
Harry kam auf uns zu und beinahe hätte ich mich losgerissen, um zu ihm zu rennen. Stattdessen rief ich lediglich seinen Namen und hielt neben uns an. Das heißt, neben mir. Für Draco hatte er bloß einen misstrauischen Blick übrig. "Wir haben es geschafft. Voldemort ist tot."
Lächelnd atmete ich aus. "Ich wusste, du schaffst es."
"Das war nicht allein mein Verdienst", sagte Harry und schaute der Reihe nach zu mir, Ron, Hermine und Neville.
-
Madam Pomfrey hatte mir etwas für mein Bein gegeben und die Schmerzen waren beinahe fort, sodass ich nun wieder laufen konnte. Sofort machte ich mir das zunutze und suchte Draco, der mich in der Großen Halle abgeliefert hatte und dann nach draußen gegangen war.
Ich trat vor die Schule und sah mich suchend um. Draco saß allein auf einem Haufen Trümmer und schaute gedankenverloren in die Ferne. Wortlos humpelte ich auf ihn zu und ließ mich neben ihn auf einen Stein sinken.
Nach einigen Minuten unterbrach ich die Stille. "Das war mutig von dir."
Draco drehte seinen Kopf zu mir und schien sich nicht zu erinnern, was ich meinte. "Dass du mich gerettet hast", half ich ihm auf die Sprünge.
Er sah wieder nach vorn. "Das war nicht mutig."
"Was war es dann?"
Er zuckte mit den Schultern. "Keine Ahnung. Aber ich bin nicht mutig, das hast du selbst gesagt."
"Heute warst du es", beharrte ich und legte meine Hand auf seine.
Dracos Blick huschte von unseren Händen zu meinen Augen, dann lächelte er schwach. Nur ganz leicht und auch nur kurz, man sah es kaum, aber er tat es. "Wirst du mir irgendwann verzeihen?", fragte er dann vorsichtig.
Seufzend strich ich mir das Haar aus dem Gesicht. "Du hast viele Fehler gemacht, Drace... Du bist fortgegangen, hast zugelassen, dass deine Familie meine Freunde gefangen nimmt, du bist weggelaufen, nachdem wir euch aus den Flammen gerettet haben und überhaupt, bist du ein Todesser geworden."
Beschämt sah Draco zu Boden und fummelte am Saum seines Ärmels herum. "Ich weiß..."
"Aber", fuhr ich fort und legte meine Hand an seine Wange, drehte sein Gesicht in meine Richtung. "Die ganze Zeit über hast du versucht, mich zu schützen und vorhin hast du nicht nur mich, sondern auch Harry gerettet. Also ja, Drace... Ich verzeihe dir."
Ein erleichtertes Lächeln breitete sich auf Dracos Lippen aus und er zog mich an sich. Mit einem kribbelnden Gefühl im Magen legte ich meine Arme um ihn. So saßen wir eine Weile da, bis mein Blick auf etwas hinter Draco fiel. Oder eher, jemanden.
Es war seine Mutter.
Offenbar war sie zurückgekehrt, um ihren Sohn nach Hause zu holen. Als sie uns jedoch sah, wie wir so in den Armen des anderen dasaßen, schien sie zu zögern.
Ein Gedanke zuckte durch meinen Kopf und verpasste mir Gänsehaut. Dracos Eltern würden mich nie akzeptieren... In ihren Augen war ich immer noch ein Schlammblut. Ich wusste, dass Draco zumindest seine Mutter sehr liebte, das hatte er mir erzählt, als er letztes Jahr an dem Verschwindekabinett gearbeitet hatte. Ich wollte nicht, dass er sich zwischen seinen Eltern und mir entscheiden musste, denn über Kurz oder Lang würden sie ihn sicherlich vor die Wahl stellen. Außerdem... Was konnte ich Draco Malfoy bieten? Er konnte jederzeit jemand anderen finden... Und ich würde sicher auch ohne ihn auskommen, irgendwie...
Zumindest redete ich mir das ein, denn ich hatte einen Entschluss gefasst. Ohne, dass Draco es mitbekam, zog ich meinen Zauberstab hervor.
Seine Stimme ließ mich innehalten. "Ich muss dir etwas sagen, Ivy..." Dass ich nicht weiterredete, nahm er wohl als Zeichen, fortzufahren. "Als du letztes Jahr angedeutet hast, dass du... etwas für mich empfinden könntest, war ich geschockt, weil ich wusste, du würdest eine Schwäche für mich bedeuten, besonders, wenn der Dunkle Lord von dir erfahren sollte. Aber jetzt ist er fort und... Uns steht nichts mehr im Weg." Draco beugte sich ein Stück zurück, sodass er mir in die Augen sehen konnte. "Ich weiß, ich verdiene es nicht, dass du dich noch um mich scherst, das erwarte ich auch nicht. Aber ich muss dir sagen, dass..." Nervös schluckte er, nahm den Blick nicht von meinen Augen.
Nein, flehte ich stumm. Sag das jetzt bitte nicht... Du machst es mir bloß noch schwerer...
"Ich liebe dich, Clover", hauchte Draco aus und wartete gebannt auf eine Antwort. Statt etwas zu sagen, zog ich ihn erneut an mich. Tränen ließen meine Sicht verschwimmen, aber ich hielt entschlossen meinen Zauberstab fest. Kurz sah ich zu Dracos Mutter, welche uns weiterhin aus einiger Entfernung beobachtete.
Ich muss es tun... Es hat uns nichts als Leid gebracht, wenn wir beieinander sein wollten. Immer nur Streit und Misstrauen und Schmerz zwischen uns selbst und auch denen, die uns nahestehen... "Es tut mir leid, Drace", hauchte ich ihm ins Ohr, die erste Träne tropfte auf seine Schulter. Bevor Draco fragen konnte, was ich meinte, richtete ich die Spitze meines Zauberstabs auf seinen Hinterkopf. Ich atmete tief durch, um meine zitternden Hände zu beruhigen, und flüsterte: "Obliviate..."
Ich erstickte meine Schluchzer an Dracos Schulter, während ich zusah, wie mein Zauberstab ihm seine Erinnerungen an mich raubte.
Nach einiger Zeit ließ ich von Draco ab, welcher ausdruckslos geradeaus sah. Seine Mutter erschien neben mir und sah verwundert von ihrem Sohn zu mir.
"Sie können ihn mitnehmen. Erzählen Sie ihm bitte nichts von mir", bat ich und wischte mir schnell die Tränen weg. "Es wird einfacher für ihn sein."
Mrs Malfoy wusste, wie wir zueinander standen, aber über mein Handeln schien sie sichtlich verwundert. Vermutlich war ihr nicht klar, weshalb ich Draco einfach aufgeben sollte. Sie stellte allerdings keine Fragen, sondern nickte und half ihrem Sohn auf, welcher sich inzwischen orientierungslos umsah. "Mutter? Was... Wo ist Vater?"
"Komm, Draco..." Sie führte ihn weg, weg von Hogwarts. Weg von mir. "Wir gehen nach Hause." Dann disapparierten sie, ohne noch einmal zurückzublicken.
Und so wurde aus "Wir" für alle Zeiten "Ich"...
-
Harrys Sieg über Lord Voldemort war drei Jahre her. Hermine war die Einzige von uns, die ihr siebtes Schuljahr wiederholt hat. Sie arbeitete seit ihrem Abschluss im Ministerium, in der Abteilung zur Führung und Aufsicht Magischer Geschöpfe, wo sie die Rechte von Hauselfen und anderen Wesen stärkte. Harry und Ron sind Auroren geworden, so zu meiner Überraschung auch Blaise.
Daphne wurde zur Heilerin ausgebildet, ihre Schwester Astoria strebte den Beruf Lehrerin für Verteidigung gegen die Dunklen Künste an.
Und ich? Ich arbeite, wie geplant, im Laden der Zwillinge. Zu Anfang hatte ich überlegt, mein siebtes Jahr auch nochmal zu widerholen, mich dann aber dagegen entschieden und George bei Weasleys Zauberhafte Zauberscherze geholfen.
Er vermisste Fred jeden Tag, so auch ich. Ohne ihn war es nicht mehr dasselbe, und obwohl man George dann und wann noch lachen sah, war er nie wieder so wie früher. Durch Freds Tod war auch ein Teil von George mit ihm gestorben. Dass heute Freds dritter Todestag war, machte das ganze nicht besser. Ich hatte vorgeschlagen, den Laden früher zu schließen, damit wir noch etwas zusammen machen konnten, da ich ihn auf andere Gedanken bringen wollte. George hatte zugesagt. Er lebte inzwischen in der Wohnung über dem Geschäft und ich schlief meist in dem Gästezimmer, dass er und Fred für mich eingerichtet hatten. George war seit Freds Tod oft allein und es war ein ungewohnter Anblick. Wie die vergangenen Jahre auch, saß er aufgrund des heutigen Datums in seinem Zimmer und schaute alte Fotoalben an. Auch ich hatte die Bilder von Cedric und Rose in meinem Zimmer aufgestellt.
Natürlich vermisste ich Rose nach wie vor jeden Tag, und auch, wenn das jetzt merkwürdig klingt, glaube ich, dass uns das noch enger zusammengeschweißt hat. George und mich, meine ich. Wir hatten beide unseren Zwilling verloren und keiner konnte das besser verstehen, als wir. Eines Abends hat George mich mal gefragt, wieso ausgerechnet die besten Menschen zu früh sterben, und die Antwort war uns beiden klar.
Der Tod unterscheidet nicht zwischen Gut und Böse... Er nimmt und nimmt und nimmt...
Ich war gerade dabei, einige Kartons im Lager zu verräumen, da ertönte das Glöckchen an der Tür, welches neue Kundschaft ankündigte. Seufzend stellte ich die Kiste, die ich gerade hielt, ins Regal und ging hinter den Tresen. "Es tut mir leid, wir haben geschlossen."
Als ich den jungen, pitschnassen Mann erkannte, der offenbar zum Schutz vor dem Regen in den Laden getreten war, hielt ich in meiner Bewegung inne. Ich konnte nicht aufhören, ihn mit offenem Mund anzustarren.
Unbehaglich räusperte er sich. "Verzeihung, ich wusste nicht, dass Sie geschlossen haben." Er nickte zu dem Schild an der Tür, welches nach Außen immer noch Geöffnet zeigte, und trat näher, bis uns nur noch der Tresen mit der Kasse darauf voneinander trennte. Prüfend musterte er mich. "Ich wollte nur aus dem Regen raus", murmelte er in Gedanken versunken. Ich sagte nichts, dafür war ich zu geschockt. Ich hatte ihn immerhin seit drei Jahren nicht gesehen.
"Äh, wie auch immer..." Unsicher kratzte er sich im Nacken. "Ist es vielleicht möglich, dass wir einander kennen? Sie... kommen mir so bekannt vor..."
Ich schluckte und rief mir in Erinnerung, wie man sprach. "Ähm, nein, Sie müssen sich irren."
"Oh", machte er bloß, hängte dann ein "Sind Sie sicher?" hinterher.
Heftig nickte ich mit dem Kopf. "Todsicher."
Hinter mir konnte ich Schritte hören. Ich wandte den Kopf und sah George die Treppe herunterkommen. "Ivy? Was treibst du so lange?" Als er den jungen Mann entdeckte, blieb er sprachlos auf der Treppe stehen und starrte ihn ebenfalls an.
"Äh", machte mein irritierter Gegenüber langgezogen und räusperte sich. George starrte nun mich an.
Ich achtete nicht auf ihn. "Hören Sie", ergriff ich wieder das Wort. "Es tut mir sehr leid, aber ich glaube, Sie verwechseln mich. Ich will nicht unhöflich sein, aber wir wollen jetzt wirklich schließen."
"Klar, sicher, verstehe", faselte er schnell und schob seine Hände in die Taschen seiner Hose. Er trug denselben schwarzen Anzug, den er früher auch immer getragen hatte, und überhaupt sah er genauso aus wie damals. Ein paar Zentimeter größer, vielleicht, und der Ausdruck in seine. Augen hatte sich... irgendwie verändert.
"Ich wollte Sie nicht stören. Schönen Tag noch." Verwirrt mit dem Kopf schüttelnd verließ er den Laden und trat hinaus in den Regen.
Seufzend stützte ich die Ellbogen auf den Tresen und den Kopf in die Hände. Ich erschrak, als George plötzlich direkt neben mir anfing, zu reden. "Worauf wartest du? Geh ihm nach!"
"Was? Nein!", protestierte ich und hob den Kopf.
"Wieso denn nicht?"
"Ich habe seine Erinnerungen an mich nicht ohne Grund gelöscht, Georgie", erinnerte ich ihn und stieß mich vom Tresen ab, ging zurück in den Lagerraum, wo ich weiter Kisten sortierte. George folgte mir und warf fassungslos die Hände in die Luft. "Ivy, verkauf mich nicht für blöd! Ich weiß, wie viel er dir noch bedeutet, warum nutzt du nicht die Chance? Du hast ihn seit drei Jahren nicht gesehen, wer weiß, ob und wann ihr euch das nächste Mal über den Weg lauft!"
Genervt fuhr ich zu ihm herum. "Es hat lange gedauert, damit klarzukommen, dass er sich nicht an mich erinnert! Es geht ihm besser so, okay, und mir auch!"
"Das ist Schwachsinn!", rief George. "Du hast ihn nie gefragt, was er will, du hast ihm die Erinnerungen einfach gestohlen! Und dass es dir jeden Tag beschissen geht, sieht jeder von uns! Alle machen sich Sorgen um dich."
Geschockt öffnete ich den Mund, schloss ihn dann wieder. Er hatte recht. Ich hatte ihn nie gefragt, sondern einfach entschieden. Das war nicht fair. Aber es war das Beste für uns alle gewesen! Oder etwa nicht?
George seufzte und wurde wieder etwas ruhiger. Er packte mich an den Schultern und sah mir eindringlich in die Augen. "Ivy, du hast viele Menschen verloren, die dir wichtig waren. Du solltest es besser wissen, als ihn jetzt einfach von dir zu stoßen. Stell dir vor, irgendwann bereust du deine Entscheidung, aber dann ist es zu spät. Du hast jetzt die Möglichkeit, alles wieder geradezubiegen, also tu es auch!" Er griff in seine Jacketttasche und drückte mir etwas in die Hand. Ich sah darauf und fasste einen Entschluss.
"Okay", sagte ich nur, hastete an George vorbei und riss die Ladentür auf. Ich rief ein "Danke, Georgie!", über die Schulter und stürmte nach draußen, wo ich sofort von dem schüttenden Regen durchnässt wurde. Mit zusammengekniffenen Augen versuchte ich, irgendetwas zu erkennen, und sah links von mir tatsächlich jemanden die Straße entlanggehen.
Wie von der Tarantel gestochen, rannte ich der Person hinterher, und je näher ich kam, umso deutlicher konnte ich erkennen, dass er es war. "Draco!", rief ich aus. "Draco Malfoy!"
Irritiert blieb er stehen und sah durch den Regen zu mir zurück. Er kam mir ein paar Schritte entgegen und betrachtete mich verstört. "Ist mit Ihnen alles-"
"Ich weiß, es klingt verrückt", fing ich völlig außer Atem an. "Aber du hattest recht, wir kennen einander. Und das schon länger, als du denkst. Hier." Ich nahm seine Hand und legte den Handspiegel hinein, den George mir gegeben hatte und der einst Dumbledore gehörte. Wo George ihn herhatte, fragt ihr euch? Ich hatte ihm den Spiegel geschenkt, weil er sich oft Erinnerungen an Fred darin anschaute.
"Ein... Spiegel?" Draco runzelte die Stirn.
"Sieh hinein", wies ich an. Bitte, es muss klappen...
Zögerlich tat er, wie ihm geheißen, und beobachtete eine Weile sein Spiegelbild. "Das ist lächerlich. Ich sehe bloß mich selbst", sagte er.
Schnell schüttelte ich den Kopf. "Konzentrier dich!"
Entnervt stöhnte er, versuchte es aber weiter.
Als sein Blick sich veränderte, wusste ich, dass es funktioniert hatte. Er sah die Erinnerungen an uns beide, allerdings wusste ich nicht, wie lange es dauerte, bis der Spiegel die Erinnerungen vollständig wiederhergestellt hatte. Als Draco mit aufgerissenen Augen aufsah, hielt ich unbewusst die Luft an.
"Ivy?" Es war eher eine Frage, aber sie ließ mich vor Glück um seinen Hals fallen. "Ja", lachte ich, Freudentränen in den Augen. "Ja, Draco, ich bin's."
"Wieso... Was ist passiert?" Verwirrt schob er mich ein Stück von sich weg.
Beschämt strich ich meine patschnassen Haare aus meinem Gesicht. "Das ist meine Schuld... Ich dachte, es wäre leichter für dich, mich zu vergessen, darum habe ich nach der Schlacht deine Erinnerungen gelöscht. Aber ich habe einen noch viel größeren Fehler begannen..." Ich schluckte, aber als Draco mich nicht unterbrach, sondern nur ausdruckslos anstarrte, schloss ich die Augen und sagte, was ich seit Jahren hatte sagen wollen.
"Ich habe es nie... zurückgesagt, Draco. Was du mir damals nach der Schlacht gesagt hast. Ich... Habe es nie erwidert." Tief atmete ich ein. "Ich liebe dich."
Ich wartete darauf, dass er mir Vorwürfe machte oder wütend wurde, stattdessen legte er sanft seine Hand unter mein Kinn und hob es an. "Mach die Augen auf", flüsterte er. Ich öffnete sie und sah direkt in seine. "Das hättest du viel früher sagen sollen", grinste er.
Ich lachte nur kurz auf. "Ja, vermutlich. Es tut mir leid... Ich hatte nicht das Recht, dir so etwas anzutun."
"Clover, ich könnte dich nie vergessen", beharrte er.
Ich hob eine Braue. "Seit wann bist du so kitschig?"
Er verdrehte die Augen und sagte: "Hör schon auf, ich meine es ernst. Die letzten drei Jahre hatte ich immer das Gefühl, etwas würde fehlen. Ich habe jeden Tag nach etwas oder jemandem gesucht, wusste aber nicht, was. Ich dachte, ich werde verrückt." Er schloss die Augen, fuhr sich durchs Haar und sah mich dann an. "Ich muss jetzt etwas machen, dass lange überfällig ist."
Grinsend kam ich ihm etwas näher. "Nur zu", hauchte ich.
Draco lächelte, überwand die letzten Zentimeter zwischen uns und küsste mich. Ich schloss die Augen und krallte mich in seinem Haar fest, ignorierte, dass wir klitschnass und mir eiskalt war, denn im Moment spürte ich all das überhaupt nicht. Ich spürte bloß Dracos Hand, welche sich mit meiner verschränkte, und seine Lippen auf meinen.
"Hey, ihr Turteltauben!", rief George uns von der Tür des Ladens zu. Ein Seufzen unterdrückend, ließ ich von Draco ab und wir wandten uns George zu. "Hört endlich auf, zu knutschen, und kommt rein! Es schüttet wie aus Eimern!" Damit verschwand er im Inneren.
Draco verdrehte die Augen und legte einen Arm um mich, nebeneinander traten wir eilig ins Warme.
Dort setzten wir uns zu dritt an den Esstisch der kleinen Wohnung über dem Laden und unterhielten uns. Zunächst war es etwas angespannt, George war immer noch nicht Dracos größter Fan und ungekehrt, aber schon bald tauten die beiden auf und wir lachten miteinander, wie alte Freunde.
Noch am selben Abend schrieb ich Daphne einen Brief und erzählte ihr, was vorgefallen war. Am nächsten Morgen erwartete mich ihre Antwort, welche aus bloß einem Satz bestand.
"So viel zu Seelenverwandte existieren nicht..."
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top