SIX
Genervt ließ Jungkook den Kugelschreiber zwischen seinen Fingern hin und her wippen. Breitbeinig saß er am kleinen Holztisch, während die zu helle Stimme der Lehrerin im Hintergrund rauschte. Er schenkte den Worten kaum Aufmerksamkeit, viel stärker nahm er den süßlichen Duft nach Lebkuchen wahr, der ihm seit drei Tagen in die Nase stieg, weil Taehyung jetzt vor ihm saß und wie eine wandelnde Duftwolke roch.
Taehyung war das komplette Gegenteil von ihm. Auf seinem Tisch lagen alle Schulsachen perfekt geordnet. Das Mathebuch lag sorgfältig auf einem karierten Block, das Mäppchen lag exakt am Rand, und in der anderen Ecke stand eine Wasserflasche. Immer wieder machte er sich kleine Notizen in ein extra Heft, damit ihm kein Detail entging.
Sein Rucksack baumelte ordentlich über der Stuhllehne.
Jungkook dagegen brachte nicht mal einen Rucksack mit. Alles, was er dabeihatte, war ein einziger Kugelschreiber, den er lose in der Tasche seiner Lederjacke verstaute. Mehr brauchte er nicht. In seinen Jacken- und Hosentaschen befanden sich stattdessen Feuerzeuge, Kippen und zerknitterte Papes. Die Schule und das Lernen schien ihm fremd.
Während Jungkook gedankenverloren mit dem Stift spielte, spürte er plötzlich einen Blick auf sich. Als er aufsah, bemerkte er, dass Taehyung sich leicht zu ihm umgedreht hatte und ihn aus seinen ruhigen Augen musterte. Ein leichtes, gezwungenes Lächeln lag auf seinen Lippen.
Diese Art von Lächeln, die ohne ein Wort ausdrückte, dass er lieber wegrennen wollen würde.
Jungkook hingegen schaut ihn genervt, schon fast ein bisschen wütend an. Er zog eine Augenbraue provokant hoch, wobei er seine Augen ein wenig verengte. Seine Mundwinkel verzogen sich kein bisschen.
Taehyung bemühte sich, sich von Jungkooks Auftreten nicht irritieren zu lassen und auch nicht das Gesicht weiter zu verziehen bei dem intensiven Geruch von Zigarettenrauch, der von ihm ausging. Es war fast schon eine Mischung aus kaltem Rauch, ein Hauch von Leder und dem unverwechselbaren Duft, den nur Menschen trugen, die stundenlang draußen herumstreiften. Taehyung war sich sicher, dass Jungkook kaum ein Wort von dem mitbekommen hatte, was die Lehrerin gerade gesagte hatte. Genau das war der Grund gewesen, warum er ihn jetzt so ansah.
Da saß Jungkook also, lässig und breitbeinig, mit einer unübersehbaren Selbstsicherheit in jeder seiner Bewegungen. Die kaputte Lederjacke hing ihm locker über die Schultern, als wäre sie ein Teil seiner Haut, während eine schwere, silberne Kette um seinen Hals lag und bei jeder Bewegung aufblitzte. Seine Ohren waren mit unzähligen Piercings geschmückt, und sogar sein Gesicht zierten zwei silberne Ringe, die ihm etwas gefährliches verliehen.
Für die meisten in der Klasse war er nämlich genau das. Der Junge, der sich um nichts und niemanden scherte, der Grenzen ignorierte und sich seine eigene Welt gebaut hatte, in der Schulregeln keine Bedeutung hatten oder in der es generell keine Regeln gab, weil diese ihn nervten.
Taehyung fand Regeln gut. Sie brachten Ordnung, zeigten, was akzeptabel und was nicht war. Sorgten dafür das kein pures Chaos in der Menschheit herrschte und niemand verletzt wurde. Jungkook hingegen war genervt von Regeln. Für ihn waren sie zum brechen da. Wenn störte es, ob er im Unterricht am Handy spielte, oder auf dem Schulhof rauchte? Jungkook war sowieso der Meinung, dass Regeln niemanden wirklich davon abhielten, das zu tun, was er wollte — sie sorgten nur dafür, dass man besser darin wurde, es zu verbergen.
Hätte Jungkooks Mutter ihm verboten, zu kiffen — was sie nie hatte — hätte er es einfach heimlich getan. Es war ein gewisser Reiz, das zutun von dem man wusste, das es verboten war. Deswegen gab Jeon einen Fick auf Regeln, den er wusste, er würde sich nie dran halten.
» Was schaust du so hässlich?«, knurrte Jungkook und nickte Taehyung abwegig zu.
» Also— Ich..Die Lehrerin—«, Taehyung wurde von der harrschen Stimme unterbrochen.
» Was du? Kannst du nicht reden?«, fragend legt Jeon seinen Kopf ein wenig schief, wobei vereinzelte Strähnen seines rabenschwarzens Haars in seine Stirn fielen.
Taehyung hingegen versuchte den kloß in seinem Hals hinunter zu schlucken. Jungkooks Stimme war tief und kratzig, als hätte er eine Handvoll Nägel geschluckt, dabei lag es nur an den Zigaretten die dafür sorgten, dass seine Stimme so rau klang.
» Jungkook setzt du dich jetzt bitte nach vorne.«, ertönt die Stimme der Lehrerin. Sie stemmt ihre Hände in die Hüfte, während sie Jungkook abwartend ansieht. » Ich soll was?«, fragt der Junge ungläubig und zieht seine Augenbrauen hoch.
» Setzt dich zu Taehyung, dann könnt ihr die Aufgaben zusammen machen.«
Jungkook biss die Zähne zusammen und schob seinen Stuhl ruckartig nach hinten, der dabei knarzend über den Boden schrammte. »Dieser verdammte Direktor.« murmelte er genervt vor sich hin. Ohne weiter auf Taehyung zu achten, ging er nach vorne, zog den Stuhl auf der linken Seite von ihm zurück und ließ sich darauf fallen.
Jeon setzte sich so breitbeinig hin, dass sein Knie unter dem Tisch gegen das von Taehyung stieß. Der Schwarzhaarige warf ihm daraufhin einen genervten Blick zu, und Taehyung räusperte sich leise, bevor er sein Beine sofort aneinander quetschte.
Taehyung wird unwohl, außerdem ist der Geruch von Zigaretten jetzt nur noch stärker, dass er allmählich Kopfschmerzen bekommt. Er zieht an den Ärmel seines beigens Pullovers. Seine Handflächen sind ein wenig feucht, weswegen er sie über seine dunkle Jeans reibt, um sie danach erneut in seinen Ärmeln zu verstecken.
Jungkook hingegen droht Kopfschmerzen zu bekommen, weil es neben ihm nun nur noch unerträglicher nach Lebkuchen riecht. Deswegen steht er auf, öffnet das Fenster neben ihm ganz egal, ob den anderen wegen der frischen Herbstluft kalt werden könnte. Hauptsache er musste diesen Geruch nicht weiterhin aushalten.
» Also—«, als Taehyung anfängt zu reden, blickt der Tätowierte fragend zu ihm, dabei seine genervte Miene aufgesetzt. » Willst du dein Mathebuch nicht rausholen?«, die Stimme des Braunhaarigens war leise und vorsichtig. So, als hätte er angst das Jungkook gleich zuschlagen könnte, nur weil er die selbe Luft atmete. » Ja klar.«, amüsiert grinst Jungkook. » Lass es mich eben aus meinem Arsch ziehen.«, spuckt er, darauf anspielend das er nicht mal einen Rucksack dabei hat, in dem er sein Buch verstauen könnte.
Taehyung seufzte innerlich und fühlte eine leise Frustration in sich aufsteigen. Er verstand nicht, warum Jungkook so stur war und jede Hilfe ausschlug die ihm angeboten wurde. Als wäre ihm sein eigener Stolz wichtiger als seine Zukunft. Konnte es wirklich sein, dass ihm sein Abschluss und alles, was danach kam, so egal waren?
Taehyung würde Jungkook sofort helfen — wenn er sich helfen lassen würde. Kims Meinung nach, war es nicht schlimm hilfe anzunehmen. Wenn man Unterstützung brauchte, sollte man sie annehmen und den Fakt akzeptieren, das man eben nicht alles alleine stemmen kann. Nur Taehyung glaubte allmählich, dass es etwas mit Jungkooks Ego zutun hatte, dass er sich nicht helfen lassen wollte.
» Lass uns bei 2C anfangen, die ist nicht so schwer.«, erklärte Taehyung, zeigte mit seinem Finger auf die Aufgabe und sah zu, wie der Tätowierte neben ihm, ihn entgeistert anschaute. Als Jungkook sich vorlehnte, bis sein warmer Atem Taehyungs Haut traf, weiteten sich die Augen des Braunhaarigens. Jungkook war seinem Gesicht so nahe. Seine Augen waren verengt und zwischen seinen Augenbrauen lag eine tiefe Falte. Es roch nach Zigaretten.
Taehyungs Mund wurde trocken während er in die dunklen Augen von Jungkook schaute, die keine einzige Emotion ausstrahlten, außer Wut und puren Hass.
» Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass ich diese verfickten wixx Aufgaben mach?«, Jeons Stimme war ruhig und leise, trotzdem scharf wie die Dornen einer Rose, an denen Taehyung sich definitiv schneiden würde. Am liebsten wollte der Braunhaarige etwas erwidern. Fragen, wieso er so sturr war sich helfen zu lassen, und ihn noch mal drauf hinweisen, dass es sich hier um seine Zukunft handelte.
Aber seine Stimme war weg. Mit einem Windstoß war sie mit geflogen und nun raus aus dem offenem Fenster. Also drehte Taehyung ohne ein weiteres Wort seinen Kopf weg, zog sein Buch zu sich und fing an, die Aufgaben alleine zu lösen.
Die beide saßen in Stille nebeneinander. Taehyung war angespannt bis in den letzten Zentimeter seines Körpers. Jungkook hingegen saß genervt da und wollte endlich aus diesen Klassenraum heraus.
Als die Klingel der Schule ertönte, sprang der Tätowierte auf. Taehyung hingegen blieb sitzen, hörte der Lehrerin bei ihren letzten Worten zu.
» Bitte bearbeitet die Aufgaben bis nächste Woche!«
Jungkook nahm nur das leise hallen ihrer Worte war, während er durch die langen, kühlen Flure schlenderte, auf der Suche nach seinen Freunden.
Taehyung war damit beschäftigt, seinen Rucksack zu packen. Sorgfältig verstaute er seine Bücher und Hefte an seinem festen Platz, bevor er ihn sich über die Schulter schwang. Ohne zu zögern, verließ er den Raum und machte sich auf den Weg zu Jins Klassenzimmer. Er wusste, dass sein alter und Jins derzeitiger Mathematiklehrer, die Stunden oft bis zur letzten Sekunde ausreizte – selbst wenn es bedeutete, die Zeit zu überziehen.
Deswegen wartete der Braunhaarige vor der Tür, bis sein bester Freund endlich heraustrat. Er seufzte laut, während er noch seinen Rucksack Schulter. » Der alte Sack geht mir so auf die nerven! Immer überzieht er!«, beschwert Jin sich, und bringt Taehyung damit zum kichern. » Ja zum Glück muss ich mir das nicht mehr antun.«
Jin wirft dem kleineren einen Blick von der Seite zu, der Bände spricht.
» Das freut mich ja richtig für dich, ist auch echt schön alleine im Unterricht zu sitzten.« Jin verschränkht gespielt beleidigt die Arme. Die beiden laufen aus dem großen Gebäude hinaus, bis sie die kalte Herbsluft trifft.
Die braunen Locken von Taehung tanzen im Wind einen hektischen tanz.
» Ach komm Jin, wie alt bist du? 19? Du wirst es wohl überleben einige Fächer jetzt ohne mich zu haben. Dafür muss ich es immerhin mit Jeon aushalten.«
Die beiden setzten sich auf eine graue Bank, die in der Mensa steht. Hier gibt es so gut wie alles, was man an essen für eine Mittagspause braucht. Gekühlte Getränke, Sandwiches oder warme Gerichte.
Taehyung packt sein Sandwich aus, bevor er einmal reinbeißt. Jin hingegen lässt seinen Kopf in die Hände fallen, » Dann doch lieber alleine.«
» Du verfickter scheißer!«
Taehyung und Jin drehen sich blitzschnell um, als eine raue Stimme hinter ihnen ertönt. Und natürlich steht da niemand anderes als Jeon Jungkook, begleitet von seinen zwei Freunden. Schon vom Tisch aus kann Taehyung sehen, dass Jungkook wütend und gereizt ist. Die Hände in den Taschen seiner abgenutzten Lederjacke vergraben, steht er mit einem finsteren Blick da, während Namjoon hinter ihm seelenruhig eine Zigarette zwischen den Lippen hat – trotz der zahlreichen Verbotsschilder in der Mensa, die eine durchgestrichene Zigarette zeigen.
Vor Jungkook steht ein Junge, der etwa einen Kopf kleiner ist. Er trägt einen grün-braun gestreiften Pullover und blickt ängstlich zu dem Schwarzhaarigen auf. Sein Körper ist angespannt, und auf dem Mensaboden zwischen ihren Füßen liegen verstreut Zigaretten.
»Digga, hebst du die jetzt auf, oder bückt sich deine Mutter für mich?!« ,brüllt Jungkook, woraufhin der Junge hastig auf die Knie geht und beginnt, die Kippen aufzusammeln. Hoseok steht daneben und lacht den Jungen aus, während Jungkook ihm immer wieder einzelne Zigaretten zuschiebt, die noch auf dem Boden herumrollen. Schlussendlich fliegt ihm eine direkt ins Gesicht.
Sofort fangen die drei an zu lachen, wobei Hoseok am lautesten lacht. »Headshot.« sagt Namjoon mit einem breiten Grinsen, bevor er seine abgebrannte Zigarette dem knienden Jungen vor die Füße wirft.
Alle anderen Anwesenden in der Mensa, beobachten das ganze Geschehen nur angespannt aus der Ferne. Keiner wagt es sich etwas zu sagen, oder dem Jungen zu helfen aus Angst, dass Jungkook ihnen etwas erniedrigenderes antun wird.
Taehyung schaut wieder zu Jin, der wie Hypnotisiert zu dem Geschehen schaut. » Ja ich würde auch lieber alleine sitzten.«, bestätigt Taehyung, während er erneut in sein Sandwich beißt.
» Aber hilft du ihm jetzt?« Jin sieht abwartend zu seinem Freund, der allerdings nur seufzt.
Da ist dieser innere Drang in ihm, der wie eine Leine an ihm zieht und sagt, dass er Jungkook helfen soll. Den so war Taehyung immer gewesen. Man musste nicht sein Freund sein, um hilfe von ihm zu bekommen. Der Braunhaarige hatte sich schon immer Gedanken um seine Mitmenschen gemacht, und ihr Wohlergehen. Wenn er dran dachte, das Jungkook seine Zukunft und Abschluss so leichtsinnig auf spielsetzt, und wegschmeißen möchte, zieht sich etwas in Taehyung zusammen, und unzählige Fragen tauchen in seinem Kopf auf.
Hatte Jungkook bereits einen Plan? Führte sein Vater vielleicht eine Firma, in der er auch ohne Abschluss arbeiten könnte, oder war seine Familie ohnehin so wohlhabend, dass er gar nicht arbeiten musste? Doch wenn das so wäre, warum waren seine Klamotten dann oft verwaschen oder sogar abgenutzt?
Fragen die Taehyung sich stellte, zu denen er aber vermutlich nie eine Antwort bekommen würde. Nicht, wenn Jungkook sich weiterhin so dagegen wehrte, die Hilfe des Braunhaarigens anzunehmen. Eine neue Frage, die sich der Braunhaarige stellte, wieso Jeon unter keinen Umständen seine Unterstützung wollte.
Wenn Taehyung daran dachte, in Jeons Situation zu sein, lief ihm ein Schauer über den Rücken. Vermutlich würde er jede freie Sekunde zum lernen benutzen, jede Unterstützung dankbar annehmen und nur vor seinen Büchern hängen. Wie es dem Schwarzhaarigen so egal sein konnte, konnte er sich beim besten Willen nicht vorstellen.
» Er will meine Hilfe nicht.« Taehyung zuckt mit den Schultern
» Mehr kann ich nicht machen.«
Ein letztes Mal dreht der Braunhaarige sich um, schaut nach dem Tätowierten und trifft auf seine dunklen Augen.
Zwei Welten prallen aufeinander, zwei Planeten kreuzen ihre Bahnen, und die Sonne richtet ihren Blick auf den Mond. Die Luft wird eiskalt während Taehyungs Körper sich anspannt, weil Jeon ihn mit einer Intensität beobachtet, die dem Braunhaarigen bis auf das Knochenmark geht. Nur kurz, vielleicht eine Sekunde, sehen sie sich an, aber es reicht um Taehyung in ein wenig angst zu versetzten.
Das zeigte wie erschreckend es war, was Jeon Jungkook für eine Wirkung auf seine Mitschüler hatten und Taehyung fand es erschreckend.
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