47. Die Liebe zur Freundschaft

"Du brauchst ja morgens eine halbe Ewigkeit", lachte ich, als James gerade das Bad verließ. Auf halbem Weg zu mir hielt er noch vor einem der Spiegel an, um sich wahrscheinlich zum zehntausendsten Mal durch die Haare zu fahren.
"Ich will ja gut aussehen, dass du dich wegen mir in der großen Halle nicht schämen brauchst."
Ich schnaubte verächtlich. "Das muss ich sowieso, doch mit deinem Aussehen hat das recht wenig zu tun." Ich streckte ihm die Zunge raus und zog ihn an seiner Gryffindorkrawatte zu mir runter auf die Couch, um ihm einen kurzen Kuss zu geben, er sah das wohl mehr als Einladung, mir die Haare zu verunstalten.
"James!", meckerte ich und versuchte zu retten, was zu retten war.
"Du bist doch immer wunderschön."
"Schleimer."
"Heiße ich McLaggen?"
Ich lachte laut auf, McLaggen war wohl der widerlichste Kerl der ganzen Schule und trotzdem hingen ihm viel zu viele Mädchen an den Lippen. Was das über die Intelligenz meiner Mitschüler aussagte, versuchte ich jeden Tag brav zu ignorieren.
Wir saßen noch eine Weile so da, ganz ruhig und still. Er hatte einen Arm um mich gelegt und spielte mit meinen Haaren, seine Finger fuhren zärtlich über meine Hände, die verschränkt unterhalb meiner Brust lagen. Heute war ein großer Tag, der erste Tag, an dem ich all meinen Freundinnen wieder über den Weg laufen würde, seit Samstag hatte ich mich mit James in unseren Schulsprecherräumen verschanzt und war nicht wieder hervorgekrochen. Ich hatte die Gedanken an Alice und Mary aus meinem Kopf verbannt und bloß gelernt, da in wenigen Monaten schon unsere letzten Prüfungen bevorstanden, doch vorher auch noch so einiges an Arbeit auf uns wartete. Die Lehrer glaubten wohl, wir hätten keine anderen Pflichten außer Hausaufgaben, Hausaufgaben und - hatte ich es schon erwähnt - Hausaufgaben, doch noch war ich ziemlich gut dabei und so sollte es auch bleiben. Heute würde ich Mary und Alice wiedersehen, ich hatte James keinen Laufpass gegeben, viel eher wollte ich, dass zwischen uns noch etwas kennenlernen, ich wollte wissen, was das war.
"Lils, woran denkst du?"
"Mary..."
Er biss sich auf die Lippe und legte die Stirn in Falten, er sah wirklich süß aus, während er so vor sich hin grübelte.
"Lily, ich kann dir nicht sagen, was du tun sollst, du musst wissen, für was du dich entscheidest, doch ich bin sicher, du triffst die richtige Wahl."
Da war ich mir nicht so sicher.
"Hatten wir es eben nicht noch super eilig?", fragte James und verpasste mir einen leichten Nasenstüber. Ich grinste ihm entgegen und zog ihn von dem Sofa.
"Ganz genau, los jetzt! Ich habe großen Hunger."
"Hast du doch immer?... Autsch!" Den Schlag auf den Hinterkopf hatte er aber auch verdient...

Mit zitternden Beinen stand ich vor den Flügeltüren zur großen Halle, ich zerdrückte James Hand vermutlich gerade gänzlich, doch er ließ sich nichts anmerken, obwohl sein Gesichtsausdruck nicht mehr so entspannt wirkte wie noch vor ein paar Minuten.
Vielleicht würde ja niemandem auffallen, dass wir uns nun vertrauter waren als vorher, obwohl ich mir nur schwer vorstellen konnte, dass Marlene und Sirius die Klappe gehalten hatten. Vermutlich wusste es jetzt schon die ganze Schule.
"Lily?"
"Noch eine Minute."
"Das sagst du seit sieben Minuten. Ich hab' auch Hunger."
Okay, Augen zu und durch. Wir betraten die große Halle, der Geruch von frischgebackenen Brötchen stieg mir in die Nase, doch dieser kleine ruhige Moment wurde durch Blacks Gebrüll zunichte gemacht.
"Sehen Sie, Professor? Ich hatte Recht!" Er deutete auf uns oder vielmehr auf unsere Hände, die noch immer ineinander Lagen, unsere Finger verschränkt. Auch die übrigen Schüler reckten die Hälse, um einen guten Blick auf uns zu erhaschen. Ich fühlte mich wie ein Ausstellungsstück in einem Museum, von allen bestaunt und doch verachtet, wenn man die Kritiker - in diesem Fall alle Mädchen des James-Potter-Fanclubs - mit auf die Liste setzte.
Sirius strahlte als ihm von allen Seiten her kleine Säckchen - vermutlich voller Galleonen und Sickel - zugesteckt wurden, auch am Lehrertisch wanderten Wetteinsätze umher. Ich konnte es nicht fassen, dass die Schüler und sogar die Lehrer Wetten abgeschlossen hatten, ob James und ich je ein Paar werden würden. Besonders reich an Geld wurden Sirius, Peter und Dumbledore... da hatte ich wohl meinen Grund, weshalb James zum Schulsprecher ernannt worden war - nein, das war gemein, er war ein toller Schulsprecher, meistens jedenfalls...

James starrte seinen besten Freund ratlos an, er war völlig perplex und wusste nicht, was er sagen oder machen sollte. Mir ging es ähnlich, mein Kopf verfärbte sich und am liebsten wäre ich vor Scham im Erdboden versunken.
"Ist das dein Ernst, Tatze?", sagte James ruhig, doch die Wut, die in seiner Stimme mitschwebte, ließ mich erzittern.
Sirius zuckte bloß mit den Achseln und grinste, Marlene zwinkerte mir zu.
Aus Angst, dass gleich ein Streit vom Zaun brechen würde, zog ich James zum Gryffindortisch und stellte ihm eine Schüssel Müsli vor die Nase mit der Aufforderung, ersteinmal etwas in den Magen zu bekommen, doch da blieb mein Blick an Mary hängen. Während die anderen Schüler sich abgewandt und die Gespräche wieder aufgenommen hatten, war ihr Blick steif auf mich gerichtet. Tränen glitzerten in ihren Augen und am liebsten wäre ich zu ihr gegangen und hätte sie in meine Arme geschlossen, doch jetzt und hier konnte ich nichts für sie machen - das würde alles bloß verschlimmern.
Sirius rief über den Tisch: "Dank euch habe ich jetzt 23 Galleonen und 7 Sickel mehr als vorher, ich bin echt froh auf euch gesetzt zu haben!"
Die Wut war aus James Gesicht verschwunden, er sah nun sogar mehr als belustigt aus und grinste in seine Haferflocken.
"Black, du bist ein Idiot!", blaffte ich.
"Ich mag dich auch, Lilykins."
Augenrollend schnappte ich mir ein Brötchen und begann es zu schmieren.
"Hey, was hat dir das Brötchen getan?", fragte Alice, die sich zwischen mich und Marlene, die zu meiner rechten gesessen hatte, quetschte.
Erstaunt über ihre Anwesenheit ließ ich das Messer sinken und suchte den Tisch nach Mary ab, doch sie war verschwunden.
Als hätte Alice meine Gedanken gelesen, sagte sie: "Mary ist schon in die Kerker gegangen, für Zaubertränke."
Ich nickte. Was sollte ich auch groß erwidern, wo ich doch noch immer nicht verstand, weswegen Alice mit mir sprach, wo sie mir doch vor zwei Tagen noch deutlich zu verstehen gegeben hatte, dass sie und ich geschiedene Leute waren.
"Wollen wir vielleicht irgendwo hingehen, wo wir reden können?", fragte die Gryffindor.
Ich bejahte, verabschiedete mich von James und den anderen, die Blicke der Schüler nach wie vor in meinem Rücken spürend.

"Es tut mir leid", presste Alice hervor, sobald wir aus der Halle getreten waren. Schuldbewusst senkte sie ihren Blick.
"Was denn?"
"Ich hätte das nicht sagen sollen - all das, was ich dir an den Kopf geworfen habe - doch ich habe mich so unendlich mies gefühlt."
Verstört betrachtete ich meine Freundin, sie sah so unglücklich aus, dass sie mir schon leidtat. Doch was mich wirklich schockte; Alice weinte. Tränen liefen ihr Gesicht hinab, sie schluchzte und rieb sich verzweifelt die Oberarme.
"Ich und Dorcas haben diesen Sommer unglaublich viel zusammen erlebt, sie war die erste, die von Frank und mir erfahren hat und zu ihr ging ich auch, als ich nicht weiterwusste. Ohne es zu bemerken, habe ich Mary, meine beste Freundin, einfach ersetzt. Ich habe überhaupt nicht realisiert, dass ihre Gefühle James gegenüber stärker geworden sind und erst als Malcolm... ihr Bruder..., da habe ich gemerkt, was für eine furchtbare Freundin ich doch war."
Sie hielt inne und wischte sich über das Gesicht.
"Alice,..."
"Ich wollte das unbedingt wieder gut machen und als du und Rondy zusammen gekommen seid, war das für Mary eine Möglichkeit und so wollte ich unbedingt, dass ihr weiter ein Paar bleibt, vielleicht hätte James irgendwann von dir loskommen können, doch dem war nicht so."
Sie schwieg einen Moment und gab mir so die Gelegenheit, das eben Gehörte zu verdauen. Ich wusste nicht, was ich dazu sagen sollte, was ich davon halten sollte. Diese ganze Unterhaltung fühlte sich einfach nicht echt an, so surreal.
"Lily, ich habe so selbstsüchtig gehandelt. Es tut mir leid. Ich wollte bloß mein schlechtes Gewissen erleichtern und habe dabei alles schlimmer gemacht. Du und James... ich wünsche euch bloß das Beste, doch ich muss jetzt für Mary da sein, sie braucht mich dringender. Das ist das Wenige, dass ich noch tun kann. Du wirst immer meine Freundin bleiben."
Mit diesen Worten verschwand sie und ließ mich ratlos zurück.

Ohne großartig darüber nachzudenken, machte ich mich auf den Weg zum Unterricht, so könnte ich mich wenigstens von all dem ablenken und auf andere Gedanken kommen.
Mein Magen knurrte, natürlich - ich hatte mein Brötchen ja nicht angerührt.
Doch das war wohl das kleinste Übel, denn als ich vor dem Klassenzimmer ankam, erblickte ich Mary und Dorcas, die sich wütend gegenüberstanden.
Mary hatte die Arme vor der Brust verschränkt und schien weghören zu wollen, doch Dorcas interessierte sich nicht dafür.
"Mary, du bist wirklich gemein", seufzte Dorcas schließlich. "Du spielst Menschen, die dir angeblich etwas bedeuten, gegeneinander aus. So etwas hätte ich von dir nicht erwartet, ich fasse es nicht, dass wir solange befreundet waren."
Alice, die hinter Mary stand, packte diese an den Schultern, um sie daran zu hindern, Dorcas eine zu scheuern, doch es half nichts. Sie holte gerade zum Schlag aus, als die Rumtreiber und Marlene, um die Ecke bogen.
"Mary!", riefen Marls, Remus und James, doch da hatte ihre Hand schon einen ordentlichen Abdruck auf Dorcas Wange hinterlassen.
Professor Slughorn trudelte mit den übrigen Slytherins ein, ohne zu wissen, dass gerade eine fast sieben Jahre lange Freundschaft zu Bruch gegangen war...

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