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Linnea's PoV

„Nein, nein, nein, nein, nein!", fluche ich leise vor mich hin, „Das kann einfach nicht wahr sein". Meine Hände sind zu Fäusten geballt und zittern nur so vor unterdrücktem Zorn. Wieso muss immer alles schiefgehen? Nie kann etwas funktionieren. Ich habe Juna doch gerade erst kennengelernt.
Zuvor hatte ich mich schon damit abgefunden, mein restliches Leben bei den Werwölfen auf mich allein gestellt zu sein.

Aber dann sprach sie mich an und gab mir damit Hoffnung. Hoffnung, dass wird das gemeinsam durchstehen. Hoffnung, dass wir hierbleiben. Hoffnung, dass der Vampirkönig nicht stärker wird. Und nun? Sie ist die Eine. Genau jetzt befindet sie sich in den Klauen dieses Monsters. Dabei wollten wir doch das Blutmädchen gemeinsam retten. Wir hatten uns schon drei Pläne zurechtgelegt. Doch unter diesen Umständen wird jeder einzelne scheitern.

Wahrscheinlich sollten wir uns geschlagen geben. Wir können nichts mehr ändern. Denn wir sind unbedeutend... zumindest ich. Meine Eltern hatten Recht, ich bin wertlos. Ich bin dumm, unnütz und eine einzige Last. Für jeden.

Nachdem ich merkte, das Juna nichts Böses im Sinn führte und keine der Spione war, versuchte ich, wenigstens ihr eine Hilfe sein zu können. Einen Moment glaubte ich sogar, dass das der Fall wäre. Als ich dem Vampir mein Blut für die Fragen gab, da half ich ihr doch eigentlich. Ich war doch nützlich für sie. Aber anscheinend täuschte ich mich mal wieder. Immerhin sagte sie später selbst, dass sie meine Hilfe nicht bräuchte. Dass sie es allein geschafft hätte.

Ich habe es ihr nicht gezeigt, aber in diesem Moment brach eine weitere Welt in mir zusammen. Wieder jemand, der ohne mich klarkommt. Wieder eine Person, die mich nicht braucht. Ja, meine Eltern haben vermutlich Recht. Ich bin eine Last. Etwas, das man nicht haben will. Und wahrscheinlich sieht auch Juna das so.
Würde ich auf mein Gefühl hören, dann würde sie etwas Gutes in mir sehen. Aber mein Gefühl hat mich schon so oft betrogen. Juna braucht mich nicht. Nicht vorhin und auch nicht jetzt. Sie ist stark, das hat sie mir gezeigt. Und sie wird es allein schaffen, dem Vampirkönig zu entkommen. Dafür braucht sie mich nicht.

„Es war klar, dass der König sie will. Sie hat eine starke Persönlichkeit."
„Echt? Also ich hätte eher gedacht, dass er jemanden bevorzugt, der unterwürfig ist."
„Nein, der will sie bestimmt zähmen oder so."
„Besser ist es. Die hat sich eh nur aufgespielt."

Ich horche auf, als diese Worte fallen. Verärgert suche ich nach dem Mädchen, von dem sie stammen. Sie sitzt auf der linken Seite des Steintors und macht ein grimmiges Gesicht. Ihre Gesprächspartnerin ist das argwöhnische Mädchen, welches Juna schon mehrmals anzweifelte. Vielleicht wäre es an der Zeit, Juna zu verteidigen und endlich etwas zu sagen. Aber das würde nichts ändern. Denn sie ist bei den Vampiren und ich werde zu den Werwölfen kommen. Es ist aus und vorbei.

„Eigentlich hat sie doch Glück, oder? Sie muss nicht zu den Werwölfen."
„Aber sie ist ja weiterhin bei den Vampiren."
„Besser etwas Altbekanntes als etwas Neues, denkst du nicht?"
„Doch, da könntest du Recht haben", führen die beiden Mädchen ihr Gespräch fort.
Doch dieses wird plötzlich von vielen, dumpfen Schritten unterbrochen.
„Die Werwölfe, sie kommen."

Die Schritte werden immer lauter. Es klingt so, als wären es mindestens fünf Wesen, die mit schnellem Tempo auf unseren Raum zuhalten. Mein Herzschlag beschleunigt sich wieder und ich kann es nicht lassen, meinen Oberkörper unruhig vor und zurück zuwiegen. Ich hasse meine Nervosität, wieso kann ich nicht einfach selbstsicherer sein?

„Hallo", hallt eine dunkle Stimme an den Felswänden zu uns heran, „ihr seid also die Mädchen mit den Malen." Dunkel gekleidete Gestalten tauchen zwischen den Steinwänden auf und blicken auf uns herunter.

Warte, die knien schon wieder alle? Huch. Schnell setze ich mich auch wieder auf die Knie und richte meinen Blick gen Boden. Schon wieder habe ich einen Fehler begangen. Werden die Werwölfe mich dafür bestrafen? Ich komme gar nicht dazu weiterzudenken, als ein aufgeregtes Gemurmel durch die Reihe von Wölfen geht, bevor zwei sich aus dieser lösen und mit schweren Schritten auf uns zuschreiten.

Neben mir stoppen die Schritte, aber ich schaue weiterhin tapfer zu Boden, während Tränen in meine Augen treten. Wenn ich Juna schon nicht helfen kann, dann möchte ich ihr wenigstens nicht im Weg stehen, indem ich die Werwölfe verärgre. Schließlich sind sie ihre letzte Hoffnung. Sie sind die einzigen, die sich gegen den Vampirkönig stellen würden, denke ich mal. Eine raue Hand schiebt sich unerwartet unter mein Kinn und hebt es an, sodass ich den Mann vor mir erblicke. Zwar sehe ich ihn durch den Tränenfilm nur verschwommen, aber seine breite und kräftige Statur erkenne ich auch so.
Er trägt sowohl eine schwarze Hose als auch ein gleichfarbiges T-Shirt. Seine Erscheinung wirkt insgesamt ziemlich düster, da auch seine Haare schwarz sind. Aber halt, was mache ich hier? Schaue ich ihn echt direkt an? Erschrocken wende ich mein Kinn aus seiner Hand und schaue wieder zu Boden.

„Hey, schau doch nicht weg, Mate.", wendet der fremde Werwolf sein Wort an mich und seine Stimme nimmt einen erstaunlich sanften Ton an. Ich spüre, wie sein Kopf sich zu meinem Gesicht bewegt, aber ich weiche nicht aus. Starr schaue ich auf meine zitternden Hände am Boden.
„Du weinst?", fragt er mich leise. So leise, dass nur ich es hören kann. Wieder traue ich mich nicht, eine Bewegung zu machen oder gar zu antworten. Jede Bewegung könnte falsch sein, mit jeder Bewegung könnte ich Juna schaden.
„Na komm, ich bring dich hier erstmal weg und dann reden wir weiter", erklärt der Mann mir sein Vorhaben, greift unter meine Knie und steht dann mit mir im Arm auf. Ich rolle mich in seinen Armen zusammen und mache mich ganz klein. Meine Augen kneife ich fest zu. Aber ich wehre mich nicht, ich lasse es einfach geschehen. Warum, das weiß ich auch nicht. Vielleicht habe ich aufgegeben?

Eine Zeit lang geht der Wolf mit mir durch die Gänge. Aber woher nehme ich überhaupt die Gewissheit, dass er ein Werwolf ist? Womöglich ist er ein Mensch, der von den Wölfen beauftragt wurde, mich zu holen. Vorsichtig öffne ich meine Augen doch wieder und schaue nach oben, zu seinem Gesicht. Er hat weder eine Schnauze noch pelzige Haare oder Tierohren.
„Bist du ein Werwolf?", platzt es aus mir heraus und ich erschrecke mich beinahe vor meiner eigenen Frage. Ich wollte mich doch unauffällig verhalten, niemanden im Weg stehen.
„Ja, das bin ich.", ein Lächeln breitet sich auf seinem Gesicht aus und bringt mich fast dazu, zurückzulächeln. Aber nur fast, denn diese Regung kennt mein Körper schon länger nicht mehr. Als ich Juna anlächelte, war es das erste Mal seit Jahren, dass ich es nicht nur vorspielte.
„Woher du weißt, was ich bin, kannst du mir ja später verraten. Zuerst würde ich gerne wissen, warum du geweint hast", fährt er fort und setzt mich auf einem Sofa ab.
Das wäre doch die Gelegenheit, um Juna zu helfen. Soll ich es vielleicht doch wagen?

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