01. DAS MÄDCHEN IM WALD
1984 | HAWKINS, INDIANA — Überall war Blut. Wände und Böden, beschmiert mit dreckiger roter Farbe. Flackernde Lampen an den Decken und blutige Handabdrücke. Ihre Geschwister allesamt tot, mit gebrochenen Knochen und Augenhöhlen, so schwarz wie Löcher. Es war das einzige an das sie sich noch erinnern konnte. Sie wusste nicht einmal mehr, wie ihr Name war, noch warum sie in diesem völlig fremden und schaurigen Wald aufwachte. Alles tat weh, besonders ihr Kopf schmerzte und auf ihrer Oberlippe klebte Blut, welches aus ihrer Nase heruntergetropft war. Mit all ihrer verbleibenden Kraft stemmte sie sich vom Laubverzierten Boden hoch, doch schnell erkannte sie, dass es es ihr schwerfiel auf ihren zwei Beinen zu stehen und sie lehnte sich erschöpft gegen eine der Bäume für mehr halt.
Einatmen, ausatmen und wiederholen. Sie konnte nicht hier bleiben. Ein neuer Versuch, diesmal durfte sie nicht versagen. Ihre Hände zogen die dunkelrote Lederjacke enger, die Kälte ließ sie frösteln. Schwester. Wo ist meine Schwester? Es war die erste Sache, an die sie sich wieder erinnern konnte. Ein Mädchen mit lila-schwarzen Haaren, bräunlicher Haut und dunklen Ringen unter ihren braunen Augen. Ihr erster Instinkt war es nach dieser Schwester zu suchen. Also lief sie im Wald umher, in der Hoffnung einen Ausgang zu finden. Vor allem aber hoffte sie, dass sie irgendwo in die Arme ihrer Schwester rannte. Sie lief und lief, die Dornen und Äste kratzten an ihren Beinen und Armen. Aber sie ignorierte es einfach, weil ihr Kopf in diesem Moment viel mehr wehtat.
Sie konnte die Schreie noch immer in ihrem Kopf hören, wenn durchs Dunkeln lief, genauso wie die lauten Schüsse. Das Labor war ein Höllenloch. Die besonderen Kinder wuchsen alle dort auf, unter den wachsamen Augen der Wissenschaftlern, den Monstern in weißen Kitteln. Wie Laborratten verbrachten sie ihre Kindheit, in einem Käfig und hinter einer Glaswand. „Ein wahrer Fortschritt!" hatten sie immer über sie gesagt. „Bemerkenswerte Fähigkeiten." doch sie würden niemals genug haben. Sie wollten sehen, wieviel Potential tatsächlich in ihr steckte. Wie viel Macht steckte in ihr? Wie viel Schrecken? Und so brachten die gierigen Wissenschaftler, sie immer und immer mehr an ihre Grenzen. Sie wurde jedes Mal mehr von ihrer Macht konsumiert, die scharlachrote Energie, wickelten sich wie rotes Feuer um ihre Finger. Die dunkelroten Ranken, gehorchten ihr durch reine Gedankenkraft. Und es kostete sie immer mehr Kraft, es hatte gerade noch für ihre Flucht gereicht.
Irgendwann wurde eine Art Lücke hinter Bäumen sichtbar. Endlich hatte sie ein Weg hinaus aus diesem Labyrinth gefunden. Die Bäume wurden weniger, die kleinen Kieselsteine knirschten unter ihren Stiefeln und irgendwann befand sie sich auf hartem Asphalt. Auf einmal hörte sie jedoch plötzlich, das laute Rumpeln eines Motors und ein heller Lichtblitz blendete sie, als ein Auto um die Straßenurve fuhr. Es ging alles so schnell, ihr Blick richtete sich mit Entschlossenheit auf das Fahrzeug und sie hob ihre Hand. Feiner roter Nebel wickelte sich um die Räder, und dann kam es nur wenige Meter von ihr entfernt zum Stillstand, mit einem abruptem Laut. Blut rieselte aus ihrer Nase und ihre Sicht verschwamm, als sie ihre Hand fallenließ und dann vor Erschöpfung auf den Boden stürzte.
Sie sollte aufstehen und rennen, aber sie war zu schwach. Die Autotüren knallten zu, die Schritte kamen näher, sie klangen panisch und zischten sich gegenseitig an. „Hey, hey, hey alles in Ordwoaaaaahhh-" sobald die Stimme auch nur weiterreden konnte, stieß sie ein erstickten Laut von sich und hob ihre Hand. Das rot warf die Person von ihr weg, bevor sie in den Wald zurückfloh. Das Blut wischte sie weg, ihre Beine trugen sie so gut sie konnten. Sie versteckte sich hinter einem großen Baum, ihre Angst war viel größer als gedacht. Was wenn es die Menschen aus dem Labor waren? Sie machte keinen Mucks, aber die Schritte verfolgten sie dennoch, auch ihre Taschenlampen verrieten sie. „Ich sag's dir, sie hatte Blut unter ihrer Nase. Genau wie bei Elfi." Hörte sie eine kindliche Stimme sagen. Elfi? Elf. Ihr Atmung stoppte abrupt, ein Zweig brach unter ihrer Hand.
Die Schritte kamen näher. „Hey, wir wollen dir nichts tun." hörte sie, die andere Person irgendwo hinter ihr rufen. Die Stimme war ruhig, geduldig. „Ehrlich, wir tun dir nichts. Geht es dir gut?" sie blieben nur wie angewurzelt stehen, gingen nicht weiter, um sie nicht noch mehr zu verängstigen. Sie schüttelte leise ihren Kopf, als eine heiße Träne ihre Wangen hinunter lief. Nichts war in Ordnung. Aus ihrem Augenwinkel konnte sie einen Umriss erkennen und sie hob bereits instinktiv ihre Hand. „Weg von mir!" drohte sie, mit einem gewissen Maß an Wut in ihrer Stimme. „Du bist Elfi's Schwester." es klang mehr wie eine Frage, als eine Aussage. Schwester, das Wort kreiste in ihrem Kopf herum. Elf, blitzte in ihren Gedanken auf. „Wir sind Freunde von Elfi." Freunde?
Er traute sich ein wenig näher. „Schwester." wiederholte sie. Sie musste ihre Schwester finden. Sie drehte ihren Kopf misstrauisch in seine Richtung, nur um einen Jungen in ihrem Alter zu sehen, braune Haare und eine graue Jacke und hinter ihm stand ein kleiner Junge mit Löckchen und bunter Kappe. „Wir wollen dir nur helfen." sie nahm die Hand herunter. Aber er stand plötzlich vor ihr und hielt seine Hand für sie aus. Er schien keine Angst zu haben. „Helfen." murmelte sie vor sich hin, als beide ihr zunickten. „Bleibst du hier, finden sie dich." Es war still, denn sie überlegte. Konnte sie wirklich diesen Fremden glauben schenken? Diesen angeblichen Freunden von Elf?
Sie wischte sich eine Träne vom Gesicht und versuchte aufzustehen, doch sie klammerte sich an den Baum, versteckte sich noch immer schützend dahinter. „Geht ihr gut?" fragte sie leise, die Sorge um ihre Schwester war in diesem Moment, ihr erster Gedanke. „Wir- ... wir wissen nicht mehr, wo sie ist." ihr Fingernägel bohrten sich in die braune Rinde. „Schwester weg?" murmelte sie vor sich hin, aber niemand sprach zurück, denn in Wahrheit konnten sie ihr keine genaue Antwort geben. Ein Geraschel in einem Gebüsch ließ sie zusammenschrecken. „Komm mit uns. Wir wollen dir helfen." so schrecklich schienen sie nicht. Sie trugen keine weiße Kleidung und sie schienen genauso verängstigt, wie sie. Also machte das Mädchen einen Schritt auf sie zu und dann noch einen, bis sie ihnen schließlich gegenüberstand.
Sie nickte und dann tauschten die zwei sich zustimmende Blicke aus. Der kleinere junge traute sich nicht an sie heran, aber der ältere ging auf sie zu und reichte ihr eine Hand. „Lass mich dir helfen, du kannst nicht laufen." sagte er ruhig. Und wenn er etwas versuchen würde, würde sie nicht zögern ihre Hand zu heben. Sie hielt sich an ihm fest und ließ sich helfen, aber schaute ihn stets behutsam an. Auf dem Weg zurück zu dem Auto, sagte kaum jemand etwas. „Kannst du uns deinen Namen verraten?" hörte sie den kleinen Jungen sagen. Sie war wie eingefroren, ihr eigener Name blieb immer noch Vergessenheit. „Hast du auch dieses Tattoo auf dem Handgelenk?" sie schob den linken Ärmel ihrer dunkelroten Lederjacke ein wenig herunter, darauf eine Nummer mit schwarzer Tinte hineingraviert – 009. „Ich." sagte sie nur.
„Neun? Dein Name ist Neun?" sie nickte erneut. „Labor. Böse Menschen. Weggelaufen. Muss verstecken." antwortete sie schließlich, als sie sie wissend ansahen, verständnisvoll. „Du bist jetzt in Sicherheit." versicherte der Junge, der sie festhielt, bevor er sie ein wenig anlächelte. Sie standen am Waldrand. „Ich bin Steve." stellte er sich vor und streckte ihr seine Hand aus, woraufhin sie ihn schief anguckte. Doch sein Lächeln wurde minimal größer und dann nahm sie einfach seine Hand, bevor er sie langsam schüttelte. Neun sah ihn nur noch verwirrt an. „Das ist ein Handschlag." Erklärte er und stieß etwas aus, dass einem Lachen ähnelte. „Das macht man wenn man neue Leute kennenlernt." sie tat es ihm einfach gleich und kopierte seine Bewegung. „Handschlag." wiederholte sie seine Worte.
„Und das ist Dustin." er zeigte auf den Jungen neben sich und er grinste unbeholfen mit einem Winken. „Dustin, Freund?" fragte sie Steve, als er kurz zu ihm herüberblickte. Freund ist vielleicht zu viel gesagt. Kind das mit dem kleinen Bruder, seiner Ex-Freundin befreundet ist und warum auch immer ihn aufgesucht hatte. „Ja, er ist ein Freund." nickte er einfach, als Dustin heimlich vor sich hin lächelte, weil er ihn gerade als einen Freund bezeichnet hatte.
Steve öffnete die Beifahrertür für Neun und bedeutete ihr einzusteigen. „Labor?" fragte sie, immer noch voller Angst. Und Steve's Herz sank sofort, als er ihre wässrigen Augen sah. „Nein. Zu mir nach Hause. Es ist sicher. Sie finden dich nicht. Keine Angst." sie starrte ihn die ganze Zeit an und er sah ernst aus, aufrichtig. Also setzte sie sich hinein, als der kleine Junge das gleiche tat und Steve vorsichtig die Tür schloss, trotzdem zuckte sie bei dem dumpfen Geräusch zusammen. Er stieg ebenfalls ein, der Motor sprang an und plötzlich fuhren sie fort. „Rotes Auto." murmelte sie müde und leise vor sich hin, so leise, dass die zwei sie nicht einmal richtig gehört hatten. Ein dunkelrotes Auto im Wald, in der Dunkelheit. Es war wie eine Art Déjà-vu. Sie hatte es in ihren Träumen gesehen. Und stand es hier vor ihr. Nur ihre Schwester fehlte...
AUTHORS NOTE! — YAYYY!!! Das war das erste Kapitel! Wie findet ihr es soweit? Ich würde mich herzlich über Feedback freuen, kleine Sternchen und liebe Kommis😇 es hilft einfach echt weiter, um motiviert zu bleiben und mich zu vergewissern, dass ich keinen totalen Müll schreibe hahahah. Und außerdem war ich bis halb 4 wach, um dieses Kapitel fertigzustellen xD
Frage: Wie wollen wir Neun nennen?
Nina, Nena, Nini? (Oder einen anderen Namen?)
Schreibt gerne mal in die Kommis, damit ihr Teil der Entscheidung sein könnt. 😇💗
— Love you all, Janine💕
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