NINETEEN
»Und dann ist er einfach gegangen?«, fragte Jin mit einem Stirnrunzeln, während er sich ein Brötchen in den Mund schob.
»Ja, keine Ahnung. Er war plötzlich weg, als hätte ich ihn verärgert.«, murmelte Taehyung und nahm einen Schluck von seinem Kakao.
Die Mensa war überfüllt, weil sich alle lieber hier aufhielten, als draußen bei dem eisigen Wetter.
Es war das reinste Chaos aus lauten Stimmen und das klirren von Geschirr. Nur Taehyungs Blick schweifte immer durch den Raum, suchend, total unbewusst. Namjoon und Hoseok hatte er schon vor langer Zeit durch die Mensa schlendern sehen, doch von Jungkook fehlte jeder Spur.
» Und, werdet ihr euch nochmal treffen?«, fragt Jin neugierig und schaut zu seinem besten Freund, der in seinem Kakao herumrührt.
Taehyung zuckt mit den Schultern, » Keine Ahnung, ich hab ihm nicht geschrieben.«
» Würd ich an deiner Stelle auch nicht machen.«
Taehyung zog die Stirn in Falten, als seine Gedanken zurück zu gestern wanderten. Wenn er ehrlich war, hätte es durchaus schlimmer laufen können. Für seine Verhältnisse hatte Jungkook sich sogar überraschend zurückgehalten. Zumindest empfand Taehyung so. Klar, Jungkook hatte sich den ein oder anderen Spaß erlaubt, aber sonderlich gemein war er nicht gewesen.
Umso mehr fragte sich Taehyung, warum der Tätowierte so plötzlich verschwunden war, als hätte er noch einen wichtigen Termin. Zuerst hatte er vermutet, Jungkook irgendwie verärgert zu haben, doch dann verwarf er den Gedanken wieder. Er konnte sich nicht vorstellen, dass er irgendetwas gesagt oder getan hatte, was den Schwarzhaarigen wirklich so sehr aus der Fassung bringen könnte. Dafür, war er sich sicher, war Jungkooks Ego viel zu groß, als wegen einem Satzes des Braunhaarigens zu verschwinden.
Aber wieso war er dann heute nicht ihn der Schule? Schwänzte er, wie oftmals? Und wieso machte Taehyung sich solche Gedanken um ihn. Vielleicht weil er wusste, dass Jungkook trank und Drogen konsumierte?
Zu viele Fragen bildeten sich ihn Taehyung Kopf und schafften eine Blase, mit der er wohl nun den ganzen Tag rumlaufen würde.
Als die Klingel ertönte, die alle Schüler in ihre Klassenräume beförderte, verabschiedete sich Taehyung von Jin. Im Klassenraum holte er alle seine Unterlagen heraus, legte diese Ordentlich in die oberere Tischeecke, und schaute dann neben sich. Zu dem leeren Platz, wo eigentlich der Schwarzhaarige sitzen müsste.
Der Lehrer lief in den Klassenraum und alle Stimmen die bis soeben noch wahrzunehmen waren, verstummten. Der ältere Mann vorne, mit Brille begrüßte alle, bevor er an dem Thema anknüpfte, bei dem sie letzte Woche aufgehört hatten. Taehyung hört ihm aufmerksam zu, und macht sich nebenbei ein Paar Notzien.
Minute um Minute verstrich, während Taehyung still dasaß, zuhörte und mitschriftlich alles festhielt. Wie immer. Schließlich hatte er ein großes Ziel, das sich nicht durch Untätigkeit erreichen ließ. Der Brünette wollte Modedesigner werden. Er hatte sich schon früher ziemlich für Mode und unterschiedliche Style Richtungen interessiert, aber viel lieber würde er gerne seine eigene Marke in den Händen halten.
Die Tür des Klassenraums öffnet sich, und Taehyung wird abrupt aus seinen Gedanken gerissen. Als er aufschaut, sieht er Jungkook hereinkommen, der ohne eine Miene zu verziehen direkt zu seinem Platz geht. Den Lehrer, der ihn lautstark zur Rede stellt, ignoriert er völlig. Taehyungs Blick folgt ihm unweigerlich, während er Jungkooks Erscheinung mustert.
Seine Haare sind unordentlich und stehen in alle Richtungen ab, weit entfernt von dem eigentlichen Look, den er sonst trägt. Es sieht aus, als wäre er gerade erst aus dem Bett gefallen. Dunkle Schatten liegen unter seinen Augen, die beweisen, dass er wenig geschlafen haben muss.
Er trägt ein schwarzes T-Shirt, das verwaschen und von zahlreichen Falten durchzogen ist, dazu eine Jeans, deren Beine von Erde verschmiert sind – genauso wie seine Sneaker. Taehyungs Aufmerksamkeit bleibt an einer kleinen Wunde hängen, die sich auf Jungkooks linker Wange unterhalb seines Auges befindet. Ein etwa drei Zentimeter langer Kratzer, der sich scharf auf seiner sonst so blassen Haut abzeichnet.
Das war jedoch nicht das erste Mal, dass Taehyung Jeon mit einer Verletzung sah. Jungkook hatte sich längst einen Ruf erarbeitet, als jemand, der sich regelmäßig prügelte. Es kam immer wieder vor, dass er in der Schule zuschlug, besonders wenn ihn jemand provozierte oder störte. Das sorgte dafür, dass seine Knöchel blutig und aufgerissen waren, rot und schmerzhaft von den Schlägen. Gelegentlich trug er auch ein blaues Auge oder hatte eine aufplatzende Lippe, was weitere Deko im Gegensatz zu dem Lippen Piercing war.
Still zieht Jungkook mit einem Ruck den Stuhl zurück und lässt sich wie ein nasser Sack drauf fallen, als hätte Spannung seinen Körper verlassen. Er hat mal wieder keinen Rucksack dabei und Taehyung kann nicht anders, als ihn anzuschauen.
» Was glotzt du so?«, knurrt er und sorgt dafür, das Taehyung sofort panisch zur Tafel blickt. Nachdem der Braunhaarige davon ausgeht, dass die beiden sich recht okay bei ihrem treffen verstanden haben, möchte er den Schwarzhaarigen auf keinen Fall verärgern.
»Alles in Ordnung?«, murmelt Taehyung leise, unsicher, ob er gleich angeschrien wird.
»Bist du mein Therapeut oder was?«, erwidert Jungkook mit einem Grinsen, das mehr ironisch als freundlich wirkt.
Innerlich seufzte Taehyung. Er dachte, dass die beiden sich gut verstanden haben. Aber offensichtlich sah Jungkook das anders, oder er hatte wegen anderen Gründen derart schlechte Laune.
» Wann wollen wir uns wieder zum Lernen treffen?«, fragt der Braunhaarige vorsichtig, bekommt dafür einen scharfen Blick von Jeon. » Taehyung, jetzt grad sollst du einfach die Fresse halten, ich meld mich bei dir, aber geh mir doch nicht so früh auf die Eier.«, knurrt Jungkook und zieht kritisch dabei seine Augenbrauen zusammen. Taehyung nickt einfach, ohne ein weiteres Wort mehr von sich zu geben.
Auch die restlichen Minuten der verbleibenden Unterrichtsstunden laufen still ab. Taehyung ist auf einmal ein bisschen Unwohl. Es ist schon fast so, als würde seine Stimmung davon abhängen, wie der Schwarzhaarige mit ihm umging.
Als die Stunde endet, ist Jungkook der erste, der weg ist. Er läuft die langen Flure entlang, bis er seine Freunde antrifft. » Da bist du ja bro.«, sagt Namjoon, der eine Kippe hinter dem Ohr klemmen hat. » Digga ihr Hunde habt mich wachgeklingelt.«, beschwert der Tätowierte sich, während er in die grinsenden Gesichter seiner Freunde blickt.
» Lasst eine Rauchen.«, beschließt er und zusammen laufen sie raus.
Draußen kommt Jungkook sofort kalter Wind entgegen.
Die Temperaturen sinken weiter, und die Tage werden kürzer. Am Morgen lässt sich die Sonne Zeit, um aufzugehen, während sie am Abend rasch hinter dem Horizont verschwindet. Die kalte Luft macht den eigenen Atem schon sichtbar.
»Was n' eigentlich mit dir passiert?«, grinst Namjoon und deutet mit einem kurzen Nicken auf den Kratzer in Jungkooks Gesicht.
»Das Übliche«, entgegnet Jungkook mit einer gelassenen Stimme, die keine weiteren Fragen zulässt. Namjoon senkt nachdenklich den Blick und nickt stumm, wobei sein Lächeln verblasst. Hoseok bleibt ebenfalls still, seine Augen auf den Boden gerichtet, während er mit der Spitze seines Schuhs im Dreck spielt.
Sie verweilen in Stille, wobei sie sich den Qualm durch die Lunge ziehen, alle in ihren Gedanken versunken.
» Hast du eigentlich schon mal mit Kim gelernt?«, grinst Namjoon den jüngsten an, der nur die Augen verdreht. » Ich war bei ihm, hab schon mal seine Mommy kennengelernt.«, sagt er und bringt Hoseok zu lachen. » Und?«, fragt sich er mit breitem lächeln. » sieht nicht schlecht aus, hat auf jeden Fall viel Geld.«
» Frag sie ob sie deine Sugar Mommy sein will.«, Namjoon schmeißt den Zigarettenstummel weg, und tritt ihn aus. » Deine wäre geiler.«
» Nur leider hat sie kein Geld dafür.«, sagt Hobi und bringt Jungkook somit zum grinsen. Namjoon schaut nur verärgert, » ihr hurensöhne.«
» Wann gehen wir eigentlich mal wieder saufen man, ich brauch was.«, stöhnt Jungkook, ein Hauch verzweifelung in seiner Stimme. Er musste wieder was schmeißen, oder ziehen — Hauptsache irgendwas würde durch seine Adern strömen und all das betäuben, was er micht spüren wollte.
Es war schlimm, in dieser Sucht gefangen zu sein. Aber Jungkook war bereits zu tief gesunken, um einfach wieder auftauchen zu können. Wenn er einen Abend lang nicht kiffte, hatte er das Gefühl, als würde er die Erde jeden Moment hinter sich lassen müssen.
Er musste nicht immer mit Hoseok und Joon kiffen. Wenn sie es abends nicht gemeinsam taten, machte Jeon es alleine in seinem Zimmer. Lebte im Rausch und genoss das Gefühl, dass die Joints ihm gaben.
Doch mit der Zeit reichte es ihm nicht mehr. Er brauchte immer mehr, um die Leere zu füllen, die das Nüchternsein in ihm hinterließ.
» Keine Ahnung, aber hätte mal wieder bock was zu schmeißen.«, meint Namjoon und zustimmend nickt Jungkook. Es kribbelte in bereits in den Fingern, als würden Armeisen drüber laufen, wenn er dran dachte, eine Line zu ziehen.
» Ich sag Yoongi Bescheid.«, sagte er schneller, als er drüder nachdenken konnte, und schmeckte den bitter süßen Geschmack seiner Worte, als er sie realisierte. Eigentlich würde er jetzt gerne ein Satz stricken, der sowas sagte wie » Nein, lasst lieber zu wem anders.«, aber dann würden Joon und Hobi fragen stellen. Fragen, die Jeon nicht beantworten konnte, beantworten wollte, weil sie schwer auf seiner Brust lagen.
» Geil man.« freute der Brünette sich, während Jungkook sich nur eine weitere Kippe anmachte, um den Gedanken zu vernebeln, Yoongi schreiben zu müssen, bevor er in einer Welt aus Erinnerungen ertrank.
» Will ich was?«, hatte Jeon perplex gefragt und sah, wie sich ein kleines Grinsen auf die Lippen des anderen schlich.
» Junge, wie alt bist du?«, spuckte der kleinere vor ihm. Jungkook sah ihn verdutzt an, was wollte dieser Fremde vom ihm? Er stand dort vor Jungkook, mit diesem selbstgefälligem Lächeln auf den Lippen. Dunkel umrandete Augen, deren Iris so tief in der Dunkelheit verschwand, dass ihre Farbe kaum auszumachen war. Tiefe Schatten lagen darunter, stumme Zeugen von Nächten ohne Schlaf und endlosen Stunden des Wachseins.
» 16.«, hatte Jeon geschnuschelt und zugesehen, wie der Junge mit den gefärbten Haaren anfing, zu nicken. » Das perfekte alter.«, grinste er. » Wofür?«
Der Fremde antwortete nicht, lief einfach los. Zwischen leeren Bierdosen, Pizzakartons und mengen an Zigarettenstummeln stolperte der Schwarzhaarige ihm hinterher. Unter der Brücke häuften sich gruppen von Menschen. Laut lachend oder wie sie auf alten Möbeln lagen, und schliefen. Jungkook hatte sich alles genau angesehen, mit seinen abfotografiert und eingeprägt.
Auf einmal rannte jemand auf den Unbekannten zu. Nicht viel größer, vielleicht sogar kleiner als der Fremde. » Yoongi!«, hatte er mit hoher Stimme gerufen, kam angerannt und sprang dem anderen um den Hals. Umarmte ihm fest, als würde er zu Asche verfallen. Jungkook sah feuerrote Haare. Danach eine kleine, schmale Figur und ein Gesicht mit vollen Lippen, dass ihn verwirrt ansah.
» Gehst du mir Fremd?«, hatte er an sogenannten Yoongi gefragt, dabei seine Stirn in Falten gelegt und seinen Freund düster angestarrt. Yoongi lachte auf, ein raues, kratziges Geräusch, das bis in die Tiefen der Brücke widerhallte. Dann warf er einen Blick über die Schulter, hinüber zu Jeon.
» Mit dem doch nicht.«
Jungkook wusste nicht, was er sagen sollte. Er fühlte sich unwohl und wollte gehen. Sein Mund war trocken wie die Sahara, sein Magen drehte sich, und es unter der Brücke roch es merkwürdig.
» Wer is' das?«, der Junge lief auf Jeon zu, der wie verwachsen stehen blieb, und seinen gegenüber ebenfalls so musterte, wie er es mit Jeon tat. Orangene Haare, runde Nasenspitze und volle Lippen, einer seiner beiden Vorderzähne war leicht schief, was man nur beim genauen hinsehen erkannte. Dichte Wimpern, und schöne Augen.
» Jimin, das ist—« » Jungkook.«, unterbrach der Schwarzhaarige Yoongi, der sich neben seinen Freund stellte, und grinsend nickte.
» Du bist zum ersten Mal hier oder?«, aufregend sah Jimin den größeren an, der stumm mit dem Kopf schüttelte. Jimin began sofort zu lächeln, » fühl dich wie Zuhause.«, sagte er.
Jungkook flog was an den Kopf. Erschocken kniff er die Augen zusammen und duckte sich, nur um in Namjoons Gesicht zu sehen, als er sie wieder öffnete. Hoseok neben ihm lachte.
» Junge, ich dachte schon wir hätten dich verloren.«, sprach Joon seine Sorge aus, wobei Jungkook mit den Augen rollte. Vor seinen Füßen ein Zigarettenstummel, er ihn vor wenigen Sekunden am Kopf getroffen hatte. » Was labberst du man.«, beschwert sich der Schwarzhaarige.
Hoseok sprang von der Tischtennisplatte, bevor er seine Klamotten zurecht zupfte. » Also ganz sicher hätte ich keine Mund zu Mund beatmung gemacht.«
Genervt sieht Jeon seinen besten Freund an, » wegen deinem Mundgeruch wäre ich schon vorher wach geworden.«
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