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Musiktipp zum Kapitel:
Before You Go - Lewis Capaldi

Mit halbvollem Bauch vom Abendessen liege ich in meinem Bett und wieder einmal überwältigen mich meine Gefühle. Heiße, salzige Tränen laufen mir über die Wangen. Schluchzer erschüttern mein Körper. Eine schniefende Nase unterbricht mein stilles Weinen, weshalb ich verzweifelt meine Heartbroken Playlist anschalte, um mich weiter in meiner Trauer verlieren zu können, ohne diese hören zu müssen.

Alle Lieder handeln von vergangen Lieben, zerbrochenen Herzen. Der Schmerz in der Musik nimmt mich mit, vergrößert sie und lässt sie in unbändigen Wellen aus mir hervorbrechen. Und doch weiß ich, dass alle diese Lieder über einen ganz anderen Schmerz handeln. Diese Personen sind traurig, weil sie jemanden verloren haben. Aber meine Trauer geht viel tiefer.

Ich habe keine Person verloren, sondern die Hoffnung. Es gibt niemanden, den ich liebe, niemanden den ich lieben könnte und niemanden, den ich lieben werde. Das Sehnen in meiner Brust nach einer Person, bei der ich geborgen bin, zerreißt mich förmlich. Nach einer Person, von der ich geliebt werde. Ich misse das Gefühl der Liebe nicht. Ich habe es noch nie gespürt. Und das ist ein viel schlimmerer Schmerz.

So sehr wünsche ich mir eine Person, der ich vertrauen kann. Die mich in ihre Arme nimmt. Mit der ich über alles reden kann. Die alle meine geheimen Seiten kennenlernt, die ich noch nie jemanden gezeigt habe. Die mich vor der Außenwelt beschützt und sicher in ihrem Armen hält. Ich kann einfach nicht immer stark sein. Wieder übernimmt mich meine schwache Seite. Ich verzerre mich nach dieser einen Person. Dieser einen Person, der ich komplett vertrauen könnte.
Diese eine Person, mit der ich alles machen könnte. Diese einen Person, die ich lieben würde. Diese eine Person, für die ich alles opfern würde.

Meine Augen und Wangen brennen von meinem Tränen, die nicht aufhören wollen zu fließen. Heiße und kalte Schauer fahren durch meinen Körper, während ich mich weiterhin diesem Schmerz hingebe. Ich fühle mich nicht vollständig. Etwas fehlt. Ich fühle mich allein.

Hilflos.
Verzweifelt.
Kraftlos.
Verloren.
Einsam.

Weitere Schluchzer entkommen mir. Die Hoffnung, die ich einst als kleines Mädchen hatte, ist längst verschwunden.
Denn ich weiß, diesen jemand gibt es nicht. Es wird mich nie jemand so annehmen, wie ich bin. Es wird mich nie jemand so kennenlernen, wie ich bin. Es wird nie jemanden geben, für den ich alles bin. Der für mich alles ist.

Wenn ich jemanden lieben würde, dann würde ich ihm alles von mir geben. Ich würde mein komplettes Leben in seine Hände geben. Ein Kompromiss existiert nicht. Aber ich darf niemanden alles von mir geben. Es würde mich verletzbar machen. Ich wäre angreifbar. Ich wäre schwach. Ich wäre meinen Instinkten unterlegen und ich würde verlieren. Und das kann ich nicht zulassen.

Auch wenn ich dadurch einsam sein werde.
Auch wenn mein Herz, wie ein ungeschliffener Diamant, verkümmern würde.
Auch wenn ich qualvoll und immer wieder vor Sehnsucht weinen würde.
Auch wenn der Schmerz der Einsamkeit mich schon beinahe jetzt zerreißt.

Ich würde diese eine Person so gerne glücklich machen. Ihr Wohl über mein eigenes stellen.
Aber wenn sie das zulassen würde, würde sie mich nicht so lieben, wie ich sie.
Diese Liebe ist kostbar. Ich weiß, dass ich zerbrechen würde, wenn meine Liebe nicht erwidert werden würde. Und das darf ich einfach nicht zulassen. Ich darf keine Schwäche haben, die ich nicht beeinflussen kann. Eine Schwäche, die ich aber so gerne hätte.

Jedoch weiß ich, dass es in dieser Welt keine Person gibt, die nicht egoistisch ist. In einer Welt mit Vampiren und Menschen denkt jeder zuerst an sich selbst.
Früher oder später würde etwas nicht mehr passen und die Person würde etwas Besseres entdecken. Ich wäre vergessen.
Volles Vertrauen in eine Person zu haben, ist viel zu riskant. Sie kann dir immer was verheimlich, sie kann dir wehtun, ohne irgendetwas zu machen.
So viel Liebe ist in mir angestaut, aber ich darf sie nicht rauslassen. Und darum fließt sie in Formen des Schmerzes aus mir. Weitere Tränen rennen mein Gesicht herunter und verschwinden in meinem Pullover, wie schon tausende zuvor.

Sekunden werden zu Minuten.
Minuten zu Stunden.
Liebe wird zu Schmerz.
Schmerz zu Hoffnungslosigkeit.

Aber ich muss weitermachen. So wie ich schon immer weitergemacht und versucht habe, das Beste aus der Situation zu machen. Vorsichtig raffe ich mich auf und ziehe mir meinen Schlafanzug über. Den vor Tränen nassen Pulli lasse ich hinter mir, genau wie einen Teil meines Schmerzes. Das Ausweinen hat wie immer ein bisschen geholfen. Ich fühle mich leerer, der Schmerz ist weg.

Ichweiß, dass es nicht gut ist, emotionslos zu sein.
Es ist wie die Null in der Mathematik.
Aber es ist besser als der negative Schmerz.
Nur ist es noch lange nicht so positiv wie die Liebe.

Wie eine Puppe putze ich mir ohne jegliche Regung die Zähne.
Anschließend lege ich mich zurück ins Bett, aber ich suche keinen Schutz in meiner Decke. Denn diesen kann sie mir nicht geben. In dem Gewissen, dass genau jetzt die ersten Vampire wieder auf die Straßen treten und Angst und Schrecken verbreiten, schließe ich meine Augen und versuche wie immer das Positive zu sehen.

Ich lebe in einem Haus.
Ich habe großartige Eltern.
Ich kann so gut, wie es eben geht, selbst entscheiden.

Es ist nicht genug, aber es ist etwas.
Es ist besser als das seelenlose Leben, welches die Vampire führen... Oder vielleicht auch nicht?
Sie können keine Liebe, aber auch keinen Schmerz verspüren.
Sie spüren keinen Hass und kein Sehnen.
Das Einzige, was sie spüren können, ist das Verlangen ihres Körpers.
Hunger und Verlangen.

Ist das besser oder nicht?
Gäbe es Hoffnung, wäre es wahrscheinlich schlechter. Ohne ihre Seele können sie keine positiven Erlebnisse wahrnehmen. Aber es gibt keine Hoffnung. Die Seelenlosigkeit schützt sie nur vor dem Schlechten in der Welt. Ihre Körper sind unsterblich, ihre Seele ist nicht vorhanden. Sie sind für die Ewigkeit bestimmt.

Ich nicht. Also halte ich das aus. Der Schmerz wird immer wieder zurückkommen, aber ich werde ihn immer wieder wegsperren. Ganz tief in meinem Inneren. Ich werde weiterhin mit ihm leben und dabei alle anlächeln. Aber daran kann ich nichts ändern. Denn ich muss mich selbst schützen. Mit diesem Gedanken schlafe ich schließlich ein.

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