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Soll ich es wagen oder nicht? Etwas sagen oder schweigen? Hin und hergerissen, überlege ich, welche Entscheidung besser wäre, bis seine Stimme meine Gedankengänge unterbricht. Er kniet mittlerweile vor mir, während ich auf dem alten, graugemusterten Sofa sitze. Wir sind direkt auf einer Augenhöhe, sodass ich im Schein des gedimmten Glühbirnenlichts seine bernsteinfarbenen Augen erkennen kann. Sie sind faszinierend, als wären sie zwei eigene Gestirne, die den Weg zu einem anderen Sonnensystem weisen. Außerdem strahlen sie irgendetwas Besonderes aus, das beruhigend auf mich wirkt.
„Ich sehe dir doch an, dass dir etwas auf dem Herzen liegt. Also raus damit.", versucht er mich ein weiteres Mal zum Reden zu ermutigen. Mit dem Handrücken wischt er dabei noch eine letzte Träne aus meinem Gesicht. Nur, einem Werwolf zu vertrauen, ist wahrscheinlich die schlechteste Idee überhaupt. Aber egal. Die Lösung zu dem Problem liegt so nahe. So nahe, dass der Drang zu helfen und mich damit nützlich zu machen, schließlich die Oberhand gewinnt.
„Ihr wollt doch alle Mädchen mit Mal, oder?", frage ich ihn geradeheraus. Der schroffe Unterton, den ich mir seit meiner Kindheit angewöhnt habe, verleiht meinen Worten dabei Nachdruck.
„Ja, das stimmt". Seine Augenbrauen ziehen sich zusammen, während er mich nachdenklich mustert.
„Eben. Dann sorg doch auch mal gefälligst dafür, dass ihr alle bekommt!", rede ich scharf auf ihn ein. „Aber das haben wir, Mate. Denk an die ganzen Mädchen, die im Keller waren."
„Das sind nicht alle, du Lackaffe."
„Wie...?", seine Stirn legt sich in Falten. Er scheint nicht ganz zu verstehen, was ich meine. Dann muss ich mich wohl klarer ausdrücken.
„Eine Freundin von mir hat auch ein Mal", beginne ich meine Erzählung, doch sein nach wie vor wirrer Blick lässt mich stoppen, „Was ist?"
„Das macht keinen Sinn. Der Vampirkönig hält sich immer an sein Wort, außer...".
Stille kehrt zwischen uns ein und das Einzige, was ich höre, ist mein schnell pumpendes Herz.
„Was?", erhebe ich meine Stimme nach einigen Sekunden. Wir haben keine Zeit. Wenn ich Juna retten will, dann sollte das möglichst geschehen, bevor der blöde Vampir sie leergesaugt hat.
„Warte. Hast du mich einen Affen genannt?" Er streckt seine Beine durch und richtet sich wieder zu seiner vollen Größe auf, um anschließend von oben auf mich herunterzuschauen.
„Das ist jetzt nebensächlich", mache ich ihm klar und wische das Thema mit einer Handgeste zur Seite, „Wichtig. Ist. Dass. Der. Vampirkönig. Meine. Freundin. Hat."
Ich betone jedes einzelne Wort und spreche es extra langsam aus. Kann ja sein, dass Werwölfe Menschensprache nicht so gut verstehen.
„Du kannst schneller sprechen, ich verstehe dich auch so."
„Es gibt aber nichts mehr zu sagen. Rette sie einfach vor diesem Gestörten!", fahre ich ihn an und springe vom Sofa auf, um wieder halbwegs auf einer Augenhöhe mit ihm zu sein. Meine Füße tragen mich nur unter zitternden Protest, aber sie tun ihren Dienst. Ich bin zwar trotzdem kleiner, aber der Schwächeanfall von vorhin ist nun endlich verschwunden. Wenn auch nicht der Wunsch nach Anerkennung. Aber um diese zu bekommen, muss ich mich zuerst bewähren und meine Freundin befreien.
„Bist du dir sicher, dass uns der Vampirkönig ein Mädchen mit Mal vorenthält?"
„Ja, verdammt!", spricht die Verzweiflung aus mir. Sag mal ist dieser Werwolf bescheuert oder checkt er wirklich nicht, dass ich es ernst meine?
„Okay, wenn das so ist, dann muss ich das sofort mit meinem Gamma besprechen. Vielleicht können wir deiner Freundin helfen, aber ich kann nichts versprechen."
„Wow, danke", sarkastisch schaue ich ihn an, „Ist das jetzt dein Ernst? Ein Vielleicht reicht mir nicht."
„Versteh doch, Mate. Ich kann es dir nicht versprechen, auch wenn ich es noch so gerne tun würde."
„Wieso nicht?", misstrauisch funkele ich ihn an.
„Weil ich nicht über dem Alpha stehe. Ich muss in seinem Sinne handeln." Behutsam greift er mit seiner Hand nach der meinen und streichelt mit seinem Daumen besänftigend über meinen Handrücken. Einen kurzen Moment lasse ich die Berührung zu, bis ich meine Hand ruckartig zurückziehe.
„Und in welchem Sinne wäre das?", hacke ich nach.
„Der Alpha sorgt dafür, dass es allen Wesen auf unserem Kontinent gut geht und kein Chaos herrscht."
„Ja genau, ist klar. Weil sich irgendein magisches Wesen um einen Menschen kümmern würde. Erzähl die Lügen jemand anderem, nicht mir. Und selbst wenn, wie würde es eure Ordnung stören, wenn ihr einen Menschen befreit?"
„Das darf ich dir nicht erklären. Ich tue alles, was ich kann. Und das ist sowieso schon um einiges mehr, als ich dürfte, um das Allgemeinwohl nicht zu gefährden. Also senke deine Stimme wieder, Mate, und erbringe mir wenigsten ein kleinwenig Respekt."
Ich weiche seinem vorwurfsvollen Blick aus, da ich ihm nicht standhalten kann, und schaue auf den Boden. Dass ich ihn so angefahren habe, war nicht richtig. Ein wenig Reue überkommt mich deswegen. Aber ich erkenne auch, dass er Recht hat. Ich erwarte zu viel von ihm. Ich kenne diesen Mann nicht einmal und er mich nicht. Wieso sollte er mir also helfen? Vor allem, wenn er eine Gefahr in dem Unterfangen sieht, Juna zu befreien. Ich bin also doch wieder auf mich allein gestellt. Wie konnte ich auch nur einen Moment glauben, dass es nicht so ist?
„Dann erklär es mir eben nicht. Aber jetzt gib Gas und besprech' das mit deinem Hammer oder so, wir haben nicht viel Zeit. Dieses Monster saugt Juna sonst noch leer."
„Na gut, du bleibst so lange hier und ruhst dich aus. Ich komme bald zurück. Schließ am besten von innen ab, diesen Blutsaugern kann man wirklich nicht trauen.", weist er mich knapp an und geht währenddessen mit großen Schritten auf die Tür zu. Mit einem Quietschen öffnet sie sich, aber er geht noch nicht, sondern dreht sich noch einmal zu mir um. „Und einem magischen Wesen wie mir, kann sehr wohl etwas an einem Menschen wie dir liegen." Damit tritt er über die Schwelle und seine Silhouette verschwindet.
Seine Worte lassen mich einige Momente verharren, aber ich beschließe später über sie nachzudenken. „Dann kann mein Plan ja beginnen.", flüstre ich leise und spreche mir selbst Mut zu. Mit einer fahrigen Bewegung schaue ich mich noch einmal im Raum um, auf der Suche nach Sachen, die ich für mein Vorhaben gebrauchen könnte. Ein Geldbeutel auf dem Nachttisch fällt mir auf und kurzerhand schnappe ich ihn mir. Der kann mir bestimmt noch hilfreich werden. Denn ich schaffe es auch allein, Juna zu befreien. Wenn der Wolf mir nicht helfen kann oder will, dann ziehe ich das eben allein durch.
Mit zittrigen Händen stecke ich den Beutel in meine Hosentasche und schleiche auf die Tür zu. Ich umschließe den Schlüssel im Schlüsselloch mit meiner Hand und ziehe ihn heraus. Anschließend drücke ich die quietschende Klinke vorsichtig herunter und trete aus dem Raum in einen dunklen Gang. Mein Körper steht dabei wie unter Strom und immer wieder schaue ich mich hektisch um, da ich meine Schritte zu hören. Aber sie sind nur Einbildung. Es kommt keiner. Leise schließe ich die Tür hinter mir und drehe den Schlüssel im Schloss herum. Geschafft, das Zimmer ist abgeschlossen. Erleichtert, den ersten Schritt hinter mich gebracht zu haben, atme ich einmal tief durch. Dann gehe ich los. Zwar habe ich keine Ahnung, wie ich es überhaupt anstellen will, meine Freundin aus den Klauen des Vampirs zu befreien, aber mir wird schon noch etwas einfallen.
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