24. Quidditchauswahlspiele (1)

"Und du willst wirklich da hoch?", fragte Dorcas mit hochgezogenen Augenbrauen.
Mit flauem Gefühl im Magen starrte ich die hohe Tribüne hinauf, die Gryffindor-Fahne wehte im Wind und Alice und Mary, die schon vor uns hier angekommen waren, winkten uns fröhlich zu.
Es war ein kühler Samstagmorgen, der letzte Samstag diesen September, der Tag an dem die Gryffindor-Quidditchauswahlspiele stattfanden. Etwa 15 Schüler und Schülerinnen standen in kompletter Montur auf dem Spielfeld, die Besen fest in der Hand, während der Kapitän des Teams, Sirius Black, auf und ab marschierte und die Neuzugänge begutachtete.
Von James war keine Spur zu sehen, wohingegen Marlenes Auftreten über den ganzen Platz strahlte.
Sie hatte den ganzen gestrigen Abend damit zugebracht, ihre Ausrüstung zu polieren und zu verzieren. So prangte nun mitten auf ihrer Brust ein Löwe mit erhobenen Pranken in wunderschönem gold. Sie strahlte solches Selbstbewusstsein aus, dass sogar das Mädchen neben ihr zu zittern begann und immer weiter zurückwich.
"Klar gehe ich da hoch. Das ist für Marlene."
Seit meinem kleinen Ausflug mit Potter auf dem Astronomieturm war ich wagemutiger geworden und bereit über mich hinauszuwachsen, doch trotzdem hatte ich ihn die ganze Woche gemieden, wie eine ansteckende Krankheit. Wir waren uns definitiv zu nahe gekommen, schließlich war ich jetzt Rondys Freundin und ich wollte ihn in keinster Weise verletzen. Er war sowieso schon James gegenüber schlecht gesinnt, seit dieser mich im Krankenflügel umsorgt hatte.

Ich nahm neben Mary Platz, die wesentlich entspannter wirkte, als die letzten Tage. Ab und an konnte man sie sogar wieder lächeln sehen. Es tat ihr wirklich gut, unter Leute zu kommen.
"Marlene wirkt nervös", bemerkte ich besorgt und musterte meine beste Freundin. Von hier Oben wirkte alles viel klarer, eindeutiger... anders. Es war wie ein vollkommen neuer Blickwinkel.
"Was? Wie kommst du darauf?", fragte Alice.
Dorcas murmelte ergänzend: "Marlene kennt die Wörter 'Angst' und 'Selbstzweifel' doch überhaupt nicht.
Ich schüttelte den Kopf.
"Seht doch, wie sie ihre Lippen kräuselt und sich die Haare nach hinten streicht, sie tippelt auch mit dem Fuß hin und her."
Beeindruckt sahen meine Freundinnen auf den Platz, wie alle anderen vor Marlenes aufgesetztem Mut beinahe flüchteten, doch wie sie in Wahrheit selbst die Nerven verlor.
"Und ich dachte, Alice wäre die Menschenflüsterin", raunte Mary belustigt und stach Alice mit dem Ellenbogen in die Seite.
"Ist sie auch", widersprach Dorcas, "Lily ist nur die Marleneflüsterin."
Wir mussten alle lachen. Ich hatte das vermisst, mit meinen Freundinnen Spaß zu haben. Die ersten Wochen des Jahres hatte ich entweder mit Lernen, Schulsprecherkram oder im Krankenflügel verbracht. Das musste sich schleunigst ändern.

"Die Mädchen sind alle hier, hab ich doch gesagt", ertönte eine Stimme, die zu 100% Remus gehörte.
Er und Peter stiegen die Tribüne nach oben und ließen sich neben uns nieder. Remus wirkte ausgelassen, entspannter als die letzten Wochen. Peters blonde Haare standen zu allen Seiten ab und waren rot und golden gefärbt. Er sah ziemlich albern aus, wirkte aber wohl sehr stolz, daher lächelte ich ihm nur zu und wandte mich dann an Remus. Ich wollte sein Selbstwertgefühl nicht zerstören, Peter war immer nett zu mir gewesen, abgesehen von den dummen Kommentaren, die er Sirius nachplapperte sooft er konnte.
"Seht ihr euch an, ob Marlene es ins Team schafft?", fragte Remus in die Runde.
Unsere Köpfe wandten sich schlagartig zu ihm. "Was heißt hier "ob"? Sie wird es schaffen."
Remus runzelte die Stirn. "Seid ihr sicher? Sirius meinte..."
"Was?!", platzte es aus mir heraus. Ich war wohl so laut geworden, dass Dorcas mir beruhigend eine Hand auf die Schulter legte, da sie uns selbst unten bei den Probespielern gehört hatten. "Was soll das heißen?" Ich senkte meine Stimme deutlich und durchbohrte Remus mit finsteren Blicken.
Schuldbewusst sah er auf seine Schuhe. Mir wurde schlecht. Marlene lebte dafür, Quidditch zu spielen, ihr großes Lebensziel war es, einmal eine erfolgreiche Spielerin in der Nationalmannschaft zu werden. Wenn es ihr schlecht ging, half es ihr immer, sich mit ihrem liebsten Sport zu beschäftigen. Sollte ihr das weggenommen werden, könnte sie das nicht so leicht verkraften. Sie war immer schon eine Frohnatur gewesen, eine lustige und aufgeschlossene Person, die zu allem und jedem freundlich war, sich in die falschen Kerle verliebte und dann darüber lachte, als wäre es das normalste der Welt. Ohne Marlene hätte Potter die letzten zwei Schuljahre nicht überlebt, da ich ihn sonst gevierteilt und danach geröstet hätte, weil mir seine selbstgefällige Art auf den Keks ging. Dank ihr, wurde ich zu einem besseren Menschen, konnte das ganze Severus-Drama lösen und... (was ich nie vor ihr zugegeben hätte) lernte von ihr, dass mein Kontrollzwang nicht immer die richtige Herangehensweise war.

"Nunja", schmatzte Peter glücklich, der den Ernst der Lage nicht so ganz begriff, "dieses Jahr wollen viel mehr Schüler Jäger werden. Krone ist schon einer, also sind nur noch zwei Plätze frei."
"Krone?", fragte Alice und hob eine Augenbraue.
"Ihr dummer Spitzname für James", erwiderte Mary, bevor ich überhaupt den Mund öffnen konnte.
Ich sah hinunter aufs Feld, Sirius hatte alle in Gruppen eingeteilt, ich nahm an, jede Gruppe repräsentierte eine Position im Spiel. Marlenes Blick huschte zu mir hoch, ich konnte die versteckte Panik in ihren Augen sehen, ich lächelte ihr zu, doch sie wandte sich ab und starrte ans andere Ende des Felds, wo die Umkleidekabinen waren.
James und Emmeline Vance kamen lachend aufs Feld gelaufen, er hatte einen Arm um ihre Schultern gelegt.
"Will sie auch Jägerin werden?" Ich deutete auf Emmeline.
"Ich glaube schon", antwortete Remus.
James stellte sich neben Sirius und "sein Anhang" lief zu Marlene und den anderen. Am liebsten hätte ich von der Tribüne gespuckt. Sie würde sich nicht Marlenes Posten stehlen, dafür würde ich sorgen.
"Sie war vor fünf Jahren schon im Team, das Jahr danach hat ihr beim Training ein Junge aus Slytherin so sehr zugesetzt, dass sie Angst hatte zu spielen. Malfoy war sein Name, Lucifer oder so", sagte Alice.
Ich hinterfragte überhaupt nicht, woher Alice das wusste, sie konnte alles herausfinden, wenn sie wollte.
"Das passt ja", murmelte Remus, "Lucifer wie der Teufel."
"Sein Name war aber Lucius", widersprach Mary plötzlich, ihr Blick lag noch immer auf Emmeline, während sie sich unsanft durch die Haare fuhr.
"Es ist egal wie er hieß, Hauptsache ist, dass sie jetzt wieder spielt und eine Konkurrentin für Marls ist", grummelte Dorcas.
Ich schnaubte verächtlich. "Niemand kann ihr das Wasser reichen, Marlene ist außer Gefahr."
Die anderen warfen sich zweifelnde Blicke zu. Das ganze wirkte surreal, völlig abstrakt, ich hätte mir nie vorstellen können, dass irgendwer sich einmal Sorgen um Marlenes Zukunft machen müsste. Sie würde eine weltberühmte Spielerin werden, bei den Holyhead Harpies beginnen und dann irgendwann für England spielen. Marlenes Zukunft, das hatte ich immer gewusst, war in trockenen Tüchern, doch jetzt... ohne einen Platz im Team würden ihre Chancen rapide sinken.
"Bei Merlins Bart, das ist doch völliger Eulendreck! Wenn es jemand verdient hat, im Team zu sein, dann Marlene und niemand sonst!"

Unten auf dem Feld bereitete Sirius alles für ein erstes Probespiel vor. An James' Seite würden Marlene und Martin Grofsky spielen. Martin kannte ich aus dem Slug-Club, er war ein begabter Jäger aus einer Familie berühmter Spieler, weswegen Prof. Slughorn großen Gefallen an ihm gefunden hatte.
Im anderen Team spielten als Jäger Emmeline, zwei andere Schüler aus dem vierten Jahr, die ich nicht kannte.
"Na, das wird lustig", murmelte Alice.
Mit starrem Blick fokussierte ich mich darauf, keine Bewegung auf dem Feld zu verpassen.
Marlene sah noch ein letztes Mal zu mir hoch und stieß sich dann mit beiden Füßen vom Boden ab. Die anderen taten es ihr nach, nur Sirius blieb am Boden, ließ zuerst den Schnatz frei, der mit einem Zauber belegt war, nach einer halben Stunde von alleine in die Kiste zurückzukehren, dann die Klatscher und warf dann den Quaffel in die Luft.
Er stieg auf seinen Besen und schrie: "Das Spiel beginnt!"

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Ich bin wieder da!
Jetzt immer Sonntags um 12:00 Uhr!

Ich wünsche euch weiterhin ganz viel Spaß mit diesem Buch!
Und vielen Dank, dass ihr weiterhin fleißig votet und kommentiert!

Noch einen schönen Sonntag!
Eure Isa

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