56. Ein Haufen weißer Tüll
"Ich kann das erklären, denn eigentlich", setzte ich an, doch James hob bloß die Hand und brachte mich zum Schweigen.
Tränen brannten mir in den Augen, das durfte doch alles nicht wahr sein, Eddy würde mir nicht meine Beziehung mit James ruinieren, das würde ich nicht zulassen. Ich packte den Rumtreiber am Arm, zwang ihn mich anzusehen und begann wild drauflos zu erzählen: "Eddy kam ins Bad, gestern Abend während du mit Rosalie und Violet im Garten warst, er wollte doch bloß mit mir reden, doch..."
Wieder unterbrach er mich.
"Lily, hast du ihn geküsst? Ja oder nein."
"Nein. Aber ich... hab ihn auch nicht daran gehindert."
James nickte langsam, ich konnte sehen wie sich sein Kiefer anspannte, als würde er seine Faust in den nächsten Sekunden wieder gegen etwas schmettern wollen, doch stattdessen krächzte er bloß ein 'okay' hervor, trat Eddy noch einmal gegen das Schienbein und lief die Treppen hinunter in den Garten, um -wie er sagte- meinem Vater bei dem Muggel-Handwerkskram zu helfen. Ich fühlte mich elend, was war denn bloß los mit mir. Ich hatte den tollsten Freund der Welt, er war intelligent, charismatisch, ein weltverbesserer und ein Idiot, aber mein Idiot und an einem Abend hatte ich geschafft das alles, unsere kleine, heile Welt zu zerstören. Hätte ich Eddy doch bloß weggestoßen, als er sich runterbeugte, dann wären das nun nicht meine Probleme.
Der restliche Tag verging schleppend, James ging mir so gut es eben ging aus dem Weg, Petunia ließ sich von mir wie eine Königin bedienen und Eddy verschwand mit irgendeiner lausigen Ausrede, die seine geschwollene Nase, das blaue Auge und das Humpeln erklären sollten, das Haus und kehrte nicht wieder zurück. Meine ganze Verwandtschaft bombadierte mich mit fragen über mein Liebesleben und die Schule, während ich James bloß verstohlene Blicke zuwarf, wenn mich keiner sehen konnte. Mum vergewisserte sich etwa zehn Mal, dass Eddy und ich kein Paar waren, dass ich ihr beim elften Mal wütend entgegnete, wenn sie schon Eddy als Schwiegersohn auserkoren hatte, wieso sie mich dann überhaupt noch mit einbezog. Daraufhin folgte eine peinliche Stille, ehe mein Vater, Tante Magnolia und Großmutter Olivia begannen mir eine Predigt zu halten, wie ich mit meiner Mutter reden sollte, doch auch da hörte ich bloß mit halbem Ohr zu.
Der nächste Tag kam für meinen Geschmack viel zu früh, um sieben Uhr klingelte mein Wecker, doch dem Lärm nach zu urteilen, war das ganze Haus schon auf den Füßen. Violet und Rosalie lagen nicht mehr neben mir in ihren Schlafsäcken auf dem Boden des Schuppens, vermutlich kämpften sie gerade um die Vorherrschaft im Bad, um sich besonders aufzubrezeln. Ich schälte mich aus dem alten Stofffetzen, der wohl nur noch durch Gutmütigkeit zusammenhielt und machte mich auf zum Haus, wo mir schon Petunias krächzende Stimme entgegenbrüllte: "Mum, wo sind die Platzkärtchen?!"
"Die sind in der rosanen Kiste bei den Zierdeckchen, Liebes", rief Mum zurück.
Die allgemeine Hektik, die im ganzen Haus herrschte, bereitete mir ein mulmiges Gefühl. James war nicht mehr im Wohnzimmer, Dad konnte ich auch nirgends finden, bloß meine Schwester und Mum hechteten von einem Raum zum nächsten, bis Petunia vor mir schwer atmend zum Stehen kam.
"Was tust du noch hier?!"
So langsam machte mir diese Situation Angst, wieso waren alle anderen schon fort?
"Ich bin eben aufgewacht, Tuni. Ich wollte mich jetzt fertig machen", gab ich kleinlaut zurück.
Ihre Augen verengten sich zu Schlitzen und aus ihren Ohren schien jeden Augenblick Rauch hervorzuschießen.
"Die Feier fängt in nicht mehr als 3 Stunden an und zu diesem Zeitpunkt solltest du wohl in der Kirche sitzen und alles für meine Ankunft vorbereiten!", Petunias Stimme zitterte, während sie mir beinahe an die Gurgel sprang.
War das ihr Ernst? Ich sollte drei Stunden zu früh in einer kalten Kirche sitzen und auf sie und ihren Verlobten warten? Petunia schien nun endgültig den Verstand verloren zu haben. Die ganze Wut die sich in mir aufgestaut hatte - sei es wegen Petunia und ihren Marotten, Eddy und seinem Frauenbild, Violet wegen ihrer lächerlichen Versuche James anzubaggern - diese ganze Wut wollte einfach nur ausbrechen, doch ich konnte nicht. Heute war Tunias Hochzeitstag. Und auch wenn ich die Wahl ihres Bräutigams nicht verstand, wenn ich mich nicht für Blumen, Zierdeckchen und dergleichen interessierte, so war das ihr wichtigster Tag im Leben und ich würde nicht an der Zerstörung eines so bedeutungsvollen Augenblicks beteiligt sein.
"Es tut mir leid, Tuni. Können wir, sag bitte ja, können wir für heute unser Kriegsbeil begraben? Es ist doch deine Hochzeit."
Petunia sagte lange Zeit nichts, sie spitzte bloß die pinken Lippen, strich sich die schulterlangen, blonden Haare hinter die Ohren und nickte dann ganz leicht.
"Meinetwegen, Lily, dann nimm jetzt mein Brautkleid und bringe es in die Kirche, vorher ziehst du dir aber noch etwas gescheites an."
Offensichtlich musste das Ende der Welt bevorstehen, doch mir war das alles egal, das war ein Schritt in die richtige Richtung. Eine Möglichkeit vielleicht alles wieder in Ordnung zu bringen. Wenn ich sogar meine Probleme mit Petunia beseitigen konnte, würde das mit James doch ein Klacks werden. Oder?
In Windeseile warf ich mir ein hellgrünes Kleid mit spitzenbesetzten Ärmeln über, machte Marlene stolz, indem ich Wimperntusche, Lippenstift und Rouge benutzte, schnappte mir das über den Stuhl im Wohnzimmer gelegte Hochzeitskleid und apparierte vom Innenhof, geschützt hinter ein paar Büschen, zu der alten Kirche am anderen Ende von Cokeworth.
Die im gotischen Stil erbaute Kirche erhob sich auf einem kleinen Hügel mit ihren spitzen, steilen Türmen und den Kreuzrippengewölben über der Tür, den bunten Glasfenstern und Spitzbögen. Das alte graue Gemäuer war von Moos und Efeu überwuchert, während der Steinweg, der zu dem großen Eingangsportal führte völlig frei war.
Einige Autos standen schon auf dem Parkplatz und ich konnte James schwarze, verwuschelte Haare hinter einer der grünen Hecken ausmachen. Von Eddy war noch immer keine Spur, weswegen ich mehr als nur dankbar war. Vermutlich plagte ihn die Angst, James könne ihm mehr als nur ein paar blaue Flecken bescheren.
Mein Dad begrüßte mich am Empfang, nahm mir das Kleid ab und führte mich zu meinem Platz in der ersten Reihe, eigentlich wollte ich sofort zu James, doch dieser unterhielt sich angeregt mit Violet, weswegen meine Stimmung endgültig kippte.
"Hey", sagte Rosalie und setzte sich zu mir.
Statt einer Antwort nickte ich bloß halbherzig. Meine Augen waren nach wie vor starr auf James und Violet fixiert, die sich über irgendetwas köstlich zu amüsieren schienen.
"Sie ist manchmal echt ätzend", sprach meine Cousine das aus, was mir auf der Zunge lag.
"Ich habe ihr gesagt, dass wir James in Ruhe lassen sollten, doch sie möchte unbedingt sein Herz gewinnen. Dass das unmöglich ist, wollte sie mir nicht glauben."
War es denn unmöglich? Hatte ich ihn mit meinem Verhalten nicht direkt in ihre Arme getrieben?
"Ach Lily, mach dir nichts draus, er ist bloß ein dummer Junge, der sich wieder einkriegt. Was ist denn passiert?"
"Eddy hat mich geküsst", antwortete ich stumpf.
Ich wollte jetzt nicht über James und Eddy sprechen, ich wollte einzig und allein weinen und mich in meinem Selbstmitleid suhlen, doch stattdessen hatte sich Rosalie wohl gerade in einen Motivationscoach verwandelt.
"Ja und? Eddy ist ein schleimiger Sack und du willst überhaupt nichts von dieser Kaulquappe, wenn James dadurch jetzt in seiner Männlichkeit gekränkt ist, dann soll er jetzt mal die Pobacken zusammenkneifen und aufrecht gehen, Herrgott!"
Etwas schockiert sah ich Rosalie an, die in eben jenem Moment wohl auch bemerkte, was sie gerade gesagt hatte und lauthals begann zu lachen. Etwas unbeholfen konnte Lily sich ebenfalls nicht zusammenreißen und kicherte mit.
"Motivationstrainerin wäre wohl eine super Berufsidee für dich, allerdings solltest du dich etwas beherrschen."
Kichernd bemerkten wir nicht, wie Petunia mit tausend bunten Lockenwicklern im Haar in die Kirche stürmte und nach kristallklarem Bergwasser mit einem Hauch Sprudel verlangte, bevor Mum sie mit den Worten: "Der Bräutigam darf die Braut vor der Hochzeit nicht sehen" wieder aus dem hohen Kirchraum zog, an dessen Wänden das Echo ihrer Stimmen widerhallte.
Zum Glück war Vernon viel zu beschäftigt damit, seine Hose wieder hochzuziehen, die ihm über den Bauch gerutscht war, so dass er Petunia ebenfalls nicht wirklich wahrnahm.
Die nächsten Stunden vergingen viel zu schnell, man sollte meinen in zweieinhalb Stunden hätte ich James einmal zu sprechen bekommen, doch dem war leider nicht so. Stattdessen durfte ich den Brautjungfern bestehend aus meinen Cousinen und Petunias idiotischen Freundinnen Snacks und Wasser bringen, während James zunächst mit meinem Vater und meiner Mutter und anschließend mit meinen beiden Onkels plauderte.
Endlich mussten wir uns auf unsere Plätze setzen, James und ich nebeneinander, doch gerade als ich etwas sagen wollte, ertönten die Kirchenglocken und meine Chance war vertan.
Zunächst kamen Violet und Rosalie in ihren zartrosa Kleidern herein, ein zwanzigköpfiges Streichorchester spielte eine seichte Melodie, bei der ich am liebsten die Augen geschlossen und mich auf James Schulter gelegt hätte. Petunias Freundinnen warfen mir hämische und giftige Blicke zu, als sie an mir vorbeigingen und beäugten James gierig. Ich konnte nicht anders und verdrehte bloß die Augen.
Mum und Tante Magnolia weinten bitterlich, noch bevor Petunia überhaupt aufgetaucht war.
Das Orchester stimmte den Hochzeitsmarsch an, die großen Flügeltüren öffneten sich und Petunia kam in einem langen, weißen Seidenkleid im Meerjungfrauenschnitt und mit langen Ziegenlederhandschuhen, die ihr bis an die Ellenbogen reichten herein. Vernon klappte der Mund auf und in eben diesem Moment erkannte ich, dass auch wenn ich Vernon partout nicht ausstehen konnte, Petunia ihn vermutlich nur ausgesucht hatte, weil er so zwanghaft normal war, dass die beiden auf ihre verdrehte Art perfekt füreinander waren. Das Glitzern in seinen Augen, als sie immer näher kam, ihr zurückhaltend glückliches Lächeln. Die beiden hatten ihr Gegenstück gefunden.
Ich warf James, der neben mir stumm die Trauung verfolgte, einen kurzen Blick zu. Auch ich wollte mein Gegenstück gefunden haben. Während meine Schwester und ihr Gatte in spe ihre Gelöbnisse hielten, wollte ich nichts dringlicher, als James zu küssen, ihm zu sagen, wie leid mir das alles tat, doch stattdessen tat ich nichts. Genau wie gestern Abend, als Eddy seine Lippen auf meine gepresst hatte.
"Sie dürfen die Braut jetzt küssen!", rief der kleine Priester und Petunia und Vernon... küssten sich oder zumindest drückten sie ihre Gesichter aneinander.
Alle Anwesenden brachen in Beifall aus, diesen Moment nutzte James, um sich zu mir herum zu drehen und in mein Ohr zu flüstern: "Komm mit."
Das Brautpaar lief händchenhaltend aus der Kirche und wir alle folgten ihnen, doch statt mit raus auf die Straße zu gehen, zog James mich in die Sakristei.
"Okay, hör mir gut zu. Ich bin dir aus dem Weg gegangen, weil ich dir nicht sagen konnte, was ich sagen wollte, während ich noch so wütend war, denn du hast etwas viel besseres verdient, als bloß aneinandergereihte Wörter ohne Sinn und Verstand. Du hast jemanden verdient, der alles für dich tun würde, jemand für den Romantik zusammen mit dir an erster Stelle steht."
Völlig verwirrt starrte ich ihn an. Wollte er mir nun seine Liebe gestehen oder mit mir Schluss machen?
"Hä?", gab ich etwas bedröppelt von mir.
"Dieses widerliche Bild von dir und Eddie hat sich in meinen Kopf gebrannt und ich kann es nicht vergessen."
Ich hatte es geahnt, er wollte mich verlassen, weil ich so dumm sein musste.
"James bitte! Das hatte nichts zu bedeuten!"
Er schüttelte den Kopf.
"Ich kann das nicht vergessen, doch... ich liebe dich Lily, das kann ich noch viel weniger vergessen. Deswegen will ich das mit uns - egal was noch passiert. Ich mag erst 17 sein, doch du bist die Liebe meines Lebens, das weiß ich genau und ich will den Rest meines Lebens mit dir verbringen."
Das musste einmal sacken.
"Was soll das bedeuten, James?", hauchte ich hoffnungsvoll.
Er lächelte und zog mich in einen intensiven Kuss. Er grinste gegen meine Lippen und murmelte: "Alles was du willst."
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Funfact:
Eilmeldung: Edward "Eddie" Keppner gilt seit 7 Tagen als vermisst!
Nach einem Aufstand, den er im Hause Evans in Cokeworth veranstaltet hatte und bei dem er ein blaues Auge, eine gebrochene Nase und vereinzelte Blutergüsse am ganzen Körper aufweisen konnte, wurde er auf dem nach Hause weg von einigen Personen verschleppt. Mit seinen frauenfeindlichen Aussagen und seiner Absicht die Beziehung zwischen Lily Evans und James Potter zu zerstören, hatte er sich offenkundig viele Feinde gemacht, die in einem öffentlichen Forum beschlossen hatten, ihn zu kidnappen. Völlig zurecht wie die Redaktion findet.
Dennoch, sollte Mr. Keppner nicht in den nächsten Tagen aufgefunden werden, wird die Suche eingestellt und die Sache als tragischer Unfall in die Akten eingehen.
Bei jeglichen Informationen bezüglich seines Aufenthaltsortes kontaktieren Sie uns bitte unter:
Istunsvö[email protected]
Oder schicken sie uns eine SMS mit den Worten "who da fu*k cares" an:
555-556585500
Vielen Dank und einen schönen Abend
Funfact2: Hier haben wir endlich den Grund für den Namen des Buches (Tatsächlich habe ich mir das im Nachhinein überlegt ;) eigentlich hatte das alles eine ganz andere Bedeutung, die aber einfach nicht mehr in die Story gepasst hat, weswegen ich es dann mal abgeändert habe haha)
Ich hoffe euch hat das Kapitel gefallen.
Der Countdown der Kapitel hat begonnen :(
Ich bin sehr gespannt, was ihr zu den restlichen Kapiteln noch zu sagen habt! *-*
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