𝐏𝐫𝐨𝐥𝐨𝐠
*»Stirb doch endlich, du dumme Hure!«, schrie eine weibliche Stimme.
Ob ich sie kannte? Ja, ja, leider. Die Stimme gehörte zu meiner Mutter. Ihre Stimme war so laut und schrill. Es war dunkel, so dunkel, dass man nicht mal seine eigene Hand vor Augen sehen könnte. Doch ein kleines Funkeln waren dies Tränen gewesen? Wahrscheinlich ja.
So fest wie sie ihre Hände um meinen Hals geschlungen hatte, bekam ich kaum Luft. Das Gefühl von Schwindel durchfuhr mein Körper aufgrund des Sauerstoffmangels. Jeder Mensch würde in Panik geraten, doch ich schloss meine Augen und lächelte.
Würde mein Traum endlich wahr werden? Könnte ich endlich Frieden finden? Mein Körper verliert an Gefühl und ...*
Ein lautes Piepen ertönte. Ich öffnete meine Augen.
»Fick dich doch ...«, flüsterte ich und schaltete meinen Wecker aus.
Langsam setzte ich mich auf. Mein Körper fühlte sich so kalt an, dass ich zitterte. Meine Füße schleiften über den Boden und im Badezimmer schaute ich in den Spiegel. Meine grauen Augen schienen dunkler zu werden, aber vielleicht sieht es auch einfach nur wegen meiner Augenringe so aus.
War ja auch egal. Mit kaltem Wasser ging ich durch mein Gesicht. Es fühlte sich so wie immer an. Wie ein Film, den du tausende Male anschaust. Es wird berechenbar.
Alles wird berechenbar, wann der Postbote an deinen Briefkasten geht, um dir die Post zu geben, wann dein Wecker klingelt, der dich zu deiner Arbeit zwingen will, wann du essen musst, damit du zumindest am Leben bleibst. Leben, was ist das eigentlich?
Glück? Erfolg? Oder ist es doch das Ende namens Tod? Eine Frage, auf die ich mir schon immer eine Antwort wünschte, doch ich bekam nie eine.
//Scheiß leben ...//
Seufzend stieß ich mich leicht vom Waschbecken ab. Meine Zahnbürste stellte ich wieder in meinen Becher und schlenderte wieder in mein Schlafzimmer.
Mein Blick traf auf meinen Nachttisch, wo ein vollgeblutetes Taschentuch lag. Daneben lag eine kleine Klinge. Ich wusste nicht mal, wofür sie eigentlich war. Ich hatte sie aus einem Näh-Set genommen.
Meine Arme sahen aus wie eine bergige Landschaft aus. Ob es schön oder entwertend war, wusste ich nicht. Darüber nachdenken wollte ich auch nicht. Ein schwarzer Pullover, der mir viel zu groß war und eine Cargo-Jeans, ebenfalls in Schwarz.
Ich hatte diese Klamotten schon seit einer Woche getragen und ja, ich zog sie heute noch mal an. Meine Haare sahen ganz okay aus. Sie waren schulterlang, also interessierte es mich nicht, ob ich sie mir kämmen müsste oder nicht.
Doch waren sie ausnahmsweise mal nicht fettig. Langsam griff ich nach meiner Tasche und legte diese um meine Schultern. Etwas zu essen oder zu trinken bräuchte ich nicht, also machte ich mir auch keine Mühe, um etwas zu machen.
Ich setzte ein Lächeln auf und verließ meine Wohnung. Mit der Sicherheit, dass ich meine Tür abgeschlossen hatte, lief ich aus dem Gebäude zu meiner Arbeitsstelle. Viele Menschen liefen in das riesige Gebäude, was mit tausenden kleinen Büros gefüllt war.
Eines davon war meins. Kaum schaltete ich meinen Computer an, fing eine 8-Stunden-Schicht an. Es fühlte sich wie eine Ewigkeit an. Als ob die Zeit einfrieren würde.
Doch die Zeit verging dennoch. Kaum war meine Schicht zu Ende, fuhr ich den Computer runter und stempelte mich aus. Auf dem Heimweg stand ich vertieft in Gedanken an einer Ampel.
Die Autofahrer ignorierten hier gerne mal die Grünphasen. Innerlich hoffte ich, dass es in diesem Moment genauso wäre, doch ich hatte wohl kein Glück. Also setzte ich meinen Weg fort.
Meine Beine fühlten sich wie Gummi an. Seufzend ließ ich mich in mein Bett fallen, nachdem ich meine Wohnung wieder betreten hatte. Mein Herz schmerzte in meiner Brust.
Es fühlt sich so an, als ob man mir ein Messer in die Brust stechen würde. Dieser Gedanke ließ mich schmunzeln. Wie schön es doch wäre, jetzt einfach verschwinden zu können.
Egal, auf was für eine Art und Weise. Mein Blick fiel unweigerlich auf eine Dose mit Pillen.
„Antidepressiva", las ich in Gedanken.
»Dieser Scheiß bringt doch eh nichts!«, sprach ich mit knurrender Stimme und warf die Dose gegen eine beliebige Wand.
Mein Körper fühlte sich so schwer wie Reißsäcke an. Wie konnte ich das nur die ganze Zeit ignorieren? Ich gähnte und schaute auf die Uhr. Es war spät. Zu spät. Ich zwang mich dazu, in der Küche zu schlürfen.
Mit einer Kleinigkeit zum Essen setzte ich mich auf mein Sofa. Mit einem Seufzen lehnte ich mich nach hinten. Mein Hungergefühl hatte ich schon vor langer Zeit verloren.
Das Bisschen, was ich jetzt noch esse, esse ich nur, um am Leben zu bleiben. Wieso wusste ich aber nicht? Ich hing nicht besonders daran. Ich verdiente zwar nicht schlecht, aber Geld alleine macht schließlich nicht glücklich.
Und jeder, der das denkt, soll sich ficken. Solche Leute sind einfach verzweifelt, weil sie alleine sind. Jetzt könnte man mich fragen, wo da der Unterschied zu mir ist. Erfahrungen, kurz gesagt.
Meine Erfahrungen mit sozialen Gruppen waren nie gut gewesen. Also hielt ich mich so gut, es ging davon fern. Ich trauerte auch nicht darum, viele Freunde zu haben. Wieso auch?
So hatten die Menschen ihre Ruhe vor mir und ich bin ihnen. Also eine Win-win-Situation. Denke ich zumindest, da es sich irgendwie so anfühlte. Ob ich recht hatte, wusste ich bis jetzt noch nicht.
Vielleicht kann ich irgendwann eine Antwort darauf finden. Zögernd nahm ich einen kleinen Schluck von dem Weinglas, was ich mir vorhin aufgefüllt hatte. Ein hölzerner Geschmack verbreitete sich in meinem Mund.
Anscheinend wurde der Wein in einem Eichenholzfass gelagert. Ein himmlischer Geschmack. So vollmundig und vertraut. So perfekt, vielleicht so perfekt, wie ich nie sein werden kann.
Stunde um Stunde verging. Die ich mit drei großen Gläsern Wein herumbekam. Was mache ich hier überhaupt? Ach ja, mein Frust ertränken, in der Hoffnung, dass es irgendwann mal klappte.
Die Flasche war zu schnell leer.
"Riesling 'Lieblich'", sprach ich mit fast lautloser Stimme. Ich drehte die Flasche in meiner Hand.
"Du kennst meinen Namen, nicht meine Geschichte"
Ich dachte über dieses Zitat nach. Vielleicht auch zu lange, doch ich kam zu dem Beschluss, dass es wahr war. Jemandem seinen Namen zu sagen, heißt es nicht, dass die Person auch deine Geschichte kennt.
Manche Menschen sollten ihre Geschichte vielleicht auch lieber für sich behalten. So wie ich. Doch ich weiß, dass ich dazu neige, zu viel zu sprechen. Also wird es eh irgendwann mal jemand hören.
Wäre es dann nicht besser, sie jetzt schon mal zu erzählen? Vielleicht, aber vielleicht auch nicht. Ich weiß nicht. Weiß ich eigentlich überhaupt etwas von dem, was ich möchte, was ich brauche und was ich tun sollte?
Tue ich schon, was ich brauche oder wird mir von anderen eingeredet, dass es schädlich für mich ist, sich die Haut aufzuschneiden, um dann Desinfektionsmittel darauf zu verteilen?
Eine weitere Frage, auf die ich eine Antwort möchte. Wo ich aber wahrscheinlich nie eine bekommen werde. Aber gut, damit kann ich leben. Langsam fielen mir die Augen zu. Ich hatte es noch rechtzeitig geschafft, das halb leere Glas abzustellen.
*Dunkelheit umgab mich. Kälte. Meine Ohren vernahmen ein dumpfes Geräusch wahr. Eigentlich war alles abgedämpft. Es fühlte sich so an, als ob ich Watte in den Ohren hätte.
Eine Sache hörte ich ganz klar. Eine Stimme, sie hörte sich jung an.
»Ich bin ein Mensch
Das weiß ich, weil ich atme
Doch dieser eine Atemzug
Geht schon endlos lange Tage
Mein Körper läuft durch Straßen
Meine Seele wandert mit
Geht verlor'n in dunklen Gassen
Weil mich das Glück nicht trifft
Ja, lieber Uber, fahr mich bitte nie wieder nachhause
Ich hab' Angst vor der Ruhe und dass ich
mich in ihr verlaufe
Denn dieses Geräusch, das sich überall in mir verbreitet
Gibt mir das Gefühl, dass ich nie wirklich daheim bin
Ob's jemals vorbeigeht?
Sandmann, lieber Sandmann, ich bin wieder so weit
Gib mir ein'n Traum und eine Pumpgun, den Rest schaff' ich allein
Sandmann, lieber Sandmann, es ist trist in meiner Gegend
Ich bin einsam im Treibsand, brauch' jemanden zum Reden«, sang die Stimme.
Schmerzen, Trauer, Hoffnung und so vieles mehr lang in dem Gesang. So sehr, dass es mich schon fast zu Tränen rührte. Licht fiel auf ein kleines Mädchen. Dunkel, blonde Haare, graue Augen.
Dieser Anblick war mir vertrauter, als ich es mir wünschte. Sie hatte ein weißes T-Shirt an, rote Flecken zierten es. Doch ich wusste nicht, wo ich meine Aufmerksamkeit zuerst hinlenken sollte.
Typisch ADS halt und was nicht noch alles bei mir diagnostiziert wurde. Langsam kam mir das Mädchen bekannt vor. Aber wieso, wusste ich nicht richtig. Sie kam mir nur so vertraut vor.
Mit vorsichtigen Schritten lief ich zu ihr rüber. Nicht mal meine Schritte hörten sich klar an; es schien so, als ob ich meine gesamte Aufmerksamkeit auf sie lenken soll.
Als ob das Mädchen der Mittelpunkt in diesem Moment war. Kaum war ich in ihrer Nähe, konnte ich ihr verheultes Gesicht sehen; ihre Wangen und Augen waren rot.
Auf ihrem Arm frische Wunden. Sie waren tief, sehr tief. Mir stockte der Atem.*
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1502 Wörter
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