»𝐂𝐡𝐚𝐩𝐭𝐞𝐫 𝟏𝟐«

Grace Lodge

»Grace«, höre ich eine helle Stimme nach mir rufen, als ich mein Bewusstsein wiedererlange. Erschöpft öffne ich die Augen. Das Mädchen mit den roten Haaren blickt mich besorgt an, während die Maschinen laut um mich piepen.

Unerträgliche Kopfschmerzen überschüttet mich ruckartig. Am liebsten würde ich diesen Schmerz abschalten, nichts empfinden und einfach nur schlafen.

Camila stellt mir unzählige Fragen, doch alles worauf ich mich konzentrieren kann ist die ausdruckslose Farbe der Wand vor mir. Sie versetzt mich zu jenem Tag zurück.

Zu dem Tag, als ich von Zacs Tod erfuhr.

Meine Kehle fühlt sich plötzlich staubtrocken an, der Gedanken an diesem Tag erdrückt mich. Seit diesem Tag bin ich wie in Trance. Jeder Tag ist so einsilbig, monoton und gefühlslos. Zumindest nach meiner Empfindung.

Die Tränen schießen mir unwillkürlich in die Augen. Mein innigster Wunsch in diesem Moment ist Frieden. Ein Frieden der mich wieder in die Ruhe bringt.

Ohne jegliche Schmerzen, egal ob körperlich oder seelisch. Der Frieden sollte diesen Schmerz überdecken.

»Grace«, wiederholt Camila streng meinen Namen zum zweiten Mal anscheinend.

»Wieso bin ich hier«, stöhne ich schmerzerfüllt, wobei ich meine Schläfe reibe.

Alle meine Erinnerung zu diesem Tag ist wie ausgelöscht, als hätte ich mich gestern in mein Bett gelegt und wäre dann urplötzlich hier wieder aufgewacht.

»Der Laden wurde ausgeraubt. Kannst du dich noch daran erinnern?«, fragt Camila unruhig.

»Ausgeraubt«, wiederhole ich verständnislos und in der gleichen Sekunde werde ich von Erinnerungen überschüttet.

Die Buchhandlung wurde nicht ausgeraubt. Die Motivation für diese Tat war nicht Geld. Die Motivation war Rache und ich wusste ganz genau wer der Täter war. Es war Cole, Zacs kleiner Bruder, mein ehemaliger bester Freund.

Die wichtigste Frage ist, wieso ging er, ohne seine Rache zu nehmen, ohne meinem Leben ein Ende zu setzten? Wer hatte ihn davon überzeugt, mein bedauernswertes Leben zu begnadigen?

Ein lautes Klopfen an der Tür, bringt mich wieder unmittelbar zurück in die Realität.

Sofort blicken Camila und ich zur Tür, die Schwungvoll geöffnet wird.

Mein Vater tritt in seiner Arbeitskleidung hinein, erschöpft von allem, ringt er sich ein Lächeln auf die Lippen ab. Seine grünen Augen sind von seiner Blassen haut umrandet.

»Du bist wach«, sagt er erleichtert. Ich nicke leicht.

Besorgt setzt er sich an den Bettrand, Camila schaut stumm zu uns rüber, die rot bemalten Lippen aufeinandergepresst.

»Wie konnte sowas nur passieren«, gibt er fassungslos von sich. Die Augen auf den Boden gerichtet. Als wäre er daran schuld.

»Dad ich war nur zu der falschen Zeit am falschen Ort. Keiner ist daran schuld, es hätte jedes Laden in diesem Kaff sein können. Zu meinem Unglück war es die Buchhandlung.«

Er richtet sein Blick auf mich und schüttelt dabei den Kopf.

»Ich werde den verantwortlichen dafür finden«, sagt er überzeugt und steht wütend wieder auf.

»Dad es war ein maskierter Mann, es war nicht seine Absicht mich zu verletzten. Er wollte nur das Geld und ich habe es ihm nicht gegeben.«

»Ich bin mir sicher, dass du dich an noch mehr Sachen erinnern kannst«, mischt sich Camila in das Gespräch ein und wirft dabei ihre Locken nach hinten.

Sie liebt es ihren Senft dazu zu geben, egal in welcher Situation wir uns befinden. Nicht mal jetzt begnadigt sie mich.

Ich schenke ihr keine Aufmerksamkeit, stattdessen wende ich mich zu meinem Vater.

»Dad glaub mir, dass war einfach nur ein Unglück nichts weiter. Das Wichtige ist, das ich keine ernsten Verletzungen habe.«

...

Angespannt gehen wir durch die weiße Haustür. Verwunderlicher weise schleppt Camila ihren roten Koffer selber. Es ist wirklich untypisch für sie, dass sie nicht zuvor schon hier war, um ihre Tasche abzustellen.

Grandpa wohnt gegenüber von uns, jedes Jahr kommt Camila mindestens einmal im Jahr hierher, um Grandpa zu besuchen. Auch wenn sie kühl sein kann, hat sie einen ziemlich engen Kontakt zu Grandpa. Onkel John, Camilas Vater kommt auch ab und zu aus New York hierher, um Grandpa zu besuchen.

Schon seit Jahren können wir uns nicht ausstehen. Ich will zwar glauben, dass sie im tiefsten Herzen auch ein guter Mensch ist, aber diese Seite, falls sie existieren sollte, habe ich noch nie zu Gesicht bekommen. Schon als wir Kinder waren hielt sie sich für was Besseres und ich habe es geduldet.

Bis letztes Jahr, da war die Wunde noch frisch, mein Schmerz war zu groß. Ich konnte ihre Sticheleien nicht mehr ertragen. Es war eine Last für mich, sie dulden zu müssen.

»Wieso bleibst du mitten auf den Treppen stehen«, höre ich die anstrengende Stimme sagen.

Ich drehe mich um und betrachte sie streng, wie immer hatte sie sich perfekt gestylt. Der Eyeliner was sie Trug ließ ihre braunen Augen größer wirken, ihre Haut ist wie immer makellos als wäre sie aus Porzellan. Die Stiefel mit Absatz ließ sie größer Wirken, was außerdem ihr den selbstbewussten gang ermöglicht.

»Nichts, war bloß in Gedanken«, versicherte ich ihr und laufe die daraufhin die Treppen hinauf.

»Hat Grandpa von der Sache schon erfahren«, frage ich Camila als wir mein Zimmer mit den weißen Wänden betreten. Ich stelle meine Tasche auf den Schreibtisch und Wende mich dann zu ihr.

»Nein, aber Onkel Harry wollt ihn anrufen.«,antwortet sie, ohne mir ein Blick zu würdigen. Sie nimmt daraufhin das Handy in die Hand und läuft aus meinem Zimmer hinaus.

Ich gehe in das Badzimmer und schließe die Tür ab. Ich lehne mich an das Waschbecken und betrachte mich im Spiegel. Sie hatten mir eine Bandage um den Kopf gebunden, obwohl ich zwei unerträgliche Tage im Krankenhaus war, sind die schmerzen nicht verschwunden.

Meine Augen sehen klein aus, wie immer konnte ich nicht schlafen. Groß Augenringe untermalen meine blasse Haut. Die Wangenknochen stechen leicht hervor. In den letzten Monaten hatte ich viel an Gewicht verloren.

Ein Klopfen hallt im Badezimmer, ich richte mein Blick auf die Tür und rufe laut, »ja«.

»Grace ich muss aufs Revier, unten in der Küche habe ich Geld hinterlassen. Holt euch was zu essen und macht euch einen schönen Abend, ich werde heute vermutlich etwas später nach Hause kommen.«

Ich nicke leicht aber merke schnell, dass er dies nicht sehen kann, weshalb ich laut „Okay" rufe.

Nach einer erholsamen Dusche ziehe ich meine Kleidung an und nehme meine hellblaue Tasche zur Hand. Ich packe das nötigste wie Handy, Kopfhörer, Schlüssel in die Tasche und ziehe eine dünne strick Jacke über.

»Camila«, rufe ich, während ich die Treppen hinunterlaufe. Doch keiner scheint zu Hause zu sein. Verwundert schaue ich mich um, doch vergebens wert.

Unvermindert ziehe ich meinen weißen Sneaker an und öffne die Tür. Doch weiche in der gleichen Sekunde erschrocken ein paar Schritte aus. Vor mir steht Camila verschwitzt und außer Atem, gekleidet in ihrem Sportoutfit.

»Du wolltest noch raus«, sagt sie mit einer Hochgezogene Augenbraue.

»Ja, werde wahrscheinlich ehr spät nach Hause kommen«, berichte ich ihr und ohne lange zu zögern streife ich an ihr vorbei.

»Grace, Grandpa wollte noch hier vorbeischauen! Wohin gehst du ?!«

Ich stecke die Ohrstöpseln ins Ohr und laufe mit schnellen schritten die Straße hinunter.

Selbst wenn ich ihr sagen würde, wohin ich gehe. Sie würde es nicht verstehen. Niemand würde es verstehen...

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