... beim Purple Star

Sakuras Schuhe gaben ein quatschendes Geräusch von sich, als sie die letzte Straße zum Café entlangrannte. Zuvor war sie geradewegs in eine Pfütze gelaufen, die in der Dunkelheit der aufkommenden Nacht verborgen wurde, und nun waren ihre schönen Schuhe vollends durchnässt. 

Der Herzschlag der Jugendlichen ging schnell und unregelmäßig, sie hatte sich wirklich beeilt, um ihre Freundin nicht so lange allein warten zu lassen. Erleichtert stoppte Sakura vor dem Café und klopfte an die Tür. Das Licht im Inneren wurde angeknipst, und die schlanke Gestalt von Mitsuo näherte sich der Tür, um sie aufzuschließen. 

"Da bist du ja, und viel schneller als 30 Minuten! Ich hatte die Tür vorsichtshalber doch erst einmal abgeschlossen, damit keine Creeps hier reinkommen", erklärte sie. In der Hand hielt sie den türkisen Gedichtband, den sie Sakura nun überreichte. "Nimm ihn, hier. Meine Güte, ich bin so müde! Lass mich jetzt endlich diesen verdammten Laden abschließen und nach Hause gehen." 

Sakura konnte ihre Freundin verstehen, ein wenig zerknirscht entschuldigte sie sich: "Tut mir leid, dir deine Zeit gestohlen zu haben. Ich gebe dir als Dank auch einen doppelten Cappuccino aus."
"Und ein Schokocroissant", verlangte Mitsuo, während sie den Laden von außen abschloss. "Ein doppelter Cappuccino und ein Schokocroissant, ist notiert!" Mitsuo drehte mit einem schon viel versöhnlicher gestimmten Lächeln um. "Sehr gut, dann sehen wir uns. Gute Nacht noch, komm gut nach Hause. Am besten schreibst du mir, wenn du angekommen bist, okay?" 

Sakura versprach: "Mach ich, und du auch." Ihre Freundin winkte lachend ab. "Du weißt doch, ich wohne zehn Minuten entfernt, da passiert schon nichts." Doch Sakura bestand auf die Nachricht, und so willigte Mitsuo mit einem Schulterzucken ein. Sie winkte zum Abschied, dann lief sie schnellen Schritts los. 

Sakura drückte sich ihr Notizbuch an die Brust und dankte dem Gott, oder wem auch immer, dass das Buch unversehrt war. Mit dem türkisen Buch in der Hand trat sie den Rückweg an, dabei würde sie wieder durch die kleine Gasse mit den Kirschbäumen gehen. Nun, da sie es nicht mehr so eilig hatte, schlenderte sie beinahe und warf einen Blick in den Nachthimmel, in der Erwartung, einen Nachthimmel mit vereinzelten Sternen zu erblicken.

Der Anblick, der sich ihr stattdessen darbot, war jedoch viel beeindruckender. Überrascht staunend blieb Sakura stehen, in ihren Augen spiegelte sich das größer werdende, lilafarbene Licht. Sie erinnerte sich an die vielen Warnungen, und senkte schnell den Blick.

Das 'Purple Star' Experiment hatte sie über all die Aufregung beinahe vergessen gehabt! Und nun stand sie hier, entgegen all ihrer Vorsätze, es war fast Nacht und der lilafarbene Kern leuchtete über dem Stadtteil.

Ein zartes, schwaches Miauen riss Sakura aus ihrer Bewunderung für den lila Nachthimmel. Sie erinnerte sich an das Maunzen vom Mittag, da hatte sie jedoch später nicht mehr an das Geräusch gedacht gehabt. Neugierig und besorgt trat Sakura näher an das Gebüsch, aus dem das Miauen zu kommen schien.

Sollte dort wirklich ein Kätzchen sein, so wunderte sich Sakura, warum es sich noch immer an dem gleichem Ort befand. Sie kniete sich vor die Pflanzen und legte sich ihr Notizbuch auf die Knie, um die Hände frei zu haben, damit sie die dichten Äste des Gebüsches nun vorsichtig trennen konnte.

Erschrocken sog sie die Luft ein und schlug sich die Hand vor den Mund, als sie die bedauernswerte Szene vor sich, zwischen den Blättern und Zweigen, betrachtete. Ein kleines Kätzchen kauerte am Bauch einer regungslosen Mutterkatze, dessen Hinterbein ganz blutig war. Sakura war sofort klar, dass die Katze nicht mehr leben konnte. An der Seite des zitternden Kätzchens lagen noch zwei weitere Katzenbabys, die sich jedoch, genau wie die Mutter, nicht mehr regten. Sie waren ganz abgemagert, dürr und ungepflegt. 

Sakura schluckte schwer. Hatten die Katzenbabys diesen Mittag noch gelebt? Hätte sie ihnen helfen können, hätte sie sich nicht so leicht ablenken lassen? Die Mutter musste angefahren worden sein, und hatte sich dann mit letzter Kraft zu ihren Jungen in dieses geschützte Versteck geflüchtet, wo sie an der Wunde gestorben war. 

Die armen Kleinen konnten ohne ihre Mutter doch gar nicht leben, womöglich waren sie wirklich innerhalb der letzten Tage umgekommen. Und das letzte der Kätzchen sah auch unfassbar dünn und klein aus, es konnte sich kaum bewegen, so schwach war es. Mit halb geschlossenen Augen registrierte das kleine Tier Sakuras Anwesenheit, es stieß ein herzzerreißendes Maunzen aus, in dem Sakura Hunger und Verzweiflung zu erkennen glaubte. 

"Du armes Kleines...", hauchte Sakura mitfühlend, in ihren Augen stiegen Tränen über das Leid der unschuldigen Katzen auf. Sie fragte sich, was sie nun tun konnte. Auf jeden Fall würde sie nicht einfach zu sich nach Hause gehen können, und das Kätzchen hier zurücklassen; Sakura bezweifelte, dass das Katzenbaby die kalte Nacht überstehen würde. 

Sie klemmte sich ihr Notizbuch unter die Achseln und streckte dann die Hände nach dem Tier aus. "Komm, ganz ruhig. Alles gut, ganz ruhig", versuchte sie, sich und die Katze zu beruhigen, die sie nun vorsichtig mit ihren Händen umschloss und behutsam hochhob. Das kleine Wesen schien kaum zu bemerken, was vor sich ging, es stieß nur einmal einen Wimmerlaut aus, als es den Boden unter seinen Pfoten verlor, war jedoch zu mehr Widerstand nicht kräftig genug. 

Sakura stand auf und hielt den zerbrechlich wirkenden Körper mit äußerster Behutsamkeit umschlossen an ihre Jacke, sodass es den Rücken gegen Sakuras Körper lehnen konnte. Die Jugendliche spürte den zittrigen Atem des kleinen Wesens durch ihre dünne Jacke. 

Es schien, als würde Sakura jetzt erst, da sie den Leib und das pochende Herz des Kätzchens spürte, richtig bewusst werden, wie zerbrechlich das Leben dieser Katze war. Das Baby war schwach, unterernährt und unterkühlt, es brauchte dringend Hilfe, wenn es die Nacht überstehen sollte. 

Der Nachrichtenton ihres Handys ließ Sakura zusammenschrecken. Sie schob das Kätzchen vorsichtig auf ihren linken Arm, und fischte mit dem rechten Arm ihr Handy aus ihrer Hosentasche, wobei sie acht geben musste, nicht ihren Gedichtband, den sie noch immer unter ihren Arm geklemmt hatte, fallenzulassen.

Sie entsperrte ihren Screen und sah, dass Mitsuo ihr eine Nachricht geschickt hatte. 
Bin zu Hause, gehe gleich schlafen. Bin voll müde. Schlaf du später auch gut, du kurzhaariges Geburtstagskind.
Sakura musste erleichtert lächeln, dass es nichts Ernstes war. Sie unternahm gar nicht erst den Versuch, einhändig etwas zurückzuschreiben, stattdessen verstaute sie ihr Handy wieder in ihrer Hosentasche und konzentrierte sich lieber auf das schwächer werdende Tierkind auf ihrem Arm.

Vielleicht hatte ja ein Tierarzt geöffnet? 
Der lilafarbene Kern glomm hoch am Himmel, beleuchtete die nächtlichen Straßen mit einem lila schimmernden Licht. Fast wie ein Stern, dachte Sakura bei sich. Ein lilafarbener Stern. Kein Wunder, dass die Nachrichten ihn den 'Purple Star' getauft haben. 

Sakura erinnerte sich an einen alten Freund von ihrem Vater, der früher immer eine Tierarztpraxis betrieben hatte, die ganz in der Nähe war. Zwischendurch hatte es allerdings Probleme gegeben, wer die Praxis übernehmen sollte, da der Oberarzt pensioniert werden würde. Damals hatte sich Sakura nicht weiter für das Thema interessiert, schließlich ging sie, die keine Haustiere hatte, das nichts an, doch heute hoffte sie inständig, dass man einen Nachfolger gefunden hatte und die Praxis noch immer am selben Ort war.

Bangen Herzens machte sich das Mädchen mit der schwachen Katze auf ihrem Arm auf den Weg durch die Nacht, um die Tierarztpraxis aufzusuchen. Sie versuchte beim Laufen das Tier nicht allzu stark durchzuschütteln, doch das Kätzchen schien zu schlafen, jedenfalls bekam es die Bewegungen nicht mit und reagierte nicht darauf. 

Als Sakura an dem Ort ankam, an dem sie die Praxis vermutete, fiel ihr ein Stein vom Herzen. Ein Schild war über einem Hauseingang angebracht, das 'Tierarztpraxis' verlauten ließ. Als sie näher trat, um die Öffnungszeiten zu begutachten - schließlich konnte es immer noch sein, dass die Praxis keine Notfälle behandelte - entdeckte sie auf der Tür den für Erleichterung sorgenden Satz:

Wir sind immer für Sie und Ihr Tier erreichbar, rufen Sie diese Nummer im Falle eines Notfalls an (Nummer) oder klingeln Sie vor Ort im zweiten Stock.

Sakura suchte sofort nach der Klingel für den zweiten Stock und drückte sie energisch. Dann wartete sie. Und wartete. Vermutlich würde es einen Augenblick dauern, bis der zuständige Tierarzt aus seiner Wohnung nach unten in die Praxis kommen würde. 

Sakura wurde hibbelig, fragte sich, ob sie noch einmal drücken sollte, und sah besorgt auf das Kätzchen hinab. Es knetete mit seinen Vorderpfoten leicht Sakuras Arm, was sie dazu brachte, zu lächeln. Wie süß dieses kleine, ungepflegte und schwache Wesen doch war! Sakura war klar, das Kätzchen durfte nicht sterben. 

Sie wollte gerade noch einmal klingeln, mittlerweile waren sicherlich schon fünf Minuten vergangen, doch da hörte sie Geräusche von der anderen Seite der Tür. Die Praxistür wurde geöffnet, und ein müde aussehender Mann blinzelte Sakura an. Die ließ sich von dem Mann nicht verunsichern und sagte: "Ich habe dieses Katzenbaby gefunden, es ist noch ganz jung und hat keine Mutter mehr. Vermutlich ist es kurz vor dem Sterben, können Sie ihm helfen?" 

Der Mann brummte etwas Unverständliches, ließ sie dann jedoch eintreten und führte sie in den Behandlungsraum. Dort sollte sie die Katze auf dem Behandlungstisch ablegen. Der Tierarzt, mittlerweile nicht mehr ganz so müde und brummig, untersuchte die Katze konzentriert. Dann sagte er zu Sakura, die wartend am Rand stand: "Geh besser nach Hause, Kind. Ich werde das Junge hierbehalten, morgen kannst du wiederkommen und nach ihm sehen. Am besten bringst du dann auch deine Eltern mit."

Das klang für Sakura vernünftig, sie hatte nichts einzuwenden, und als sie den Heimweg antrat, dachte sie nur, was für einen aufregenden Geburtstag sie doch heute erlebt hatte. Sie legte sich einen Plan zurecht, der genug Argumente behielt, um ihre Eltern davon zu überzeugen, dass Kätzchen zu behalten, nachdem es ausreichend behandelt wurde. Daran, dass das Kätzchen überleben würde, zweifelte Sakura keine Sekunde lang.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top