07. DIE VERLORENE SCHWESTER

1984 | HAWKINS, INDIANA — Neun erwachte mit einem Ruck. Sie spürte Fahrtwind auf der Haut, und als sie die Augen öffnete, war sie umgeben von Finsternis. Sie lag auf dem Rücken, auf dem Rücksitz eines Autos. Und dann schloss sie gleich noch mal ihre Augen, aber diesmal etwas aus Erleichterung. Haben wir die Monster verjagt, fragte sie sich. Haben wir es geschafft? Aber hatten sie es tatsächlich geschafft? Neun erschauderte, als sie sich an den Angriff der Demohunde erinnerte. Wo war Steve? Wo waren die Kinder?

Neun wollte sich aufrichten, aber ein stechender Schmerz durchzuckte ihren Körper. Sie verdrängte ihn, stemmte sich hoch – und sah, dass das Auto leer war. „Hallo?" Rief sie, so gut sie konnte, doch niemand antwortete ihr in der Dunkelheit. „Steve?" Nach ihm zu rufen, war ihr erster Gedanke. Ihre Stimme hallte wie ein Echo. „Dustin?" hatten sie, sie zurückgelassen? Dann stieg sie aus dem Auto, hinaus ins nirgendwo. Der Boden unter ihr war mit einer dünnen Schicht aus Wasser bedeckt, doch weit und breit sah sie nichts als Finsternis. „Acht?" in ihrer Verzweiflung, schrie sie nach ihrer Schwester und rannte. Sie rannte und rannte, bis das Auto schon längst verschwunden war und sie eine Gestalt in der Ferne erblickte.

Ihr Tempo verlangsamte sich zaghaft, als sie ihr näher kam. Es war ein kleines Kind, ein Mädchen, aber sie schien ihre Präsenz nicht zu bemerken. „Hallo?" Rief das Mädchen mit kurzen braunen Haaren, bevor vier weitere Personen vor ihr erschienen, als würde ein Scheinwerfer sie bestrahlen. „Sie mal an. Wen haben wir denn da?" spottete der Kerl, mit einem roten Irokesen-Schnitt und lauter Piercings im Gesicht. „Was hat sie da an? Ist das'ne Latzhose." lachte die Person mit dem Afro. „Hier müssen keine Kühe gemolken werden, Kleine. Geh zurück zu deinem Bauernhof." rollte das Mädchen mit dem Regenbogenhaar ihre Augen.

„Ich suche nach meinen Schwestern." ihre Stimme war ganz klein. Schwester? Neun sah sie mit großen Augen an. War sie eine von ihnen? Ihre Erinnerungen waren so fürchterlich verschwommen. „Awww... Shirley Temple hat ihre Schwestern verloren. Wie traurig." spottete er weiter. „Ich hab sie gesehen. Hier." sagte das Mädchen, bevor sie in ihre Tasche griff. Aber man stoppte sie. „Hey, Hand aus der Tasche. Langsam!" befahl der schwarze Mann, mit Glatze und breiter Statur. Das Mädchen holte einen Zeitungsartikel aus ihrer Tasche hervor. „Gib her den Scheiss." fauchte Irokesen-Typ und riss den Zettel aus ihrer Hand, er las drüber und verstummte, bevor er es der Person mit dem Afro reichte. „Sind das Kali und Scar?" fragte sie ungläubig, als sie zwei kleine Mädchen auf den schwarzweißen Bildern erkannte.

„Wie hast du uns gefunden?" fragte er drohend. „Wer weiß, dass du hier bist?" er trat einen Schritt an sie heran. „Niemand." antwortete sie. „Also was dann? Poof! Tauchst du hier auf, wie durch Zauberei mit diesem Foto?" spottete er. „Hey, bleib ruhig. Sie ist noch ein Kind." belehrte Afro ihn und hielt ihn zurück. „Ein Kind das uns alle töten könnte." schrie er über seine Schulter, bevor er sein Taschenmesser zückte. Neun hob sofort ihre Hand, doch es war ihr unmöglich ihre Kräfte zu rufen. „Ich frag dich nochmal, Shirley. Sonst wirst du Dinge verlieren. Und ich fange an mit den niedlichen Löckchen da Oben, klar?" drohte er und hob das Messer auf ihre Augenhöhe. In Neun staute sich Wut an, aber gleichzeitig panikte sie, weil sie nicht wusste, wie sie ihr helfen konnte. „Komm schon Axe, pack das Messer weg." versuchte Afro ihn zurückzuhalten. „Wie hast du uns gefunden?!" schrie er lauter, das Messer war kurz davor, ihre Wange zu streifen. „Ich hab sie gesehen." sagte sie nur. „Axe!" rief sein Partner, aber im nächsten Moment griff er nach dem Mädchen, das Messer stets gefährlich nah an ihrem Gesicht.

Neun trat einen Schritt an sie heran, aber im nächsten Moment ließ er das Messer fallen und blickte mit Horror auf seine Hand, als ein Dutzend schwarzer Spinnen auf ihm herumkrabbelten. „Oh, mein Gott. Scheisse!" fluchte er kreischend und klopfte sich wie verrückt, alle Spinnen vom Leib, während er wild herumzappelte. „Du bist ein Miserabler Tänzer, Axel." hörten sie alle eine Stimme sagen, als er damit aufhörte sich die Spinnen vom Kopf zu klatschen. In der Finsternis erhellte eine gelbe Treppe, darauf stand ein Mädchen mit violetten Haaren, gebräunter Haut und auch sie trug ausgefallene Klamotten aus Leder, genau wie die anderen. „Halt dich gefälligst raus aus meinem Kopf!" schimpfte Axel, als sie die Treppe hinunterlief. „Drohen wir jetzt schon kleinen Mädchen, oder was?" höhnte sie, während Neun sie mit großen Augen ansah.

„Acht..." murmelte sie leise, aber auch sie hörte ihre eigene Zerbrechlichkeit in diesem Augenblick. Kali. Ihre Schwester hieß Kali, erinnerte sie sich.

„Sie weiß von dir. Von euch beiden. Und das hatte sie bei sich." schmatzte das Regenbogenhaar-Mädchen mit Kaugummi im Mund, bevor sie der Anführerin den Zeitungsausschnitt reichte. „Woher hast du das?" Fragte sie ruhig, nachdem sie es sich genau angesehen hatte. „Mama." antwortete das Mädchen. „Das hast du von deiner Mutter?" hakte sie nach. „In ihrem Traumzirkel." fügte das junge Mädchen hinzu, bevor Axel lachte. „Traumzirkel. Ich glaub, sie ist'n Schizo, oder sowas." spottete er. „Sie sagt sie sucht ihre Schwester." verteidigte Afro sie. „Ja, sag ich ja, Schizo, Mann." er beugte sich runter um sein Klappmesser aufzuheben, doch im nächsten Augenblick schwebte es blitzschnell, wie durch Zauberei in die Hand des Mädchens. „Scheisse." murmelte er geschockt und starrte sie ungläubig an. Alle starrten sie ungläubig an.

„Ich hab dich gesehen. Euch beide. Im Regenbogenraum." erklärte das Mädchen, als sie das Messer zusammenklappte und es der Anführerin reichte. „Wie heißt du?" fragte sie. „Jane." antwortete sie und die zwei starrten sich intensiv an. Neun stand daneben, aber niemand schien sie wahrzunehmen, egal was sie auch tat. Die Anführerin nahm vorsichtig Jane's linke Hand in ihre und zog ihren Ärmel hoch, um sich zu vergewissern, das sie die Wahrheit sagte – und dann sah sie die 011 auf ihrem Handgelenk, eingraviert mit schwarzer Tinte. „Elf." murmelte Neun, als sich ihre Augen mit Tränen füllten. Sie war am Leben. Und es ging ihr gut.

Dann tat Jane es ihr gleich und nahm die Hand der Anführerin, zog den Ärmel hoch und enthüllte das Tattoo mit der 008 darauf. Die zwei blickten sich an, als ein Gefühl der Erleichterung sie überkam. „Schwester." lächelte Jane mit Hoffnung in ihrer Stimme. „Schwester." nickte Acht und im nächsten Moment hielten sie sich im Arm, während Neun nur weinend dabei zuschauen konnte, als sie ihr eigenes Handgelenk umklammerte. Sie war glücklich für die beiden, aber gleichzeitig auch neidisch, weil sie von ihnen getrennt war. Sie wünschte sich so sehr, dass die zwei – ihre Schwestern – in ihre Richtung sahen und sie bemerkten, sie in  ihre Arme zogen und ihr sagten, dass alles nun vorbei war.

„Und diese ... Diese Erinnerung deiner Mutter. Ist das deine einzige Erinnerung an uns?" fragte Kali sie, als sie gemeinsam auf dem Dach saßen und über die Stadt, die Lichter von Chicago blickten. Und auch für Neun strahlten die Lichter in der Dunkelheit, aber sie sahen eher aus wie Sterne. „Ja." sagte Jane. „Wir erinnern uns leider auch nicht an vieles. Wobei ich ehrlich gesagt, eher froh darüber bin." Jane runzelte die Stirn. „Was ist mit anderen Schwester?" fragte sie besorgt. „Vor ein paar Tagen waren wir unterwegs. Die Polizei war hinter uns her und dann passierte alles so schnell. Wir haben überall nach ihr gesucht. Und eigentlich müsste sie wissen, wie sie uns wiederfindet. Aber ich- ... ich glaube ihr ist etwas zugestoßen, oder sie hat etwas schlimmes gesehen. Weißt du, sie hatte diese Träume. " Jane hob eine Braue. „Träume?" fragte sie verwirrt. „Ja, das ist Teil ihrer Gabe. Sie sieht Dinge, bevor sie passieren, aber sie sind eher wie Rätsel, verschlüsselt. Ich glaube sie hat von dir geträumt, Jane." meinte Kali. „Mir?" fragte Jane überrascht, als ihre Schwester ihr zunickte.

„Als Scar und ich, es aus dem Labor geschafft haben, verfolgten sie dennoch die Albträume. Sie hat von Monstern geträumt, von Portalen, manchmal aber auch von einem kleinen Mädchen. Ich glaube das Mädchen warst du gewesen, Jane." erklärte sie ihr, als sich Jane's Augen weiteten. „Wir dachten du wärst tot." Die Erinnerung an ihre toten Geschwister bohrte sich in Neun's Kopf, das viele Blut und die Hilfeschreie. Doch die jüngere Schwester schüttelte den Kopf und fing dann an ihr, ihre eigene Geschichte zu erzählen – Von ihren Freunden, die sie im Wald fanden, von Will der verschwunden war, bis hin zu Hopper, der sie versuchte im Wald zu beschützen. „Wie lange warst du bei diesem Polizisten?" fragte Kali ruhig. „327 Tage." Antwortete sie. „Und dieser Polizist denkt, er könnte eine Art Deal mit diesen Männern machen, um dich zu befreien?" Hakte Kali nach. „Ja. Er sagt, bald." erklärte Jane ihr. „Dann ist er naiv. Wir werden immer Monster für sie sein, verstehst du?" Jane nickte leicht. „Lass mich raten. Dein Polizist wollte mit Sicherheit verhindern, dass du deine Gabe nutzt." schon wieder nickte sie. „Was du kannst, ist unglaublich. Es macht dich zu was ganz besonderem, Jane."

„Warte." begann das Mädchen und runzelte die Stirn. „Hast du auch eine Gabe?" fragte sie. „Eine andere. Ich bringe Leute dazu, zu sehen, oder nicht zu sehen, was immer ich will." erklärte sie. „Hast du deswegen den Mann mit den verrückten Haaren tanzen lassen?" fragte Jane überrascht. „Axel ist nicht gerade ein Freund von Spinnen, also-" Jane sah sie erstaunt an. „Du hast ihn Spinnen sehen lassen?" sagte sie, bevor sich ihre Lippen zu einem Lächeln verzogen. Kali nickte ermutigend: „Aber es muss nichts Schreckliches sein." dann öffnete sie ihre rechte Faust und enthüllte einen Schmetterling, der langsam seine Farben wechselte, als er um Jane herumschwirrte. „Dieser Schmetterling ist nicht echt. Aber ich habe deinen Kopf davon überzeugt, dass es so ist. Betrachte es als ... so etwas wie Magie." Dann kreiste er sogar ein paar mal um Neun – um Scarlett – aber keiner bemerkte sie.

Er flog zurück auf Kali's Handfläche, wo sie ihn wieder in ihrer Faust verschwinden ließ. Jane zog ein verblüfftes Gesicht: „Bist du echt?" fragte sie, nur um sich zu vergewissern, dass sie tatsächlich hier bei ihr war – bei ihrer Schwester. „Ja, ich bin echt." lächelte Kali, bevor Jane ihr im nächsten Moment ihre Wange mit ihrem Finger pikste. Die zwei lachten, weil sie sich endlich gefunden hatten.

„Was ist los?" fragte Jane, als sie auf Neun's altem Bett saß und ihre Schwester ihr eine warme kuschelige Decke reichte. „Nichts ist los. Ich fühl mich nur ... ganz ... anders. Scar hat immer davon erzählt, dass sie sich an eine Sache aus dem Regenbogenraum ganz genau erinnert." Elf und Neun hörten ihr genau zu. „Wir saßen oft zu dritt an einem Tisch und haben zusammen Türme aus Bauklötzen gebaut, gemalt oder Memory gespielt." Sie versuchte die alten Erinnerungen zurückzurufen. „Sie meinte, es fühlt sich so an-"

„Als würde ein Puzzleteil fehlen." sprachen die zwei gleichzeitig, beide mit wässrigen Augen. „Und jetzt bist du da. Ergibt das einen Sinn?" fragte Kali in dem Sessel gegenüber von Jane, als sie ihr zustimmte. All die Jahre dachten die zwei, sie wären alleine, dabei war eine andere Hälfte von ihnen nur verloren gegangen. „Ich glaube es hat einen Grund, dass du zu mir gefunden hast, kurz nachdem Scar verschwunden ist. Ich glaube, wir gehören einfach alle zusammen. Ich glaube, hier ist dein Zuhause, Jane. Bei uns." Neun konnte ihr nur zustimmen. „Zuhause." Lächelte Jane warm und fand großen gefallen an diesem Gedanken, hier mit ihren Schwestern zu leben, mit ihren Schwestern, die ganz genau wussten, wie sie sich fühlte. „Ja. Zuhause." nickte Kali Tränen gerührt, als sie die Hand ihrer Schwester festhielt.

Dann irgendwann, als Jane sich hinlegte, bat sie Kali sich neben sie zu legen, weil sie nicht einschlafen konnte. „Wie ist Scar so?" Neun bewegte den Kopf in ihre Richtung, als sie ihren Namen hörte und dann nahm sie auf dem Bettende Platz. „Scarlett ist ein paar Jahre jünger, als ich. Sie ist sehr ruhig, aber tatsächlich ziemlich rebellisch. Und noch dazu ist sie ein großer Dickkopf." lachte Kali und steckte die anderen Schwestern gleich mit an. „Aber sie ist auch sehr loyal und mutig. Die mutigste Person, die ich kenne. Sie lässt sich von niemandem auf der Nase rumtanzen und sie ist insgeheim sehr mitfühlend." Ein Lächeln erschien auf Neun's Gesicht, als ihre Schwester sie mutig nannte. Die ganze Zeit über hatte sie sich verloren gefühlt, wie ein Feigling. Aber Kali war anscheinend anderer Meinung. „Wie funktioniert ihre Gabe?" fragte Jane neugierig. Und auch Neun musste genau hinhören, wenn sie ihre Erinnerungen zurückhaben wollte. „Diese Träume, die sie hat, sind wie Visionen, Bilder. Sie sieht Dinge, bevor sie passieren. Sie besitzt Gaben, die sonst niemand hat. Sie kann Energie manipulieren und sie wie rotes Feuer, um ihre Hände wickeln." erklärte sie, als Jane ihren Kopf nach rechts drehte. „Wirklich?" fragte sie erstaunt, als Kali nickte.

Neun starrte skeptisch auf die Hände, die in ihrem Schoß lagen, bevor sie zu ihnen zurück schaute. „Ich kann dir zeigen, wie es ungefähr aussieht." die älteste Schwester hob ihre linke Hand, als im nächsten Moment der rote Schimmer, um ihre Finger tanzte. Jane war so begeistert, dass sie es sogar berühren musste. „Aber das ist noch nicht alles, wenn Scarlett sich genug konzentriert-" begann Kali, als im nächsten Moment ein kleiner roter Spatz aus dem Rauch hervorstieß und in der Luft herumflog. „Sie ist wie du?" fragte Jane verblüfft. „Nicht ganz. Ich erschaffe Illusionen. Scar kann diese Bilder lebendig machen. Und deswegen hatten die anderen im Labor, so große Angst vor ihr. Ihre Gabe ist Chaos – gefährlich und zerstörerisch. Aber nur so haben wir es geschafft zu fliehen." Neun konnte das alles nicht glauben, nicht verstehen. Wieso passierte das alles? Und warum war sie von ihnen getrennt?

Neun fühlte sich wie ein Geist. Niemand konnte sie sehen oder hören, aber sie war anwesend. Zumindest glaubte sie das, wenn das ein Traum war, dann war es ein verdammt realer. „Ich kann sie finden." sprach Jane leise, kurz bevor ihre Augen beinah zufielen. „Ich habe dich gefunden. Sie finde ich auch." nickte Jane fest. „Wir gehören zusammen."

AUTHORS NOTE! — Juhuuu Kapitel 7! Leider nicht so viel Steve Content, aber im Nächsten wieder. Ich weiß, dass Kapitel ist eher etwas langweilig, aber es ist auch wichtig, besonders für Neun, die jetzt wenigstens weiß, dass ihre Schwestern leben und sich auf die Suche nach ihr machen. Aber ich denke ich werde auf jeden Fall noch ein Kapitel posten, wie die beiden es aus dem Labor geschafft haben. ABER ich will die Timeline etwas ändern, also quasi das Acht und Neun es am gleichen Tag, wie Elfi ausgebrochen sind. Weil Vecna Drama witzig ist.

FRAGE: Mögt ihr Kali/Acht ?
ANTWORT: Ngl ich liebe Kali! Ich verstehe nicht warum voll viele sie nicht leiden können. Sie ist ein badass!

— Love you all, Janine💕

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