𝐆𝐥𝐨𝐫𝐢𝐨𝐮𝐬 𝐏𝐮𝐫𝐩𝐨𝐬𝐞

Mein Kopf fühlte sich schwummrig an. Ich blickte mich verwirrt um. Was bei allen Neun Welten tat ich hier?
Benommen erhob ich mich und versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen. Normalerweise sollte mir so etwas leicht fallen, hatte ich doch meine Kindheit mit Lesen statt Kämpfen verbracht, doch heute war da eine seltsame Leere in meinem Kopf.
Ich versuchte krampfhaft, mich an den Grund für mein hiesiges Erscheinen zu erinnern, jedoch schien mein göttliches Gehirn auf die Größe des Gehirns eines dieser erbärmlichen sterblichen Midgardianer geschrumpft zu sein.
Da ertönte aus der Dunkelheit eine Stimme: "Sir, bitte legen Sie den Speer weg!" Für einen Moment verwirrte mich diese Aussage, bis ich einigermaßen erstaunt Notiz von dem obskuren Zepter in meinen Händen nahm.

Was zur Hel trieb ich hier?
Noch während ich darüber nachsann, hob ich wie ferngesteuert meine Hand und feuerte mit besagtem Stab Energiestöße auf die umstehenden Sterblichen ab, die doch tatsächlich angenommen hatten, gegen einen Gott wie mich mit simplen Schusswaffen aus ihren midgardianischen Schmieden bestehen zu können.
Der Kampf, wenn man dieses kurze Intermezzo so bezeichnen mochte, war schnell für mich entschieden.
Einer meiner Opponenten, der durchaus elegant mit Pfeil und Bogen zu schießen vermochte, erwies sich jedoch als besonders hartnäckig und richtete sich wieder auf. Ich machte ungewollt einen Schritt auf ihn zu. Was tat ich? Der Mann zückte seine Waffe! Warum suchte ich nicht das Weite?
Worte kamen auf einmal aus meinem Mund, ohne dass ich es beeinflussen konnte. "Du hast ein tapferes Herz", sprach ich und tippte dem Schützen auf die Brust. Seine Augen leuchteten blau auf und er steckte seine Waffen weg. Ich runzelte die Stirn. Noch nie zuvor hatte ich mein eigenes Handeln selbst nicht verstanden.

Ich beobachtete den Mann mit der Augenklappe dabei, wie er einen wohlbekannten blauen Würfel in einen Koffer packen wollte. Ich hörte mich selbst sagen: "Bitte nicht. Das brauche ich noch." Dieser Satz war vielleicht der erste, den ich einigermaßen nachvollziehen konnte. Der Tesserakt hatte schon immer eine besondere Anziehungskraft auf mich ausgeübt.
Der Mann, der mich aufgrund seines fehlenden Auges unbewusst an Odin erinnerte, erwiderte nun: "Das hier muss nicht noch schlimmer werden."
Daraufhin entgegnete ich tonlos: "Natürlich muss es das. Für weniger komm ich von zu weit her."
Warum war ich denn überhaupt hergekommen?

"Ich bin Loki von Asgard und ein glorreiches Ansinnen ist meine Bürde."
So? Welch glorreiches Ansinnen hatte mich wohl hierhergeführt? Mich, den Gott des Chaos?

Ein Mann, welchen ich als Dr. Erik Selvig identifizieren konnte, schien erfreut: "Bruder von Thor!"
Angewidert verzog ich die Nase. Natürlich. Alle interessierten sich nur für den wunderbaren Thor! Doch bevor ich mich weiter in Gedanken echauffieren konnte, wandte der Mann mit der Augenklappe sich mir zu: "Wir haben keinen Disput mit Eurem Volk."
Der Mann hatte nicht unrecht. Was ging mich Midgard an? Ich wollte schon sagen, dass ich mich wohl an der Hausnummer geirrt hatte - oder was auch immer Sterbliche sagten, wenn sie sich verziehen wollten - doch da kamen schon wieder fremdartige Worte aus meinem Mund: "Es kann keinen Streit zwischen Ameise und Stiefel geben." Jetzt drehte ich wohl vollkommen durch. Wobei es in gewisser Weise nicht zu leugnen war, dass meine Existenz von einer höheren Natur war.
Der einäugige Sterbliche schien trotzdem nicht beeindruckt.
"Hast du denn vor, uns zu zertrampeln?", fragte er ungeniert.
War das mein glorreiches Ansinnen?
Mir gefiel nicht so ganz, in welche Richtung sich dieses Gespräch bewegte.
"Ich komme mit froher Kunde, von einer Welt, die frei ist."
Oh, Freiheit. Ein dehnbares Wort. Was für eine Kunde wollte ich denn nach Midgard bringen?
"Frei wovon?"
Der Mann hatte allem Anschein nach die selben Fragen.
"Von der Freiheit. Freiheit ist die große Lüge des Lebens, und tragt ihr erst diese Wahrheit in euren Herzen, erkennt ihr, was Frieden ist."

Nach diesen Worten tippte ich Selvig mit dem Zepter an. Es geschah das gleiche wie zuvor mit dem Bogenschützen. Der Mann wurde mir Untertan, wie eine Marionette.
Für den Bruchteil einer Sekunde verzog sich der trübe Schleier um mein Gedächtnis und eine Erkenntnis traf mich wie der Blitz.
Freiheit.
Ich war nicht aus freien Stücken hier.
Auch ich war nur eine Marionette in einem höheren Spiel.
Und das gefiel mir ganz und gar nicht.
Doch schon war der kurze Augenblick der Freiheit wieder verflogen und ausdruckslos hörte ich an, was der dunkelhäutige Sterbliche zu sagen hatte.
"Ja, du sagst Frieden. Ich hab nur das Gefühl, du meinst das Gegenteil."
Das Gefühl hatte ich auch.

Raus... Aus... Meinem... Kopf...!!!!!
Ich verzog mein Gesicht vor Schmerzen, während ich versuchte, den Bann zu brechen.
Meine Augen brannten.
Ich war mir sicher, dass sie gerade von dem gleichen blau waren wie die von Selvig und dem unterworfenen Schützen. Jener meldete sich nun zu Wort: "Sir, Director Fury spielt auf Zeit. Es wird gleich ein 30 Meter hoher Fels auf uns herunterstürzen. Er will uns begraben."
Der Mann namens Fury leugnete dies nicht. "Wie die alten Pharaonen", sagte er beinahe grinsend.
"Er hat Recht. Das Portal stürzt in sich zusammen. Uns bleiben vielleicht noch zwei Minuten, bis es kritisch wird", fügte Selvig an.
Doch all das hätte für mich gerade nicht weniger von Bedeutung sein können. Ich wollte nur diesen Parasiten loswerden, der glaubte, einen Gott wie mich beherrschen zu können; der Freiheit mit Unterdrückung verwechselte.
Thanos.
Für eine Sekunde hatte ich den Bann gebrochen. Natürlich. Wer außer diesem Titan sollte zu so etwas fähig sein?
Raus... Aus... Meinem... Kopf!!! Ich bin ein Gott, wofür hältst du dich eigentlich?

Für den Retter der Menschheit.

Ich erstarrte. Jetzt antwortete er mir auch noch.

Vergiss nicht, Ase, wir haben einen Handel vereinbart.

Einen Handel mit Thanos? In was für eine Situation hatte ich mich da nur hineingeritten...

Du bringst mir den Tesserakt und bekommst dafür die Herrschaft über die Erdbewohner.

Seit wann wollte ich über diese minderen Wesen herrschen? Das war absurd.
Ich hatte einen starken Geist. Auf Dauer würde ich der Gedankenkontrolle widerstehen können. Ich empfand keinen Gefallen daran, mich von diesem Titan herumkommandieren zu lassen, doch ich war vieles, aber nicht dumm. Es würde ernsthafte Konsequenzen haben, wenn ich mich offen gegen Thanos auflehnte.
Vielleicht musste ich einen Weg finden, im Verborgenen gegen ihn zu arbeiten. Ich konnte weiterhin zur Tarnung seine Marionette spielen, und dennoch ein ganz anderes Ziel verfolgen. Es musste einen Weg geben, die Menschheit vor ihm zu warnen, ohne dass ich dabei meine eigene Existenz gefährdete.

"Nun, denn."
Ich gab dem Bogenschützen in Gedanken Anweisung, Fury niederzuschießen.
Dann packte jener den Koffer mit dem Tesserakt und wir flohen.

"KNIET NIEDER!!!"
Die Sterblichen kauerten sich ängstlich auf den Boden.
Ehehhee. Das würde ich Thor auf ewig unter die Nase reiben.
Langsam machte es mir wirklich Spaß, diese Rolle zu spielen. Wenn ich nach Asgard zurückkehrte, sollte ich unbedingt über eine Laufbahn als Schauspieler nachdenken. Als Gott der Täuschungen hatte ich beste Voraussetzungen dafür. Und vielleicht würde dies bei Odin Gefallen finden.

"Ist es so nicht einfacher? Ist dies nicht eure natürliche Haltung? Es ist die unausgesprochene Wahrheit, dass es die Menschheit nach Unterwerfung verlangt. Die blendende Verlockung der Freiheit mindert eure Lebensfreude und bringt Gezänk um Macht und Identität. Eure Bestimmung ist es, beherrscht zu werden.
Am Ende werdet ihr immer niederknien!"
Ich war stolz auf meine Rede.
Ein älterer Herr schien jedoch nicht so überzeugt. Er erhob sich langsam wieder und meinte ruhig: "Nicht vor Menschen wie dir."
Ich wusste nicht, ob ich das als amüsant oder beleidigend empfinden sollte. Ich war ein Gott, verstanden diese erbärmlichen Sterblichen auch gar nichts?!
"Es gibt keinen Menschen wie mich."
Der Mann blieb hartnäckig: "Es gibt immer wieder Menschen wie dich."
Ich musste eindeutig härter durchgreifen. Ein Bösewicht musste glaubwürdig handeln.

"Seht euch diesen Mann an. Er soll euch als Exempel dienen."
Ich erhob mein Zepter und richtete es auf den Greis. Doch bevor ich mein Exempel statuieren konnte, stellte sich mir ein Mann in einem viel zu engen blau-weiß-roten Anzug mit seinem Schild entgegen, um den Alten zu beschützen.

"Weißt du, ich hatte hier schon mal Unstimmigkeiten. Mit einem Kerl, der meinte, sich über alle stellen und herrschen zu können", sprach er zu mir.
Jetzt war meine Chance. Ich musste den wunden Punkt des Mannes treffen, um seine Wut zu wecken.
In einer anderen Situation hätte ich vielleicht seinen Anzug verspottet, doch zu diesem Zeitpunkt erschien mir das fehl am Platz.
"Der Soldat. Der Mann aus einer anderen Zeit."
"Ich bin nicht der, der unzeitgemäß ist."

Auf das, was im Folgenden geschah, möchte ich nicht so präzise eingehen, da es nicht gerade ruhmreich für mein göttliches Ego war. Doch ich schien es nach und nach zu schaffen, dass mein Bruderherz nicht mehr der einzige war, der unglaublich wütend auf mich war.

Nach einigen ereignisreichen Stunden, ich befand mich gerade auf dem Stark Tower, traf ich auf dessen Namensgeber.
"Bitte sag mir, dass du jetzt an meine Menschlichkeit appellierst."
Ich hätte mir am liebsten selbst einen Orden für meinen göttlichen Sarkasmus verliehen.
Stark schien dafür wenig übrig zu haben.
"Eigentlich hatte ich vor, dir zu drohen."
Gut so. Ich hatte gewusst, dass mein Plan aufgehen würde.

Innerlich pries ich meine eigene Genialität. Nach außen mimte ich extra für Stark trotzdem weiterhin den Schurken.
"Dann hättest du deine Rüstung anbehalten sollen."
"Ja... Die ist schon ganz schön verbeult und du hast noch den Leuchtstab des Schicksals. Willst du einen Drink?"
"Es ändert nichts, wenn du mich hinhältst."
"Nein, nein, ich drohe dir! Kein Drink, ganz sicher? Ich nehme einen."

Ich wandte mich ab und blickte aus der Fensterfront.
Nachdenklich begann ich:
"Die Chitauri kommen. Nichts kann daran etwas ändern. Was sollte ich fürchten?"

"Die Avengers."
Stark schenkte sich an seiner Bar eine bräunliche Flüssigkeit in ein Glas.
Als ich einigermaßen verwirrt reagierte, erklärte er fast gelangweilt:
"So nennen wir uns. Ist so ne Art Team, die ruhmreichsten Helden der Welt, so in der Art."

Ich lächelte überheblich. "Ja, denen bin ich begegnet."

Stark ließ nicht locker:
"Ich geb zu, wir mussten uns erst aneinander gewöhnen, aber... Zählen wir doch kurz durch.

Dein Bruder, der Halbgott; ein Supersoldat, lebende Legende, die der Legende sogar gerecht wird; ein Mann mit atemberaubenden Aggressionsbewältigungsmethoden; zwei meisterhafte Killer, und du, mein Freund, hast es hingekriegt, dass jeder von denen sauer auf dich ist."

"Das war der Plan."

Ich hatte es geschafft, dass diese ungleichen Kreaturen ihre Zwistigkeiten beiseite legten, weil sie nun einen gemeinsamen Feind hatten. Die Avengers hatten sich endlich formiert. Meinetwegen.

"Kein guter Plan. Wenn sie kommen, und das werden sie, dann deinetwegen", meinte Stark.

"Ich habe eine Armee."
Thanos hatte eine Armee. Nicht ich. Doch das war jetzt egal.

"Wir haben einen Hulk."

Die Einstellung gefiel mir.
"Oh, ich dachte die Bestie wäre verschwunden?"

"Du übersiehst das Wesentliche. Es gibt keinen Thron, keine Version dieser Geschichte, in der du als Sieger hervorgehen würdest. Vielleicht kommt eine Armee, vielleicht ist das zu viel für uns, aber das geht alles auf deinen Deckel. Denn wenn wir die Welt nicht schützen können, werden wir sie auf jeden Fall rächen."

Ich lächelte triumphierend.
Ich wusste, dass ich gegen die Avengers verlieren würde, doch das spielte überhaupt keine Rolle.
Zum ersten Mal in meinem Leben hatte ich das Gefühl, etwas Gutes vollbracht zu haben.
Ich hatte mein wahrhaft glorreiches Ansinnen zu Ende gebracht.
Als Gott des Schabernacks würde ich weiterhin Unfug anstellen.
Ich würde niemals aufhören, zu täuschen und zu tricksen. Das lag in meiner Natur.
Ich würde weiterhin versuchen, meinen herzallerliebsten Bruder umzubringen, indem ich mich in Schlangen verwandelte.
Ich würde jetzt nicht aufhören, der Loki zu sein, der ich war.
Ich, Loki, Prinz von Asgard, rechtmäßiger König von Jotunheim, Gott des Schabernacks, Odinson.
Doch nur dank mir hatten sich die Avengers versammelt.
Mein Plan war aufgegangen.
Wenn Thanos kommen würde, waren wir vorbereitet.

Denn wir hatten einen Hulk.

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