Zusatz 1
Regentage
Lily, möchtest du meine Frau werden?
Nein.
Dicke runde Regentropfen schlugen gegen die Fensterscheibe meines alten Kinderzimmers, in dem ich mich seit drei Tagen versteckte. Fern ab von der Außenwelt, die mich zu erdrücken drohte, sobald ich nur einen Atemzug tat. Wie ein Geist, eine leere Hülle meiner selbst, starrte ich hinaus auf die Straße vor meinem Elternhaus in Cokeworth. Ich beobachtete unsere Nachbarn wie sie Tag für Tag spazieren gingen und dabei stritten, die Katze der Northweathers, die jeden Morgen um Punkt halb acht in unseren Garten schlich und sich etwas aus dem Müll stibizte und die Autos, die die Straße hoch und runter fuhren.
Mum und Dad waren nicht da, sie waren zusammen mit Tante Magnolia, ihrem Mann und meinen Cousinen in den Urlaub geflogen. Nicht nur vor den Fenstern braute sich ein Unwetter zusammen, sondern in der ganzen Zaubergemeinschaft. Immer mehr Muggel verschwanden, wurden ermordet... meine Eltern sollten nicht die nächsten sein, also hatte ich sie fortgeschickt.
Lily, komm mit uns! flehte meine Mutter.
Nein, Mum, ich muss helfen.
Auch wenn ich im Augenblick nichts dringlicheres nötig hätte, als eine von Dads Super-Umarmungen war ich sehr froh, mich hinter den Türen dieses Hauses verstecken zu können, nachdem was vorgefallen war. Mein Herz zog sich immer noch schmerzhaft zusammen, wenn ich daran dachte. Es war ein wunderschöner und romantischer Abend gewesen, alles war perfekt und dann...
Möchtest du meine Frau werden?
Schockiert zog ich die Luft ein. Was sollte das werden? Nein, nein, nein. So nicht, nicht so. Nicht jetzt, nicht so schnell.
Mein Herz setzte einen Schlag aus, die Zeit um mich herum schien stillzustehen, die Grillen verstummten, der Wind starb ab, die Erde drehte sich nicht mehr und da waren nur er und ich. Seine haselnussbraunen Augen funkelten so hoffnungsvoll und ängstlich zugleich. Ich liebte ihn, oh ja, so sehr, wie ich nie geglaubt hätte, dass es einem Menschen möglich wäre, doch ich wusste noch nicht einmal, wer ich selbst sein wollte, wer ich war. Wie könnte ich dann eine Entscheidung treffen, die den Rest meines Lebens bestimmen sollte? Ich blinzelte. Und die Erde drehte sich weiter...
James, ich- ich... ich liebe dich, aber- ich...
Lily, möchtest du meine Frau werden? versuchte er es zaghaft erneut. Seine Stimme voller Angst.
Nein. sagte ich matt, Tränen in den Augen.
Das Strahlen seiner Augen erlosch und zurück blieb ein verletzter Ausdruck, ehe er sich abwandte und begann zusammenzupacken.
Er biss sich auf die Unterlippe, ballte die Hände zu Fäusten. Hatte ich vielleicht einen riesigen Fehler gemacht?
James?
Doch er antwortete nicht, stattdessen blickte er auf und erschrocken wich ich zurück. Das Gefühl, das dieser Blick in mir auslöste, war kaum zu beschreiben. Er war verletzt, mehr noch, er war wütend, enttäuscht, traurig.
Es war, als hätte ich ihm sein Herz rausgerissen, um darauf herumzutrampeln, nur ohne dabei zu bedenken, dass wir eines teilten. Ohne es zu bemerken, hatte ich mein eigenes Herz in tausend Stücke zerspringen lassen. Ich hatte ihm vielleicht das seine gebrochen, doch nun hatte ich selbst auch keines mehr.
Vielleicht war das aber besser so.
Die Regentropfen fielen immer dichter auf die Erde, ertränkten den verdurstenden Sommerboden.
Vielleicht war es besser so. Ich hatte kein Herz mehr, ich konnte den Schmerz nicht spüren, den die Leere in meiner Brust hinterlassen hatte, nachdem er mit einem letzten Kopfnicken gegangen war. Alles in mir wollte sich zusammenziehen und nach ihm schreien, doch nichts. Ich stand regungslos da und sah ihm nach, bis er mit einem leisen Plop verstand und nichts zurückließ bis auf eine einzelne Serviette, die vom Wind erfasst über das Gras wehte, hinaus in die Dunkelheit. Und ich war allein.
Völlig in Gedanken versunken, bemerkte ich den riesigen Uhu vor meinem Fenster erst, als er genervt mit seinem Schnabel dagegenpickte, als wolle er ein Loch ins Glas hacken.
Ich erhob mich von meinem Stuhl und entriegelte das Fenster, schob es hoch. Der Vogel flatterte hinein und ließ sich auf einem meiner Bettpfosten nieder, an seinem Bein hingen zwei dünne Umschläge. Behutsam entknotete ich das Band, um die Briefe entgegenzunehmen. Das nasse Gefieder der Eule tropfte auf meine Decke, doch weder mich geschweige denn den Uhu schien das zu stören. Er blieb neben mir sitzen und ließ sich den Kopf kraulen, während ich den ersten Brief öffnete.
Professor M. McGonagall
Was wollte meine alte Hauslehrerin von mir? Hatte ich meine Prüfung doch nicht bestanden und bekam nun den Abschluss aberkannt?! Nein, so ein Unsinn... oder?
Ich entfaltete das Pergament und stutzte.
Sehr geehrte Miss Evans,
Aufgrund einer Stellenbesprechung im Kollegium erwarte ich sie am Freitag in zwei Wochen in meinem Büro zu sprechen.
Mit freundlichen Grüßen
M. McGonagall
Stellvertretende Schulleiterin
Eine Stellenbesprechung im Kollegium? Ich hatte doch überhaupt nicht vor, Lehrerin zu werden... und McGonagall wusste von meiner Bewerbung an das St. Mungos Hospital wegen einer Ausbildung zur Heilerin. Da stimmte etwas nicht.
Angehängt war noch ein Empfehlungsschreiben Dumbledores, das ich unbedingt mitbringen sollte, wie er schrieb. Verwirrt warf ich dem Vogel neben mir einen genervten Blick zu.
"Weißt du, was das bedeuten soll?"
Ein Schuhuen musste mir wohl als Antwort reichen.
"Na super...", murmelte ich mehr zu mir, als zu der Eule und ließ mich nach hinten in die Kissen fallen. Kryptische Nachrichten, tausende Tränen und ein Krieg vor meiner Haustür. Würde das nun mein Leben sein? Einsam und verlassen.
Du bist selbst schuld.
"Ach Marlene, halt die Klappe!", rief ich wütend und warf eins der Kissen gegen die Tür, so dass diese mit einem Knall zuflog.
Meine beste Freundin war gar nicht hier... jetzt wurde ich wohl auch noch verrückt. Grandios.
Wieso war sie aber nicht hier? Er hatte Sirius mit Sicherheit schon alles erzählt, hatte ihm gesagt, was für eine furchtbare Person ich doch war und mich in die Unendlichkeit gehext, doch dann hätte Marls etwas mitbekommen und wie ich sie kannte, wäre sie sofort mit Sack und Pack angereist, hätte mir eine Eispackung entgegengestreckt und wenn ich nach drei Liebesfilmen endlich soweit wäre, gesagt, was für einen unfassbar dummen Fehler ich begangen hatte.
Ein unfassbar dummer Fehler.
Aber das war kein Fehler. Oder doch? Ich schloss die Augen.
Ich vermisste James so furchtbar, war es überhaupt möglich, sich so sehr nach der Umarmung einer Person zu verzehren? Jede Berührung, all diese kleinen nervigen Eigenschaften, die ich mit der Zeit liebgewonnen hatte...
Wo war Marlene, wenn man sie brauchte, um einem in den Hintern zu treten. Heiße Tränen brannten in meinen Augen. Das war doch alles unfair, idiotisch und ein Witz! Er hatte all das, was wir hatten, in wenigen Sekunden zerstört. Wieso konnte er nicht sehen, dass ich nicht soweit war, mein Leben vollständig zu planen. Wir waren noch so jung, zu jung - ich wollte nicht, was Petunia hatte.
Aber sie ist glücklich.
Zumindest glaubte sie das. War das genug? Konnte das je genug sein?
"Autsch!"
Der Uhu hatte die Gelegenheit genutzt, in der meine Hand neben ihm auf dem Pfosten lag und hinein gehackt.
Aus gelben Augen musterte er mich ungeduldig.
"Ach? Bist du auch der Meinung, ich hätte einen Fehler gemacht? Du kannst mir gestohlen bleiben..."
Frustriert erhob ich mich, um nach ein paar Eulenkeksen zu suchen, damit der lästige Vogel verschwinden konnte.
Ich wollte mich wieder auf einen Stuhl setzen, in eine Decke einmummeln und die Nachbarn durch das Fenster beobachten, so könnte ich wenigstens für kurze Zeit dem Alltag entfliehen und ihn vergessen.
Die Liebe deines Lebens.
Woher sollte ich das denn wissen? Mein Leben fing doch gerade erst an! Rondy war es defintiv nicht, doch da draußen gab es so viele Menschen, einer davon konnte mein Seelenverwandter sein. Vielleicht würde ich ihm morgen oder in zehn Jahren begegnen, wer wusste das schon.
Oder du bist ihm schon begegnet.
"Marlene, jetzt sei verdammt nochmal ruhig da drinnen!"
Ich presste meine Handflächen gegen Stirn und Wangen, versuchte die Tränen zurückzuhalten, die sich wieder an die Oberfläche kämpfen wollten. Das heiße Brodeln in mir schien meine Organe anzugreifen. All die Schmetterlinge waren tot, ihre leblosen Körper schienen in mir zu verfaulen, mich von innen zu zersetzen. Fühlte sich so verlorene Liebe an? Als würde ich Sterben?
"Vielleicht war das wirklich ein Fehler..."
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