17. Auf leisen Sohlen

"Lily, da bist du ja!"
Marlene rannte auf mich zu, in der einen Hand hielt sie eine Tafel Schokolade, in der anderen ihren Zauberstab.
Vielleicht hatte sie Remus die Schokolade geklaut, dann brauchte sie ihren Zauberstab wirklich. Ohne Zauberei würde sie die nächsten fünf Minuten nicht überleben.
"Marls, was ist los?"
Sie setzte einen prüfenden Blick auf und scante mich von oben bis unten.
"Was hast du angestellt?", fragte sie, ohne mit der Wimper zu zucken.
War es so offensichtlich, dass ich etwas zu verbergen hatte?
"Komm mit", murrte ich leise und zog sie in eine Nische, hinter einem großen Wandteppich, der einen kleinen Zwerg mit giftgrünen Schuhen, einer roten Zipfelmütze und einer Kartoffelnase auf einem Thron darstellte.
Ich war so froh, dass Marlene mich so gut kannte, sie hatte mir angesehen, wie es mir ging. Wenn ich jemandem vertraute, dann ihr.
Ich zog das Stück Zeitungspapier zwischen den Seiten eines Buches hervor und reichte es ihr. Stumm nahm sie es entgegen. Ihr Blick ruhte auf dem Namen, während ihre Hände zu zittern begannen, ihr die Tränen in die Augen stiegen und sie sich gegen die kalte Mauer lehnen musste, um nicht umzukippen.
"Oh Merlin, Lily, was machen wir denn jetzt?"
Sie pfefferte den Schnipsel auf den Boden, trat zu, ließ einen wilden Schrei los. Ein Kloß von der größe einer Bowlingkugel breitete sich in meinem Hals aus, ich bekam keine Luft, wusste nicht, was zu tun war.
"Wir können ihr das nicht sagen", krächzte ich hervor. "Dumbledore muss das machen."
"A-aber wir sind ihre Freunde. Es ist unsere Pflicht ihr zu sagen, dass ihr..."
Marlene begann zu weinen, sie warf sich mir in die Arme und schluchzte.

Mit zitternden Knien, verheulten Gesichtern und dem schwersten Herzen, das ein Mensch haben kann, durchquerten wir den Gang und machten vor dem großen Wasserspeier, der Dumbledores Büro bewachte, Halt.
Meine Handflächen schwitzten fürchterlich und nur mit großer Anstrengung konnte ich mich davon abhalten, auf der Stelle kertzumachen, Reiß aus zu nehmen.
"Pfefferkobolde."
Der Wasserspeier krächzte und gab die kleine, steinerne Wendeltreppe frei, die nach oben führte.
"Du kennst das Passwort?", fragte Marlene überrascht.
"Der Vorteil einer Schulsprecherin."
Wir stiegen die Marmorstufen hinauf, mit jedem Schritt wurde mein Herz schwerer, die Luft wurde dünner und die Farbe wich mir aus dem Gesicht. Ich wollte nicht hier sein, doch Dumbledore war derjenige, der wusste, wie man schlimme Nachrichten überbringen musste. Er konnte einen beruhigen, so dass man weniger Angst verspürte und zudem würde er Marys Familie kontaktieren können.
Marlene klopfte an die Tür. Im selben Moment wurde diese jedoch aufgerissen und mir klappte der Mund auf.
James Potter und Remus Lupin standen in der Tür, zwischen sich hatten sie Mary, unsere Mary, genommen und jeder einen Arm um sie gelegt. Ihr Gesicht war aufgequollen, ihre Augen rot unterlaufen, die schönen Zöpfe ausgefranst. In ihren kleinen Händen hielt sie einen zerknitterten Brief, der Absender war ihre Mutter.
Marlene packte meinen Arm und bohrte ihre Fingernägel hinein, dass beinahe Blut hervorquoll.
"Was...?", stotterte sie und fuchtelte mit ihrer Hand unschlüssig vor den dreien her.
James sonst so strahlend rehbraunen Augen wirkten trüb und leer, sein Blick fand meinen und für diese eine Sekunde blieb die Welt kurz stehen. Dieser Blick sagte so viel aus, doch es war als würde er auf einer anderen Sprache kommunizieren. Einst hatte ich diese Sprache wunderbar beherrscht, doch nun... es war als hätte ich mein Wörterbuch verlegt, vergessen wie man spricht. Ich konnte ihn nicht verstehen. Diese tiefe Trauer, dass Marys Bruder gestorben war, dass Todesser ihn brutal ermordet hatten, dieses Gefühl füllte mich vollkommen aus und alles andere wurde in die hintersten Ecken meines Gehirns geschoben. Nichts war so wichtig.

Hinter Remus tauchte Dumbledore auf. Sein langes, weißes Haar und den Bart hatte er zusammen gebunden, die Halbmondbrille ruhte auf seiner Hakennase und seine strahlend grau-blauen Augen durchbohrten mich, als wüsste er, wieso Marlene und ich hier waren - naja er ist Dumbledore, mit Sicherheit wusste er es.
"Miss Evans, Miss McKinnon, kommen Sie doch bitte herein. Mr. Potter, Mr. Lupin, bringen Sie Miss McDonald in ihren Schlafsaal, sie hat die nächsten sieben Tage Schulfrei und darf heute Abend nach Hause."
Wir traten ein, während Remus Mary die Treppe hinunter führte, James bewegte sich nicht. Er stand da und starrte seine Füße an.
"Mr. Potter, kann ich noch etwas für Sie tun?" Dumbledores Stimme war voller Besorgnis.
James hob den Blick und musterte mich, sein Blick blieb an meinen Haaren hängen, zumindest sah es so aus.
Verwirrt blickte ich nach oben, doch hinter mir, in der Höhe meines Kopfes, hing ein Bild, ein Portrait was einen der früheren Schulleiter zeigte, Professor Dippet, den Vorgänger Dumbledores.
"Er war Schulleiter, als Sie-wissen-schon-wer hier zur Schule ging, nicht wahr, Professor?"
Unser Direktor folgte seinem Blick und nickte dann. "Ja, das ist richtig."
"Wieso wurde nichts unternommen? Viele sagen, dass er schon damals schlimme Dinge getan hat, warum hat man nichts unternommen?"
James' Stimme zitterte und ihm schossen Tränen in die Augen, seine Unterlippe bebte und verstohlen wischte er sich über das Gesicht.
Marlene trat einen Schritt auf ihn zu, doch er wich zurück, immer wieder schüttelte er den Kopf, als könnte er nicht glauben, wie dumm Dippet doch gewesen war.

Der alte Mann legte die Stirn in (noch mehr) Falten, mit Daumen und Zeigefinger fuhr er sich die Nase entlang und ließ sich wieder hinter seinem Schreibtisch nieder, wo er sich eins seiner Bonbons nahm.
"Nun, es ist so, niemand hätte damals ahnen können, was aus dem Schüler wird. Das war..."
"... nicht meine Schuld!", schrie eine dumpfe Stimme.
Vor Schreck sprangen Marlene und ich zur Seite, beinahe hätte ich James umgeworfen.
Das Portrait von Professor Dippet schien äußerst wütend über Potters Anschuldigung.
Die pure Wut war ihm ins Gesicht geschrieben und mit dem Finger deutete er auf ihn.
"Wer ist dieser dumme Junge, dass er mich beschuldigt, Albus?", röchelte Dippet.
Um Dumbledores Lippen spielte ein kleines Lächeln, doch anstatt zu antworten, nahm er sich ein weiteres Zitronenbonbon.
Dippet und James führten ein Augenwettstarren, während der Ex-Direktor Beleidigungen ausspuckte.
Ich fühlte mich fehl am Platz, wieso waren wir hierher gekommen? Sicher nicht, um Potter bei einem Wer-schafft-es-länger-nicht-zu-blinzeln-Wettstreit anzufeuern.
"Armando, würden Sie mir einen Gefallen erweisen?", fragte Dumbledore. Dippet unterbrach den stillen Kampf mit James und wandte sich an seinen Nachfolger.
"Was wollen Sie, Albus?"
"Würden Sie Minerva ausrichten, dass sie in mein Büro kommen möge?"
Mit einem Nicken verschwand der alte Greis und zurück blieb nur das leere Portrait.

James Blick wurde wieder trüb, er verlor das Feuer, das in seinen Augen brannte in Sekundenschnelle.
Marlene trat wieder auf ihn zu, er wich nicht zurück. Sie legte ihm eine Hand auf die Schulter und streichelte seinen Rücken.
Ein komisches Ziehen durchzog meinen Körper.
"James, was ist los?" Marlene biss sich auf die Lippe und strich sich ihr hellbraunes Haar zurück, welches im Kerzenschein des Zimmers rötlich schimmerte.
"Miss McKinnon, Mr. Potter braucht Ruhe und Erholung, lassen Sie ihn gehen."
Irritiert nahm meine beste Freundin Abstand, Dumbledore erhob sich und wies uns an, Platz zu nehmen.
James hatte schon einige Stufen hinter sich gebracht, mit der Hand hielt er die Tür offen und sagte: "Es waren meine Eltern, oder? Das Ehepaar, das Marys Bruder gefunden hatte, als es schon... zu spät war. Das waren doch meine Eltern?"
Scharf zog ich die Luft ein. Ich wusste, dass James' Eltern Auroren waren. Wenn seine Eltern, Marys Bruder gefunden hatten, wie furchtbar musste James sich fühlen?
"Ja, es waren Ihre Eltern, James."
Er nickte bitter und stolperte die letzten Stufen hinunter, die Tür flog zu, doch seinen Fluch hörte man dennoch. "Wenn Sie nur früher da gewesen wären!"
"Sie beide, Sie wussten von Miss MacDonalds Bruder?", fragte der Schulleiter. "Darf ich fragen, woher?"
"Der Tagesprophet", murmelte Marlene und ich übergab dem Professor das ramponierte Stück Papier.
Dumbledore nickte leicht, er fuhr sich mit der Hand über den Bart, rückte die Brille zurecht und verstaute den Zettel in einer Schublade seines Schreibtisches.
"Nun, ich kam noch nicht dazu, zu lesen, doch wenn die Zeitung diese Meldung veröffentlicht hat, wird diese Meldung wie ein Lauffeuer verbreitet werden. Ich muss für Schadensbegrenzung sorgen. Bitte, kümmern Sie sich um Ihre Freundin."
"Selbstverständlich, Professor Dumbledore."

Wir verließen sein Büro, Professor McGonagall kam uns entgegengestürmt. Sie warf uns ein verkniffenes Lächeln zu, wie um ihr Mitgefühl auszudrücken und stieg dann die Treppe nach oben.
Ohne zu sprechen, gingen Marlene und ich nebeneinander her. Besonders für Marls war das sehr untypisches Verhalten.
Wir mussten jetzt für Mary stark sein, sie brauchte uns jetzt.
Das Portrait der fetten Dame schwang beiseite und wir kletterten durch das kleine Loch.
Ich hatte mit allem gerechnet, mit allem. Mary die weinend am Kamin sitzt, Rotz und Wasser heult, sich nicht mehr einkriegt, die völlig fertig und aufgelöst ist.
Doch was sich uns bot, war viel schlimmer.

"Oh Merlin, Mary was tust du hier?!", rief Marlene bestürzt.

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Tut mir echt leid, dass gestern nichts kam! (Bei PercyundHarry- meine andere FF- kam auch nicht :o ; da wird es Sonntag wieder ganz normal weitergehen)
Ich brauchte einfach mal ein paar Tage Abstand :)

Schönen Donnerstag noch und bis hoffentlich Samstag! (Als kleine Wiedergutmachung)

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